Protocol of the Session on January 26, 2007

Meine Damen und Herren, die durch Bürokratie verursachten Kosten schlagen besonders in kleineren Unternehmen stark zu Buche. Ein durchschnittlicher Handwerksbetrieb wendet allein für die umfangreichen Melde- und Abrechnungsformalitäten in den Bereichen Sozialversicherung und Steuern ca. 324 Stunden im Jahr auf. Allein das macht deutlich, dass Bürokratieabbau ein Kriterium sein muss, um die Freiheit auch der Wirtschaft und damit auch ihrer Effizienz deutlich zu verbessern. Hier hat die Landesregierung starken, sehr starken Handlungsbedarf. Weitreichende Möglichkeiten zum Bürokratieabbau zur Entlastung der Thüringer Wirtschaft ergeben sich aus der Umsetzung des Zuwendungs- und Verwaltungsrechts. Dass der Fördermitteldschungel gänzlich unüberschaubar ist, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Viele Mittelständler, denen eigentlich die Förderung zugute kommen soll, schrecken vor der Antragstellung auf Fördermittel schon wegen der recht komplizierten Verfahren zurück. Dass Investitionen nicht oder nicht zeitgemäß getätigt wurden und so dem Freistaat in der vergangenen Förderperiode Fördermittel in Größenordnungen verloren gingen, hat auch Ursachen in dem Umstand, dass den kleinen und mittelständischen Unternehmen der personelle und finanzielle Aufwand zur Erstellung der Antragsunterlagen schlichtweg zu groß war und oftmals fachkundige Beratungen zu den Durchführungsbestimmungen und -richtlinien nicht ausreichten. Aufwendige Nachweisverfahren erschweren die Antragsberechtigung zusätzlich. Vergegenständlicht man sich die Tatsache, dass im Rahmen der ESF-Förderung die Verwendungsnachweisprüfung für ausgereichte Fördermittel mitunter erst fünf bis zehn Jahre nach Abschluss der Fördermaßnahme erfolgt, wird der zu bewältigende Aufwand für Zuwendungsempfänger deutlich sichtbar. Durch dieses recht aufwendige und vor allem langwierige Verfahren der Verwendungsnachweisprüfung gehen dem Land kostbare finanzielle Mittel verloren, weil Verjährungsfristen eintreten. Andererseits stellt sich für die Unternehmen eine gewisse Planungsunsicherheit ein, weil diese in den meisten Fällen nicht einschätzen können, ob und in welcher Größenordnung Fördermittelrückforderungen seitens des Zuwendungsgebers geltend gemacht werden. Also eröffnet sich auch hier ein weiteres Feld für Bürokra

tieabbau zur Entlastung der Thüringer Wirtschaft. Ich sage es an dieser Stelle, damit es nicht wieder falsch interpretiert oder falsch verstanden werden kann, ich bin deshalb trotzdem nicht der Meinung, dass wir die Praktiken wie zur Förderung des Fünfsternehotels in Erfurt übernehmen und die Antragsbearbeitung von Fördermittelanträgen ohne jegliche Prüfung aufgrund des guten Namens und der Reputation des Unternehmens durchführen. Dort muss ein gesundes Zwischenmaß gefunden werden, aber das eine mit überbordenden Vorschriften führt nicht zum Ergebnis und das andere ohne Vorschriften auch nicht. Ich denke, hier ist der Handlungsbedarf mehr als deutlich sichtbar.

Meine Damen und Herren, im Dezember 2006 hat die IHK-Organisation als Beitrag zu weiteren Mittelstandsentlastungsgesetzen der Bundesregierung 66 Vorschläge zum Abbau bürokratischer Hemmnisse unterbreitet. Die DIHK als unmittelbarer Interessenvertreter des Mittelstandes hat nach einer umfassenden Diskussion in den Reihen der Betroffenen die Punkte herausgearbeitet, die den Mittelstand ihrer Meinung nach tatsächlich entlasten könnten. Grundlage für die Erstellung des 66-Punkte-Programms waren die von den einzelnen IHKs zusammengetragenen und verallgemeinerten Bürokratieabbauvorschläge. Durch diese objektiven und repräsentativen Aussagen ist ein Papier vorgelegt worden, das eine stabile Grundlage für Diskussionen bietet und den notwendigen Praxisbezug hat. Insofern sind wir der Meinung, dass der SPD-Antrag nicht wirklich die Forderungen des Mittelstandes in der Politik aufdecken, sondern lediglich Methoden aufzeigen wird, wie die Belastungen zu ermitteln sind. In langwierigen Prozessen wird eine Analyse dessen angefertigt, was offensichtlich an vielen Stellen ohnehin schon bekannt wird. Beispielsweise geben Betriebe mit weniger als 10 Mitarbeitern pro Beschäftigten jährlich rund 3.500 € für die Bewältigung bürokratischer Auflagen aus. Bei der Gründung einer Firma in der Bundesrepublik Deutschland muss man weit über 50 Paragraphen der Arbeitsstättenverordnung und darüber hinaus, falls es sich um einen kleinen Betrieb handelt, mehr als 8.000 Einzelvorschriften beachten. Mittelständler investieren 25 Prozent ihrer Zeit für die Bewältigung der sogenannten Nebentätigkeiten, um den Anforderungen der öffentlichen Verwaltung gerecht zu werden. Für das eigentliche Kerngeschäft und die nötigen Innovationsanstrengungen reicht die Zeit oftmals nicht mehr aus.

Das von der IHK vorgelegte 66-Punkte-Programm bezieht alle diese relevanten Problembereiche ein. Wir sind deshalb der Auffassung, dass diese Vorschläge der Organisation mit den Vertretern der Wirtschaft diskutiert werden sollten, um sich an der Praxis orientiert an die tatsächlichen Hemmnisse und Hindernisse heranzuarbeiten. Ich glaube, das wäre der

zielführende Weg. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das Wort hat der Abgeordnete Schubert, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Hütte, ich möchte Ihnen erst mal für zwei Dinge danken,

erstens, dass Sie sich exakt an unseren Fragestellungen orientiert haben, die wir aufgeschrieben haben; das war ein Berichtsersuchen, wie ich es mir vorstelle und nicht wie letztens von Herrn Reinholz bei der Energiedebatte, wo er die ganzen Punkte alle weggelassen hat, und

zweitens, dass Sie noch mal deutlich gemacht haben, wie wichtig es gerade auf der kommunalen Ebene ist, mit besonderen Beispielen voranzugehen, um den Bürokratieabbau voranzubringen. Ich erinnere da an unseren Antrag „Preis für wirtschaftsfreundliche Kommunen“. Ich komme dann noch mal darauf.

Herr Gerstenberger, wir haben ja keinen Antrag gestellt, der so etwa lautet, dass das Standardkostenmodell alle Probleme des Bürokratieabbaus lösen soll, sondern wir wollen zu diesem Ansatz, der wissenschaftlich begründet ist, die fünf Fragen von der Landesregierung beantwortet haben. Wir sind aus einem besonderen Grund nur auf diesen Teil eingegangen. Wir wissen natürlich, dass Bürokratieabbau wesentlich mehr ist, als das Standardkostenmodell umzusetzen, aber es ist eine neue Methode in Deutschland und deshalb, denke ich, ist es auch gut, dass wir hier im Landtag darüber reden.

(Beifall bei der CDU)

Bürokratie ist für die Wirtschaft immer ein Problem, bei jeder Gelegenheit klagen Unternehmer darüber. Dabei ist Bürokratie erst einmal nichts Schlechtes. Im Kern ist Bürokratie die Ordnung des Zusammenlebens durch staatliche Vorschriften und Verfahren, die nach Recht und Gesetz der Verwaltung angewendet werden. Sie ist in einer arbeitsteiligen Gesellschaft unvermeidlich und notwendig, weil sie staatliche Willkür verhindert und Gleichheit vor dem Gesetz sichert. Dies ist eines der wichtigsten demokratischen Prinzipien. Jedoch ist zu viel Bürokratie am Ende kontraproduktiv. In Deutschland haben wir zweifellos eine zu hohe Belastung der Wirtschaft durch Bürokratiekosten. Ganz besonders extrem ist es in Thüringen, wie erst kürzlich im „Marburger Mit

telstandsbarometer“ zu lesen war. Ich werde später noch etwas näher darauf eingehen.

Internationale Studien der OECD, der Weltbank und der EU bescheinigen Deutschland immer wieder eine überdurchschnittlich hohe Bürokratiebelastung. Obwohl der Abbau von Bürokratie schon lange auf der politischen Agenda steht, bleiben die bisherigen Maßnahmen vereinzelt und konnten die finanziellen Belastungen der Wirtschaft kaum mindern. Das Problem, es fehlt an verlässlichen Daten über die genauen Kosten, ihre Entstehungsorte sowie an einem übergreifenden und fest verankerten Verfahren.

Erfolgreicher Bürokratieabbau schließt nicht nur den Abbau bestehender Hemmnisse ein, sondern setzt insbesondere bei der frühzeitigen Verhinderung neuer Bürokratie an. Da eine wesentliche Quelle von Bürokratie gesetzliche Vorgaben sind, tragen zielgerichtete Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtsetzung zur Abschaffung und Vermeidung neuer Bürokratie bei. Die in den Niederlanden entwickelte Methode der Bürokratiekostenmessung - hier schon mehrfach auch als Standardkostenmodell genannt - wird zu einem neuen Erfolg versprechenden Ansatz für den Bürokratieabbau. Das Hauptproblem nämlich in der Vergangenheit war, alle klagen über zu viel Bürokratie, aber keiner weiß, wie hoch der Aufwand wirklich ist. Dabei ist nicht die gefühlte Bürokratie entscheidend, sondern die tatsächlichen Kosten, die bei der Abarbeitung entstehen. Diese sind oftmals schon so selbstverständlich auch für Unternehmer geworden, dass sie von diesen gar nicht mehr als Belastung empfunden werden und andere Dinge, die gar nicht so aufwendig sind, sind nur ein Ärgernis und deshalb werden sie oftmals mit den großen Bürokratiehemmnissen gleichgesetzt. Genau hier setzt das Standardkostenmodell an. Es ist ein methodischer Ansatz, mit dem ein wesentlicher Ausschnitt bestehender bürokratischer Belastung systematisch ermittelt wird. Gemessen werden Belastungen der Wirtschaft, der Bürger und der Verwaltung durch gesetzlich vorgeschriebene Informations- und Berichtspflichten, Anträge, Formulare, Statistiken, Nachweise etc. Ziel der Messung ist das Aufspüren besonders kostenintensiver Regelungen und deren Abschaffung oder Verbilligung. Das Modell wurde in den Niederlanden mit durchschlagendem Erfolg erprobt und hat seither starkes Interesse in ganz Europa gefunden. So konnten in Holland Kosten für die Wirtschaft durch Informationspflichten an den Staat von 16,4 Mrd. € identifiziert werden. Dabei wird auf wissenschaftlicher Basis der Zeitaufwand für eine Verwaltungstätigkeit mit dem Tarif für vergleichbare Tätigkeiten, der Häufigkeit der Informationspflicht und der Zahl der Betroffenen Unternehmer multipliziert. So erhält man die Gesamtkosten für eine Informationspflicht. Die Summe aller dieser

Vorgänge ergibt dann den Aufwand für die gesamte Volkswirtschaft. Durch diese Methode werden, wie gesagt, die Hauptkosten erkannt und es können Reduktionsziele definiert werden. Die Niederlande haben seit 2002 jährlich 5 Prozent dieser Kosten für die Wirtschaft reduziert, das macht in der Summe dann bis 2007 25 Prozent. Wenn man das auf Deutschland überträgt, dann könnte bei dem gezielten Abbau der Informationspflichten um die ebenfalls gerade genannten 25 Prozent eine Entlastung der Wirtschaft um 20 Mrd. € pro Jahr entstehen und ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent bewirken. So sieht es jedenfalls die Bertelsmann Stiftung. Dies hat die Bundesregierung erkannt und im Rahmen eines Programms für Bürokratieabbau die Einführung und Anwendung dieses Modells zur Bürokratiekostenmessung beschlossen. Danach soll ab Januar 2007 - das haben wir jetzt gerade auch vom Staatssekretär gehört - die Kostenmessung starten. Noch in diesem Jahr sollen Reduktionsziele festgelegt werden, damit man nicht Gefahr läuft, von den viel zitierten Fröschen, die beauftragt werden, den Teich trockenzulegen, ist halt der vorhin schon erwähnte Normenkontrollrat eingerichtet worden. Man darf gespannt sein, welche Reduktionsziele in Deutschland formuliert werden und wie erfolgreich die Umsetzung ist.

Wie sieht es jetzt in Thüringen konkret aus? Wir haben vorhin eine Menge gehört, man kann sicher der Landesregierung nicht vorwerfen, in punkto Bürokratieabbau komplett untätig gewesen zu sein.

(Beifall bei der CDU)

Aber, was man bisher gehört hat und das war auch heute wieder das Konkreteste, was ich vernommen habe, ist vor allen Dingen die Aufhebung von Verwaltungsvorschriften, die sowieso nicht angewendet wurden, oder kaum angewendet worden sind und deshalb ist natürlich auch die Belastung, die mit diesen Vorschriften verbunden war, relativ bescheiden gewesen und damit auch die Kostenentlastung eigentlich wahrscheinlich zu vernachlässigen. Da ist lediglich der Ansatz des Standardkostenmodells jetzt im Gaststättenbereich ein erster positiver Ansatz, den man hört, aber, ich denke, er reicht bei Weitem nicht aus. Ich hatte vorhin schon einmal von dem „Marburger Mittelstandsbarometer“ gesprochen, es müsste die Landesregierung nachdenklich stimmen, dass Thüringen dort am schlechtesten abschneidet. In diesem Barometer werden von der Uni Marburg Unternehmen in ganz Deutschland befragt und das dann nach Bundesländern ausgewertet. Das legt den Rückschluss nahe, wenn Thüringen da auf dem letzten Platz ist, dass andere Bundesländer wesentlich erfolgreicher beim Bürokratieabbau sind. Das geht jetzt schon einige Jahre so, über den 12. und 14. Platz im Bundesländer-Ranking in den letzten

Jahren hat Thüringen nunmehr im Jahre 2006 mit weitem Abstand dort den letzten Platz belegt. Ich denke, dass daran auch das Thema schuld ist, das wir in den letzten zwei Tagen hier ausgiebig diskutiert haben, nämlich die Behördenstrukturreform, die ohne entsprechende Gebiets- und Funktionalreform durchgeführt wird und dass diese kleinstrukturierte Verwaltung in Thüringen besonderes viele Hemmnisse verursacht. Vielleicht hätte sich Thüringen auch dem Pilotprojekt, das von der Bertelsmann Stiftung initiiert worden ist und von den Ländern Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und dem Saarland zur Bauordnung durchgeführt wird. Nach dem Standardkostenmodell wird dort die Bauordnung überprüft. Das ist immerhin ein Bereich, dem alle Wirtschaftszweige unterliegen und eine entsprechende Wirkung wesentlich größer hätte ausfallen können als in dem Bereich, der jetzt in Thüringen versucht wird.

Abschließend möchte ich noch einmal auf die Initiative der SPD „wirtschaftsfreundliche Kommune“ hinweisen. Das ist damals von der CDU-Fraktion so verändert worden, dass es eigentlich nicht mehr unserem Ursprungsantrag entsprochen hat. Der positive Gedanke, den wir damit verbunden haben, ist sozusagen gescheitert. Mir sind jetzt auch keine Ergebnisse bekannt, was aus dem Antrag, der dann beschlossen worden ist, geworden ist. Da werde ich sicherlich demnächst mal im Wirtschaftsausschuss nachfragen, was daraus geworden ist. Interessant ist jedenfalls, Herr Kretschmer, dass in Sachsen jetzt genau dieser Wettbewerb gestartet ist, genauso wie wir es uns für Thüringen vorgestellt haben. Aber Sachsen macht ja auch eine Gebietsreform und Sachsen macht ja auch keine Schulden mehr. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Carius, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, zunächst darf ich kurz auf Herrn Gerstenberger kommen, bevor Sie den Raum verlassen. Ich habe den Eindruck, weil Sie die Förderpolitik kritisiert haben, dass Sie an die Diskussion, die wir über die Neuausrichtung der Förderpolitik im Wirtschaftsausschuss intensiv führen, nicht ganz angebunden sind, aber das wollen wir vielleicht nicht vertiefen, jedenfalls muss ich schon sagen, im Untersuchungsausschuss Hotel machen Sie einen ganz anderen Eindruck als hier. Man muss sich, denke ich, entscheiden, was man möchte, genaue Kontrollen oder etwas

freihändigere Vergabe. Ich denke, wir haben in Thüringen insgesamt einen sehr guten Mittelweg und das zeigt sich doch auch insgesamt bei allen Fördervorhaben.

Herr Dr. Schubert, ich persönlich teile nicht die Kritik von Herrn Gerstenberger, sondern finde Ihren Antrag sehr gut und begrüße ausdrücklich, dass Sie ihn gestellt haben, zumal wir selbst ein eigenes Berichtsersuchen zunächst zurückgestellt haben. Lassen Sie mich auch bei Ihnen zwei Bemerkungen machen:

Wer gestern noch ein Vergabegesetz fordert und heute den Bürokratieabbau hochhalten möchte, der hat auch da eine widersprüchliche Position - ad eins.

Zum Zweiten - Gebietsstrukturreform: Wissen Sie, diese Strukturreformen führen in all den Ländern, in denen sie durchgeführt werden, zunächst erst einmal dazu, dass die Bürokratien sich vor allen Dingen mit sich selbst beschäftigen.

(Beifall bei der CDU)

Nun kann das natürlich vonseiten der Unternehmen und Bürger als besonders positiv empfunden werden, nicht im Blick der Bürokratie zu sein, aber, meine Damen und Herren, wir müssen hier schon ernsthaft bleiben, die machen dann schlicht ihre Arbeit nicht mehr. Das, glaube ich, kann auch nicht unser Anliegen sein.

Wir haben beim Bürokratieabbau derzeit Schätzungen vom DEW, die lauten, dass sich überflüssige Bürokratiekosten auf insgesamt 33 Mrd. € belaufen in Thüringen, in Deutschland, das wären rund 330 Mio. €, die auf die Länder entfallen. Wenn Sie das dann herunter gewichten, sind das 10 Mio. € für den Freistaat und seine kommunalen Strukturen, die wir an Bürokratie abbauen müssen. Aber auch hier, meine Damen und Herren, müssen wir, glaube ich, mal von außen die Sache betrachten, wer dem Bürokratieabbau mit eigener Bürokratie begegnet, läuft jedenfalls Gefahr, dass diese Bürokratie sich dann nicht nur abbauen lässt, sondern dass man im Grunde eine permanente Beobachtung der Bürokratie und Begleitung hat, aber wirklich nicht langfristig etwas abbauen kann. Insofern stehe ich auch hier den neuen Institutionen des Normenkontrollrates durchaus etwas skeptisch gegenüber.

Insgesamt, denke ich, sind wir uns einig, dass wir natürlich auf der einen Seite das Gemeinwohl und den Schutz des Einzelnen haben wollen, auf der anderen Seite aber auch vor Überregulierung schützen wollen. Ich denke aber, dass die Maßnahmen, die wir bislang durchgeführt haben - sei es die Gesetzesfolgenabschätzung, seien es andere Maßnahmen, die Streichung von Hunderten von Vorschrif

ten -, natürlich allein nicht ausreichen. Wenn wir es genau betrachten, sind sie auch nicht wirklich ein immer effektiver Bürokratieabbau, sondern man streicht natürlich gern auch Vorschriften, die vorher keiner wahrgenommen hat. Insofern, meine Damen und Herren - jetzt habe ich schon den Beifall der Landesregierung -, denke ich, muss man das sehr realistisch betrachten. Das Standardkostenmodell bietet uns hier die einmalige Chance als Methode - und deswegen ist die Diskussion über die Methode auch wichtig, da bin ich mit Herrn Dr. Schubert einig -, dass man über die Ermittlung der allgemeinen Kosten von Informationspflichten in den Unternehmen dazu beitragen kann, dass man zunächst erst einmal die Kosten verifiziert und dann in einem zweiten Schritt überlegt, diese Kosten auch abzubauen. Damit begibt man sich auf eine ganz andere Ebene der Diskussion als der, auf der man vorher war oder auf der wir bisher waren. Man muss nämlich dann auch überlegen, inwieweit man in die Inhalte der jeweiligen gesetzlichen Vorschriften eingreift. Insofern bietet das Standardkostenmodell jedenfalls einen sehr nachdenkenswerten Ansatz. Ich denke, dass die Landesregierung diesen auch aufgegriffen hat. Wie es im Bericht deutlich geworden ist, ist es aus meiner Sicht sehr begrüßenswert.

Ich möchte aber auch den Blick auf ein anderes Problem lenken, das wir meines Erachtens haben, und zwar ist das auch die Verwaltungstradition nicht nur im Freistaat, sondern im gesamten öffentlichen Dienst. Hier müssen wir langfristig dazu kommen, dass wir den Dienstleistungsgedanken insgesamt verstärken. Wir müssen uns aber auch darüber im Klaren sein, dass das eine Abkehr vom Versuch ständiger Einzelfallgerechtigkeit sein muss, und wir müssen unsere Fehlertoleranz letztlich erhöhen. Denn nur so ist es langfristig möglich, dass wir die Initiative der einzelnen Mitarbeiter in den Verwaltungen stärken und letztlich damit auch ein Stück wegkommen von der Absicherungsmentalität, die wir zum Teil heute in manchen Amtsstuben haben. Insofern, meine Damen und Herren, ich bin froh, dass wir über den Antrag der SPD-Fraktion debattieren konnten, auch wenn natürlich der Titel sehr viel stärker daherkommt als dann das Berichtsersuchen. Ich bin dankbar für den Bericht der Landesregierung,

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Das liegt aber an der Landesregierung.)

dass wir uns hier mit diesem Thema auseinandersetzen konnten. Ich denke, wir werden das in den nächsten Monaten und Wochen auch weiter tun müssen, denn Bürokratie ist natürlich immer ein Thema. Wir müssen sie letztlich kontrollieren, damit sie nicht nur uns kontrolliert. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Kann ich davon ausgehen, dass das Berichtsersuchen erfüllt ist oder erhebt sich Widerspruch? Es erhebt sich kein Widerspruch; das Berichtsersuchen ist erfüllt. Damit schließe ich diesen Tagesordnungspunkt und rufe auf den Tagesordnungspunkt 14

Kinderschutz als Aufgabe des öffentlichen Gesundheitswe- sens verankern - Teilnahme an Früherkennungsuntersuchun- gen gewährleisten Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 4/2617 -

Wünscht die Fraktion der SPD das Wort zur Begründung? Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort Frau Dr. Fuchs, Die Linkspartei.PDS.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, ich bedaure es ein wenig, dass Sie Ihren Antrag nicht begründen, weil ich ehrlich sagen muss, wir mussten ihn mehrmals lesen, um so richtig herauszufinden, was Sie eigentlich wollten. Heute war das im „Freien Wort“ nachzulesen, da habe ich es erst richtig begriffen. Ich habe da ein paar Fragen und die werde ich auch in meiner Rede formulieren. Ich hoffe und wünsche dann in unserem gemeinsamen Interesse, weil es nichts Negatives ist, dass wir dann aber eine Antwort finden. Was sich uns natürlich sofort erschlossen hat, war, dass Ihr vorliegender Antrag sich auf die Kinder- und Jugendgesundheitsdienste bezieht und dass er mit weitreichenden Maßnahmen verknüpft ist. Natürlich teilen wir das Anliegen des Inhalts dieses Antrags sowie auch den Bedarf, aber hinsichtlich des Verfahrens unterscheiden wir uns in bedeutungsvollen Ansätzen und Fragen. Wir sehen, unter anderem auch bestätigt durch Ihren Antrag, einen zwingenden Handlungsbedarf beim Gesetz für den öffentlichen Gesundheitsdienst in Thüringen. Es wird Sie also nicht verwundern, dass unsere Fraktion in nächster Zeit einen neuen Anlauf machen wird, einen solchen Gesetzentwurf einzubringen. Vor drei Jahren ist das ja schon mal geschehen und da wurde er, ein bisschen unverständlich, vonseiten der SPD-Fraktion abgelehnt, aber im Besonderen von der CDU-Fraktion, und zwar mit sehr widerspruchsvollen Begründungen. Einerseits wurde erklärt, dass es richtig ist, dass Thüringen ein Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst braucht. Andererseits verteidigte Minister Dr. Zeh die Verordnung vom 8. August 1990 in der Fassung der Bekanntmachung der damals als Landesrecht fortgeltenden Vorschriften der ehema

ligen DDR vom 2. Oktober 1998. Dagegen meinte der Sprecher der CDU-Fraktion damals, mit unserem Gesetzentwurf würde der Weg zurück in die Staatsmedizin der DDR erfolgen. Dieses Totschlagargument kommt ja immer wieder, wenn man, wie ich sehe, fachlich nichts entgegenzusetzen hat. Aber offensichtlich hat dieses Totschlagargument auch ein bisschen die SPD-Fraktion beeinflusst und sie hat sich deshalb gescheut, ihren Antrag weiterzufassen, als nur an das SGB V anzuknüpfen. Das wird insbesondere deutlich in Punkt 1 des Antrags. Was aber der Gemeinsame Bundesausschuss im SPD-Antrag § 25 Abs. 4 Satz 2 für Aufgaben entsprechend der Intention Ihres Antrags dabei haben soll, erschließt sich mir nicht. Anders verhält es sich mit § 26 SGB V. Das verstehe ich, er regelt den Anspruch versicherter Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres. Da Sie sich scheuen - sicher aus datenschutzrechtlichen Gründen, was zu verstehen ist -, aus dem Anspruch eine Pflicht zu formulieren, fordern Sie eine zentrale Stelle zur Erfassung der Teilnahme an allen vorgesehenen Früherkennungsuntersuchungen, und zwar für alle Untersuchungen bis zum Schuleintritt. Noch eine zentrale Stelle mehr - und da frage ich, was bringt uns das, was soll das? Ohne Frage, eine lückenlose Erfassung der teilnehmenden Kinder an Früherkennungsuntersuchungen wäre schon erstrebenswert. Ich frage aber auch, was ändert das an den Ursachen, warum Kinder nicht teilnehmen? Hier besteht doch das Problem. Eine Erfassungsstelle allein klärt das nicht. Was wir brauchen auf Landes- und vor allem auf kommunaler Ebene, ist der Erhalt bzw. Wiederaufbau von niedrigschwelligen und aufzusuchenden Beratungs- und Unterstützungsangeboten für Familien mit Kindern. So war und ist eine wesentliche Säule des Gesundheitsschutzes zum Beispiel die Mütterberatung. Leider wurde im Zuge der Verschlankung von kommunalen Aufgaben beim öffentlichen Gesundheitsdienst in Thüringen so viel zusammengespart, dass es nur noch Rudimente einer Mütterberatung, zum Beispiel in der Landeshauptstadt Erfurt, gibt. Das ist mehr als bedauerlich, denn alle Erfahrungen haben gezeigt, die Mütterberatung erfasst bereits während der Schwangerschaft Problemmütter und, was besonders hervorzuheben ist, sie begleitet sie auch. So gibt es bzw. gab es zwischen der geburtshilflichen Klinik und der Mütterberatungsstelle eine enge Zusammenarbeit. Frühzeitig erfolgte der Kontakt zwischen den Mitarbeitern des Gesundheitsamts bzw. der Mütterberatungsstelle, der Entbindungsstation und der Kinderklinik. Somit konnte mit gleichbleibendem entsprechend geschultem Personal zwischen der Mütterberatung und der Mutter ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden. Mütter mit ihren Neugeborenen aus einem sozial schwachen Umfeld wurden unmittelbar nach der Entlassung aus der Klinik von den zuständigen Mitarbeitern besucht und alle vier Wochen wurde die Mütterberatung aufgesucht. Blieb die Mutter

dem Termin fern, erfolgte bereits einen Tag später ein Hausbesuch. Hier, Herr Kollege Panse, wir hatten schon mal im Ausschuss darüber diskutiert, ist übrigens der gravierende Unterschied zwischen einem niedergelassenen Kinderarzt bzw. Kinderärztin und dem öffentlichen Gesundheitsdienst zu sehen. Es ist die aufsuchende Tätigkeit, der aufsuchende Dienst der hier stattfinden kann. Bei allen Bemühungen eines Arztes, meine Damen und Herren, ein privat arbeitender Kinderarzt kann es sich weder zeitlich noch honorarmäßig erlauben, solche Art Hausbesuche durchzuführen.

Meine Damen und Herren, Mütterberatung hat den Sinn, schwangere Frauen in sozialen und rechtlichen Fragen zu beraten, wenn nötig, Hilfe des Sozial- bzw. Jugendamts hinzuzuziehen. Und durch die ärztliche Beobachtung der Gesundheit und Entwicklung der Kleinkinder bis zum dritten Lebensjahr wird eine lückenlose Betreuung gewährleistet. Da es kaum noch Großfamilien gibt, Erfahrungswissen über die Entwicklung von Kleinkindern und deren Bedingungen nicht mehr so weitergegeben werden kann wie früher in einer Großfamilie, ist die Mütterberatung an allen Gesundheitsämtern unserer Meinung nach notwendig.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Hebammen, wie im Antrag der SPD benannt, in diese beratende Tätigkeit mit einzubeziehen, will ich ausdrücklich befürworten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke, im Zusammenhang mit diesem Antrag muss erwähnt und einbezogen werden, dass die Bundesregierung im Februar 2005 den Nationalen Aktionsplan für ein kindgerechtes Deutschland 2005 bis 2010 verabschiedet hat. Er wurde unter Beteiligung aller Bundesressorts, der Länder, der Kommunen und nicht staatlichen Organisationen entwickelt. Dieser Plan behandelt sechs kinderpolitische Handlungsfelder: Chancengleichheit in der Bildung, Aufwachsen ohne Gewalt, Förderung eines gesunden Lebens und gesunder Lebensbedingungen, Entwicklung eines angemessenen Lebensstandards und internationale Verpflichtungen. Die Bundesregierung unterstreicht in diesem Nationalen Aktionsplan das zentrale Recht aller Kinder und Jugendlichen auf bestmögliche Förderung der Gesundheit. Dabei wird Gesundheit entsprechend der Weltgesundheitsdefinition verstanden. Zu den Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit gehören unter anderem die Vorbeugung, Früherkennung und Frühbehandlung von Krankheiten, die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen sowie die Verhütung von Unfällen.

Meine Damen und Herren, noch ein paar Worte zu § 25 Abs. 4 Satz 2 des V. Buches Sozialgesetzbuch

in Ihrem Antrag. In diesem Paragraphen geht es generell um Versicherte, die das 35. Lebensjahr vollendet haben und jedes zweite Jahr Anspruch auf eine ärztliche Gesundheitsuntersuchung zur Früherkennung haben. Der in Ihrem Antrag zitierte Satz verweist auf die Richtlinien, die der Gemeinsame Bundesausschuss zu Art und Umfang und zur Kostenregelung trifft, nur inwiefern hier der Kinderschutz tangiert wird, das kann ich nicht nachvollziehen und da hoffe ich dann auf Ihre Aufklärung.

Im Übrigen koordinieren die Gesundheitsämter ihre Arbeit mit dem Jugend- und Sozialamt. Sie können es objektiv aber nur so, wie die genannten Ämter personell dazu noch in der Lage sind - eine Aussage, die die Landesregierung bereits vor einiger Zeit selbst gemacht hat. Ich denke, genau hier haben wir ein Problem, was die personelle Ausstattung betrifft.