Protocol of the Session on December 14, 2006

Den Bürgerinnen und Bürgern wird mangelnde Befähigung vorgeworfen, gesellschaftliche Partizipation verantwortungsbewusst wahrzunehmen. Ich habe ja vermerken dürfen, offensichtlich teilen Sie die Theorie der Gnade der geographisch richtigen Geburt, das heißt, die einen können es in diesem Fall und die anderen können es offensichtlich nicht. Ich habe letztens Heribert Brandel gefragt, als er in Greiz war, ob er denn die Meinung teilt. Er hat sie natürlich nicht so geteilt, auch wenn er offensichtlich die Gnade der geographisch richtigen Geburt für sich vereinnahmen kann.

Offensichtlich glaubt die Mehrheitsfraktion auch, dass es den Antragstellern an Ernsthaftigkeit fehlt. Alle Kommunalpolitiker und Kommunalpolitikerinnen hier im Raum wissen, dass nicht das Mandat im Gemeinderat, im Stadtrat oder im Kreistag dafür Sorge trägt, dass in der repräsentativen Demokratie mit Sorgfalt entschieden wird; es sind ausschließlich die handelnden Personen, die im Sinne einer Gemeinde, einer Stadt oder eines Landkreises handeln oder auch nur im eigenen Sinne. Und repräsentative Demokratie schützt keineswegs vor unklugen Entscheidungen, die die Gemeinde nicht voranbringen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Ich sage das ganz bewusst als Stadträtin und als Kreisrätin.

Ich will auch die Skepsis über die erweiterten Möglichkeiten direkt demokratischer Elemente in unseren Kommunen nicht pauschal als Schwarzmalerei abtun. Aber diese Skepsis hatten eben auch andere Bundesländer. Sie haben jedoch die Kraft besessen, diese Skepsis durch eigenes aktives Tun zu überwinden. Ich will Herrn Beckstein zitieren, das erspare ich Ihnen heute nicht anlässlich zehn Jahre direkter Demokratie in den bayerischen Kommu

nen im Jahr 2005: „Die anfängliche Skepsis, die Teile des politischen Spektrums der Idee einer aktiven Bürgerbeteiligung zunächst entgegengebracht haben, ist verflogen und zu einer positiven und unterstützenden Haltung geworden.“ Das Zitat zeigt deutlich, dass die bayerische Landesregierung zunächst wenig Vertrauen zu dem Thema hatte und auch zu ihren Bürgerinnen und Bürgern. Aber die Bürger in Bayern hatten Glück mit ihrer Regierung und die Regierung hatte Weitblick in diesem Fall. In Thüringen ist beides leider nicht vorhanden. Trotz aller Aufforderungen hat sich weder die Landesregierung noch die CDU-Fraktion dazu durchringen können, sich inhaltlich mit dem Gesetzentwurf auseinanderzusetzen. Ich will das noch mal deutlich sagen: Es geht eben nicht nur darum, zu sagen, die repräsentative Demokratie ist gefährdet, sondern es geht darum zu sagen: Sind denn die Quoren, die wir eingebracht haben, zu niedrig? Warum sind die zu niedrig? Warum muss man verhandeln? Was ist mit dem Negativkatalog, an welcher Stelle geht er nach Ansicht der CDU-Fraktion denn einfach zu weit? Dabei haben wir uns als Einbringerfraktionen schon in Voraussicht dieser Skepsis der Mehrheitsfraktion in weiten Teilen des Gesetzentwurfs eher in kleinen Schritten bewegt.

Die Zuschrift von Dr. Burghard Hirsch hat in der Vorbemerkung, denke ich, treffend dargestellt, wie es auch leider in Thüringen ist. Er sagt - ich zitiere: „Die meisten gesetzlichen Regelungen von Elementen der direkten Demokratie auf kommunaler Ebene sind außerordentlich restriktiv. Es entspricht der traditionellen Vorstellung, Elemente der direkten Demokratie seien nach allen historischen Erfahrungen gefährlich und eine Erfolgsprämie für Demagogen. Dabei wird immer wieder die Weimarer Republik als abschreckendes Beispiel herangezogen. Es ist längst widerlegt und hält ernsthafter Nachprüfung nicht stand. In der Bundesrepublik besteht heute eher die Gefahr, dass sich die Politik, Parteien und Parlamente von ihrer politischen Basis ablösen und der Bürger immer mehr das Gefühl bekommt, man könne nur dann mitbestimmen, wenn man Berufspolitiker werde. Darum ist eine Korrektur dieser Entwicklung dringend nötig, soweit es sich um ernsthafte Anliegen der Bürgerschaft handelt.“

Bayern, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat gehandelt, als die Regierung merkte, dass die Bürger mit ihren Möglichkeiten der Mitbestimmung nicht mehr zufrieden waren. Thüringen sollte heute handeln, denn auch hier artikulieren Bürgerinnen und Bürger, dass sie Mitsprache auch und gerade zwischen den Wahlen wünschen. Es ist eine alte Weisheit, dass man einem unbekannte Arbeitsabläufe immer wieder üben muss, damit sie verinnerlicht werden und gute Qualität erbracht werden kann. Man braucht die Chance und einen Vertrauensvorschuss,

um selbstbewusst an die Arbeit zu gehen. Auch die Thüringer müssen endlich die Chance auf diese Übung erhalten. Nur durch einen leichteren Zugang zu den Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden können Bürger tatsächlich auch erleben, welche Auswirkungen ihre Entscheidung in der Gemeinde auf ihr Leben hat. Es braucht einen echten Vertrauensvorschuss der Politik an die Bürgerinnen und Bürger.

Ich will darauf verweisen: Wir haben seit Jahren zwar viele ehrenamtlich Tätige, aktiv Tätige, aber wir haben immer noch zu wenig. Wenn Sie sich bereits vor zehn Jahren schon mit Wohlfahrtsverbänden besprochen hätten, dann würden Sie wissen, dass auch dort ein Mangel vorhanden ist an Interesse von Bürgern, über eine längere Zeit verbindlich mitzuarbeiten. Aber wir haben ein großes Interesse von Bürgerinnen und Bürgern, sich an Projekten zu beteiligen, die sie originär angehen. Ich will nur kurz auf das Volksbegehren verweisen. Das ist so ein Element, und, ich denke, die Bürgerinnen und Bürger haben ganz einfach verdient, dass sie so etwas tun können.

Und wenn Herr Ministerpräsident Althaus auf dem CDU-Parteitag am 02.12.2006 die vorhandene Kleingliedrigkeit - Sie hatten es ja auch erwähnt, Frau Lieberknecht - als hohen Stellenwert für das Heimatgefühl der Thüringer preist, dann ist ihm mit Günter Beckstein zu antworten: Was liegt also näher, den Bürgerinnen und Bürgern, gerade wenn es um die Belange ihrer Heimatgemeinde oder ihres Landkreises geht, über das Gemeinde- und Kreiswahlrecht hinaus mehr Mitwirkungs-, Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten in konkreten Sachfragen zu geben?

(Beifall bei der SPD)

In Bayern jedenfalls ist diese unmittelbare Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene aus dem politischen Alltag nicht mehr wegzudenken. Dass wir in Thüringen im Umgang mit direkt demokratischen Elementen auch lernen müssen, das steht außer Frage. Deshalb haben wir im vorliegenden Gesetzentwurf gerade in Fragen des Negativkatalogs - da haben wir uns redlich bemüht, der CDU-Fraktion auch entgegenzukommen, denn es ist nicht ganz so, wie Sie das dargestellt haben - intensiv darum gerungen, was in dem Negativkatalog noch stehen muss. Wir haben die Haushaltssatzung, den Finanzplan, die Jahresrechnung der Gemeinde oder des Landkreises, die Jahresabschlüsse der Eigenbetriebe im Negativkatalog belassen. Ihre Beratung und Beschlussfassung ist nach wie vor ausschließlich den Gemeinderäten, den Stadträten und den Landkreisen in Kreistagen vorbehalten. Ich kann auch Ihre Meinung nicht teilen, dass wir über die Rechte der Kreistagsabgeordneten und Stadtratsmitglieder hinausgegangen sind. Das ist nicht so. Wir haben auch - auch

das war ein starkes Ringen - die Entscheidung über Gründung, Übernahme, Erweiterung oder Aufhebung von Unternehmen der Gemeinde und über die Beteiligung an Unternehmen weiterhin den Gremien allein vorbehalten. Auch bei der Festsetzung von Abgaben - das ist ein ganz heikles Thema - und privatrechtlichen Entgelten ist der Finanzierungsvorbehalt eingebaut. Es ist also nicht leichtfertig möglich, dass Bürger etwas entscheiden und der Gemeinde fiskalischen Schaden zufügen können. Damit sind 99 Prozent aller vorgebrachten Vorbehalte ohne Grundlage. Dass Bürgerbegehren zukünftig über Erlassänderungen und Aufhebungen von Satzungen möglich sein sollen, ist schon deshalb legitim, da die Bürger ja auch unmittelbar von den Satzungen - dem Ortsrecht also - betroffen sind. Die Bayern, die in Deutschland in Sachen direkte Demokratie als fortschrittlich gelten, haben einen noch eingeschränkteren Negativkatalog. Das muss man durchaus sehen. Denn dort heißt es ausschließlich: „Ein Bürgerentscheid findet nicht statt über Angelegenheiten, die kraft Gesetzes dem Ersten Bürgermeister“ - also dem Bürgermeister oder Landrat - „obliegen, über Fragen der inneren Organisation der Gemeindeverwaltung, über die Rechtsverhältnisse der Gemeinderatsmitglieder, Bürgermeister und der Gemeindebediensteten und über die Haushaltssatzung.“ Das sind wesentlich weniger Elemente, die die Bürger nicht entscheiden dürfen. Man kann also den einbringenden Fraktionen keine mangelnde Sorgfalt bei der Gesetzeserarbeitung vorwerfen. Dass auch ein eigenständiges Gesetz vorgelegt wurde, entspricht der Ernsthaftigkeit, mit der wir uns dem Thema gewidmet haben, und auch dem Respekt gegenüber diesem Thema. Man kann ja immer bei Anzuhörenden heraushören, was man will, aber es ist bereits erwähnt worden, dass eine Vielzahl von Anzuhörenden das sehr wohl erkannt hat, dass dieser Gesetzentwurf überfällig war, und sie haben mehrheitlich zustimmend zu dem Gesetzentwurf geantwortet.

Ich will auch ein Wort zu den Spitzenverbänden sagen. Die beiden Spitzenverbände haben sehr deutlich gemacht, wem gegenüber sie in erster Linie verpflichtet sind, nämlich den die Gemeinde außen Vertretenden - und das sind die Bürgermeister und die Gemeinderäte. Da will ich auch sagen, da gilt der Spruch mit den Fröschen. Auch die eingebrachten Quoren sollten noch einmal betrachtet werden. Beim Einwohnerantrag hat der Gesetzentwurf angestrebt 1 Prozent - momentan haben wir 4 Prozent - und wenn wir in Bayern nachschauen, dann ist in allen Gemeindegrößenklassen mindestens 1 Prozent vorgesehen. Beim Bürgerbegehren streben wir mit dem Gesetzentwurf 7 Prozent an, bisher sind es 13 bis 17 Prozent und in Bayern sind das in Größenordnungen bis 10.000 Einwohner 10 Prozent und zwischen 100.000 und 500.000 Einwohner 5 Prozent. Auch beim Bürgerentscheid haben wir 10 bis 20 Pro

zent je nach Größenklasse angestrebt, momentan sind es 20 bis 25 Prozent. In Bayern liegt die Hürde bei Gemeinden unter 50.000 Einwohner bei 20 Prozent und bei Gemeinden über 100.000 Einwohner bei 10 Prozent. Wir bewegen uns also entgegen den Äußerungen von Frau Lieberknecht durchaus in üblichen Größenklassen. Wir haben momentan nicht das beste Gesetz.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Wir haben mehrfach Gesprächsbereitschaft zum Gesetzentwurf bekundet genau zu diesen speziellen Inhalten. Leider hat dieses Angebot kein Gehör gefunden und wir glauben, dass es aus ideologisch besetzten Gründen und aus prinzipiellen Erwägungen abgelehnt wird. Das ist sehr bedauerlich. Es scheint ein weiteres Mal so zu sein, dass ohne das Volk das Regieren doch am schönsten ist -

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

geschlossene Veranstaltung sozusagen. Die Bürgerinnen und Bürger werden sich den Ausschluss nicht dauerhaft gefallen lassen, davon sind auch wir überzeugt. Deswegen appelliere ich noch ein letztes Mal an die CDU-Fraktion: Machen Sie Thüringen wirklich fit für die Zukunft und starten Sie dafür eine vergleichsweise preiswerte Werbekampagne. Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu. Danke.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Das Wort hat Abgeordneter von der Krone, CDUFraktion.

Werte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, „PDS will Gebietsstrukturen gründlich umwandeln“, „Matschie will große Gemeinden“, „Thüringer Bürgermeister und Landräte für Ausbau der direkten Demokratie“,

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Nicht wir allein, auch der Landkreistag und der Gemeinde- und Städtebund wollen grö- ßere Gemeinden.)

„Modell aus Bayern abgelehnt“,

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Herr von der Krone versteht das nicht.)

dies und vieles mehr sind die Schlagzeilen der Thüringer Presse.

Werte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, im Gegensatz zu den Gebietskörperschaften Bund und Länder wird für die Gemeinden stets die Bürgernähe besonders hervorgehoben. So stellt sich im Bereich der öffentlichen Finanzwirtschaft auch die Frage, inwieweit der Bürger an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden kann. Gerade die öffentliche Finanzwirtschaft kann in der Frage der Beteiligung der Öffentlichkeit auf eine jahrzehntelange Tradition zurückblicken und insofern als Vorreiter für die in den letzten Jahren aufkommenden Überlegungen zur Beteiligung der Bürger an gemeindlichen Entscheidungsprozessen angesehen werden.

Gemäß § 57 Thüringer Kommunalordnung beschließt der Gemeinderat über die Haushaltssatzung samt ihren Anlagen in öffentlicher Sitzung. Dieser § 57 der Thüringer Kommunalordnung beinhaltet die formalrechtliche Vorschrift über das Zustandekommen der Haushaltssatzung. Die Vorschrift ist zugleich Gebot, nach welchem zeitlichen Ablauf eine Haushaltssatzung zu erlassen ist. Die Bewilligung der Haushaltsmittel ist dem Gemeinderat vorbehalten. Diese Vorschrift untersagt aber nicht die Einbeziehung der Bürger in die Diskussion um den Haushalt ab dem Zeitpunkt der Übergabe des Haushaltsentwurfs an die Gemeinderäte.

(Beifall bei der CDU)

Der § 57 Thüringer Kommunalordnung unterbindet nicht, den Bürger an der Diskussion im Planungsstadium der jährlichen Finanzwirtschaft - also am Entscheidungsprozess - zu beteiligen. Die Beteiligung kann in Form der Einwendung verwirklicht werden. Hierbei ist keine Beschränkung auf einen bestimmten Teil der Haushaltssatzung oder des Haushaltsplans notwendig. Folglich kann sich die Einwendung auch auf die Höhe der vorgesehenen Steuersätze beziehen. Im Rahmen der öffentlichen Diskussion des Entwurfs der Haushaltssatzung sind keine Einwendungen gegen Gebühren und Beitragssatzungen der Gemeinde möglich, da diese nicht durch die Haushaltssatzung rechtlich verbindlich beschlossen werden. In der Praxis wird in zunehmendem Maße versucht, auch in Großstädten den Entwurf der Haushaltssatzung so nahe wie möglich an den Bürger heranzubringen, indem mindestens in den Bezirksverwaltungsstellen die Auslage erfolgt und an den betreffenden sieben Tagen ein Fachmann für Einzelfragen zur Verfügung steht. Sollten Einwohner oder Abgabepflichtige gegen den Entwurf der Haushaltssatzung oder ihrer Anlagen Einwendungen erhoben haben, so muss sich hiermit das für den Haushaltssatzungsbeschluss zuständige Organ, der Gemeinde- oder Stadtrat, beschäftigen, und zwar in öffentlicher Sitzung, so dass der Bürger oder Abgabepflichtige miterleben kann, wie über seine Einwendungen diskutiert und abgestimmt wird. Entsprechend dem für

kommunale Satzungen allgemeingültigen Gebot der öffentlichen Bekanntmachung, ist auch die Haushaltssatzung nach dem Beschluss durch den Rat öffentlich bekannt zu machen. Anschließend ist der Haushaltsplan mit seinen Anlagen auszulegen. Somit hat jeder Einwohner oder Abgabepflichtige die Möglichkeit, sich darüber zu informieren, wie die Haushaltswirtschaft im betreffenden Haushaltsjahr nun endgültig geführt werden soll. Für den Einzelnen ist also die Möglichkeit gegeben, in gewisser Weise eine Kontrolle des Verwaltungshandelns durchzuführen. Ist zum Beispiel im Haushaltsplan ein Bau eines Kinderspielplatzes in einem bestimmten Ortsteil vorgesehen, können Eltern in diesem Bereich darauf achten, ob der Kinderspielplatz in dem betreffenden Jahr auch tatsächlich gebaut wird. Einen Rechtsanspruch für den Einzelnen auf Erfüllung der im Haushaltsplan vorgesehenen Maßnahme eröffnet der Haushaltsplan allerdings im Rahmen des Öffentlichkeitsverfahrens nicht.

Herr Abgeordneter von der Krone, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuschel?

Nein, Herrn Kaiser gestatte ich keine Frage.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, Die Linkspartei.PDS: Gebt Ihr auch noch Beifall, wie bodenlos ist euer Niveau ei- gentlich?)

(Zwischenruf Abg. Kuschel, Die Links- partei.PDS: Woraus zitieren Sie denn?)

Gemäß § 80 Thüringer Kommunalordnung ist der Beschluss des Rates über die Jahresrechnung und die Entlastung des Bürgermeisters öffentlich bekannt zu machen. Anschließend erfolgt an sieben Tagen die Auslegung der Jahresrechnung mit Rechenschaftsbericht. Auch hier können die Bürger prüfen, ob der Bürgermeister, der Gemeinderat und die Verwaltung die Festlegungen des Haushaltsplans eingehalten und gut gewirtschaftet haben. Insofern schließt sich der Kreis der Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen der öffentlichen Finanzwirtschaft. Jeder Bürger kann entsprechend § 15 Thüringer Kommunalordnung in Einwohnerversammlungen Anregungen und Beschwerden in Angelegenheiten der Gemeinde vorbringen. Diese auch als Petitionsrecht bezeichnete Möglichkeit der Mitgestaltung dürfte im Haushaltssatzungsverfahren durch § 57 Thüringer Kommunalordnung ersetzt werden. Die Petenten haben einen Anspruch auf Behandlung der Anregung oder

Beschwerde. Sie haben weiterhin Anspruch auf schriftliche Benachrichtigung. Jeder kann sich gemäß § 15 Thüringer Kommunalordnung mit Anregungen und Beschwerden in Angelegenheiten der Gemeinde auch schriftlich an den Rat wenden.

Werte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, auf der Grundlage des § 16 Thüringer Kommunalordnung können Einwohner beantragen, dass sich der Rat mit einer bestimmten Angelegenheit beschäftigt und darüber entscheidet. Nach dem Wortlaut der Norm schränkt der Gesetzgeber die Zulässigkeit des Antrags auch nur bestimmter Angelegenheiten nicht ein, so dass auch ein Bürgerantrag zur Haushaltssatzung und zur Haushaltsplanung ausgeschlossen wäre. Allerdings wird man den § 57 Thüringer Kommunalordnung als Lex specialis gegenüber § 16 Thüringer Kommunalordnung ansehen müssen. Ein Bürgerantrag wäre daher in der Aufstellungs- und Beschlussphase zum Haushalt unzulässig. In der Ausführungsphase wäre ein Bürgerantrag in Bezug zur Haushaltswirtschaft denkbar, im Haushaltsplan ist ein Ausgabeansatz für den Bau eines Jugendhauses veranschlagt, aber die Gemeinde wird mit der Umsetzung dieser Veranschlagung nicht mehr beginnen. Ein 18-jähriger Einwohner und seine Freunde haben ein Interesse an der baldigen Fertiggestellung des Jugendhauses in ihrem Ortsteil. Durch den Bürgerantrag können sie den Rat zwingen, sich mit den Fragen zu beschäftigen und über den Baubeginn noch im laufenden Haushaltsjahr zu entscheiden.

(Zwischenruf Abg. Taubert, SPD: Das ist gut so.)

Das ist in Ordnung. Das können Sie doch praktizieren.

Gemäß § 17 Thüringer Kommunalordnung haben die Bürger das Recht, anstelle des Rates über Angelegenheiten der Gemeinde - hier Haushaltssatzung und Haushaltsplan - selbst zu entscheiden. Allerdings schließt § 17 Abs. 2 Nr. 1 und § 26 Abs. 2 Nr. 7 Thüringer Kommunalordnung ein Bürgerbegehren und einen Bürgerentscheid über Haushaltssatzung und damit auch über den Haushaltsplan als Teil der Haushaltssatzung ausdrücklich aus. Es bleibt also auch für den Bürger bei der in § 57 Thüringer Kommunalordnung geregelten Beteiligungsmöglichkeit. Selbstverständlich kann sich auch jeder Einwohner oder Abgabepflichtige bei öffentlichen Ausschuss- und Ratssitzungen über die Finanzwirtschaft und über den Geschäftsgang der Gemeinde informieren, wenn entsprechende Beratungsgegenstände auf der Tagesordnung öffentlicher Sitzungen stehen. Die insgesamt recht umfangreiche Beteiligung der Bürger an den Geschehnissen der öffentlichen Finanzwirtschaft und an dem Geschäftsgang einer Gemeinde

lässt sich mit der Begründung rechtfertigen, dass es sich bei den finanziellen Vorgängen der Gemeinde um Ausgaben handelt, die mit den von der Allgemeinheit anvertrauten Geldmitteln gedeckt werden. Dem Einwohner und Bürger hier einen vorbehaltlosen Einblick zu gewährleisten, ist nach demokratischen Grundsätzen eigentlich selbstverständlich.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, Die Links- partei.PDS: Nur nicht in Ichtershausen.)

Das müssen Sie gerade sagen, Herr Kaiser.

Werte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, entgegen der in der Drucksache 4/1320 dargestellten Probleme - Regelbedürfnisse und sogenannte Lösungen - sieht die Thüringer Kommunalordnung vielfältige Arten der Beteiligung am Bürger- und Gemeindegeschehen vor.

Die Bürgermeister und Landräte, die den Abgeordneten des Thüringer Landtags einen offenen Brief zu dem hier zu behandelnden Thema übergeben haben, haben viel zu tun, um die gegebenen Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung entsprechend Thüringer Kommunalordnung umzusetzen. Sie haben dabei nach meiner Meinung nachfolgende Punkte zu beachten: Je überschaubarer die räumlichen Verhältnisse einer kommunalen Körperschaft sind, umso eher wird sich der Bürger engagieren, seine Interessen wahrnehmen und Einflussnahme auf den kommunalpolitischen Entscheidungsprozess ausüben. Hier entsteht Zielkonflikt 1 zwischen Effektivitätssteigerung und politisch-demokratischer Wirkung. Je mehr Zentralisierung der Verwaltung und Hochzonung der Verwaltungsaufgaben vorgenommen werden, umso mehr nimmt die Bürgernähe schon im Hinblick auf die größere Entfernung der Verwaltungseinrichtung ab. Hier entsteht Zielkonflikt 2 zwischen der Zentralisierung und der Bürgernähe.

(Beifall bei der CDU)

Je mehr Aufgaben auf höhere Verwaltungseinheiten verlagert werden bzw. die zentralen Steuerungs- und Kontrollbefugnisse des Staates zunehmen, umso mehr mindert sich das Maß an Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenerfüllung auf kommunaler Ebene. Hier entsteht Zielkonflikt 3 zwischen zentraler Verwaltung und eigenverantwortlicher Selbstverwaltung. Je größer eine Gebietskörperschaft wird, also Entfernungen zunehmen, Verhältnisse unüberschaubar werden, Amts- und Mandatsregeln nicht mehr bekannt sind, umso weniger findet eine Identifikation des Bürgers mit den Problemen seiner Gemeinde statt. Hier entsteht Zielkonflikt 4 zwischen der Großgemeinde und der Selbstverwaltung.

Die Gesetzgeber in Bund und Ländern haben aber das Verhältnis zwischen Bürger und Kommunalverwaltung durch organisatorische und verfahrensrechtliche Regelungen weitgehend formalisiert. Dies mag zwar im Interesse der Bürger vielfach wünschenswert sein, aus dem Gesichtspunkt der Institution kommunaler Selbstverwaltung ergeben sich hieraus jedoch Einengungen der Eigenverantwortlichkeit bei der Regelung von Entscheidungsabläufen. Solche Regelungen sind auch auf dem Gebiet des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts sowie in besonderen Fachgesetzen, aber auch im Kommunalverfassungsrecht getroffen worden. Gerade die in den Bundesländern bestehenden Regelungen über vermehrte Öffentlichkeit, zum Teil auch der nur beratenden Ausschüsse, über Unterrichtung der Bürger durch die Gemeinde, über Einwohnerversammlungen, Bürgerbegehren, Bürgerantrag und sogar Bürgerentscheid bergen jedenfalls auch Nachteile institutionsgefährdender Entwicklung in sich. Sie können nämlich Eigenverantwortlichkeit der gewählten Mandatsträger mindern, den Entscheidungsprozess unerträglich komplizieren und hinauszögern und bei hart aufeinanderprallenden widerstreitenden Interessen von Bürgergruppen oder Bürgerinitiativen im Rahmen dieser Beteiligungsverfahren zu einem erheblichen Verlust faktischen Entscheidungsspielraums beitragen.