Ich will auch ein paar Sätze zum Umweltrecht sagen, weil uns das auch sehr am Herzen liegt, insbesondere in der Frage: Kommen wir da in eine Situation, wo Investoren mit 16 unterschiedlichen Umweltrechten in den Ländern bei Genehmigungen zu tun haben? Auch hier hat es noch einmal Änderungen gegeben. Es ist jetzt klar, dass der Bund in der Lage ist und dafür dreieinhalb Jahre Zeit hat, ein einheitliches Umweltgesetzbuch zu schaffen. Das ist übrigens ein Vorhaben, was schon seit Anfang der 90er- Jahre verfolgt wird. Schon Angela Merkel hatte als Umweltministerin Vorschläge auf dem Tisch, ein solches einheitliches Umweltgesetzbuch zu schaffen, und auch Jürgen Trittin hat sich daran die Zähne ausgebissen. Es war einfach nicht möglich bisher, weil die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern so gestaltet war, dass ein einheitliches Umweltgesetzbuch nicht machbar war. Wir bekommen jetzt die Chance, durch eine andere Kompetenzverteilung ein solches einheitliches Umweltgesetzbuch zu schaffen mit einer integrierten Vorhabengenehmigung, und das ist eine deutliche Verbesserung gegenüber dem jetzigen Zustand. Ich glaube, auch deshalb kann man sagen, dass hier ein vernünftiger Kompromiss gefunden worden ist. Ich habe trotzdem
noch einige Sorge, was das Abweichungsrecht der Länder angeht, insbesondere auch bei Fragen des Naturschutzes. Wer mit Naturschutzexperten diskutiert, der kann die Bedenken auch nicht einfach vom Tisch wischen. Aber das ist natürlich auch unsere Aufgabe, Kolleginnen und Kollegen, dann hier im Thüringer Landtag dafür zu sorgen, dass es auch in Zukunft hier in Thüringen hohe fachliche Standards im Naturschutz gibt und dass Abweichungsrechte der Länder nicht dazu genutzt werden, den Naturschutz nach unten zu nivellieren, sondern vielleicht auch dazu genutzt werden, einen besonders guten Naturschutz hier in Thüringen zu machen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine Reihe von Bereichen, die sind hier angesprochen worden, da ist es nicht gelungen, Veränderungen herbeizuführen; ich will sie auch noch einmal nennen. Das betrifft den Strafvollzug, das betrifft das Heimrecht, das betrifft auch die Beamtenregelungen. Ich bedauere das, dass hier keine weiteren Änderungen möglich waren. Aber auch da gilt in Zukunft, hier wird der Thüringer Landtag in Verantwortung sein, vernünftige Regelungen zu finden, und es ist an uns, aus dieser neuen Situation etwas zu machen und sie nicht nur zu beklagen. Das Grundgesetz ist insgesamt europatauglicher geworden; auch das kann man deutlich sagen. Es wird nur noch in wenigen Fällen so sein, dass die Bundesländer unmittelbar ihre Interessen gegenüber Brüssel vertreten können. Das galt vorher für alle ausschließlichen Kompetenzen der Bundesländer. Das gilt heute nur noch für drei Kernkompetenzen der Bundesländer, nämlich für Schule, für Kultur und Rundfunk. Dort können die Bundesländer noch unmittelbar die Vertretung gegenüber Europa, gegenüber der EU wahrnehmen. In allen anderen Fragen wird es in Zukunft so sein, dass der Bund Interessenvertretung gegenüber Europa wahrnehmen kann und damit auch für eine eindeutige, klare und effiziente Interessenvertretung sorgen kann. Das ist gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Herr Hausold, Sie haben von einem „faulen Kompromiss“ gesprochen. Nun will ich nicht bestreiten, dass es in der Politik auch faule Kompromisse gibt, aber man kann auch zu faul sein, sich um Kompromisse zu bemühen. Auch das ist wahr. Ich glaube, dass es notwendig war, gerade in dieser Frage Grundgesetzänderung sich um Kompromisse zu bemühen, denn Änderungen sind nur hinzubekommen mit Zweidrittelmehrheiten im Bundestag und Bundesrat. Wenn jeder zu 100 Prozent auf der eigenen Auffassung beharrt, dann ist Politik am Ende handlungsunfähig. Das kann nicht wirklich gewollt sein. Wir müssen handlungsfähig sein und handlungsfähig sind wir nur darüber, dass wir in der Lage sind,
miteinander Kompromisse einzugehen, aufeinander zuzugehen, miteinander Regelungen zu finden, die insgesamt akzeptabel sind. Am Schluss komme ich zu dem Ergebnis, wir haben mit der Debatte der letzten Wochen noch einige wichtige Veränderungen durchgesetzt, insbesondere was die Aufhebung des Kooperationsverbots im Bildungsbereich angeht. Deshalb, glaube ich, kann man hier guten Gewissens einer solchen Grundgesetzänderung insgesamt bei der Abwägung aller Vor- und Nachteile zustimmen. Die Union hier in Thüringen muss ihre Haltung revidieren, denn in der letzten Landtagssitzung haben Sie ja hier einen Beschluss gefasst, es darf keine Änderungen mehr am vorliegenden Textentwurf geben und die Landesregierung wird aufgefordert, alle Änderungen abzuwehren. Diesen Beschluss müssen Sie jetzt einkassieren. Es gibt Änderungen und wir fordern die Landesregierung auf, diesen Änderungen auch im Bundesrat zuzustimmen; denn es sind vernünftige Änderungen, die die Grundgesetzänderung besser machen.
Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei.PDS - ich muss das hier so sagen - kommen mit Ihrem inhaltlichen Antrag zum jetzigen Zeitpunkt der Debatte einfach zu spät. Sie kommen einfach zu spät! Denn die Entscheidung ist im Bundestag gefallen und der Bundesrat muss sich zu dieser Entscheidung jetzt verhalten und dazu Ja oder Nein sagen. Ein Prozess, der zweieinhalb Jahre gedauert hat, findet hier seinen Abschluss. Das ist nicht mehr der Punkt, an dem die inhaltliche Debatte noch einmal vollständig neu aufgemacht werden kann. Wer das glaubt, der ist - ich muss das leider sagen - politisch naiv. Das geht an dieser Stelle nicht mehr. Deshalb bleibt jetzt nur, Ja oder Nein zu dem ausgehandelten Paket zu sagen. Ich sage sehr klar und deutlich Ja und wir fordern in unserem Antrag auch die Landesregierung auf, Ja zu sagen auch zu den Veränderungen, die jetzt durchgesetzt worden sind.
Ich will zum Schluss noch einen Satz sagen zu dem, was in den nächsten Monaten ansteht, nämlich die Debatte über die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern, die Finanzbeziehungen der Länder untereinander. Ich will noch mal davor warnen, dass die Thüringer Landesregierung hier zu sehr vom Wettbewerbsföderalismus schwärmt, denn unsere Ausgangsbedingungen in diesem Wettbewerb sind nicht so schön, wie wir sie uns eigentlich gerne wünschen. Herr Bergemann, es ist doch nicht so oder vielleicht noch nicht so, dass, wer die Musik bestellt, auch bezahlt. Wir haben hier in Thüringen eine Menge Musik bestellt, die wir nicht selber bezahlt haben, sondern die der Bund oder andere Bundesländer für uns bezahlt haben, denn wir decken unsere Ausgaben nur ungefähr zur Hälfte durch eigene Einnahmen. Das, werte Kolleginnen und Kollegen von der Union, sollten wir immer im Hinterkopf haben, wenn jetzt
über die Neuordnung der Finanzbeziehungen geredet wird. Ich warne davor, dass wir uns da allzu große Hoffnungen machen können. Das Bestreben der finanzstarken Bundesländer ist, mehr Geld selbst zu behalten und weniger in den solidarischen Ausgleich zu geben. Das kann aber nicht unser Interesse sein. Das ist das, was die unter mehr Wettbewerbsföderalismus verstehen. Wenn dann der Ministerpräsident sagt, ich will auch mehr Wettbewerbsföderalismus, dann verstehe ich eigentlich nicht, was das für Thüringen bringen soll. Denn unser Interesse muss doch sein, den solidarischen Föderalismus zu erhalten, um so viel wie möglich auch solidarischen Ausgleich behalten zu können. Alles andere schlägt sich als Minus in der Landeskasse nieder und die Decke ist zu kurz und sie wird auch nicht dadurch länger, dass man sie hin und her zieht. Was uns droht, ist, dass an unserer Stelle die Decke noch ein bisschen kürzer wird, und deshalb warne ich davor, dass wir hier Positionen einnehmen, die aus Sicht der alten Bundesländer vielleicht verständlich, für Thüringen aber schädlich sind.
Wir in Ostdeutschland, auch in Thüringen, brauchen noch lange die Solidarität des Bundes und der anderen Bundesländer und darauf sollten wir setzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem verehrte Vorredner, Herr Bergemann, Herr Hausold und Herr Matschie. Ich will nur eine ganz kurze Vorbemerkung machen.
Natürlich hätte ich das genauso gemacht, Herr Matschie, uns jetzt zu sagen, wir haben unseren Antrag revidieren müssen. Es ist doch geändert worden. Ich denke, auch das gehört zum Geschäft. Auch Sie haben geändert, wenn ich Ihren Antrag vom 11. November 2004 ansehe: „Der Bundesgesetzgeber muss eine weitergehende Verantwortung als bisher für die Weiterentwicklung und die Sicherung der Einheitlichkeit des Bildungswesens in Deutschland erhalten.“ Auch hier haben Sie zurückstecken müssen. Es gibt Rollenspiele auch in einer Koalition. Ich denke, das Wichtige ist, dass am Ende ein für alle tragbarer Kompromiss zustande gekommen ist, den ich auch hier nachhaltig vertreten möchte.
Lieber Herr Kollege Matschie, für eines bin ich Ihnen dankbar: Die Beschreibung des allgemeinen Eindrucks, die die Rede von Herrn Hausold hinterlassen hat, die kann ich nur unterstreichen und ich möchte aber eigentlich noch einen draufsatteln, zumal die heutige Tagespresse auch dazu einlädt, die einen Artikel überschreibt: „Die kleinen Freiheiten“. Man mag über den Inhalt des Artikels streiten und man mag auch diese Einschätzung „kleine Freiheiten“ unterschiedlich sehen. Vielleicht sind es doch etwas größere - auch gut, darüber mag man streiten. Ich möchte es an sich mit einem Zitat von Weizsäcker halten, nicht Richard, aber Carl Friedrich von Weizsäcker, der gesagt hat: „Die Freiheit ist ein Gut, das durch Gebrauch wächst, durch Nichtgebrauch dahinschwindet.“ Ich denke, das ist ein sehr gutes Zitat, was auch in unserer Situation passt, denn die CDU-Fraktion hier im Thüringer Landtag will, dass Freiheit wächst. Das ist unser Ziel und da ist mit der Föderalismuskommission, denke ich, doch ein ganzer Schritt gelungen.
Freiheit soll wachsen, wofür Ihnen von der Linkspartei offensichtlich, wenn man all Ihre Äußerungen hört, der Mut fehlt. Wenn ich Ihren Antrag noch dazu sehe, da kann ich eigentlich nur sagen, wir reden über Föderalismusreform, und in diesem Zusammenhang ist er eigentlich ein Witz; ein wirklicher Witz, denn Sie sind weit entfernt, überhaupt eine Föderalismusreform zu wollen, wenn man das genau nimmt.
Nun kann man ja Ihre Rede vom kooperativen Föderalismus hören, aber an sich ist das ja auch nur eine Augenwischerei im Blick auf das, was Sie dann bei den einzelnen tatsächlichen Punkten ansprechen an Vereinheitlichung, die Sie anstreben, und da stehen Sie dann doch wieder ganz - ich kann es Ihnen nicht ersparen - in der Tradition Ihrer Partei, auch wenn Sie es von sich weisen - zentralistisch gedacht. Es gibt den Zentralstaat,
den Zentralismus, das ist das eine Modell und es gibt den Föderalismus sicher in ganz unterschiedlichen Ausprägungen. Dass Sie das dann auch tun, in der Trias - und das kam hier auch zum Ausdruck -: Planwirtschaft und Staatsgläubigkeit, das ist dann doch so, dass Sie aus der Geschichte auch an dem Punkt nichts gelernt haben. Ich sage das, weil ich ein schönes Zitat gefunden habe, das muss ich mal sagen:
Wer war es und wie alt ist es: 60 Jahre. Damals zu Beginn der Geschichte der SED nach der Vereinigung ist im Wahlkampf 1946 damit geworben worden: „Einheit bedeutet Aufstieg, Föderalismus bedeutet Niedergang“.
Der Antrag, den Sie heute gestellt haben für die Sitzung, geht ja nahtlos daraus hervor, ein irgendwie unausrottbarer Irrglaube, dass Zentralismus mehr bringen sollte, ja keine Vielfalt, nur kein Ringen um den besten Weg - es lebe der Niedergang.
Das, denke ich, muss man hier deutlich sagen, auch wenn es ein bisschen polemisch ist, aber das ist …
Ja, gelesen vor allem in Ihrem Antrag. Wir sagen hingegen, das Beste ist gerade gut genug in der Situation, in der wir uns befinden. Und es ist eine Wettbewerbssituation der deutschen Länder in Deutschland, aber vor allen Dingen im Europa der Regionen, der Wettbewerb um Standorte für Investitionen, um Vorteile in Bildung und Ausbildung, aus der Modernisierung auch von Politik und Verwaltung, all die Standortfaktoren, die ja eine Rolle spielen bei allen bedeutenden Ansiedlungen, die wir hier in Thüringen haben erwirken können. Es waren letztlich die Faktoren, die wir landesspezifisch einbringen konnten. Wenn ich an die Ansiedlung in Arnstadt denke, an Sömmerda, an das, was in Jena gelungen ist, viele, viele andere Räume.
An der Stelle muss ich auch zurückweisen, Herr Kollege Matschie, was Sie über die Präsenz Thüringens in der ganzen Debatte gesagt haben. Ich finde, unser Ministerpräsident, lieber Dieter Althaus, war hoch präsent und nicht erst in der Zeit als Ministerpräsident, sondern, das möchte ich hier für meine Fraktion auch noch mal sagen, dass wir als Landtag in ein solches Verfahren einsteigen konnten, ein Konvent in Lübeck mit allen Fraktionen aller deutschen Landtage vorbereitet haben mit der Resolution der Entschließung, konnten wir machen, weil wir als Landtagspräsidenten Rückendeckung hatten durch einen Beschluss der Vorsitzenden der CDU-Fraktionsvorsitzendenkonferenz. Dieter Althaus war damals Fraktionsvorsitzender von Thüringen. So lang zieht sich die Linie, zumindest was die jüngere Ge
schichte betrifft. Deswegen Dank für diesen Einsatz. Allenthalben im Land wird ja immer wieder beklagt, Dieter Althaus sei in Berlin. Sie behaupten dann, er sei gar nicht in Berlin. Ich denke, da muss schon mal gesagt werden, dass er sich hier deutlich, vor allen Dingen inhaltlich mit Punkten eingebracht hat, die er auch viel früher als andere in die Diskussion gebracht hat und die am Ende ja auch ausgiebig diskutiert worden sind. Dass wir uns da nicht bei allem durchsetzen konnten, gut, das liegt auch in der Sache eines Kompromisses, der erzielt werden musste.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir waren ja lange Zeugen eines ständigen Verlagerungsprozesses mit Entscheidungskompetenzen auf die Europäische Union und natürlich auch auf der nationalen Ebene. Aber das hat ja nicht nur uns betroffen, sondern in diesen Zusammenhang gehört ja auch, dass um uns herum klassisch organisierte Zentralstaaten wie Frankreich mit unserer Partnerregion Picardie, wie Polen mit unserer Partnerregion Malopolska auch föderalisiert haben, dass sie regionalisiert haben, dass sie Kompetenzen in die Regionen gegeben hatten, die bisher dort nicht waren. Das heißt, es ist ein klarer Trend, der hier zu sehen ist, wo wir an der Stärkung des Föderalismus tatsächlich aus den verschiedensten Gründen arbeiten mussten. Ich will ganz klar sagen: Angesichts dieses Trends, den wir jetzt wieder haben, nachdem vieles auf die zentrale Ebene verlagert worden ist, wieder rückzuverlagern, muss man sich noch einmal wirklich deutlich vor Augen führen, welche Weisheit die Mitglieder des Parlamentarischen Rates bei der Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland und des Grundgesetzes aufgebracht haben, dass sie nämlich da ganz deutliche Selbstverwaltungsgarantien einerseits gegeben haben für die kommunale Ebene - Artikel 28 Abs. 2 Grundgesetz - und die Zuständigkeitsvermutung in Artikel 30 zugunsten der Länder im Verhältnis Bund und letztlich auch zur Europäischen Union. Dass wir da wieder ein Stück zurückgekehrt sind, denke ich, liegt auch begründet und mit motiviert durch das, was deutsche Geschichte uns ja über Jahrhunderte letztlich gelehrt hat. Da muss man auch nicht ängstlich sein, da findet man auch Antworten auf die von Ihnen angesprochene Neugliederung, Herr Hausold.
Es gab immer, zu allen Zeiten schon, ob das die Zeit des Deutschen Bundes war, des Norddeutschen Bundes, dann in der Zeit natürlich der Bismarck-Ära 1871 und bis hin zur Weimarer Republik, Länder mit sehr unterschiedlichen Größenordnungen, sehr unterschiedlichen Leistungsverhältnissen, sehr unterschiedlichen Gegebenheiten insgesamt. Aber es wurde damals schon nach Alexis de Tocqueville gehandelt, wo ganz deutlich gesagt worden ist: Die Idee des Föderalismus bestehe darin - und das finde ich
gut auch im Blick auf das, was wir in Thüringen diskutieren, und das ist auch der Punkt der Kreativität, die wir brauchen -, die Vorzüge der Größe mit denen der Kleinheit von Staaten zu verbinden.
Da möchte ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, nahtlos an den früheren Bundespräsidenten Johannes Rau anknüpfen, Johannes Rau in einem Gespräch damals mit den Landtagspräsidenten zur Vorbereitung des Lübecker Konvents im Januar 2003, um ein bisschen Ihre Befürchtung, Herr Hausold, zu nehmen, es ginge ganz und gar unsolidarisch zu zwischen den deutschen Ländern. Man kann ja angesichts mancher aktueller Debatten den Eindruck schon haben, aber dahinter steht doch ein viel stärker wirkender Zusammenhalt. Johannes Rau, der damals formulierte: „Die bundesstaatliche Ordnung toleriert die historische, kulturelle, die landsmannschaftliche Individualität der deutschen Länder nicht nur, sondern lässt sie sich eigenverantwortlich entfalten. Das macht wertvolle Kräfte frei. Es gibt in allen Ländern ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit, eine große Bereitschaft zur solidarischen Zusammenarbeit und ein gesundes Landesbewusstsein.“ Da kann man sagen, das sind präsidiale Worte, vielleicht auch ein bisschen euphemistisch aufmunternd und wir kennen ja auch die Persönlichkeit, die dahinter steht. Aber die Frage, die wir uns im gleichen Moment auch stellen, ist: Glauben wir denn wirklich, dass Einheiten einen Bund bilden, um dann wirklich nur gegeneinander zu konkurrieren, sich das Leben schwer zu machen, vielleicht noch irgendwo andere Glieder dieses Bundes auszuschalten? Oder lebt man nicht doch - und das macht den Bund eigentlich aus - von einer gemeinsamen Identität, die eben bei allem einzelnen Verhalten auch eine gemeinsame Stärke ermöglicht, von der man am Ende profitieren kann? Jedenfalls war das die Gründungsidee, die dahinter stand, die föderale Gründungsidee. Da sind wir an einem Punkt - meine Vorredner haben das ja auch angesprochen -, an dem wir in der Tat fragen müssen: Was ist im Laufe der Jahrzehnte aus dieser Gründungsidee geworden? Zum einen, der solidarische Ausgleich bei den Geberländern wie Nehmerländern - und das ist ja der Punkt -, die zunehmend in Verdruss geraten sind, weil er eben so organisiert ist als Länderfinanzausgleich, dass er weder den einen noch den anderen wirklich motiviert, die Steuerquellen tatsächlich auszuschöpfen bei einer Nivellierungsquote von fast 97 Prozent. Das gilt auch bei uns. Tolle Ansiedlungen - ja; Wirtschaftspolitik - die besten Standortfaktoren; Arbeitsplätze - alles gut. Aber was bringt es uns tatsächlich, diese Mehreinnahmen auch in Form von Steuereinnahmen in einem Länderfinanzausgleich, wo auch das wieder wegnivelliert wird? Da müssen wir ändern. Oder auch ein Lieblingsthema aus der SPD-Fraktion - ich glaube, Herr Pidde, traktiert das immer -, das mit den Steuerprüfern. Selbst wenn ein Steuerprüfer - die Finanz
ministerin kennt das Beispiel - 1 Mio. € akquiriert - das ist schon ganz schön viel, wenn man so durch die Lande geht und muss die Steuersünder auftreiben -, dann hat man, was die Thüringer Landeskasse nach allen Abzügen und Umrechnungen betrifft, gerade mal sein eigenes Gehalt erwirtschaftet. Das ist doch alles nicht normal, das ist doch absurd.
Deswegen muss man deutlich sagen, da ist Änderung geboten. Und dann haben wir die Erosion im Bereich der Gesetzgebung. Von den gut 50 Änderungen des Grundgesetzes seit 1951 - also seit damals der ersten Änderung, gut 50 Änderungen - griffen 35 in das Bund-Länder-Verhältnis ein, und zwar zuungunsten der Länder mit konsequenter Verlagerung auch von Gesetzgebungskompetenz auf die Bundesebene. Das entscheidende Gesetz, das Finanzreformgesetz von 1969, wurde bereits angesprochen. Ab da drohte die Harmonisierung, die bundesweite Vereinheitlichung von entsprechenden Materien im Steuerrecht, im Wirtschaftsrecht, im Arbeitsrecht, im Sozialrecht wirklich auszuufern, und das unterstützt natürlich von ganzen Kartellen bundesweit agierender Vereinigungen, Verbände, Institutionen jeglicher Couleur.
Zur Wahrheit gehört auch, alle, die heute wieder auf der Matte stehen mit Reformbedarf in Deutschland, sind nicht bereit, irgendetwas in ihrem eigenen Beritt ändern lassen zu wollen. Sie wehren wirklich jede kleinste Änderung mit Zähnen und Klauen ab und standen damals auch schon auf der Matte. Vieles ist geregelt worden im Einvernehmen auch mit den Bundeslobbyisten, mit Bund und Ländern, denn immerhin waren ja auch Zweidrittelmehrheiten im Bundesrat und Bundestag erforderlich. Auf den Punkt, weil die, wie sagten Sie Herr Hausold, Chefs der Staatskanzleien, die den Bundesrat dominieren - gut, aber genau da ist ja nun wirklich einiges zugunsten der Landtage passiert,
nämlich nur in dem Moment, wo wir tatsächlich die Regelungsmaterie haben, ist doch völlig klar. Deswegen empfinde ich es schon mit einigermaßen auch Stolz, den wir als Landesparlamentarier haben können, dass seit den 70er-Jahren schon - das ist immerhin auch 30 Jahre, so lange hat es gebraucht - es immer die Impulse aus den Landtagen heraus waren, die diese Bedrohlichkeit der Entwicklung gesehen haben, die hier Stellung bezogen haben und damals schon die Themen konkurrierende Gesetzgebung, Rahmengesetzgebung und anderes mehr, auch Finanzausgleich, auf die Tagesordnung gehoben haben. Immerhin 30 Jahre ist das nun her. Das sage ich, weil ich meine, dass auch dieser Um
stand ein Stück Würdigung verdient, dass es jetzt gelungen ist, tatsächlich zumindest einen Stopp zu setzen und mit ersten Schritten eine Trendumkehr einzuleiten, hin zu einer Rückverlagerung der Zuständigkeiten auf die Länder und weg von dieser Tendenz der Vereinheitlichung des unitarischen Bundesstaates, weg von diesem exekutiven Föderalismus. Darüber sollten wir uns freuen und froh sein und nicht, wie heute Herr Pfeiffer in der Zeitung schreibt und wie es auch bei Frau Berninger in der Begründung anklang, dass wir nun wieder neue Betätigungsfelder suchten, dass wir in einer Legitimationskrise wären. Da kann man darüber streiten, aber das ist nicht mein Punkt, sondern mein Punkt ist tatsächlich, dass ein urdemokratischer Gedanke, nämlich ein Staatswesen nach dem Bedürfnisprinzip, nach dem Subsidiaritätsprinzip von unten nach oben aufzubauen, wieder Platz gegriffen hat,
dass Bedürfnisse vor Ort Vorrang haben und dass wir dastehen in der Linie auch unserem Menschenbild folgend, dass die kleinere Einheit zuerst gefragt ist, zu regeln, was auf ihrem Gebiet zu regeln ist. Wir haben ja oft genug die Debatten hier im Landtag erlebt, wenn ich an Aufsichtsfragen im Bereich der Jugendämter denke beispielsweise, wo es ganz knallharte Vorschriften gibt, was wir als Land dürfen und was eben nicht. Oder diesen ewigen Streit um Marginalien wie diese Regenwasserabgabe, wo uns monatelang eingeredet worden ist, Bundesrecht, gut, dann haben wir aber doch einen Weg gefunden. Aber ich sage insgesamt: Was geht das eigentlich den Bund an? Oder wenn wir uns in Bälde wieder über Straßenausbausatzungen und Ähnliches unterhalten müssen - was geht das den Bund eigentlich an? Das sind wirklich Dinge, die wir hier mit gesundem Menschenverstand regeln sollen könnten, aber da haben wir halt immer noch eine ganze Menge zu tun.
Es geht also um wirklich adäquate Zuständigkeiten für adäquate Materien, die wir hier unmittelbar vor Augen haben. Ich möchte auch sagen: Haben wir denn alles vergessen, was uns an Beschwerlichkeiten im bundes- und europarechtlichen Regelwerk im Zusammenhang mit den Transformationsprozessen der deutschen Einheit belastet hat? Wir haben eine riesige Solidarleistung aus den alten Ländern, von den Bürgerinnen und Bürgern der alten Länder hier empfangen, Milliarden bis eine Billion sind ja heute zu bilanzieren. Aber es war eben auch eine verdammt teure Solidarität, verdammt teuer, weil die Regelungen, die starren Vorgaben, die starren Standards uns Dinge aufgenötigt haben, die ja un