Protocol of the Session on June 8, 2006

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Bildung genauso.)

Kulturelle Vielfalt, die sinn- und identitätsstiftend für die Bürger und Bürgerinnen unseres Landes wirkt, kann so am ehesten gewährleistet werden. Dass die kulturelle Vielfalt im Freistaat gelebt wird, zeigt allein der tägliche Blick in die Feuilletons.

Meine Damen und Herren, keine Frage ist, dass der Freistaat Thüringen ein Kulturland ist, ein Status - Frau Abgeordnete Klaubert hat das schon einmal zitiert aus unserem Kulturkonzept -, den wir wie kaum eine andere Region in Deutschland so selbstverständlich beanspruchen. In der Landesverfassung des Freistaats wurden daher Kultur, Kunst, Brauchtum, Geschichte und Denkmale unter den Schutz

und die Förderung des Landes und der Gebietskörperschaften gestellt. Thüringen bietet eine beispiellose kulturelle Vielfalt, die national und international höchste Anerkennung genießt. Sie gründet auf der Kreativität von Künstlern und Kulturschaffenden, einem breit gefächerten bürgerschaftlichen Engagement und der Übernahme staatlicher Verantwortung für Erhalt und Fortentwicklung dieses Reichtums. Alles dies ist tägliche Verfassungspraxis und Gestaltungsauftrag, was keines weiteren Staatszielschutzes bedarf. Kein wesentlicher Aspekt, der der Kultur mehr Bedeutung verschaffen würde, könnte hier hinzugefügt werden.

Den Kulturbereich zukunftsfähig zu halten als Verantwortung für das kulturelle Erbe und die künstlerische Fortentwicklung, aber auch für die Wirtschaftsentwicklung unseres Landes, das ist eine fortlaufende Aufgabe, der sich alle Landesregierungen bisher verschrieben haben. Dieser Gestaltungsauftrag ist fest in unserem föderalen System verankert, er bedarf keines weiteren Anschubs. So möchte ich, meine Damen und Herren, den bekannten Staatsrechtler Prof. Peter Badura zitieren: „Ausschlaggebend ist, dass die entscheidende Lebensbedingung von Kultur und Bildung, Wissenschaft und Kunst ihre Freiheit ist.“

Fazit: Die Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestags spricht sich zwar für das Staatsziel Kultur im Grundgesetz aus - ihre wesentliche Begründung: Anpassung an das europäische Verfassungsrecht -, dies verkennt aber die für Deutschland typische föderale Struktur im Unterschied zu einem zentralistischen Staat wie Frankreich. Nach dem Grundgesetz haben bei uns die Länder die Verantwortung für Kultur. Ein Staatsziel Kultur im Grundgesetz hätte nur appellativen, deklaratorischen Charakter - großer Aufwand, kleine Wirkung also. Gegenüber der Aufnahme weiterer Programmsätze in das Grundgesetz ist - das hat mein Kollege Carius hier schon dargestellt - generelle Skepsis angebracht. Dies gilt auch für das Staatsziel Kultur, zumal Deutschland, wie hier von allen Rednern belegt wurde, über eine vielfältige Kulturlandschaft verfügt.

Die bestehenden finanziellen Probleme und die haushaltsrechtlichen Zwänge, denen auch die Kulturförderung unterliegt, wird jedenfalls durch ein Staatsziel Kultur weder im Bund noch in den Ländern dazu führen, dass es einklagbare Ansprüche gibt. Eine Staatszielbestimmung würde dies nicht beheben können. Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit beende ich die Aussprache und komme zur Abstimmung. Es sind Ausschussüberweisungen beantragt worden.

Ich lasse zunächst darüber abstimmen, wer dafür ist, dass die Drucksache 4/1965 „Kultur ins Grundgesetz“, Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS, an den Bildungsausschuss überwiesen wird, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Gegenstimmen? Danke. Stimmenthaltungen? Damit ist diese Überweisung mit Mehrheit abgelehnt.

Ich lasse jetzt über die Überweisung an den Ausschuss für Wissenschaft, Kunst und Medien abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? Damit ist auch diese Überweisung abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über die Überweisung an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Gegenstimmen? Danke. Stimmenthaltungen? Damit ist auch diese Überweisung abgelehnt.

Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag direkt. Wer der Drucksache 4/1965 die Zustimmung erteilen will, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? Damit ist der Antrag mit Mehrheit abgelehnt.

Ich schließe diesen Tagesordnungspunkt und rufe auf Tagesordnungspunkt 5

Bedingungen der Rechts- durchsetzung verbessern - Situation der Sozialgerichte in Thüringen Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS - Drucksache 4/1966 -

Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Blechschmidt, Fraktion der Linkspartei.PDS, das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, trotz der Tatsache, dass die Fraktion der Linkspartei.PDS im Thüringer Landtag durch zwei Selbstbefassungsanträge in der Vergangenheit diese Thematik im Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten problematisiert hatte, wollen wir heute über die damals speziell nur zu Hartz IV und Sozialhilfe formulierten Fragen hinaus uns allgemein und in der

Öffentlichkeit mit der Situation der Sozialgerichte und deren Aufgaben in Thüringen befassen. Außerdem, meine Damen und Herren, bei den Sozialgerichten geht es genauso um Renten, Krankenversicherungen, Pflege, Arbeitsförderung, Unfallversicherung und noch einiges mehr.

Wie sieht das konkret in diesen Bereichen aus? Auch hier hört man zunehmend von Betroffenen und von Verbänden Klagen über zu lange Verfahrensdauern. Dass Sozialgerichtsverfahren schon wegen der zahlreichen Gutachten und anderen Beweiserhebungsfragen länger dauern können als andere Verfahren, ist sicher unumstritten. Aber mittlerweile melden sich ja sogar Richter zu Wort und weisen auf den Notstand hin. Da muss ich nicht extra aus vielleicht vertraulichen Beratungen berichten, die in jüngster Zeit stattgefunden haben, wo sich Richter darüber beklagt haben. Nämlich der Verband der Thüringer Sozialrichter sprach Ende des Jahres 2005 und zuletzt in einer Zuschrift, die meiner Meinung nach alle Fraktionen bekommen haben, von mittlerweile 17.000 offenen Verfahren. Im Juli 2004 waren es dagegen noch 15.500 offene Verfahren. Wir wissen, dass unser Justizminister - und dies habe ich in der Vergangenheit oft von diesem Pult auch schon getan - reagieren kann, wenn er will, und dann tut er es richtig, sogar manchmal sehr richtig, aber manchmal eben auch halbherzig. So wurden zwar von ihm neue Stellen geschaffen, aber nur die Hälfte der vom Verband der Sozialrichter geforderten. Dazu kommen Abordnungen, allerdings auf Zeit und aus anderen Gerichtszweigen.

Die Landesregierung hat einen Sofortbericht zum Antrag angekündigt. Ich erteile das Wort an Minister Schliemann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Antragsbegründung, die Herr Abgeordneter Blechschmidt eben vorgetragen hat, erweitert sozusagen die Frage erheblich über das hinaus, was in der Drucksache vorhanden war. Man kann ja gern einmal nachlegen und vielleicht konzeptionelle Antworten aus dem Bauch erwarten, aber aus dem Bauch werde ich nicht antworten. Ich werde das mal reduzieren an dieser Stelle.

Ich muss Sie allerdings von vornherein um Geduld bitten. Die Komplexität der Anfrage, was die Statistik betrifft, ist eine solche, dass ich 240 Einzelpositionen ansprechen müsste, würde ich nur die erste Differenzierungsstruktur vollständig abarbeiten wollen; würde ich die zweite und dritte dazunehmen, wären es entsprechend mehr. Ich beschränke mich daher auf eine Zusammenfassung und trotzdem muss ich Ihnen einige Zeit abverlangen.

Zunächst möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich bei allen Bediensteten der Sozialgerichtsbarkeit herzlich zu bedanken. Sie leisten wirklich eine hervorragende und engagierte Arbeit und sie gewähren wirklich effektiven Rechtsschutz. Dass er besser sein könnte, wenn man unbegrenzt Mittel, Geld und Richter hätte, das ist nie die Frage, aber das kann nicht die Antwort eines Justizministers sein, denn der hat eben keine unbegrenzten Mittel und Ressourcen und kann nicht jederzeit da überall Richter aus dem Hut zaubern.

Die Themenpalette ist etwas erweitert, aber nicht ganz neu. Das Hohe Haus, der Ausschuss haben sich ja doch mittlerweile dreimal intensiv und daneben immer etwas weniger intensiv, aber doch mit dieser Themenpalette befasst. Viele Fragen, die ich heute erneut beantworte, weil sie erneut gestellt worden sind, hatte ich am 19. Januar 2006 bereits angesprochen. Sie, Herr Blechschmidt, waren so freundlich, ein Stück weit darauf hinzuweisen. Aber es war nicht nur Hartz IV; Hartz IV war der Anlass für andere Fragen. Im Interesse der Zeitökonomie des Hohen Hauses, nicht wegen der Tagesuhrzeit heute, sondern wegen der Zeitmenge insgesamt, beschränke ich mich, wie gesagt, zunächst auf einen etwas gröberen Rahmen. Die Detailzahlen, so sie denn gewünscht werden, kann ich gern nachträglich zur Verfügung stellen - das sind so etwa 30 Seiten Statistik.

Beginnen will ich mit dem ersten Spiegelstrich der Anfrage - Entwicklung der Verfahrenszahlen in verschiedenen Sozialversicherungszweigen und den übrigen Sachgebieten usw.: Die Summe der Verfahrenszahlen ist in der Tat unerfreulich hoch und die Summe der Zahlen, die nicht abgearbeitet sind, scheint auf den ersten Blick für den Laien jedenfalls erschreckend, für den Fachmann nicht unbedingt. Im Kalenderjahr 2005 gingen 11.487 Klagen bei den Thüringer Sozialgerichten neu ein. Das hört sich gewaltig an, ist aber in Relation zu 2004 nur ein Anstieg um 3,7 Prozent. Die massiven Anstiegszahlen lagen vorher in den Jahren 2001 bis 2004. Dass der Anstieg in 2005, gemessen an der Erwartungshaltung SGB II/Hartz IV usw., doch relativ schwach ist, liegt daran - das ist ja ein Saldo -, dass in anderen Geschäftsfeldern der Sozialgerichtsbarkeit die Zahl der Klagebegehren, auch der Eilanträge zurückge

gangen ist, z.B. in der Krankenversicherung um 37,8 Prozent, in der Pflegeversicherung um 14,1 Prozent, in der Rentenversicherung um 16,4 Prozent. Eben diese Schwankungen sind es, die die Planbarkeit des Einsatzes von Richtern - ein Richterleben an einem Gericht währt 35 Jahre und wenn es ein auf Lebenszeit ernannter Richter ist, kann der Justizminister gegen den Willen desselben nichts anderes mit ihm anfangen -; ein solches Richterleben auf 35 Jahre platziert bedeutet, dass man bei jeder Spitze neu zulegt und bei jedem Absenken die Damen und Herren möglicherweise mit Unterauslastung weiterarbeiten lässt.

Im Jahre 2005 haben die Sozialgerichte 10.332 Klageverfahren erledigt. Das war gegenüber den 8.875 erledigten Verfahren des Vorjahres immerhin eine deutliche Steigerung um 16,4 Prozent. Das alles sind bitte Durchschnittszahlen. An den einzelnen Standorten der vier Sozialgerichte sind die Entwicklungen unterschiedlich. Meiningen hat beispielsweise einen Zugangszuwachs von 8 Prozent zu verzeichnen und Nordhausen, und da kommt ja auch die Beschwerde her, einen Rückgang von 4 Prozent. In Eilsachen gingen im Jahr 2005 in Thüringen 511 Anträge bei den Sozialgerichten ein. Das sind 139 mehr als im Vorjahr. Diese Mehrzahl ist im Wesentlichen allerdings auch auf Hartz IV zurückzuführen.

In der Anfrage wird dann speziell gefragt, welche Auswirkungen die Übernahme der Verfahren nach SGB II, XII und anderem Recht auf die Sozialgerichtsbarkeit habe. Ich werde mich konzentrieren auf SGB II und XII. Das Asylbewerberleistungsgesetz mit ganzen sechs Fällen kann man wirklich an dieser Stelle vergessen, was die Belastung der Gerichte betrifft. Bei den Thüringer Sozialgerichten gingen in Angelegenheiten nach dem SGB II in 2005 insgesamt 2.668 Klagen ein. Diese Zahl ist eine saldierte Zahl, das liegt an der Zählweise. Man zählt jeden Eingang und wenn dann eine Sache von einem Sozialgericht an das andere weitergegeben wird, dann wird es als zwei Eingänge gezählt. Das muss man so ein bisschen reduzieren.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Entschul- digung, können Sie die Zahl noch mal wiederholen.)

2.668. Das ist ein Anteil von etwa 23 Prozent aller bei den Sozialgerichten eingereichten Klagen. Mit 320 Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz machten die Angelegenheiten nach SGB II über 60 Prozent aller Eilanträge aus. Beim Landessozialgericht war die Zahl der Berufungen im Jahre 2005 rückläufig. Insgesamt gingen 3,8 Prozent weniger Berufungen ein, und dies trotz steigender Erledigungszahlen erster Instanz, das heißt, die Rechtsmittelquote ist etwas geringer geworden. Die Hartz-IV-Verfahren konn

ten sich verständlicherweise auf die Arbeit des Landessozialgerichtes oder dessen Belastungen noch nicht recht auswirken. Es sind erst vier Berufungen eingegangen und von den 92 Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dort betrafen 28 Anträge wiederum SGB II.

Das Sachgebiet der Verfahren in Angelegenheiten nach SGB XII und Asylbewerberleistungsgesetz ist, wie gesagt, marginal, liegt in der Größenordnung von 1 Prozent oder 1,5 Prozent.

Die Frage stellt sich dann, mit welchem Personal und mit welcher Arbeitsbelastung müssen die Bediensteten und Mitarbeiter der Sozialgerichte umgehen, und das ist der Spiegelstrich drei der Anfrage. Ja, natürlich muss man Verfahrenszahlen und Personalbestand in Relation bringen, aber an der Stelle möchte ich mit einem kleinen Irrtum vielleicht aufräumen. Gelegentlich liest man in den Zeitungen, Hartz IV hätte zur Verstärkung des Personals bei den Sozialgerichten geführt. In Thüringen war das nicht so. Wir haben da früher angefangen, zu verstärken. Nur, das mit dem Verstärken kostet Zeit. Das muss man einfach sagen. Da kann man sich entschließen, wir wollen mehr Leute hintun, aber das heißt nicht, dass man das von heute auf morgen umsetzen kann. Wir haben in die Sozialgerichtsbarkeit in 2005 mehr richterliches Personal und ein kleines bisschen auch mehr nicht richterliches Personal geben können, und zwar wurden Richter geworben, die zunächst im Wege der Abordnung dorthin gingen, auch andere Volljuristen aus anderen Berufen, die keine Richter waren, die aber als Richter kraft Auftrags dorthin gegangen sind. Insgesamt waren in der Sozialgerichtsbarkeit zusätzlich 11 Personen richterlich tätig im Jahre 2005, nämlich acht Richter, zwei Beamte und ein Staatsanwalt, letztere als Richter kraft Auftrags. Der Erfolg dieser Bemühungen, das sind ja alles Lebenszeitrichter und Beamte, ist immer ein ungewisser. Man kann nur werben. Mein Haus hat erfolgreich geworben, denn es wurde nichts versprochen, etwa in puncto künftige Karriere o.Ä., so nach der Melodie: Gehen Sie da hin, da haben Sie einen guten Punkt für die nächste Karriereentscheidung. Da ist nichts versprochen worden, weil ich solche Versprechen derzeit aufgrund der Personalzusammensetzung, Altersaufbau und Stellenbesetzung gar nicht machen kann. Das heißt, ein klassisches Führungsmittel habe ich hier in Thüringen so nicht zur Hand. Trotzdem haben sich die Damen und Herren bereit gefunden und deswegen auch an dieser Stelle noch ein zweites Mal ihnen der besondere Dank.

In 2006 ist diese Verstärkung fortgesetzt und weiter ausgebaut worden. Ich will es an einem kleinen Beispiel konkret machen, wie schwierig das dann aber auch sein kann. Altenburg hat in der gesam

ten Sozialgerichtsbarkeit den höchsten Personalbedarf. Am 01.05.2006 gab es dort 9,5 so genannte richterliche Arbeitskräfte, das ist natürlich eine statistische Zahl. Bis Mitte Juli werden von diesen 9,5 3,5 nun wiederum ausfallen, u.a. weil Nachwuchs ins Haus steht. Das ist erfreulich, nur, dann ist die Dame halt eben nicht da und da muss man Ersatz schaffen. Deswegen werden zwei neu eingestellte Proberichter neu zugewiesen. 2006, August, ist geplant, einen weiteren Proberichter einzustellen und ebenfalls dem Sozialgericht Altenburg zuzuweisen, ferner eine Staatsanwältin und eine Richterin vom Verwaltungsgericht. Mithin: 2,5 gehen, 5,0 kommen hinzu. Sie sehen, wir versuchen schon den personellen Nöten Herr zu werden. Wir werden auch noch eine Juristin aus einer ganz anderen Landesbehörde gewinnen können, die hoffentlich - so die heutigen Verhandlungsstände, Gesprächsstände - Anfang 2007 auch an das Sozialgericht nach Altenburg gehen wird.

Das muss man auch wieder wissen. Es gibt Gerichte mit beliebten und weniger beliebten Standorten. Die Arbeit ist die gleiche, aber die Standorte sind sehr unterschiedlich. Altenburg ist nicht der Ort, der alle Thüringer unbedingt gleichermaßen anzieht.

Von den anderen Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit will ich etwas gestraffter berichten. An das Landessozialgericht hat sich eine Richterin abordnen lassen vom Arbeitsgericht in Erfurt. Das Sozialgericht Gotha konnte mit zwei Richtern aus der Arbeitsgerichtsbarkeit verstärkt werden, die sich für 2006 dorthin haben abordnen lassen. Ein Richter kraft Auftrags und eine Staatsanwältin mit halber Arbeitsleistung werden zusätzlich dort tätig werden. In Meiningen ist seit Anfang 2005 ein Staatsanwalt kraft Auftrags tätig, ein Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit hat sich dorthin freiwillig abordnen lassen. Wir werden zum 01.07. einen Proberichter aus einer anderen Gerichtsbarkeit abziehen und ihn in Meiningen am Sozialgericht einsetzen. Das Sozialgericht Nordhausen wird um einen Staatsanwalt, Stichwort Richter kraft Auftrags, verstärkt und im September dieses Jahres einen Beamten aus dem Bereich des Finanzministeriums dazu erhalten, der ebenfalls als Richter kraft Auftrags tätig werden soll.

Richter kraft Auftrags kann man nur werden und darf auch nur gemacht werden, wenn das Ziel besteht, diesen Menschen dann auch später zum Richter zu machen. Das ist also kein Richter auf Zeit und vorübergehend, sondern es ist das Ziel, die sollen dann bitte Richter werden.

Die Schwierigkeit, die ich ganz offen zugebe, ist ja folgende: Es mangelt mir nicht an Stellen, es mangelt an Stellenfreigaben. Ich habe ja nicht alle Stellen besetzt, aber ich kann nicht davon ausgehen, dass

ich über einen bestimmten mageren Korridor hinaus Neueinstellungen organisieren kann, also muss ich innerhalb der vorhandenen Juristen des Landes sozusagen auf Beute gehen. Gelegentlich kann man jemanden locken.

In Summen ausgedrückt, ein etwas anderer Aspekt, Sie sprachen eben schon die 17.341 unerledigten Verfahren an: Diesen unerledigten Verfahren stand Ende 2005 ein Personalbestand von 35,5 so genannten Arbeitskraftanteilen, das ist diese statistische Messgröße, gegenüber. Das heißt, auf einen Richter in Thüringen in der Sozialgerichtsbarkeit entfielen 488 unerledigte Verfahren und das sind, gemessen am Ende 2004, 120 pro Richter weniger. Nicht die absolute Zahl der Verfahren ist so zurückgegangen, aber die Zahl der Richter ist vergrößert worden. Ende 2004 waren es noch 607 oder 608 unerledigte Verfahren. Dieser Rückgang um 20 Prozent ist aber, wie gesagt, ein Landesdurchschnitt - da gibt es Schwankungen - an den einzelnen Sozialgerichten. Per Saldo haben die neuen Verfahren nach SGB II bei den Sozialgerichten nicht zu einer Verschlechterung der Belastungssituation geführt, etwa zulasten der übrigen Sachgebiete. Das konnte eben durch die Bereitstellung von richterlichem Personal aufgefangen werden.

Beim Landessozialgericht waren Ende 2005 1.270 unerledigte Verfahren - Eilsachen mitgerechnet - anhängig. 14 richterliche Arbeitskräfte standen dem gegenüber - ein Bestand von rund gerechnet 91 unerledigten Verfahren pro Richter. Das war deutlich niedriger als im Vorjahr, denn da waren es noch 108 unerledigte Verfahren. Statistisch gerechnet 16 Prozent weniger Belastungsstand.

An Kritiken von Sozialverbänden und Betroffenen wundert mich ein unterschiedliches Bild, Herr Blechschmidt, aber darüber haben wir uns schon einmal ausgetauscht. Zuletzt hat sich bei mir im Herbst letzten Jahres der Verband der Berufsrichter in der Sozialgerichtsbarkeit gemeldet. Wir hatten ein ausführliches Gespräch und eben das, was später Ihnen dann wohl - ich muss das vermuten, ich kenne das Schreiben nicht - an Beklagungen zugegangen ist, hat dieser Verband mir gegenüber in diesem Gespräch und bei anderer Gelegenheit nicht geäußert. Es läge natürlich nahe, gelegentlich dem eigenen Minister das vorzutragen, als dass er es anderswo erzählt. Aber das nehme ich so hin.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Das sollte Sie nachdenklich machen.)

Ja, mich macht Folgendes nachdenklich: In der Tat - ist es mein Verhalten, wenn die nicht zu mir kommen, obwohl sie gut bedient werden? Denn der Präsident des Landessozialgerichts hat sich neulich ausdrücklich bei mir bedankt, hat dann allerdings - das

war am Rande der Sitzung - in der Sitzung gesagt, ja, die Sozialgerichtsbarkeit sei stark belastet. Das mag das Interesse, den Blick wieder hierher gelenkt haben. Auch, na ja, ein bisschen gespalten. Möglicherweise ist es eine taktische Haltung, dass man meint, auf diesem Wege den Justizminister zu größeren Anstrengungen zu bewegen, als wenn man ihn direkt befragt. Ich halte davon nicht so viel, aber das müssen andere wissen.

Selbstverständlich ist es Aufgabe des Justizministers auch im schönen Freistaat Thüringen, dafür zu sorgen, dass seine Gerichtsbarkeiten - alle - und auch der Justizvollzug und ebenso die Staatsanwaltschaft auskömmlich personell und sachlich ausgestattet sind. In dem besagten Gespräch mit den Vertretern der Richterverbände im November vergangenen Jahres habe ich ausführlich über die Situation bei den Sozialgerichten gesprochen. Aktuelle Äußerungen, das sei alles so wahnsinnig unerträglich, sind mir nicht bekannt geworden, Wünsche wohl, aber Wünsche bekomme ich immer zu hören. Jeder hat so seine Wünsche und jeder hat auch ein gutes Argument für seine Wünsche. Nur, sollte der Eindruck erweckt werden - und das scheint so zu sein -, dass nun die Rückstände ungeheuer anschwellen, dann ist das eine sehr einfache Erklärung. Ich sagte eben, wir schieben einen sehr hohen Berg ab 2004 vor uns her; der wird abgebaut, aber er kann nicht so schnell abgebaut werden, wie sich das jeder wünscht. Jeder Neue, der in die Sozialgerichtsbarkeit kommt, braucht in der Größenordnung zwischen zwei und sechs Monaten, je nach Sachgebiet, bis er wirklich sattelfest ist. Das muss man auch sagen. Das heißt nicht, dass er da nichts tut, aber da fehlt dann immer noch ein Stück Routine und anders mehr. Die Einarbeitungsdauer bei diesen Abordnungen, die wir jetzt hatten, waren allerdings sogar etwas kürzer, weil die Präsidien der Gerichte - nicht alle, aber die meisten - die Geschäftsverteilung so organisiert hatten, dass die Neuen nicht unbedingt den ganzen bunten Blumenstrauß des Sozialversicherungsrechts bekamen, sondern sich auf einige Sachgebiete konzentrieren und deswegen konzentriert einarbeiten konnten. Es ist völlig klar, dass die Sozialgerichtsbarkeit wie alle anderen Gerichtsbarkeiten auch unter laufender inhaltlicher Beobachtung steht, das heißt die Frage also, was geschieht dort, nicht, was für Urteile werden gesprochen, in welcher Zeit, mit welchem Aufwand, welcher Dauer usw.

Allerdings - und jetzt kommt eine konzeptionelle Frage - ist die Prognostizierbarkeit künftiger Entwicklungen sehr begrenzt. Das ist nicht immer so wie bei Hartz IV. Da hatte man ja wenigstens ein Stück Zeit, darüber nachzudenken - oh, da kommt jetzt etwas -, sondern es sind manchmal sehr spontane Rechtsentwicklungen, die sich auf irgendetwas entwickeln, irgendwie herauskommen und die hier zur Belas

tung und dort zur Entlastung führen. Da nützt es gar nichts, Prognosen sind dann wirklich schwer möglich und der Länderquervergleich, das Benchmarking hilft da eigentlich auch nur relativ wenig. Die Länderbilder sind gerade für die Sozialgerichtsbarkeit einigermaßen unterschiedlich.

Weiterbildung - wie werden Richter ausgebildet, weitergebildet? Sie haben ständig Gelegenheiten, angefangen bei der jährlichen Arbeitstagung der Sozialgerichtsbarkeit des Freistaats Thüringen. Da wird aktuell Nachschulungsbedarf aufgegriffen, gibt es Plätze an der Deutschen Richterakademie mit mehrtägigen Veranstaltungen zwischen drei und fünf Tagen etwa, erste Erfahrungen mit Hartz IV und rechtspolitische Anstöße, das war Oktober 2005; im nächsten Monat - Schnittstelle zwischen Arbeits- und Sozialrecht, SGB III; im Februar 2006 - neue Entwicklungen im Sozialrecht; im März 2006 - aktuelle Probleme des Krankenversicherungs- und Kassenarztrechts usw. Das Spektrum ist relativ groß. Die Gelegenheit der Richter, daran teilzunehmen, steht ihnen offen. Das können sie, das ist oft allerdings auch eine Frage der Selbstmotivation, dass man sagt, ich gehe eine Woche raus, um zu lernen und dann den eigenen Aktenbock eine Woche später etwas voller wiederzufinden.

Die durchschnittliche Dauer der Verfahren - und das ist eine alte Klage, es könnte bitte kürzer sein, es könnte schneller sein, könnte, könnte. Wenn Sie dann aber versuchen, das mal wirklich auseinanderzunehmen und die Ursachen zu erforschen, dann stellen Sie sehr schnell fest, es gibt ganz viele Ursachen und die sind längst nicht nur bei den Gerichten zu suchen. Die Zeiten, die man wirklich sparen kann, kürzer machen kann, sind weitgehend schon kürzer gemacht worden. An einer Stelle kommt ein Justizminister nicht heran und will er auch nicht heran, das ist die Terminierungspraxis der Richter, denn Terminieren ist ein Teil richterlicher Unabhängigkeit. Ich kann immer nur anregen und bitten usw.