Protocol of the Session on May 4, 2006

Das ist alles richtig und gut, Herr Minister Zeh, aber das, was die Enquetekommission im Jahr 2002 immer eingefordert hat, Gesundheitsziele, die sind eben noch nicht formuliert und sie sind bis heute noch nicht formuliert worden. Sie sagen nur, es wäre gut, wenn man das machen würde. Wir hatten schon irgendwo die Hoffnung, denn Ihr Vorgänger im Amt, der 2002 Ihre Funktion ausführte, formulierte einmal - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin: „... den zur Erarbeitung von Gesundheitszielen notwendigen Diskussionsprozess in Thüringen einzuleiten“. Nach mehr als drei Jahren hatten wir schon gehofft, dass dieser Diskussionsprozess so weit qualifiziert ist, dass auch Ergebnisse vorliegen.

Ich denke, dass auch das Vorhaben, Sie erwähnten es, der neuen Bundesregierung, auch wenn sie das Präventionsgesetz aufgeschoben hat - so denke ich, dass es nur aufgehoben wird -, weiter verfolgt wird, dass auch in Vorbereitung auf die Umsetzung dieses Präventionsgesetzes Gesundheitsziele für die Bevölkerung hier in Thüringen zu formulieren sind. Denn die jährlich durchgeführte Gesundheitswoche ist gut, aber sie reicht bei weitem nicht aus, eine höhere Verbindlichkeit in der Gesundheitsförderung zu erreichen. Diese Kritik übt meine Fraktion, glaube ich, schon seit mehreren Jahren. Diese Kritik ist für Sie nichts Neues, aber sie ist notwendig.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Während die Gesundheitsberichterstattung des Bundes regelmäßig und differenziert Daten und indikatorengestützte Beschreibungen, Analysen zu allen Bereichen des Gesundheitswesens liefert, hat Thüringen kurzerhand die Mittel für eine Gesundheitsberichterstattung gestrichen. Ich denke, wenn man Gesundheitsziele formulieren will, dann ist eine Voraussetzung einfach auch eine Gesundheitsberichterstattung,

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

denn die Gesundheitsberichterstattung ist eine fachliche Grundlage für politische Entscheidungen. Sie ist bzw. sollte eine datengeschützte Informationsgrundlage sein, die der Erfolgskontrolle durchgeführter Maßnahmen dient und zur Entwicklung und Eva

luierung von Gesundheitszielen beiträgt.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir sagten, der Gesundheitszustand der Bevölkerung ist gut. Wir können auch sagen, dass wir z.B. in der Mundgesundheit in Thüringen - gerade bei Kindern und Jugendlichen - in den letzten Jahren auf gute Ergebnisse verweisen können. Das ist sicher auch der Tatsache geschuldet, dass es eine Landesarbeitsgemeinschaft Jugendzahnpflege gibt, deren Arbeit auf dem § 21 des SGB V beruht. Die Vorbeugeuntersuchungen erfolgen in Schulen und in Kindergärten durch Zahnärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes, soweit sie noch - und da komme ich wieder darauf, dass wir uns freuen, dass Sie dem öffentlichen Gesundheitsdienst wieder mehr Beachtung geben wollen - verfügbar sind. Zahnärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes sind teilweise nicht mehr verfügbar. Ihre Anzahl scheint nicht mehr auszureichen, denn inzwischen werden mehr als 38.000 Kinder von zurzeit 75.000 in den Thüringer Kindereinrichtungen von Patenschaftsärzten betreut. In 70 Kindertageseinrichtungen bleiben die Kinder zahnärztlich ganz unbetreut. Untersuchungen bestätigen, dass die Kariesverbreitung in den unteren Altersgruppen der Vorschulkinder leider wieder zunimmt. Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass die Gruppenprophylaxe hier wirklich zu intensivieren ist.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Die Entwicklung an diesem Beispiel unterstreicht die Notwendigkeit, die Chancengleichheit aller Kinder bereits im Vorschulalter ab null unter allen Umständen zu sichern. Da muss ich Ihnen sagen, dass das Thüringer Familienfördergesetz eigentlich diesbezüglich neue Widersprüche produziert mit verschärfender Wirkung, denn die Betreuung der Kinder wird hier teilweise doch dann irgendwo abgehackt. Nicht von ungefähr befürchten viele Kinderärzte des Berufsverbandes negative Auswirkungen des Thüringer Kindertagesstättengesetzes auf die Betreuung von Vorschulkindern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Lebensweisen, Arbeits-, Umwelteinflüsse stellen einen komplexen Wirkungsmechanismus für die Gesundheit der Bevölkerung dar. Das gilt ebenso für eine ausgewogene gesunde Ernährung. Kürzlich widmete sich eine Thüringer Landeszeitung unter dem Titel „Manchen ist das Essen vergangen“ dem Schulessen. Die Zeitung stellt fest, nachdem das Land im vergangenen Jahr den Zuschuss für die Schülerspeisung gestrichen hat, haben Kommunen selbiges getan. Sie haben vorhin in Ihrer Rede, Herr Minister Zeh, erwähnt, dass es die Aktion „Gesundes Schulfrühstück“ gab. Ich würde sagen, machen Sie ein neues Projekt „Schulfrühstück und Mittagessen“, denn auch wenn die Kosten für eine Mahlzeit nur

1,90 € betragen, in der Realität sieht es im Moment so aus, dass viele Eltern sich diese Kosten für den ganzen Monat gar nicht mehr leisten können. Das ist für die Kinder besonders bitter, weil viele Kinder auch nicht mal mehr ein ordentliches Frühstück erhalten. Ob das Land einen Zuschuss für die Schülerspeisung gewährt oder nicht, meine Damen und Herren, hat in jedem Fall eine Signalwirkung mit Auswirkungen auf die Ernährung. Ich bitte Sie, Herr Minister Zeh, denken Sie ernsthaft über eine Wiederbelebung der Bezuschussung bei der Schülerspeisung nach.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, für eine Primärprävention stehen gesunde Ernährung und körperliche Aktivitäten am Anfang. Am Beispiel des Diabetes will ich kurz skizzieren, welche Auswirkungen die Krankheit bereits genommen hat und mit welchen Dimensionen. Diabetes ist eine komplizierte Erkrankung, bei der sich viele genetische und umweltbedingte Faktoren kombinieren. Der Diabetes mellitus gehört wegen seiner extrem globalen Verbreitung und Zunahme zu den nicht übertragbaren Seuchen der Welt, weshalb er nicht schlagzeilenträchtig und kampagnenfähig ist. Ich meine das jetzt ein bisschen zynisch und begreifen Sie es auch, aber positiv zynisch. Manchmal wünschte ich mir, dass diese Krankheit im Öffentlichkeitsbild und in den Medien die Aufmerksamkeit und Aufklärung ohne Hysterie erhielte, wie wir sie zum Beispiel in den letzten Wochen in Bezug auf die Gefahren der Vogelgrippe hatten. Vielleicht würden dann auch viele andere Aktivitäten, präventiv den Diabetes zu bekämpfen, erhöht werden.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Wie notwendig das wäre, dazu ein paar wenige Daten: Im Jahr 2000 wurden der WHO weltweit mehr als 33 Mio. an Diabetes Erkrankte gemeldet. Sollte der Trend durch geeignete Maßnahmen nicht unterbrochen werden, ist im Jahr 2030 mit 48,5 Mio. an Diabetes Erkrankten zu rechnen. In den USA wird mit über 30 Mio. Erkrankten gerechnet. Das ist so, darüber sollte man schon mal nachdenken. Als besonders alarmierend gilt, dass sich die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Typ-2-Diabetes in den letzten Jahren verzehnfacht hat, und da ist Deutschland in keiner Weise eine Ausnahme. Obwohl es keine verlässlichen Zahlen hier gibt, geht eine Hochrechnung davon aus, dass es mindestens 6,5 Mio. Erkrankte hier in Deutschland gibt. Auch hier haben wir zu registrieren, dass Diabetes bei Kindern immer häufiger auftritt.

Meine Damen und Herren, im direkten internationalen Vergleich, so eine Studie der Felix-Burda-Stiftung 2005, schneiden lediglich die Schwangerenvorsorge

und die Kinderuntersuchungen U1 bis U6 in den Studien mit „sehr gut“ ab. Bezogen auf Diabetes sieht das nicht so gut aus. Diabetes aber muss dauerhaft behandelt werden. Er ist ein permanenter Kostenfaktor. AOK-Daten belegen, dass die durchschnittlichen Kosten eines Diabeteserkrankten ohne Folgeerkrankung mit 1.782 € pro Jahr angesetzt werden müssen. Die Folgen des Diabetes in Deutschland pro Jahr sind 27.900 Amputationen, 6.000 Neuerblindungen, 8.000 neue Dialysefälle durch Nierenerkrankungen, 27.000 Herzinfarkte, 44.000 Schlaganfälle. Mit jährlich 30 Mrd. € Behandlungskosten für die Grunderkrankung und deren Folgeerkrankungen ist Diabetes die mit Abstand teuerste chronische Erkrankung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Studie der Burda-Stiftung kommt zu dem Schluss, dass 90 Prozent aller Diabeteserkrankungen sich vermeiden ließen, wenn früh interveniert wird und gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung zum Lebensstil der Menschen gehörten. Wie sieht diesbezüglich aber die Realität aus? Über 15 Prozent der Schulkinder in Deutschland leiden an Übergewicht. Eine Untersuchung der Universität Jena kommt zu dem Ergebnis, dass sich in den nächsten 20 Jahren der Anteil übergewichtiger Kinder noch verdoppeln wird. Zu würdigen ist, dass die Landesvereinigung für Gesundheitsförderung in Thüringen sich der Problematik der gesundheitlichen Chancengleichheit in Thüringen widmet. Vor dem Hintergrund epidemiologischer Daten der Gewichtsentwicklung bei Kindern und Jugendlichen und den Zusammenhängen zwischen der sozialen Lage und dem Ernährungsverhalten führt sie dazu am 31. Mai ihre diesjährige Fachtagung durch. Die bewusste Wahl des Themas der Fachtagung deutet darauf hin, anders als von der Landesregierung glaubhaft gemacht, dass auch in Thüringen festzustellen ist, dass es einen Zusammenhang zwischen sozialem Status und Gesundheitsverhalten gibt. Punktuelle Aktivitäten reichen eben nicht aus. Die Teilnehmerrate an den von der Agentur initiierten Projekten ist zu gering und völlig unzureichend für dauerhafte positive Änderungen im Gesundheitsverhalten. Auch die Allianz für nachhaltige Schulgesundheit und Bildung in Deutschland kann dem Defizit fehlender Gesundheitsziele nicht flächendeckend entgegenwirken. Hier hätte ich die Frage, Herr Minister Dr. Zeh: Hat sich der Freistaat Thüringen inzwischen dem Projekt der Allianz angeschlossen oder wurde der Ausfall z.B. an Sportstunden - nach dem Motto „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr“ - an den Schulen in den letzten Jahren reduziert, sind dort Maßnahmen getroffen worden?

Herr Minister Dr. Zeh, Sie hatten auch betont, heute und auch anderswo, dass die Eigenverantwortung des Bürgers eine große Rolle spielt. In dem Zusam

menhang möchte ich einmal zu den Selbsthilfegruppen kommen. Dort kann man ja davon ausgehen, dass kranke Menschen eigenverantwortlich versuchen, am besten mit den Symptomen ihrer Krankheit zurechtzukommen und sich gesundheitsbewusst zu verhalten. Was hat das Land bei der Finanzierung der Selbsthilfegruppen in Thüringen in den letzten Jahren getan? Während 2001 noch insgesamt 409.000 € zur Finanzierung der Selbsthilfegruppen bereitgestellt wurden, waren es 2003 nur noch 134.000 € und jetzt sind es gerade noch 80.000 €. Hier ist anzufügen, dass selbst das Land SachsenAnhalt die Förderung in den letzten Jahren nicht abgesenkt hat, trotz leerer Kassen, und andere Länder, wie Brandenburg und Hessen, haben sogar den Beitrag erhöht. Ich möchte noch einmal zurückkommen auf das Thema „gesundheitsbewusste Ernährung“. Sie ist vor allem von Kindheit an für die weitere Entwicklung Heranwachsender wichtig, da bereits im Kindes- und Jugendalter vermehrt Übergewichtigkeit und Stoffwechselerkrankungen auftreten. Der Jahreskongress der Kinder- und Jugendärzte, der in diesem Monat in Weimar tagte, forderte mit Recht mehr Früherkennungsuntersuchungen, deren Inanspruchnahme auch kontrolliert werden muss. Der Kongress erinnerte an die UN-Kinderrechtskonvention, die seit 1992 in Deutschland Gesetzeskraft hat. Darin ist das Recht des Kindes auf ein Höchstmaß an Gesundheit und die Inanspruchnahme von Gesundheitseinrichtungen fixiert. Hamburg und das Saarland haben hinsichtlich der Verbindlichkeit von Vorsorgeuntersuchungen einen Vorstoß im Bundesrat unternommen. Ich weiß nicht, wie Thüringen ihn unterstützt hat oder nicht unterstützt hat. Einmal mehr haben die Kinder- und Jugendärzte auf den Zusammenhang von materieller Armut und Gesundheit hingewiesen. Meine Fraktion fordert daher auch, dass bei künftigen Gesundheitsberichterstattungen der Sozialstatus mit erfasst wird.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Sehr geehrte Damen und Herren, Sachsen-Anhalt hat bereits 1998 Gesundheitsziele festgeschrieben und baute ein Netzwerk zur Etablierung auf. Eines der Gesundheitsziele für Sachsen-Anhalt ist z.B. die Erreichung eines altersgerechten Impfstatus bei über 90 Prozent der Bevölkerung. Auch das Land Sachsen bewegt sich hier. Es hat eine Landesimpfkommission eingerichtet, die die Umsetzung der Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts überwacht, z.B. bei der Impfung gegen Keuchhusten. Impflücken will man in Sachsen nicht zulassen. Während es in Thüringen bei den Einschulungsuntersuchungen eine gute Durchimpfungsrate gibt, sieht es mit zunehmendem Alter mit Auffrischungsimpfungen weniger gut aus. Geschätzte 59 Prozent der Erwachsenen seien ausreichend geschützt. Wir wissen aber alle, dass dieser Impfstatus der Thüringer Bevölkerung im

Ernstfall nicht ausreicht.

Herr Minister Dr. Zeh, ich erinnere Sie an die Debatten im vergangenen Oktober in diesem hohen Haus zum Impfschutz. Auch heute haben Sie erwähnt, dass das eine wichtige Rolle spielt. Ich kann Sie nur noch einmal aufrufen, hier alles zu tun, dass das nicht nur Appelle sind, dass wir einen hohen Durchimpfungsgrad erreichen wollen, sondern dass wir auch diesbezüglich etwas tun, dass es erreicht wird. Wir müssen darüber gemeinsam nachdenken, wie Vorsorgeuntersuchungen stärker von allen Bürgern genutzt werden, um Krankheiten frühzeitig zu verhindern. Es ist schlimm, wenn der Berufsverband der Frauenärzte im Zusammenhang mit 45 Jahre Mutterpass darauf hinweisen muss, dass nicht alle Schwangeren die Vorsorge wahrnehmen. 10 Prozent bleiben ihr ganz fern. Ich denke schon, dass es sehr bedenklich ist, wenn der Gesundheitsbericht des Bundes - während das Land, das sagte ich ja schon einmal, seit Jahren keinen mehr vorlegt - zu dem Schluss kommt, dass viele Frauen und Männer im mittleren Lebensalter zahlreiche Präventionsangebote nicht annehmen. Sie nehmen sie nicht an, nicht weil sie keine Lust dazu haben, sondern weil diese Angebote vorrangig von einem geschlechtsneutralen Menschenmodell geprägt sind. Sie werden dadurch weder den Bedürfnissen der Frauen noch denen der Männer gerecht. Hier sollte sich etwas ändern.

Sehr geehrte Damen und Herren, Gesundheitsförderung ist ein Prozess, der allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit befähigen soll. Der Erhalt und die Förderung von Gesundheit sind eine Herausforderung für die ganze Gesellschaft. Gesundheitsziele sind dafür ein wichtiges Instrument. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Gumprecht, CDUFraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, das Wort „Gesundheit“ hört man oder spricht es selbst am Tage häufig aus. Gleichfalls benutzt man den Ausspruch bei Geburtstagen und Jubiläen: „Ich wünsche dir Gesundheit.“ Was aber ist Gesundheit? Erlauben Sie mir zu Beginn einige grundsätzliche Ausführungen dazu.

Ist Gesundheit das Gegenteil von Krankheit? Auch Hypokrates war davon ausgegangen, wenn wir jedem Individuum das richtige Maß an Nahrung und Bewegung zukommen lassen können, hätten wir bereits den sichersten Weg gefunden, so seine Vorstellungen. Doch so einfach ist das nicht. Gesundheit ist mehr als nur die Abwesenheit oder das Fernsein von Krankheit, so wie dies die ursprüngliche Auffassung war. In der Deklaration der WHO von Alma-Ata im Jahre 1978 heißt es - ich zitiere, Frau Präsidentin: „Gesundheit ist ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit, ist ein fundamentales Menschenrecht. Das Erreichen des höchstmöglichen Niveaus von Gesundheit ist eines der wichtigsten sozialen Ziele weltweit, dessen Realisierung den Einsatz von vielen anderen sozialen und wirtschaftlichen Sektoren und nicht allein des Gesundheitswesens erfordert.“ Im Jahr darauf, 1979, verabschiedete die WHO ihr erstes weltweites Zielprogramm mit dem Titel „Health of all“. Sie benannten darin 38 Gesundheitsziele für die Bereiche: eine bessere Gesundheit, eine gesundheitlich förderliche Lebensweise, eine gesunde Umwelt und eine bedarfsgerechte Versorgung. Diese Ziele wurden knapp 20 Jahre später, 1998, überarbeitet und als globale Strategie „Gesundheit für alle im 21. Jahrhundert“ mit 21 Zielen verabschiedet.

Meine Damen und Herren, wie sieht es in der Realität aus? Mediziner, besonders Hausärzte und Apotheker, erleben von den Bürgern häufig eine sehr große Erwartungshaltung, weil es in Deutschland für alles einen Spezialisten oder eine Medizin gibt - ein Mittel gegen Schlaflosigkeit, ein Mittel gegen Müdigkeit, ein Mittel gegen Trägheit und ein Mittel gegen Aufgeregtheit. Für alles, ob Krankheit oder „Wehwehchen“, gibt es ein Wässerchen, eine Pille oder ein Pflaster. Sie beklagen deshalb, dass in unserer Gesellschaft die Bereitschaft, nur kleinste Belastungen auszuhalten, abgenommen hat.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, Die Links- partei.PDS: Rede mal zum Thema.)

Ich möchte kurz einige Aspekte auch aus christlicher Sicht zum Thema aufzeigen. Dazu gehört nämlich der Realismus, die Krankheit gehört zum Menschsein, die Solidarität, der Kranke wird von der Gemeinschaft getragen, die Demut, nämlich die Anerkennung auch persönlicher Grenzen, und der Friede, Gesundheit ist nicht nur die Abwesenheit aller körperlichen, seelischen und geistigen Störungen, sondern die Kraft, mit ihnen zu leben.

Der Theologe Eibach meint - und ich darf zitieren: „Die Gesundheit ist mehr als nur die Abwendung von Störungen biologischer, physischer und sozialer Art, sondern die Fähigkeit und Kraft der Person, solche

Störungen anzugehen, abzuwehren und mit ihnen so zu leben, dass der Mensch dadurch nicht behindert wird, Sinn im Leben zu erfahren und sein Menschsein zu verwirklichen. Gesundheit ist ein Prozess aktiver, selbstbestimmter Lebenshaltung, der individuell erfahren wird.“

Meine Damen und Herren, auch der Soziologe Andrenowski hatte in seinem Konzept dazu eine Reihe grundsätzlicher Ausführungen gemacht. Wenn wir uns in Thüringen nun mit der Frage der Benennung von Gesundheitszielen beschäftigen, dann möchte ich damit zum Ausdruck bringen, dass wir zuerst eine Wertediskussion hierzu führen müssen.

Seit September des Jahres 2000 ist in Deutschland die Diskussion über Gesundheitsziele entfacht. Es lagen fünf nationale Gesundheitsziele vor, die hier bereits genannt wurden, das sechste wurde im Jahr 2005 veröffentlicht, nämlich „depressive Erkrankungen verhindern, früh erkennen und nachhaltig behandeln“. Zwischenzeitlich haben einige Bundesländer, dazu gehören auch unsere beiden Nachbarländer Sachsen und Sachsen-Anhalt, eigene Gesundheitsziele diskutiert und definiert. Ein Vergleich dieser Ziele der einzelnen Länder zeigt jedoch eine stark unterschiedliche Auffassung. Sie schwanken zwischen der Wahl von allgemeinen Zielen bis zur Auswahl ganz konkreter Ziele. Dabei war und ist für uns besonders wichtig zu klären: Sind überhaupt regionale Gesundheitsziele möglich? Kann man diese regionalen Gesundheitsziele formulieren? Ja, denn wir finden auch regionale Besonderheiten vor. Ich erinnere gerade in dem Raum, wo ich herkomme, an die Besonderheiten der Wismut und den besonderen Erkrankungen.

Es war zweitens notwendig, Instrumente für eine exakte Definition zu finden. Es reicht nicht, einfach die Ziele der Nachbarn abzuschreiben und ein bisschen durcheinander zu wirbeln. Man muss genaue Zieldefinitionen finden, aber auch Wege, wie man die gestellten Ziele messbar gestalten kann. Der Minister hat uns heute über die gesundheitliche Situation berichtet. Die Gesundheitssituation der Thüringer Bürger hat sich in den vergangenen 15 Jahren wesentlich verbessert. Die Politik hat hier auf Bundes-, aber auch auf Landesebene sehr viel geleistet. Dennoch finden wir beim Vergleich beispielsweise der Lebenserwartung, dass es nach wie vor Unterschiede gibt, die sich hier doch in den letzten 15 Jahren angenähert haben. Wir stellen fest, dass die Lebenserwartung in den letzten zehn Jahren, gerade für Männer, um drei Jahre gestiegen ist. Das heißt, wenn wir überlegen, dass die Lebenserwartung noch vor 20 Jahren wesentlich niedriger war, dass die Lebenserwartung mit den gesellschaftlichen Bedingungen zu tun hat, da, denke ich, ist die Aussage des Ministers, dass die Gesundheitssituation noch

nie so gut war wie heute, ganz klar formuliert.

Der Minister hat in seinem Bericht die Schwerpunkte der gesundheitlichen Entwicklung in den letzten 15 Jahren genannt. Ich möchte nur auf zwei eingehen, einmal die Versorgung im Krankheitsfall, den Aufbau der Krankenhausversorgung und den Aufbau des Gesundheitsdienstes. Wir alle konnten dies in den letzten 16 Jahren verfolgen. Es gibt kaum einen anderen Bereich in unserem Land, in dem sich so vieles verändert hat und in dem so viel investiert wurde: in den Bau unserer Krankenhäuser, Investitionen in Arztpraxen oder Apotheken, im Bereich des medizinischen Leistungsspektrums oder auch der Arzneimittelversorgung für unsere Bürger.

In seinem Bericht wies der Minister besonders auf das Ziel der Verbesserung der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hin. Kinder sollen frühzeitig lernen, eigenverantwortlich mit ihrer Gesundheit umzugehen. Die Thüringer Gesundheitspolitik war auch immer präventiv ausgerichtet. Der Gesundheitsförderung und der Prävention kommen im Freistaat eine hohe und hervorragende Bedeutung zu.

Meine Damen und Herren, ich begrüße die Initiative des Ministers, den Start für die Diskussion auch in Thüringen noch in diesem Jahr mit einer Auftaktveranstaltung, einer, wie er sagte, landesweiten Gesundheitskonferenz, zu setzen. Ich denke, bevor wir über Details, Ziele und was die Nachbarn für Erfolge damit hatten, diskutieren, sollten wir uns über Zielbereiche verständigen. Ich kann mir vorstellen, dass wir den Zielbereich setzen, den Krankheitsbezug. Wir müssen uns messen an den Zielen Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention. Wir müssen uns orientieren an Zielen für ausgewählte Bevölkerungs- oder Altersgruppen oder auch dem Ziel zur Stärkung der Bürger- und Patientenorientierung.

Meine Damen und Herren, in allen Ländern, auch auf Bundesebene, hat sich gezeigt, dass die Erarbeitung von Zielen nicht vorgegeben werden kann und darf, sondern eines Prozesses bedarf. Dazu ist es notwendig, alle Partner und Akteure im Gesundheitsbereich einzubeziehen. Ich freue mich auf die Diskussion zwischen Politik, den Kassen, den Ärzten, den Krankenhäusern, Wissenschaftlern.

Meine Damen und Herren, ich nutze die Gelegenheit und werde mich freuen, mit Ihnen darüber zu diskutieren, was sind denn die wesentlichen Ziele der Gesundheitspolitik für Thüringen in den kommenden Jahren. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Kann ich davon ausgehen, dass das Berichtsersuchen erfüllt ist oder erhebt sich Widerspruch? Es ist erfüllt.

Damit beende ich diesen Tagesordnungspunkt und rufe auf den Tagesordnungspunkt 5

Raus aus der „Thüringer Pensionslastenfalle“ Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 4/1806 -

Wünscht die Fraktion der SPD das Wort zur Begründung? Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort der Abgeordneten Frau Hennig, Die Linkspartei.PDS.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, wir haben bereits im November 2005 ganz ausführlich das Thema „Entwicklung der Pensionslasten“ im Thüringer Landtag diskutiert. Inhalt des damaligen Antrags war es, ein zweijähriges Berichtsersuchen zur Entwicklung der Ausgaben in diesem Bereich durch die Landesregierung zu erwirken. Herausgekommen ist nur eine Entscheidung, innerhalb der Mittelfristigen Finanzplanung entsprechende Daten mit aufzunehmen. Das ist ein bisschen schade.