Protocol of the Session on December 21, 2005

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, in keinem Bereich kann man mit dem Kürzen von ein paar hunderttausend Euro einen größeren Schaden anrichten als im Bereich der sozialen Beratungsdienste. Auf der einen Seite werden die Sozialleistungen von der Landesregierung gekürzt und es wird mehr Eigenvorsorge verlangt; auf der anderen Seite zerstört die Landesregierung jedoch auch noch die Strukturen, die dazu beitragen, dass persönliche Notlagen der verschiedensten Art besser bewältigt werden. Da hilft auch die feigenblattähnliche Installation von Landesbeauftragten in verschiedenen Bereichen recht wenig, insbesondere dann nicht, wenn der Apparat letztlich teurer ist als die Hilfe, die gegeben wird.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben mit unseren Vorschlägen nachgelegt bei den Frauenhäusern, bei den Gewaltkonfliktberatungsstellen, beim Kinder- und Jugendschutz, bei der Behindertenhilfe, bei der Sucht- und Drogenhilfe, bei den Beratungen für seelisch Kranke und psychisch Behinderte, bei der Telefonseelsorge, bei den Beratungsmöglichkeiten für Arbeitslose und bei der Verbraucherberatung.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion hat mit ihrer in großen Teilen erfolgreichen Verfassungsklage die Thüringer Kommunen vor riesigen geplanten Kürzungen im Kommunalen Finanzausgleich bewahrt. Aber ganz ruhig geht es an der kommunalen Front doch nicht ab, denn relativ schnell haben die Kommunen das Spiel erkannt, welches die Landesregierung mit ihnen im Rahmen der Familienoffensive spielen will. Der Vorschlag der SPD zur Aufrechterhaltung der bisherigen Finanzierung der Kindertagesstätten ist nicht nur ein Antrag zur Stärkung der frühkindlichen Bildung, sondern auch ein Antrag zur Verhinderung von Kürzungen bei den Kommunen.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD-Fraktion will jedoch noch mehr, sie will nicht nur Kürzungen verhindern, sondern sie will mit der Veranschlagung der in der November-Steuerschätzung prognostizierten Erhöhung der Steuereinnahmen auch die Finanzausgleichsmasse erhöhen. Durch die erhöhte Steuerverbundmasse fließt über die bestehenden Regelungen des Finanzausgleichsgesetzes automatisch mehr Geld an die Kommunen. Derselbe Mechanismus kommt den Kommunen beim

SPD-Vorschlag zugute, die aus dem Koalitionsvertrag der großen Koalition resultierenden und sicheren Steuermehreinnahmen des Landes bereits in diesem Haushalt zu veranschlagen. Wenn schon Doppelhaushalt, dann auch richtig - so unsere Auffassung. Den Kommunen könnten damit im Jahr 2007 fast 50 Mio. € mehr zufließen, die nach dem Vorschlag der SPD für eine satte Erhöhung der Investitionspauschale verwendet werden sollten.

Meine Damen und Herren, die von der SPD zusätzlich veranschlagten Steuereinnahmen sollen aber nicht zum Stopfen von Haushaltslöchern verwendet werden. Dies und die hohe Wahrscheinlichkeit des Eintretens dieser Einnahmeerhöhung unterscheiden den SPD-Vorschlag von früheren Vorschlägen der PDS. Der nicht der Finanzausgleichsmasse zufließende Anteil der Steuermehreinnahmen soll zur Reduzierung der 2007 vorgesehenen Nettokreditaufnahme verwendet werden. Damit soll das Signal für eine schnellere Absenkung der Kreditaufnahme gesetzt werden.

Meine Damen und Herren, auch eine Chefsache des Wirtschaftsministers hat sich schnell als Sprechblase ohne Inhalt herausgestellt - die Tourismusförderung. Wo sind die Akzente, wo sind die harmonisierten Strukturen, die Sie uns seit Jahren versprechen? Wir haben Natur und Kultur, wir brauchen aber auch andere Höhepunkte für unsere Gäste. Hierfür muss das Land Unterstützung leisten. Aus diesem Grund hat die SPD entsprechende Aufstockungsvorschläge bei den Ausgaben für touristische Infrastruktur gestellt.

Meine Damen und Herren, wieso das Kapitel 07 14 im Haushalt des Wirtschaftsministeriums noch „Energie und Technologie“ heißt, erschließt sich dem Leser des Haushaltsplans wirklich nicht.

(Beifall bei der SPD)

Energie und insbesondere die Förderung der Nutzung umweltfreundlicher Energiequellen kommen im Thüringer Landeshaushalt nicht mehr vor. Dabei ist Thüringen auf dem Weg, sich zu einem Cluster der Solarmodulproduktion zu entwickeln. Aber die Landesregierung hält es nicht mehr für nötig, Förderimpulse für die Nutzung dieser Technik und anderer Energiespartechnologien zu geben. Deshalb beantragt die SPD die Wiederaufnahme der Förderung durch das Land.

Meine Damen und Herren,

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

wie will die SPD-Fraktion ihre Anträge gegenfinanzieren? Ein großer Teil der Deckung ergibt sich durch

die Rückabwicklung der Familienoffensive und die Rücknahme der Abschaffung des Blindengeldes. Dazu kommen Reduzierungen bei zweifelhaften Haushaltstiteln, die die Landesregierung von Kürzungen schon seit Jahren verschont hat und auch jetzt wieder verschonen will, zum Beispiel die Mittel für öffentliche Publikationen und Veranstaltungen. Hier ist nach wie vor viel Geld für Regierungspropaganda im Haushalt vorgesehen. Hoch sind die Ausgaben für die Ausstattung der Landesverwaltung mit neuer Informationstechnik. Ist das sinnvoll? Konzepte gibt es nicht. Der Ministerpräsident hat den interministeriellen Ausschuss Informationstechnik quasi per Regierungserklärung im September 2004 für aufgelöst erklärt. Da kann mit Sicherheit gespart werden.

Nach wie vor will die Thüringer Landesregierung mit erheblichen Mitteln Fluglinien subventionieren. Ich zitiere aus der OTZ, in der ein Zitat aus dem Saarland wiedergegeben wird: „Diesen Irrsinn hatten wir bei uns auch einmal.“

Sehr geehrte Damen und Herren von der CDU-Fraktion, sehr geehrter Herr Mohring, weil ich vermute, dass Sie mangels anderer Argumente wie immer versuchen werden, unsere Deckungsvorschläge zu diskreditieren, verweise ich auf die Beratung zum letzten Haushalt, zum Haushalt 2005. Da wurden unsere Deckungsvorschläge auch erst von Ihnen verteufelt, dann aber in Größenordnungen von der CDU für die Finanzierung eigener Vorschläge herangezogen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, in den neuen Ländern und auch in Thüringen ist in den vergangenen 15 Jahren ein enormer Aufholprozess in allen Bereichen des Lebens erfolgt. Es ist viel erreicht worden, es ist aber nicht alles Notwendige erreicht worden. Die hohe Arbeitslosigkeit in Thüringen und der Wegzug vieler junger, leistungsbereiter Menschen sind für mich persönlich die zwei größten Probleme unseres Landes. Aus meiner Sicht setzt der Landeshaushalt 2006/ 2007 zu wenig Akzente, um diese Probleme wirkungsvoll anzugehen. Schlimmer noch, es festigt sich mit diesem Haushalt der Eindruck, dass das Land insgesamt zunehmend außer Tritt gerät.

So kommt der an der Technischen Universität Dresden lehrende bekannte Finanzwissenschaftler Prof. Dr. Seitz im Interview der „Südthüringer Zeitung“ vom 11. November dieses Jahres zu der Einschätzung, dass Thüringen nach Sachsen-Anhalt das ostdeutsche Problemland sei. Parteiübergreifend wenden sich Kommunalpolitiker gegen, Frau Präsidentin, ich zitiere: „Niedertracht und Arroganz der Landesregierung“. Die CDU-Bürgermeister klagen, ich zitiere wieder: „haben vergebens auf Erleuchtung ge

hofft“ und beklagen, Zitat: „unintelligentes Sparen und Primitivität des Denkens“.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Wer hat das gesagt?)

(Beifall bei der SPD)

Wenn man es sich einfach macht, wie Sie, Herr Ministerpräsident, es oft tun, dann schieben Sie die Ursachen der Kritik von vielen Seiten auf die Dummheit der anderen, die Ihre Vorschläge oder Ihre Ziele nicht kennen und verstehen

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Wer ist das?)

oder eben auf die Opposition, die Ihre Vorschläge diskreditiert. Man sollte aber nicht immer nur bei anderen die Schuld suchen. Vielleicht liegt es ja daran, dass Sie Thüringen mit Ihren rückwärts gerichteten konservativen Ansichten und Ideen inzwischen am Volk vorbei regieren.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Das Ergebnis der letzten Bundestagswahlen müsste Ihnen eigentlich zu denken geben. Wie urteilte Herr Mohring, der Generalsekretär der CDU, am vergangenen Donnerstag in der TA so schön über die Thüringer CDU, Zitat: „Wir sind träge geworden und ein wenig selbstgefällig.“ Ich gebe Ihnen Recht, Herr Mohring, Thüringen

(Beifall bei der SPD)

kann sich aber nicht leisten, von einer trägen, selbstgefälligen Partei regiert zu werden. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Mohring, CDU-Fraktion.

(Unruhe bei der CDU)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, zunächst vorweg: War das alles? War das alles, was die Opposition hier im Thüringer Landtag an Vorschlägen für den Doppelhaushalt für 2006 und 2007 gebracht hat?

(Beifall bei der CDU)

Ich will gar nicht davon erzählen, dass wir wieder gehört haben, wir seien im Hauruck-Verfahren durch die Ausschussberatung gegangen, obwohl uns der Ausschussvorsitzende berichtet hat, über 40 Stunden Ausschussberatung im Haushalts- und Finanzausschuss hat es gegeben. Ich will nicht davon reden, dass wir weit über 100 Anhörungen durchgeführt haben, wenn auch schriftlich, aber wir haben weit über 100 Betroffene zum Haushalsbegleitgesetz angehört. Wir haben auch gehört, dass es natürlich schwierig ist bei der Frage, wenn man tatsächlich sich an seinen eigenen Ansprüchen misst, dann auch das mit eigenen Anträgen zu untersetzen. Aber was mich am meisten überrascht hat, ich dachte ja immer, unsere Fraktion ist dem Konservativen zugeneigt, aber dass es die SPD ist, die der alten Rechtschreibung verhaftet ist und Top Thüringen und Phantasie mit „ph“ immer noch dekliniert, das ist schon weit hergeholt, das ist nicht Top Thüringen,

(Beifall bei der CDU)

das ist ziemlich peinlich.

Meine Damen und Herren, ich will auch feststellen, wenn das alles ist, was die Opposition hier angeboten hat, dann will ich deutlich sagen, das ist erstens ideenlos und es ist zweitens für eine Haushaltsdebatte auch ziemlich langweilig, was Sie uns hier angeboten haben.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die Lage in Deutschland und auch die in Thüringen ist nicht einfach, aber ich will auch sagen, sie ist nicht hoffnungslos. Von 35 Mrd. € bis zu 70 Mrd. € lauten die Angaben zum strukturellen Defizit im Bundeshaushalt einerseits und zu 45 Prozent decken wir auf der anderen Seite in Thüringen nur unsere Ausgaben mit eigenen Steuereinnahmen. Wir leisten uns zu viel.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum ist Deutschland in diese Lage geraten und warum ist es so schwer, die eigentlich von allen erkannten Probleme zu lösen? Dazu ist eigentlich eine tief greifende Analyse notwendig; ich aber meine, dass die Haushaltsberatung hier an dieser Stelle sie sprengen würde. Dennoch will ich vier Punkte aufzählen, die wichtig sind, damit man sie für eine Analyse zum Haushalt in Deutschland, aber auch hier in Thüringen mit zur Berücksichtigung heranzieht.

1. Der Staatsanteil am Nettoinlandsprodukt, also die Summe aller in Deutschland verdienten Einkommen, liegt jetzt bereits bei 49 Prozent. Die Hälfte aller in Deutschland erzeugten Werte beschlagnahmt der Staat bei denen, die diese Werte erzeugen, und stellt sie damit dann anderen wieder zur Verfügung, ent

weder als geldmäßige Ansprüche oder als Sachleistungen. Auf einer Skala von 0 bis 100 gesehen, wenn man bei 0 ansetzt die reine Marktwirtschaft in ihrer reinen Lehre und wenn man bei 100 den Kommunismus ansetzt und dabei auch den großen Korridor der sozialen Marktwirtschaft in der Mitte sieht, dann ist man zumindest bei der Skala der beiden Extreme von 0 bis 100 jetzt mehr bei 100 als bei 0 und das ist eine der Ursachen, warum unsere Haushaltslage in Deutschland so ist, wie sie ist.

2. Im Jahre 1970, beim Start der sozialliberalen Koalition, betrug der Staatsanteil der in Deutschland verdienten Einkommen 44 Prozent. Die Zahl der Arbeitslosen lag damals bei nur 150.000 und Deutschland wuchs mit atemberaubender Geschwindigkeit, so schnell, dass es die Lokomotive des europäischen Gleitzugs war. Heute sind wir in Deutschland Schlusslicht. Seit 1995 ist kein Land in West- und Mitteleuropa so langsam gewachsen wie Deutschland. Man muss schon weit nach Osteuropa, nach Rumänien und nach Bulgarien schauen, um noch Länder zu finden, die ein geringeres Wachstum haben als Deutschland selbst.

3. Deutschland hat ein ausuferndes Sozialbudget, das rund 35 Prozent der in Deutschland verdienten Einkommen absorbiert. Mit dieser Quote wird Deutschland, außer von Schweden, von keinem anderen EU-Land übertroffen. Bei seinen Zahlungen an Rentner, bei seinen Zahlungen an Pensionäre, bei den Zahlungen an Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Studenten, Kriegsopfer, Behinderte und Kranke ist Deutschland Weltmeister. In Westdeutschland allein für sich genommen erhalten 38 Prozent der wahlberechtigten Bürger ihr hauptsächliches Einkommen als Sozialtransfer vom Staat, die mitfinanzierten Familienmitglieder noch nicht mitgerechnet. Nur 41 Prozent der Thüringer können, weil der Arbeitsmarkt so ist, wie er ist, ihren Lebensunterhalt hauptsächlich durch Arbeit bestreiten. 1991 waren das noch mehr als 47 Prozent. Nur 28 Prozent der Thüringer leben vor allem von Rente und weitere 18 Prozent vom Unterhalt ihrer Angehörigen. Weil das vor allem Kinder sind, ist dieser Anteil wegen des Geburtenknicks seit 1991 um sechs Prozentpunkte weiter gesunken. Der Anteil der Rentner und Pensionäre stieg aber im gleichen Zeitraum in Thüringen um weitere zehn Prozentpunkte an. Dieser Anteil wird sich schon wegen der demografischen Krise des Landes in den nächsten beiden Jahrzehnten weiter deutlich erhöhen.

4. Nirgendwo sonst hat der durchschnittliche Arbeitnehmer eine so hohe Grenzabgabenlast zu tragen wie in Deutschland - 63,8 Prozent. Ich will diese Grenzabgabenlast einmal an einem Beispiel von zwei Handwerkerfamilien, wo beide Väter als Handwerker angestellt sind, der eine als Maler, der

andere als Schlosser, verdeutlichen. Der Maler, der bei seiner Firma angestellt ist, zwei Kinder hat und eine Frau, die einen Teil zum Familieneinkommen beiträgt, der hat einen Auftrag bekommen von seinem Chef, weil er bei einem Kunden eine Malerleistung erbringen will, wo der Kunde dafür 1.000 € von dem Malerchef in Rechnung gestellt bekommt. Von den 1.000 €, die der Maler als Leistung erbracht hat, nachdem er die Wohnung gemalert hat, verbleiben am Ende von allen Leistungen, die an den Staat, an die Sozialversicherungskassen, an die Krankenkassen und all diejenigen, die die Hand aufhalten, gehen, bleiben für den Maler, der angestellt ist, 362 € übrig. Der Rest, 683 €, fließen als Mehrwertsteuer, als Arbeitgeberanteile, als Arbeitnehmeranteile sowie persönliche Einkommensteuer an den Staat. Jetzt stellt man sich einmal Folgendes vor, dass der andere Handwerker, der Schlosser mit seiner Familie, genau so eine Leistung in Anspruch nehmen will, nämlich sich für 1.000 € seine Wohnung malern zu lassen. Er muss aber, um sich die 1.000 € aus seinem verdienten Einkommen tatsächlich leisten zu können, selbst als Schlosserangestellter in seiner Firma, in seiner Handwerksfirma, wiederum zunächst eine Leistung von 2.762 € erbringen und auch verkaufen, damit bei ihm am Ende 1.000 € übrig bleiben, um den Maler zu bezahlen, bei dem dann am Ende 362 € in der Lohntüte verbleiben. Das heißt, am Ende dieser langen Kette, dass 2.400 € von der erbrachten Handwerksleistung oder - umgerechnet - 87 Prozent beim Staat verbleiben. Das ist absurd. Diese Abgabenlast behindert die legale Tätigkeit in solch massivem Maße, dass es fast an ein Wunder grenzt, dass die Arbeitsteilung in Deutschland überhaupt noch so funktioniert und nicht alles in Schwarzarbeit endet.