Denn, Herr Althaus, neben dem Einsatz der vielen Erzieherinnen und Erzieher in den Kindergärten, von denen die allermeisten wirklich alles geben, was sie geben können, gehört es auch dazu, wenn man die Situation weiter verbessern will, dass man zusätzlich Geld in die Hand nimmt und nicht, dass man Geld wegnimmt aus den Kindergärten.
Zum Dritten: Es stellt sich heraus, Familien oder allein Erziehende, die geringe Einkommen haben und deshalb bisher das volle Landeselterngeld erhalten haben, stehen, wenn sie ein oder zwei Kinder haben, mit der Reform finanziell schlechter da. Ich bin vor einigen Tagen mit dem Kollegen Seela in einer Veranstaltung in Jena gewesen mit Kindergärtnerinnen, Eltern. Dort wurde z.B. die Situation von Studentinnen erläutert, die in aller Regel das Landeserziehungsgeld bisher bekommen haben und dieses Geld u.a. dafür einsetzen konnten, ihren Kindergartenplatz zu finanzieren. Jetzt kommen sie in die Situation, dass das Geld, was sie bisher bekommen haben, direkt an den Kindergarten geht und sie zusätzlich ihren Kindergartenbeitrag bezahlen müssen, was die Situation von Studierenden in einer solchen Lage natürlich deutlich verschlechtert. Als das vorgetragen wurde, hat der Kollege Seela gesagt, ja, man sehe das Problem, leider könne man jetzt nichts mehr ändern, aber in einem Jahr wolle man sich sozusagen das Gesetz noch einmal kritisch anschauen und dann könne man solche Fehler ja korrigieren. Was ist das eigentlich für ein Umgang mit berechtigten Einwänden an einem Gesetz, wenn Sie sich hier hinsetzen und sagen, wir müssen das erst einmal beschließen, auch wenn wir das selbst für falsch halten, in einem Jahr machen wir vielleicht eine Verbesserung.
Eltern, die so viel verdienen, dass sie bisher kein Landeselterngeld bekommen haben, die bekommen in Zukunft eine zusätzliche staatliche Leistung. Hier stellt sich natürlich die Frage nach der Gerechtigkeitsvorstellung, die dahinter steht. Diejenigen, die über die geringsten Einkommen verfügen, die werden finanziell schlechter gestellt. Und diejenigen, die eine etwas bessere Einkommenssituation haben und deshalb bisher kein Landeselterngeld bekommen haben, die werden durch diese Reform besser gestellt. Was ist denn das für ein Gerechtigkeitsempfinden, was dahinter steht?
Wie erklären Sie das denn eigentlich? Aber nicht nur das Gerechtigkeitsempfinden wird hier massiv ver
letzt, wenn man sich das betrachtet. Sie verstoßen, Herr Althaus, auch gegen die eigenen Grundsätze, die Sie nicht nur in diesem Haus, sondern auch zum Parteitag in Altenburg wieder vorgetragen haben. Sie haben noch einmal in Altenburg gesagt, ich konnte das nur bei dpa nachlesen, weil ich ja selbst nicht dabei war: Angesichts der Haushaltslage …
Laut dpa haben Sie dort gesagt: Angesichts der Haushaltslage müsse in Deutschland nun jede Sozialleistung geprüft werden. Die Union setze auf Freiheit und auf Verantwortung des Einzelnen. Sie haben auch hier im Landtag immer wieder deutlich gemacht, dass es nicht angeht, dass der Staat denjenigen, die auf eigenen Füßen stehen können, Sozialleistungen gewährt, sondern dass hier die Eigenverantwortung Vorrang hat. Nun geben Sie mit der Familienoffensive einer Gruppe, die auf eigenen Füßen stehen kann und das ja bis heute auch tut, die nicht nach einer zusätzlichen Leistung gerufen hat, eine zusätzliche Sozialleistung. Also auch da fällt es mir schwer, die Begründung für das nachzuvollziehen, was Sie hier tun.
Ich will Ihnen ein viertes Beispiel nennen: Es ergeben sich an den Thüringer Landesgrenzen teilweise absurde Situationen. Ich habe mich gestern mit dem Kollegen Schubert unterhalten, der mir das Beispiel einer Kindertagesstätte in Lucka einmal deutlich gemacht hat. Dort gehen 130 Kinder in die Kindertagesstätte. 14 dieser Kinder kommen aus Sachsen. Nach dem Gesetz, das Sie heute beschließen wollen, bekommen diese sächsischen Kinder keine Förderung mehr. Wie soll jetzt der Kindergarten damit umgehen?
Das heißt, Sie ziehen hier mitten in Deutschland, statt mehr Zusammenarbeit auch über Landesgrenzen möglich zu machen, neue Grenzen.
Herr Matschie, ich wollte Sie einmal fragen: Finden Sie es Aufgabe des Freistaats Thüringen, sächsische Kinder mit unserer Landesförderung zu fördern?
Frau Lieberknecht, wir haben … Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es war doch eine ganz sachliche Frage von der Kollegin Lieberknecht. Ich will sie auch sachlich beantworten. Frau Lieberknecht, wir haben zurzeit - ausweislich der Zahlen, die da zur Verfügung stehen - gut 220 Kinder in Thüringer Kindergärten, die nicht Thüringer Landeskinder sind, sondern aus anderen Bundesländern kommen. Ich finde, im Sinne der Eltern und der Kinder, auch im Sinne einer wohnortnahen Betreuung kann es sich Thüringen durchaus leisten, auch einige Kinder aus anderen Bundesländern hier in Thüringer Kindergärten mit zu fördern.
Ich bin sicher, dass im Gegenzug auch die Nachbarbundesländer Thüringer Kinder in ihren Kindergärten fördern würden. Das hielte ich für die vernünftigste Lösung im Sinne der Eltern und der Kinder.
Ich will noch einmal zusammenfassen: Weniger Geld für die Kindertagesstätten, eine Verschlechterung der Betreuungssituation, steigende Beiträge für die Eltern, eine nicht mit Gerechtigkeit zu erklärende Förderung beim Landeselterngeld, neue Probleme an den Grenzen zu den anderen Bundesländern, das alles sind Folgen der von Ihnen so gepriesenen modernsten Familienförderung. Diese Folgen sind in vielen Diskussionsrunden vorgetragen worden. In einigen konnte ich selbst auch dabei sein. Sie sind vorgetragen worden von den Eltern, von den freien Trägern, von Kindergärtnerinnen, von Kirchen, von Sozialverbänden, sie sind vorgetragen worden von Landräten, von Bürgermeistern. Sie, Herr Althaus, haben die Argumente alle vom Tisch gewischt. Statt sich mit diesen Argumenten auseinander zu setzen, haben Sie lieber auf das Gutachten eines Professors der Katholischen Akademie in Eichstätt vertraut, der sich mit Kindertagesstätten ausweislich seiner bisherigen Veröffentlichungsliste nicht sonderlich beschäftigt hat. Dabei müsste Ihnen eigentlich aus den Erfahrungen im Bundestagswahlkampf klar geworden sein, mit dem Rat von Professoren, die Exklusivmeinungen vertreten, kann man ganz schnell auf die falsche Spur kommen.
Herr Althaus, anstatt sich auf dem CDU-Parteitag dann die Zeit zu nehmen, die vielen, auch in Thüringen, auch von CDU-Mitgliedern geäußerten Bedenken zu diskutieren, haben Sie lieber Frau Prof. Höhler einfliegen lassen, die dann Lobeshymnen auf den mutigen Regierungschef gesungen hat.
Ich kenne die Argumente von Frau Prof. Höhler, sie sind ja nicht neu. Frau Prof. Höhler versucht ja seit langem in der CDU auch politisch in verantwortliche Funktionen zu kommen. Das hat sie schon versucht, als Helmut Kohl noch in Deutschland regierte und das ist schon eine ganze Weile her.
Herr Althaus, ich glaube, mit dem Mut ist das so eine Sache und vom Mut zur Sturheit ist es manchmal nur ein kleiner Schritt.
Augen zu und durch - das scheint jetzt offensichtlich die Devise zu sein, die Sie ausgegeben haben. Ich frage mich: Was treibt Sie an, warum diese Familienoffensive? Für mich bleiben am Ende zwei Beweggründe übrig, die es lohnt, noch einmal genauer anzuschauen. Der erste Beweggrund ist, Geld im Landeshaushalt zu sparen. Das ist durchaus ein ernst zu nehmender Beweggrund, aber er steht auch in einem seltsamen Widerspruch dazu, dass Sie mit diesem Gesetz eine zusätzliche Sozialleistung auf den Weg bringen, die nach Überzeugung vieler nicht unbedingt notwendig ist und nach der die Betroffenen auch nicht gerufen haben. Also, das Argument, es geht darum, den Haushalt zu entlasten und nicht zusätzliche Schulden für zukünftige Generationen anzuhäufen, das steht auf wackligen Füßen, weil Sie ja gleichzeitig eine neue Sozialleistung hier versprechen und weil Sie auch Geld haben, eine Familienstiftung zu gründen und auch dafür 34 Mio. € einsetzen wollen.
Bleibt ein zweites Argument, was ich mir noch einmal genauer anschauen möchte. Sie setzen finanzielle Anreize mit Ihrer Familienoffensive, damit Eltern ihre Kinder möglichst bis zum Alter von drei Jahren zu Hause behalten. Das ist der finanzielle Anreiz, den diese Offensive setzt. Dahinter verbirgt sich ja ganz offensichtlich die alte Debatte aus dem Westen, Mütter müssten bis zum Alter von drei Jahren ganz
für ihre Kinder da sein. Zugespitzt ist das diskutiert worden im Vorwurf an die so genannten Rabenmütter, die ihre Kinder vielleicht schon mit ein oder zwei Jahren aus der Familie weggeben in eine Kindertagesstätte und zugespitzt auch in der Debatte um die Frage: Sollen die Eltern das Kind erziehen oder soll der Staat diese Aufgabe übernehmen?
Ich will mal entgegnen mit einem afrikanischen Sprichwort. Ja, auch von Afrika kann man ab und zu etwas lernen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der schwarzen Fraktion.
Das afrikanische Sprichwort besagt: Um ein Kind zu erziehen, braucht man ein ganzes Dorf. Dazu braucht man nicht nur Eltern, dazu braucht man Nachbarn, Tanten, Onkel. Dazu braucht man Freunde und dazu braucht man auch andere Kinder. Um ein Kind zu erziehen braucht man ein ganzes Dorf. Das heißt, es geht gar nicht um einen Gegensatz, sollen die Eltern das Kind erziehen oder soll das der Kindergarten tun, sondern es geht eigentlich um ein Miteinander in dieser Frage - Eltern und Kindergarten. Eltern und andere in der Umgebung sind wichtig für die Erziehung des Kindes und gerade auch für die frühkindliche Erziehung. Ich will vielleicht das Argument von Herrn Panse noch einmal aufgreifen, was er im „Freien Wort“ verwendet hat, bevor die Familienoffensive kam. Denn gerade dort, wo die Eltern möglicherweise nicht in der Lage sind, ihre Kinder ausreichend zu fördern, wo die Kinder vielleicht zu viele Stunden vor dem Fernseher sitzen, wo sie nicht die Anregungen bekommen, die sie für ihre Entwicklung brauchen, gerade da braucht es das Dorf, braucht es dann im übertragenen Sinne vielleicht den Kindergarten, der die notwendigen Anregungen gibt und geben kann. Und da ist es letztendlich für beide wichtig, für die Kinder, die mehr Förderung erfahren können, die zusätzliche Anregungen bekommen, die sie in der Familie nicht bekommen können, aber der Kindergarten ist auch für die Eltern wichtig. Und wer sich mit Kindergärtnerinnen und Kindergärtnern unterhält, der wird feststellen, für manche Eltern ist der Kindergarten die einzige Kontaktstelle zu anderen Eltern, die einzige Möglichkeit, sich auseinander zu setzen auch mit Fragen, die solche Eltern beschäftigen in Bezug auf die Er
ziehung, selbst Anregungen zu kriegen, wie sie mit ihren Kindern umgehen können. Und, Herr Althaus, das kann dann auch keine Familienstiftung ersetzen. Elternberatung passiert am ehesten in der Kindertagesstätte selbst, dort, wo die Eltern mit ihren Kindern hinkommen, wo sie Vertrauen entwickeln könnten zu Kindergärtnerinnen, die mit ihren Kindern umgehen, und wo sie vielleicht auch die Fragen stellen können, die sie sich an anderer Stelle nicht zu stellen trauen.
Also für beide, für Eltern und Kinder, ist der Kindergarten wichtig. Aber auch, wenn wir von einer ganz anderen Seite her denken, nämlich von der Seite her, dass es sehr viele junge Menschen gibt, die einen Kinderwunsch haben, aber deutlich weniger, die sich den Kinderwunsch auch erfüllen. Wenn wir darüber nachdenken, wie wir Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser hinbekommen können, wie wir es schaffen, dass mehr junge Menschen, die einen Kinderwunsch haben, sich diesen Wunsch auch erfüllen.
Auch dann spricht ja vieles dafür, die Kraft darauf zu konzentrieren, einen frühen Wiedereinstieg von Eltern in den Beruf zu ermöglichen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Denn auch das ist doch eine Erfahrung, die man in allen Untersuchungen nachlesen kann. Wer lange aussteigt aus dem Beruf, hat hinterher natürlich größere Probleme, in den Beruf wieder einzusteigen, als jemand, der nur für eine relativ kurze Zeit aussteigt. Deshalb haben sich auch SPD und CDU auf der Bundesebene auf eine entsprechende Förderphilosophie verständigt. Der Kern dieser Philosophie ist, Eltern zu stärken bei der Möglichkeit, Beruf und Elternschaft miteinander in Einklang zu bringen und den Verdienstausfall von Familien, wenn sie Kinder bekommen, möglichst gering zu halten. Deshalb gibt es den Vorschlag eines Elterngeldes für ein Jahr als Lohnersatzleistung, um den Verdienstausfall möglichst gering zu halten, wenn Kinder geboren werden. Danach soll die Möglichkeit geschaffen werden für einen raschen Wiedereinstieg in den Beruf, wenn Eltern das wollen. Dazu gibt der Bund auch zusätzliche finanzielle Hilfen, um Betreuung auszubauen und frühkindliche Bildung zu stärken. Ich finde, Herr Althaus, im Interesse der Eltern und im Interesse der Kinder in Thüringen sollten wir auch versuchen, die Thüringer Familienförderung passend zur Förderung auf der Bundesebene zu gestalten. Das bedeutet aus meiner Sicht, wenn der Bund sich finanziell darauf konzentriert, ein Elterngeld zu schaffen, um für ein Jahr den Lohnausfall zu einem gewissen Teil zu kompensieren, dann ist der vernünftige Teil, den die Länder tun können, ihre finanzielle Kraft zu konzentrieren auf den Ausbau von
Werte Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, ich kann ja verstehen, dass Sie die Sache endlich vom Tisch haben wollen und dass Sie deshalb jetzt aufs Tempo drücken.