Protocol of the Session on October 6, 2005

Ja, das müssen Sie schon mal aushalten an der Stelle, ich habe sehr viel frei geredet hier und politische Meinung muss so und so hier stattfinden können, auch wenn sie nicht Ihrer Couleur entspricht.

Sozialpolitik, um dieses Thema noch aufzuwerfen, wurde von der CDU-Landesregierung nicht als eine Erweiterung der gesellschaftlichen Spielräume, als eigenständiger Wert begriffen, sondern stets nur - und das zieht sich auch durch diesen Haushalt - als ein Anhängsel der Wirtschaftspolitik. Diese Sicht, meine Damen und Herren, gipfelt darin, dass Sozialpolitik nicht entsprechend ihrer Notwendigkeit entwickelt und umgesetzt wird. In Thüringen findet sie nach Kassenlage statt und man gewinnt den Eindruck, dass sie auch eine Feuerwehrfunktion übernommen hat. Es geht wahrscheinlich darum, gerade noch so viele Sozialleistungen zuzulassen, dass die Menschen nicht zu unruhig werden. 15 Monate Regierungspolitik von Herrn Althaus sind gekennzeichnet von - und das darf man mit Recht sagen - sozialer Kälte, von Verängstigung der Thüringerinnen und Thüringer sowie von Vereinen und Verbänden, von drastischen Kürzungen im Sozialbereich. Die Forderungen von Vereinen und Verbänden, wie sie auch im Frühjahr 2005 durch den paritätischen Wohlfahrtsverband an die Thüringer Landesregierung herangetragen wurden, um die langfristige finanzielle Sicherung zur Aufrechterhaltung der sozialen Daseinsvorsorge zu gewährleisten, fanden bei der Landesregierung bekanntlich kein Gehör. Beispiele: Thüringer Frauenzentren bzw. Frauenhäuser müssen nach Ihren Vorstellungen ab 2006 mit der Hälfte der Zuschüsse zum Jahr 2005 auskommen, ich glaube, ein Skandal angesichts der Gesamtsituation im Land.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Insgesamt bedeutet das nämlich für die meisten Einrichtungen das Sterben, denn viele Kommunen werden diese Mittel nicht ersetzen können, meine Damen und Herren. Ich denke, wenn wir noch einmal zum Schluss, weil das das ganze Land betrifft, auf Kommunalfinanzen zurückkommen, dann möchte ich hier einen Vorschlag unterbreiten, der zukünftig unsere Beziehungen dort besser regeln könnte. Bei den Kommunalfinanzen gibt es nach unserer Sicht einen Ausweg, den wir als Solidarpakt des Landes mit den Kommunen bezeichnen. Unsere Fraktion hat hierzu bereits im August einen Vorschlag unterbreitet. Dieser sichert, dass auch die Kommunen wieder einen Beitrag zur Konsolidierung, Frau Diezel, der Landesfinanzen leisten können, indem sie auf zustehende Zuweisungserhöhungen verzichten würden. Aber andererseits werden weitere Kürzungen durch das Land ausgeschlossen. Ein höheres Maß an Solidarität zwischen Land und Kommunen ist aus unserer

Sicht wirklich möglich. Ich bin sogar der Auffassung, die Kommunen haben durch viele Äußerungen dieses Angebot längst gemacht. Warum nehmen Sie es nicht auf? Damit können Sie ein Stück zur Konsolidierung Ihres Haushalts leisten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mein Fazit kann nicht anders sein nach diesem Entwurf, der heute vorliegt: Sie haben hier einen Haushalt vorgelegt, der nichts beiträgt zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zu einem selbsttragenden wirtschaftlichen Aufschwung im Land. Sie haben hier einen Haushalt vorgelegt, der nicht begreift, dass Investitionen in die Bildung die wichtigsten Investitionen für die Zukunft sind. Sie haben hier einen Haushalt vorgelegt, der weiterhin den Abbau sozialer Standards im Mittelpunkt sieht und der damit den sozialen Zusammenhalt im Land nicht stärkt, sondern ihn infrage stellt. Und Sie haben, wir hatten das Beispiel gerade noch mal, einen Haushalt vorgelegt, der den Kommunen ihre Funktion der Daseinsvorsorge und der kommunalen Selbstverwaltung und selbst einen Beitrag zur finanziellen Besserstellung des Landes nicht ermöglicht, weil auch hier Sie allein bei der Kürzungsvariante bleiben. Deshalb, meine Damen und Herren, lehnen wir im Interesse dieses Landes diesen von Ihnen vorgelegten Haushaltsentwurf ab.

Frau Diezel, ich nehme einmal Ihr Bild von Beginn an auf, mit dem Zahnarzt. Sicher ist es richtig, dass man rechtzeitig zum Zahnarzt geht. Wenn aber der Zahnarzt dann nur noch in die Lage versetzt ist oder die Zahnärztin, mit Extraktion auf die Probleme zu reagieren, dann ist auch dieser Gang nicht sehr erfolgreich, vielleicht etwas schmerzlindernd, aber nichts was wirklich gut voranbringt, und diese Handschrift trägt Ihr Haushalt, meine Damen und Herren, und danach wird es teuer.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Bevor ich für die SPD-Fraktion den Abgeordneten Matschie aufrufe, bitte ich einmal die Parlamentarischen Geschäftsführer, sich in den nächsten 35 Minuten zu vereinbaren, wie wir mit der Mittagspause umgehen und der Fortsetzung des Tagesordnungspunkts, und es mir dann mitzuteilen. Bitte, Herr Abgeordneter Matschie.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, dass der Thüringer Ministerpräsident dieser Haushaltssitzung fern bleibt, das ist ein Skandal.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Das gab es in der bisherigen Geschichte Thüringens noch nicht.

(Unruhe bei der CDU)

Dass eine Landesregierung den Haushalt ins Parlament einbringt und der Ministerpräsident es vorzieht, in Parteigremien zu sitzen, das ist skandalös, meine sehr geehrten Damen und Herren. Während wir hier diskutieren, können wir nachlesen bei ddp: „Althaus nahm am Donnerstag an einer Sitzung des CDU-Präsidiums in Berlin teil.“ Es gibt keinen wichtigeren Termin für einen Ministerpräsidenten, als in der Haushaltssitzung hier im Parlament zu sitzen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Uwe Höhn hat vorhin beantragt, den Ministerpräsidenten herbeizuzitieren und wir haben den Vorschlag gemacht, andere Tagesordnungspunkte vorzuziehen. Es kann ja sein, dass inzwischen die Präsidiumssitzung zu Ende ist, dass der Ministerpräsident hier herkommen kann. Heute Abend stehen ja keine weiteren Verhandlungen an, bei denen er gebraucht wird, sondern Acht-Augen-Gespräche, bei denen er gar nicht dabei ist. Wir sind gern bereit, den Haushalt zu einem späteren Zeitpunkt zu diskutieren, damit der Ministerpräsident hier teilnehmen kann, aber nicht mal das lassen Sie zu, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Was sind Sie denn für ein armseliger Haufen geworden. Nehmen Sie sich selbst überhaupt noch ernst?

(Unruhe bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Schröter, CDU: Neh- men Sie das zurück und entschuldigen Sie sich.)

Nehmen Sie sich selbst überhaupt noch ernst?

Herr Abgeordneter Matschie, mäßigen Sie sich in der Bezeichnung von Fraktionen dieses hohen Hauses.

Frau Präsidentin, Ihr Ordnungsruf ist berechtigt an dieser Stelle, das will ich anerkennen, aber ich frage noch mal die Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion: Nehmen Sie sich eigentlich noch ernst, wenn man sich betrachtet, was hier abgeht?

(Zwischenruf Abg. Zitzmann, CDU: Das ist eine Unverschämtheit.)

Der Ministerpräsident verweigert sich dieser Debatte, vom Kabinett sind über weite Strecken nur zwei oder drei Minister in dieser Debatte hier auf der Regierungsbank. Für alle, die 1989/90 für freie Wahlen und parlamentarische Demokratie eingetreten sind - und da sitzen etliche davon auch in Ihren Reihen - muss das doch ein Schlag ins Gesicht sein, wenn wir hier die wichtigste Beratung des Jahres unter solchen Umständen miteinander zu führen haben.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Thüringer Landesregierung und der Thüringer Ministerpräsident sind offensichtlich auf der Flucht vor dem finanziellen Desaster, das sie hier in Thüringen angerichtet haben.

(Beifall bei der SPD)

Immer wenn ich in den letzten Wochen Dieter Althaus erlebt habe, musste ich an eine bizarre wissenschaftliche Diskussion denken. Aber keine Angst, ich meine jetzt nicht die Evolutionstheorie, ich will auch nicht erörtern, ob nicht vielleicht auch der Thüringer Minsterpräsident letztendlich vom Affen abstammt; auch wenn neulich in der Demonstration, als für den Erhalt der Kindergärten demonstriert worden ist, mich einer der Demonstranten gefragt hat, ob nicht vielleicht die da oben vom Affen gebissen sind, wenn sie so etwas aushecken. Aber das ist eine andere Frage.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Das ist unerhört.)

(Unruhe bei der CDU)

Nein, ich meine die bizarre wissenschaftliche Debatte über die Konsequenzen aus der Quantentheorie. Sie kennen ja den bekannten britischen Physiker David Deutsch, der mit anderen gemeinsam der Auffassung ist, dass nicht nur ein Universum existiert, sondern sehr viele parallele Universen. Wenn man Dieter Althaus bei seinen Auftritten zuschaut, kann man ganz ohne Quantentheorie zu der Auffassung kommen, dass der Mann in zwei unterschiedlichen Universen lebt.

(Beifall bei der SPD)

(Unruhe bei der CDU)

Es gibt eine Welt, die spielt sich hier in Thüringen ab und die sehen wir auch im vorliegenden Haushaltsentwurf, und es gibt irgendwie parallel dazu eine ganz andere Welt, weit weg von hier, da tritt Dieter Althaus, der große Reformer, auf. Da fordert er den großen Wurf, die Politik aus einem Guss, da geht

er keinem Superlativ aus dem Weg, da hat er, um ein paar Beispiele mal zu nennen, gegenüber dem „Handelsblatt“ gesagt, die Politik zum Aufbau Ost muss von Grund auf geändert werden. Im Deutschlandfunk forderte er ein stimmiges Gesamtkonzept für ganz Deutschland oder kürzlich im ZDF hat er wieder betont, dass der Staat

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Was ist daran verkehrt?)

hoffnungslos über seine Verhältnisse lebt und wir deshalb wichtige Strukturprobleme in Deutschland lösen müssen. Ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, die großen Würfe, die stimmigen Gesamtkonzepte, die von Grund auf neue Politik aus einem Guss - das gehört offensichtlich aber nur zu dieser Welt da draußen und nicht zu der Thüringer Welt. Denn

(Beifall bei der SPD)

was davon stimmt denn hier in Thüringen? Wo ist denn das Gesamtkonzept, wo ist denn der große Wurf hier im Freistaat? Wo ist denn das grundauf Neue aus der Staatskanzlei, auf das wir schon seit längerem warten?

(Beifall bei der SPD)

Nein, meine Damen und Herren, es bleibt wahr, große Worte machen noch lange keine große Politik und der Doppelhaushalt 2006/2007, den Sie uns hier auf den Tisch gelegt haben, ist dafür der schlagende Beweis. Die beiden Welten des Dieter Althaus, sie passen einfach nicht zueinander.

(Beifall bei der SPD)

Denn der Ministerpräsident hat keine Vision für die Zukunft dieses Landes, er hat keinen Mut, die Probleme anzupacken, die sich hier im Land aufgetürmt haben, und er hat auch immer weniger ein erkennbares Interesse an den Sorgen der Menschen hier. Aber Thüringen hat mehr verdient als das Schauspiel auf der großen Bühne, hat mehr verdient als hohle Gesten. Thüringen braucht echten Einsatz, echten Mut und Arbeit hier und weniger große Worte in der anderen Welt.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Ihre Zeit auf der großen Bühne in Berlin ha- ben wir gesehen.)

Beruhigen Sie sich doch, Herr Mohring, beruhigen Sie sich doch. Wahrheit tut manchmal weh, ich weiß aber, man muss sie aushalten können.

(Unruhe bei der CDU)

Frau Finanzministerin, Ihre Rede war für mich ein klassisches Beispiel für Autosuggestion. Ihre Welt ist noch in Ordnung, aber das, was Sie uns hier als Haushalt auf den Tisch gelegt haben, zeigt nicht die Erfolge Ihrer Politik, wie Sie uns hier weismachen wollen, sondern das Scheitern Ihrer Haushaltspolitik in den letzten Jahren. Bei der Vorlage des letzten Haushalts haben Sie gesagt, das war unsere Eigernordwand.

(Beifall bei der SPD)

Wenn ich mal in diesem Bild bleiben soll, dann müsste ich sagen, mit dem Doppelhaushalt 2006/2007 müssen Sie dann wahrscheinlich nackt auf den Mount Everest, und zwar ohne Sauerstoff, aber dieses Mal zur Strafe für den Unsinn, den Sie uns hier mit Ihrer Politik vorschlagen.

(Beifall bei der SPD)