Protocol of the Session on June 3, 2005

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Gott sei Dank.)

wie Sie das immer hier suggerieren wollen, und ich sage Ihnen, ich teile diese Befürchtung ausdrücklich.

(Beifall bei der SPD)

Diese Debatte seitens der Union ist geprägt von unglaublichem Populismus, Opportunismus und - das sage ich Ihnen auch ganz deutlich - mit Argumenten der hanebüchesten Art, wie ich sie selten in der politischen Debatte der letzten Monate erleben durfte.

(Beifall bei der SPD)

Den Gipfel des Ganzen hat Minister Schliemann unter der Woche in einem so genannten Gastbeitrag der bedeutenden Thüringer Landeszeitung geliefert. Er hat Teile dieses Artikels heute sozusagen in der Lightfassung in seinem so genannten Bericht vorhin hier ausgeführt. Aber, meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen einige Kernsätze dieses Artikels doch hier noch einmal vor Augen und vor Ohren führen, weil es ganz einfach aus meiner Sicht die grundsätzliche Denkweise der Union an dieser Stelle deutlich macht. Ich zitiere vom 1. Juni: „Der Gesetzentwurf“, heißt es hier, „stellt den Kern unserer historisch gewachsenen Werteordnung auf den Kopf.

(Heiterkeit bei der SPD)

Die private Willensfreiheit wird diskreditiert, weil ihre Ausübung Rechtfertigungszwängen ausgesetzt wird.“

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Gut, dass Herr Schliemann kein Richter mehr ist.)

Herr Minister, Sie sind Justizminister. Sie sollten wissen, jedes Gesetz tut das, egal wie das heißt. Der "schönste Satz", den will ich Ihnen auch nicht vorenthalten, da heißt es dann: „Hierin liegt die langfristige gesellschaftspolitische Sprengkraft, hierin liegt eine der massivsten Systemveränderungen in Europa seit der französischen Revolution.“

(Heiterkeit bei der SPD)

Mein Gott, Herr Minister, kann ich da nur sagen, wer hat Ihnen das aufgeschrieben? Ich verweise an dieser Stelle auf die Debatte über die Dienstleistungsrichtlinie, die wir vor Wochen hier geführt haben. Diese Dienstleistungsrichtlinie greift, glaube ich, noch viel tiefer in die Vertragsfreiheit ein, als es das Antidiskriminierungsgesetz jemals tun könnte.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Und die wollen Sie.)

Oder auch andere Beispiele in unserer jüngsten bundespolitischen Debatte, die DNA-Analyse. Greift das etwa nicht in die persönliche Willensfreiheit der Menschen ein? Ich glaube, an dieser Stelle, muss ich sagen, haben Sie sich als Minister der Justiz selbst ad absurdum geführt.

(Beifall bei der SPD)

Es wird immer wieder der ziemlich pauschale Vorwurf in die öffentliche Debatte eingebracht, dieser Entwurf gehe weit über den Umsetzungsauftrag der Europäischen Union hinaus. Also wie gesagt, der Vorwurf ist ebenso pauschal wie nicht zutreffend. Man sollte dann die Sache wirklich etwas tiefer beleuchten und dann stellt man fest, dass sich dieser Gesetzentwurf hinsichtlich der Eingriffstiefe sehr dicht an den Entwurf der EU-Vorgaben gehalten hat.

(Beifall bei der SPD)

Hinsichtlich der Eingriffsbreite haben sich in der Tat die Regierungsfraktionen für eine umfassende Anwendung im Arbeits- und Zivilrecht entschieden, im zivilrechtlichen Teil, und darüber diskutieren wir. Im Übrigen lassen Sie mich bemerken: Sie haben vorhin hier ausgeführt, dass dieses Gesetz, wenn es denn so käme, massive Einschnitte/Eingriffe in die wirtschaftliche Betätigung auch Thüringer Unternehmen vornehmen würde. Sie haben aber gleichzeitig anerkannt, dass der arbeitsrechtliche Teil dieses Ge

setzentwurfs von Ihnen so gebilligt wird. Sie erkennen an, dass dieser Teil so umgesetzt werden muss. Wir sind uns doch, glaube ich, darüber einig, dass für die Wirtschaft der arbeitsrechtliche Teil wohl doch relevanter ist als der zivilrechtliche. Also auch an dieser Stelle ist Ihre Argumentation einfach nicht schlüssig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Im zivilrechtlichen Teil besteht nach der EU-Vorgabe die Schutzpflicht für die Merkmale Ethnie und Geschlecht.

(Unruhe bei der CDU)

Was ist denn da hinten auf den billigen Plätzen bei der CDU? Da scheint es ja lustig zu sein.

(Zwischenruf Abg. Schwäblein, CDU: Das ist doch keine Antidiskriminierung.)

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Die können dir nicht folgen.)

Nach dem Gesetz, wenn es denn käme, könnten Sie mich jetzt verklagen, aber Sie wollen es ja nicht.

Also noch mal, im zivilrechtlichen Teil besteht nach der EU-Vorgabe eine Schutzpflicht für die Merkmale Ethnie und Geschlecht und die Regierungskoalitionen haben darüber hinaus, das ist richtig, die Merkmale Behinderung, Religion und Weltanschauung, sexuelle Identität und auch das Alter mit einbezogen.

Meine Damen und Herren, die Lebenswirklichkeit in Deutschland zeigt, dass auch Benachteiligungen wegen dieser Merkmale systematisch und oftmals ohne sachliche Gründe auftreten. Ich frage Sie, Herr Minister: Wie wollen Sie einer Gruppe von Behinderten, die in ein Restaurant geht und vom Besitzer dieses Restaurants mit der Begründung hinausverwiesen wird, dieser Anblick störe die Ästhetik der anderen Gäste, wie wollen Sie den Menschen das begründen im zivilrechtlichen Teil? Oder erinnern Sie sich, vor einigen Jahren hier in Erfurt, gar nicht so weit von hier, ist mal der Bau eines Behindertenheims von den Grundstücksnachbarn verhindert worden mit der Begründung, dass der Anblick der Behinderten ebenfalls die Ästhetik der Nachbarschaft beeinträchtige. Wie wollen Sie denn das sinnvoll begründen? Warum sollen diese Menschen, die es ohnehin nicht leicht haben in der Gesellschaft, da noch zusätzlich benachteiligt werden? Deshalb ist es gerechtfertigt, dass auch im zivilrechtlichen Teil dieses Antidiskriminierungsgesetzes diese Merkmale mit verankert sind.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich möchte auf einige wenige und, ich denke, auch auf die grundlegendsten Argumente in der Debatte um dieses Antidiskriminierungsgesetz noch etwas en détail eingehen. Sie haben vorhin hier davon gesprochen, Herr Minister, dass wohl eines der gravierendsten Mängel dieses Gesetzentwurfs aus Ihrer Sicht die Einschränkung der Vertragsfreiheit darstellt. Es greift in die Privatautonomie, in die private Willensausübung ein. Da muss ich Ihnen sagen: Erstens, die Vertragsfreiheit muss auch für Benachteiligte ermöglicht werden; durch dieses Gesetz werden sie nämlich erst in die Lage versetzt, auch Sie, potenziell von Freiheit Gebrauch machen zu können. Die Vertragsfreiheit wird auch schon jetzt nicht schrankenlos gewährleistet. Verbraucherschutzgesetze, allgemeine Geschäftsbedingungen, Kündigungsschutz und andere Gesetze wirken doch jetzt schon auf die Vertragsfreiheit ein und das gibt auch die Verfassung vor. Sie haben im Übrigen in Ihrem berühmten oder berüchtigten Artikel vom 1. Juni geschrieben, dass es einen Vorrang des Artikel 2 - also Freiheit - gegenüber dem Artikel 3 - Gleichheit - gäbe. Da muss ich Ihnen heftigst widersprechen. Das Grundgesetz gibt hier vor, einen Ausgleich zu schaffen zwischen Freiheit und Gleichheit.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Das ist der Kernpunkt und darauf geht das Gesetz auch ein. Im Übrigen, für das Merkmal Ethnie, ich sagte es bereits, ist dieser Eingriff in die Privatautonomie durch die Richtlinie ohnehin vorgeschrieben. Wir würden bzw. Deutschland würde gegen EURecht verstoßen, würde dies so nicht umgesetzt. Und was auch immer noch ein Gegenstand öffentlich populistischer Debatten ist, dieses Gesetz berühre die freie Vertragsgestaltung. Aber sie berührt nicht die freie Vertragsgestaltung in den Fällen, wo ein besonderes Nähe- und Vertrauensverhältnis besteht. Es ist eben nicht so, dass Vermieter, die eine Wohnung im selbst vermieteten Haus mit bewohnen, davon betroffen sind. Die fallen aus dem Anwendungsbereich dieses Gesetzes vollkommen heraus. Aber diese Argumente hört man von Ihrer Seite an dieser Stelle recht wenig.

Und nun zu einem Argument, das sozusagen immer als die größte Keule in der Argumentation herangeführt wird, das ist die Frage der angeblichen Beweislastumkehr bei festgestellten Verstößen gegen das Antidiskriminierungsgesetz. Sie als Minister der Justiz sollten eigentlich wissen, dass es sich hier bei diesem Entwurf nicht um eine Beweislastumkehr, sondern um eine Beweiserleichterung handelt. Genau die hat die EU in ihrer Richtlinie vorgeschrieben.

(Beifall bei der SPD)

Eine bloße Behauptung, diskriminiert worden zu sein, genügt eben nicht allein. Es müssen objektive Tatsachen vorgetragen werden, die eine Diskriminierung sehr wahrscheinlich erscheinen lassen. Deshalb liegt die Beweislast für die Kausalität von Merkmal und Diskriminierung nach wie vor beim Benachteiligten. Erst dann, wenn ein Richter die Argumente als schlüssig ansieht, muss derjenige, der diese Benachteiligung zu verantworten hat, seine Beweise dafür antreten. Das ist also in keinster Weise mit einer so genannten Beweislastumkehr zu vergleichen. Und im Übrigen, meine Damen und Herren, möchte ich darauf verweisen, dass fast exakt - einige behaupten sogar, wortgleich - die gleiche Regelung im deutschen Recht schon existiert, nämlich in § 611 a BGB, seit über 15 Jahren. In dem Zusammenhang zu der befürchteten Klageflut: Seit dieser Zeit gab es in ganz Deutschland ca. 100 Fälle. Auch zu dem Argument, es wird jetzt eine Kostenexplosion auf beispielsweise Unternehmer - oder was weiß ich wen - zukommen: Das, muss ich sagen, ist auch so ein Argument, da kann man nur schmunzeln. Kosten entstehen erst, wenn eine Verurteilung vorgenommen worden ist oder wenn eine Benachteiligung festgestellt worden ist. Und wenn sie festgestellt worden ist, dann hat man auch gegen das Gesetz verstoßen und damit sind die Kosten auch gerechtfertigt. So viel dazu, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Ich will es bei diesen beiden Beispielen, die meines Erachtens die gravierendsten Diskrepanzen in der Argumentation der Union zu diesem Gesetz verdeutlichen, belassen. Ich möchte zum Abschluss darlegen: Ich finde, meine Fraktion findet, Deutschland braucht dieses Gesetz.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Es braucht dieses Gesetz auch aus Respekt vor den Minderheiten und vor denen, die es ohnehin schwer haben in dieser Gesellschaft. Diese Debatte in dieser Art und Weise zu führen, ist im Übrigen im Verhältnis zu unseren ausländischen Nachbarn schädlich für unser Land.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Ein solches Gesetz führt zu Rechtssicherheit, weil die EU-Richtlinie ohnehin beachtet werden muss, und für deutsche Gerichte ist es im Moment eine Situation, die sozusagen von großer Rechtsunsicherheit geprägt ist. Dieses Gesetz ist dafür geeignet, auch im Zusammenleben oder im Zusammenfinden der Europäischen Union einen weiteren Schritt, einen weiteren Baustein zu leisten. Dazu, meine Damen und Herren, fordere ich die Union ausdrücklich auf, denn ich glaube mich zu erinnern, zur Frage der

EU-Verfassung hat die Union eine ganz klare Position für diese Verfassung

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Hatte sie. Du weißt ja nicht, was gerade pas- siert. Wer weiß, was Frau Merkel noch einfällt.)

abgelegt. Einer der wesentlichsten Bestandteile dieser Verfassung - manche sagen, der wesentlichste Bestandteil - ist die Charta der Grundrechte. Genau dieser Charta entspricht dieses Gesetz, meine Damen und Herren. Danke schön.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Das Wort hat Abgeordnete Walsmann, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ein Kunde möchte sich in einer Bank nur von einem bestimmten Mitarbeiter beraten lassen oder ein Vermieter bevorzugt eine Familie mit Kindern gegenüber einem anderen Interessenten bei der Vergabe seiner Mietwohnung. Das geht nicht, sagt die Bundesregierung und legt den Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes vor. Ich will zu Beginn meiner Rede gleich sehr deutlich auch noch mal betonen, falls es vorhin im Redebeitrag von Herrn Minister Schliemann untergegangen ist: Die CDU wendet sich wie schon bisher so auch heute und in Zukunft mit aller Entschiedenheit gegen Diskriminierung und Intoleranz.

(Beifall bei der CDU)

Das ergibt sich schon aus dem christlichen Menschenbild, welches von der Unverletzbarkeit der Würde jedes Einzelnen ausgeht.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Die Nächs- tenliebe haben Sie noch vergessen.)

Daraus, lieber Herr Höhn, leitet sich ab, dass sich eine Gesellschaft Regeln gibt, die deutlich machen, dass negative Diskriminierung gegen die Würde des Menschen verstößt und geahndet werden muss. Einige dieser Regeln haben Sie ja sogar aufgezählt, ich nenne Grundgesetzbestimmungen, ich nenne die BGB-Bestimmungen und die SGB-Bestimmungen.