Protocol of the Session on June 3, 2005

(Beifall bei der PDS, SPD)

Ich hoffe, dass wir deshalb zu einer sachlichen Beratung, auch was die politische Ausrichtung betrifft, zurückkehren können. Ich will allerdings auch mit aller Deutlichkeit sagen, meine Damen und Herren, und nun gehe ich mal über die Landesgrenzen innerhalb Deutschlands, nämlich nach Sachsen. Der Amtskollege von Herrn Althaus, Herr Milbradt, hatte zu dem Thema auch eine Äußerung, die auf der Homepage der Sächsischen Staatsregierung am 10. März 2005 zu lesen war. Die hieß, dass er der Auffassung ist, dass es um eine Privilegierung der Unnormalen bei diesem Gesetz ginge. Ich hoffe nicht, meine Damen und Herren, dass dies tatsächlich die tiefergehende Meinung von Herrn Milbradt war; ich gehe mal davon aus, es war ein Ausrutscher. Ich hoffe aber auch nicht, dass derartige Gedanken, unsere Gesellschaft, die Menschen, die in ihr leben, in unnormale und normale einteilen zu wollen, etwa einer der politischen Hintergründe Ihres heutigen Antrags oder Ihrer Stellungnahme sind, Herr Minister Schliemann. In diesem Zusammenhang muss ich sagen, für einen solchen Gesetzentwurf war es höchste Zeit; er ist zur richtigen Stelle gekommen und er findet unsere Unterstützung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Nothnagel.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, nun möchte ich mich als Unnormaler auch noch zum Antidiskriminierungsgesetz melden.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Da müssten wir uns ja auch noch melden. Es können ja nicht alle reden.)

Dass Sie, meine Damen und Herren von der Landesregierung und von der CDU, keine Ahnung von Gleichstellung, geschweige von Antidiskriminierung

haben und dass Ihnen jegliches Fingerspitzengefühl dafür fehlt,

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Das ist eine Unterstellung!)

(Beifall bei der PDS, SPD)

haben Sie ja gestern wieder mal bestens bewiesen, indem Sie nämlich unseren Antrag nicht mit uns diskutieren wollen, sondern einfach wieder abgebügelt und ihn nicht in die Ausschüsse überwiesen haben.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Sie, die Mitglieder der Landesregierung und auch der Landesbehindertenbeauftragte, Dr. Brockhausen, haben sich sehr ablehnend zu der Antidiskriminierungsgesetzgebung der Bundesregierung geäußert und haben behauptet

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Das ist frech.)

- was ist da frech, das sind Wahrheiten -, das Gesetz sei viel zu weitgehend. Nun legen Sie noch eins drauf und beschwören den Untergang der Wirtschaft in Thüringen und - noch viel schlimmer - den Niedergang des Abendlandes. Nun ist die EU wegen ihrer früheren Worte in einer Wirtschaftsgemeinschaft nicht besonders wirtschaftsfeindlich eingestellt, im Gegenteil. Man denke nur an den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr und Ähnliches. Trotzdem legt die EU schon seit Jahrzehnten viel Wert auf Antidiskriminierungspolitik, auch in Form von Richtlinien, also Rechtsvorschriften. Die Antidiskriminierungsvorschriften der EU beziehen auch Menschen mit Behinderung ein, und zwar bezogen auf alle Lebensbereiche, also auch auf den Bereich Arbeit und Wirtschaft. Die Arbeitgeber sind aufgefordert, im konkreten Falle alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Menschen mit Behinderung den Zugang zu Beschäftigung, Ausübung eines Berufs und den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen. Ist das etwas Verwerfliches oder etwas Unmoralisches? Ist das eine Zumutung für die Thüringer Wirtschaft, frage ich Sie? Es kann zum Beispiel darum gehen, einem Rollstuhlfahrer ein barrierefreies Büro im Erdgeschoss zur Verfügung zu stellen, statt einen Raum zwei Etagen höher, zu dem es keinen Fahrstuhl gibt.

Meine Damen und Herren, hinweisen möchte ich auch darauf, dass die EU-Kommission im Juli 2004 gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hatte, weil das Antidiskriminierungsgesetz oder die Antidiskriminierungsrichtlinie noch

nicht in nationales Recht überführt war.

Liebe Kollegen der CDU, von Ihnen kommt der Vorwurf, es ist eine Katastrophe, dass der Gesetzentwurf über die EU-Richtlinie hinausgeht. Darauf unsere Antwort als PDS-Fraktion: Es ist keine Katastrophe, kein Kritikpunkt, denn in manchen Ländern der EU gab es schon vor dem In-Kraft-Treten dieser EU-Richtlinie innerstaatliche Regelungen, die erheblich über diese EU-Richtlinie hinausgingen. So bestand ein solcher umfassender Schutz zum Beispiel schon in Dänemark und in Großbritannien. Das sind wirklich wirtschaftsfreundliche Länder. Andere Mitgliedstaaten haben in Umsetzung der Richtlinie Regelungen getroffen, die über die EU-Normen hinausgehen, zum Beispiel Schweden. Doch über diese Fragen könnte sicherlich Herr Dr. Brockhausen besser Auskunft geben, der jahrelang in Brüssel tätig war.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, EU-Richtlinien verstehen sich als Mindeststandard mit Anforderungen an die Mitgliedstaaten. Diesen Mindestschutz auszubauen, zumal dann, wenn die nationalen Verfassungen ausdrückliche Aufträge zur praktischen Gleichstellungsmaßnahme enthalten, ein solcher Handlungsauftrag findet sich in Artikel 2 Abs. 4 der Thüringer Verfassung.

Die CDU-Fraktion behauptet allen Ernstes, dass dieses Gesetzesvorhaben schädlich für die deutsche, also auch für die Thüringer Wirtschaft sei. Über die Äußerung des Thüringer Landesbehindertenbeauftragten Herrn Brockhausen am 1. Februar dieses Jahres in seiner Pressemitteilung war ich sehr entsetzt. Er lies verkünden, Frau Präsidentin, ich zitiere: „Der Thüringer Beauftragte für Menschen mit Behinderungen, Dr. Paul Brockhausen, hat den rotgrünen Entwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz in weiten Teilen abgelehnt. Mit der Ausdehnung des Antidiskriminierungsverbots im allgemeinen Zivilrecht gehe der Entwurf über die Forderungen der drei EGRichtlinien hinaus. Außerdem sei er nicht frei von einer gewissen ideologischen Färbung. Dieses Verbot geht deutlich über die Merkmale Rasse und ethnische Herkunft hinaus.“ So Brockhausen in seiner Stellungnahme. „Was das Merkmal ‚Behinderung’ angeht, vermisse ich in der Gesetzesbegründung nähere empirische Daten. So wird die Erforderlichkeit der gesetzlichen Regelung einfach unterstellt und - schlimmer noch - eine ganze Gesellschaft unter Generalverdacht gestellt. Ferner wurde in der Begründung bemängelt, dass es in Deutschland bisher keine Kultur der Antidiskriminierung gebe. Allerdings wäre es nur dann nötig, wenn wir auf der anderen Seite in einer Diskriminierungskultur leben würden und dies sei“ - so Brockhausen - „keineswegs der Fall. Grundsätzlich haben die EU-Richtlinien und damit der Gesetzentwurf aber ihre Berech

tigung. Nachweislich gibt es Benachteiligungen auch gegenüber Behinderten. Außerdem betreibt der Entwurf keinen Diskriminierungsschutz um jeden Preis, sondern versucht auch, entgegenstehende Grundrechtspositionen Betroffener im Arbeitsbereich und persönlichen Wirtschaftsverkehr zu schützen.“ Was denn nun, Herr Dr. Brockhausen, brauchen wir nun ein Antidiskriminierungsgesetz mit Menschen mit Behinderungen oder nicht? Sind Sie nun ein Vertreter für die Menschen mit Behinderungen hier im Freistaat oder nicht? Oder sind Sie nur ein Anhängsel der Landesregierung, die bis heute noch nichts von der Teilhabe behinderter Menschen verstanden hat? Oder sind Sie, was ich noch viel schlimmer finden würde, ein Lobbyist des Kapitals, welches nur fordert, die Kosten zu reduzieren und somit auf Maximalprofit aus ist und nicht einmal Steuern zahlt? Also wo stehen Sie? Die behinderten Menschen in Thüringen haben ein Recht darauf, dies von Ihnen nun endlich zu erfahren, um abwägen zu können, ob sie überhaupt ihre Interessen vertreten. Übrigens, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion und Herr Dr. Brockhausen, wo sind denn nun Ihre empirischen Daten zur Untersetzung Ihrer Untergangsbehauptung?

(Unruhe bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Vergangenheit wurden bereits verschiedene Änderungen in das Antidiskriminierungsgesetz eingearbeitet. Beispielsweise wäre zu nennen das Miet- und Versicherungsrecht sowie Vereinfachung im Arbeitsrecht. Somit ist man unterschiedlichsten Lobbygruppen hinreichend entgegengekommen. Aus meiner Sicht ist es endlich an der Zeit, dass das Antidiskriminierungsgesetz in Kraft tritt, denn an konkret erlebten Beispielen möchte ich nachweisen, dass dieser Gesetzentwurf sehr sinnvoll, unbedingt nötig und schon längst überfällig ist.

Beispiel 1: Kreditkarte - keine Unfallversicherung für pflegebedürftige Kreditkartennutzer. Gerade im Versicherungswesen gibt es noch viele Benachteiligungen für behinderte Menschen. Als ich vor ein paar Jahren eine Kreditkarte beantragte, wurde mir gesagt, dass ich im Schadensfall keine Leistung automatisch bekomme, die ich aber mit finanziere und für alle anderen geltenden Unfallversicherungen diese Versicherungsleistungen bekomme. Der Grund ist meine Pflegebedürftigkeit. Dies steht in § 3 der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen. Damit Pflegebedürftige und Geisteskranke - diesen Begriff möge man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen -, wie es in den allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen noch lautet, nicht mehr länger pauschal vom Versicherungsschutz ausgeschlossen werden, fordere ich das baldige In-Kraft-Treten des zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetzes.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Beispiel 2 - weniger Schmerzensgeld für Behinderte: Selbst Justizministerin Brigitte Zypris musste bei der Begrüßungsaktion der Bundestagsabgeordneten im Rahmen der Kampagne „Nichts ohne uns! Behinderte ins Antidiskriminierungsgesetz!“ am 8. September 2003 zugeben, dass im Versicherungswesen noch viele Diskriminierungen vorkommen. Heidi Liebchen aus Hamburg kann davon ein Lied singen, denn ohne ihren massiven Widerstand wäre sie aufgrund ihrer Behinderung von einer Versicherung mit weniger Schmerzensgeld abgespeist worden. Heidi Liebchen hatte als Kind eine chronische Osteomyelitis, bei der ihr linkes Bein so oft operiert wurde, dass sie keinen Hüftkopf, keine Hüftpfanne mehr hat sowie ein schlotterndes Knie. 1997 bekam sie dann als 24-Jährige ein Hüft- und ein Kniegelenk am linken Bein. Vor einigen Jahren hatte sie dann einen sehr schweren unverschuldeten Unfall, in dem sie beim Linksabbiegen von einem Autofahrer übersehen wurde, so dass sie durch diesen Unfall in einen Auffahrunfall verwickelt wurde. Durch viele Schutzengel ist sie leicht verletzt aus dem völlig demolierten Auto herausgekommen. Und was schrieb ihre Versicherung? Durch unfallunabhängige Vorschädigungen steht der Geschädigten nicht so viel Schmerzensgeld zu. Erst auf ihr Schreiben, in dem sie die Frage aufwarf, ob Behinderte Menschen zweiter Klasse sind, deren Schmerzen weniger wert sind, sowie mit Hilfe eines geharnischten Schreibens ihres Anwalts hat die Versicherung ein angemessenes Schmerzensgeld bezahlt. Damit behinderte Menschen im Versicherungswesen nicht weiter diskriminiert werden, fordere ich das zivilrechtliche Antidiskriminierungsgesetz.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Beispiel 3: Ein drittes Beispiel wäre der neu geschaffene Baumkronenpfad im Hainich. Auf Einzelheiten werde ich jedoch heute nicht weiter eingehen, da diese Problematik in der Öffentlichkeit meinerseits bereits oft genug angesprochen wurde. Diskriminierend ist hier vor allem die Tatsache, dass Menschen mit Behinderungen bei der Planung und beim Bau dieses Pfades überhaupt nicht berücksichtigt wurden.

Die Aufzählung könnte ich beliebig lang fortführen, aber, ich denke, dies führt hier zu weit und Ihre Konzentration, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, lässt leider auch schon nach. Fakt ist für die PDS: Erstens, wir sagen Ja zu einem weit reichenden Antidiskriminierungsgesetz und zweitens, wir fordern die schnellstmögliche Verabschiedung dieses Gesetzes im Interesse der Betroffenen.

(Beifall bei der SPD)

Ihr Anliegen, werte Kollegen der CDU, ist rückwärts gewandt und wird von uns abgelehnt.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir noch ein Wort zu dem Redebeitrag von Frau Walsmann. Frau Walsmann, bitte machen Sie doch mal wirklich einen Tag lang einen Selbstversuch, indem Sie nur mal versuchen, das Leben einer Behinderten an einem Tag im Alltag nachzuempfinden oder zu erleben. Dann würden Sie, denke ich, schon sehr schnell merken, was es bedeutet, Diskriminierung hier heute in Deutschland und auch in Thüringen zu erleben. Mir geht es zumindest so, ich erlebe sie täglich. Ich frage mich, in welcher Welt Sie leben.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Kretschmer, CDUFraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, zunächst möchte ich für meine Fraktion deutlich sagen: Wir wollen mit dem Antrag weder die rotgrüne Bundesregierung vorführen, noch ist er überflüssig, sondern ich werde versuchen, Ihnen deutlich zu machen, welche fatalen Folgen dieses Gesetz, wenn es denn in Kraft treten sollte, unter anderem auch für die Beschäftigung haben wird. Das ist, glaube ich, ein Thema, was uns sehr wohl interessiert. Da Sie ja bei der Union die Absicht vermuten, gegen das Gesetz hier aufzutreten, möchte ich zumindest einen Neutralen zitieren. Der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Erfurt hatte an den Fraktionsvorsitzender der CDU …

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Haben Sie jetzt „neutral“ gesagt?)

Ja, natürlich habe ich „neutral“ gesagt, denn ihr seid doch im Lagerdenken, links und rechts oder so was.

(Beifall bei der PDS)

Der Hauptgeschäftsführer schreibt an Frau Lieberknecht, die Fraktionsvorsitzende meiner Fraktion, er bittet sie, ihren Widerstand gegen dieses fatale Vorhaben fortzusetzen bzw. noch zu verstärken. Mit „fatalem Vorhaben“ meint er natürlich das Antidiskriminierungsgesetz.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Natür- lich!)

Herr Höhn, das müssen Sie schon zur Kenntnis nehmen, wie sich die Wirtschaft hierzu äußert.

(Unruhe bei der SPD)

Er schreibt weiterhin: „Der Bundesregierung geht es mit diesem Gesetzesvorhaben vor allem darum, ideologische Bedürfnisse maßgeblicher Strömungen in den sie tragenden Parteien zu befriedigen. Fast noch schwerer als der Schaden in der Sache würde jedoch wiegen, dass der derzeitige Stimmungswandel hin zu mehr Akzeptanz von Reform durch die Konsequenzen des Gesetzes gestoppt, wenn nicht gar ins Gegenteil verkehrt würde.“ So weit erst mal aus der Industrie- und Handelskammer. Ich will aber daran gleich ansetzen. Es ist ja bekannt und ich denke, es ist schlimm genug, dass die Arbeitslosigkeit in den letzten Monaten Rekordstände erreicht hat. Fünf Millionen ist eine Grenze, die in der Nachkriegsgeschichte einmalig ist und ein konjunktureller Aufschwung ist kurzfristig nicht in Sicht. Der Standort Deutschland verliert im internationalen Wettbewerb immer mehr an Boden. Die rotgrüne Regierungskoalition sieht die Ursachen dafür vor allem in der fehlenden Bereitschaft der deutschen Unternehmer, mehr zu investieren und damit Voraussetzungen für mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Wiederum ein Zitat eines Neutralen - Bert Rürup, der Vorsitzende des Sachverständigenrates sagt: „Klassenkampfrhetorik und Hetzkampagnen gegen die Unternehmer sind Ausdruck dieser Hilflosigkeit.“

Neben zu hohen Lohnzusatzkosten, einem unübersichtlichen Steuersystem und überbordender Bürokratie ist dafür auch ein überreguliertes und viel zu starres Arbeitsrecht verantwortlich. Hier und da gelingt es den Tarifpartnern zwar, sich im Interesse der Arbeitsplätze mit Hilfe von betrieblichen Vereinbarungen ein wenig Luft zu verschaffen, doch werden diese ermutigenden Signale stets konterkariert von gesetzlichen Regelungen der rotgrünen Bundesregierung, die immer neue Hürden für die Wirtschaft errichtet. Zu der unaufhörlich wachsenden Zahl rotgrüner Wachstums- und Beschäftigungsbremsen gehört auch der vorgelegte Entwurf des Antidiskriminierungsgesetzes. In dieser Situation ist es völlig unverständlich, dass den Unternehmern, den Unternehmen mit diesem Gesetz ein neues rotes Tuch vorgehalten wird, nämlich in Form eines Bürokratiemonsters. Die vorgesehenen Normierungen überfordern vor allem kleine und mittlere Unternehmen und damit den größten Teil der Betriebe in Thüringen. Ich erinnere daran, von 73.000 Unternehmen in Thüringen sind es gerade 59 mit einer Belegschaftsstärke von mehr als 500 Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen. Diskriminierung zu verhindern, das ist eine gute Sache. Wir lassen uns auch von Ihnen die Worte nicht im Munde umdrehen. Das Grundgesetz ist in dieser Frage eindeutig. Klagen gibt es in Deutschland

kaum. Warum jetzt aber ein bürokratisches Monster, mit dem die Bundesregierung weit über das durch die EU-Richtlinie vorgeschriebene Maß hinausgeht und damit vorsätzlich unnötigen Ballast und Wettbewerbsnachteile für die deutsche Wirtschaft produziert? Nachdem Berlin zunächst mit der Umsetzung der europäischen Vorgaben so lange gewartet hat, bis sich Brüssel zu einem Vertragsverletzungsverfahren herausgefordert sah, folgt jetzt die Rache des Oberlehrers, der alles besser weiß. Es wäre völlig ausreichend gewesen, wenn die EU-Vorgaben zum richtigen und wichtigen Schutz gesellschaftlicher Gruppen vor Diskriminierung 1 : 1 umgesetzt worden wären. Bereits nach diesen Vorgaben ist in Beschäftigung und Beruf ein umfassendes Benachteiligungsverbot wegen Rasse, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexueller Ausrichtung gewährleistet. Der Begriff „Diskriminierung“ ist dabei außerordentlich weit gefasst und beinhaltet auch so genannte Belästigungen, wenn diese mit Rasse, Geschlecht, Religion in Zusammenhang stehen. Darüber hinaus gilt noch eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Arbeitnehmers. Wenn dieser etwa bei einer verweigerten Einstellung Tatsachen glaubhaft machen kann, die eine Diskriminierung vermuten lassen, muss der Arbeitgeber beweisen, dass er den Arbeitnehmer nicht diskriminiert hat.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Die Beto- nung liegt auf „glaubhaft“.)

All das zeigt, dass die europäischen Regelungen ohnehin schon ein außerordentlich hohes Schutzniveau erreichen. Es wäre durchaus zu fragen gewesen, und zwar rechtzeitig vor Erlass der EURichtlinie, ob die Lage der formell geschützten Personengruppen in der EU wirklich derart weitgehende Regelungen erfordert hätte und ob das Subsidiaritätsprinzip eine Normsetzung durch den Rat der Europäischen Union überhaupt rechtfertigt. Um es klar zu sagen, die Richtlinien sind in einzelnen Regelungen überzogen. Sie stellen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen vor zum Teil unkalkulierbare Risiken. Es wäre Aufgabe der Bundesregierung gewesen, diese Vorschriften vor der Umsetzung in deutsches Recht sorgfältig und gründlich zu analysieren und die noch verbliebenen Gestaltungsmöglichkeiten zu Gunsten der deutschen Unternehmen zu nutzen. Der am 16. Dezember 2004 von den Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachte Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes stellt sich dieser Notwendigkeit allerdings nicht. Er verschärft im - Gegenteil - die bereits angelegten Probleme noch und ist in der Wirtschaft zu Recht auf scharfe Kritik gestoßen. Rotgrün erweitert ohne Not das hierzulande schon bestehende Regelungsdikkicht. Das ist wieder ein Beispiel für die verfehlte Auffassung, wonach alles besser wird, wenn der Staat

nur möglichst viel regelt.

Meine Damen und Herren, wenn zwei linke Hände helfen wollen, geht bekanntlich immer etwas schief. Auf Druck der Wirtschaft wurde schon die widersinnige Haftung des Arbeitgebers für Dritte, zum Beispiel Kunden, gestrichen. Positiv ist auch, dass das Diskriminierungsverbot wegen des Alters bezüglich Altersrenten und Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen geändert werden soll, eine Ungleichbehandlung also möglich bleibt. Aber auch nach den Korrekturen bleibt der Entwurf ein Angriff auf den Standort Deutschland und die Vertragsfreiheit aller Bürger. Der Entwurf des Gesetzes ist von Misstrauen vor allem gegenüber den Arbeitgebern geprägt. Hier hat sich Rotgrün mit besonderem Feuereifer der Forderung der EU nach abschreckenden Sanktionen angenommen und diese auf besonders drastische Weise interpretiert. Frau Kollegin Walsmann hat bereits darauf hingewiesen. Besonders gefährlich in ihren Folgen für das Einstellungsverhalten von Unternehmen und auch das Klima in den Betrieben ist die Verpflichtung von Arbeitgebern, bei Diskriminierung - unabhängig von ihrem oder dem Unternehmen zurechenbaren Verschulden - Entschädigungen in grundsätzlich unbegrenzter Höhe zu zahlen. Nicht nur bei bestehender Belegschaft, sondern auch vor allem bei Einstellungsverfahren werden sich Unternehmer daran gewöhnen müssen, die Tatbestände der Diskriminierungsvorschrift sorgfältig zu definieren. Ich möchte Ihnen gerne einige Beispiele vorführen, Herr Kollege Höhn, da Sie ja mit anderen Beispielen kamen.

Beispiel 1: Ein Unternehmen aus Erfurt schreibt eine Stelle aus. Es bewirbt sich - das ist nicht ungewöhnlich - eine hohe Anzahl von Arbeit Suchenden, beispielsweise ein türkischer Staatsbürger, ein Emigrant aus Indien, ein schwerbehinderter Deutscher, ein Deutscher im Alter von 60 Jahren sowie ein homosexueller Deutscher. Diese Bewerber werden zum Vorstellungsgespräch geladen. In den Einzelgesprächen kommen jeweils die genannten persönlichen Tatsachen, wie ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht, Alter und sexuelle Orientierung zur Sprache. Der Unternehmer entscheidet sich schließlich für einen Bewerber, der keiner Diskriminierungsgruppe angehört. Die fünf abgewiesenen Bewerber klagen nun jeder für sich auf Schadenersatz, wobei sie jeweils die Ablehnung aus den genannten Gründen vor Gericht glaubhaft machen. Der Unternehmer kann in keinem Fall den Entlastungsbeweis führen und wird daher, obwohl es sich um die Besetzung nur einer einzigen Arbeitsstelle handelt, fünfmal zur Zahlung eines vollen Schadenersatzes verurteilt.