Begründung: Das Konzept der Landesregierung wurde am 25. Januar vorgestellt. Ausdrücklich betonte der zuständige Minister Prof. Dr. Goebel, er wolle den Entwurf zur öffentlichen Diskussion stellen. Dem Ansinnen sollte sich die Stadt Weimar, Verwaltung und Stadtrat, nicht verschließen. Ferner war dem Statement des Ministers zu entnehmen, dass ab dem nächstem Schuljahr Pilotprojekte entwickelt und gefördert werden sollen. Auch hier sollte sich Weimar mit seiner reichhaltigen Schullandschaft einbringen."
Dieser Antrag könnte natürlich von der CDU stammen, er wurde aber von den Grünen eingebracht. Er ist übrigens einstimmig beschlossen worden mit den Stimmen von SPD und PDS.
Nun kenne ich die Grünen nicht unbedingt als progressive Partei, aber in diesem Fall zeigt die Weimarer Fraktion durchaus Sinn für Zukunft, denn das Konzept "Bildung und Betreuung" weist deutlich in die Zukunft.
Die öffentliche Diskussion ist im Gange und ich könnte Ihnen von vielen Gesprächen über das Konzept berichten, etwa von einer sehr sachlichen Informationsveranstaltung Anfang Februar in Weimar mit zahlreichen Hortnerinnen, Kindergärtnerinnen, Lehrerinnen, Eltern, Kultusministerium. Sie können sich gern über die veröffentlichte Nachlese erkundigen, aber das neue Konzept wurde durchweg nicht als Bedrohung, sondern nach der eingehenden Erklärung von Ziel und Absicht als Chance begriffen.
Der zitierte Antrag der Weimarer Grünen ist ein Ergebnis dieser Veranstaltung. Zwar gibt es viele offene Fragen, unbestritten, aber das Konzept der Landesregierung ist ein Angebot und wir sollten es hier unverkrampft diskutieren. Wer sich an einer Diskussion über die Richtung und die Möglichkeiten, die in dem Konzept bereitliegen, nicht konstruktiv beteiligt, sondern sich verweigert und bloß angstvoll nach hinten schaut, wird der Entwicklung hinterherlaufen.
Unsere Gesellschaft verändert sich und sie verändert sich mit ungewohnter Beschleunigung. Das ist keine Floskel, sondern die Erklärung für viele Ungleichzeitigkeiten und Unstimmigkeiten zwischen Staat und Gesellschaft. Also muss sich auch das Bildungssystem ändern, aber ändern heißt, mindestens Tendenzen der Zeit aufnehmen. Eigentlich sollte das Bildungssystem Entwicklungen sogar wie zu Humboldts Zeiten antizipieren. Bildung und Betreuung sind ein entsprechendes Handlungsangebot, es ist keine Anweisung.
Von den sehr konkreten Zielen dieses Angebots war die Rede: Vernetzung, Verknüpfung, Synergie. Aber natürlich liegen dem Angebot bildungspolitische Leitbegriffe zugrunde. Einige Worte dazu: Wir brauchen mehr Eigenverantwortung in den Schulen und auch die inhaltliche Verantwortung der Schulträger. Dieser Satz stammt nicht wörtlich aus dem Konzept, obwohl das passen würde, sondern ist eine Forderung der Kollegin Reimann von der PDS, vorgetragen in der PISA-Debatte im Dezember. Nur bewegt sich die PDS-Bildungspolitik eher, wenn ich das recht überblicke, hin zu Zentralisierung, Vereinheitlichung, Homogenisierung und Steuerung von oben. Aber ich gehe zuversichtlich davon aus, dass die Kollegin Reimann eine Vorkämpferin des Konzepts in der PDS-Fraktion wird. Denn das Konzept "Bildung und Betreuung" lebt wesentlich von der Idee der stärkeren Eigenverantwortung.
Das System des PISA-Siegers Finnland hat, entgegen landläufiger Polemik, nur äußerlich etwas mit der DDR-POS oder der sozialdemokratischen Gesamtschule in Deutschland zu tun. In Finnland hat fast die Hälfte der Schulen weniger als 50 Schüler. Die Schulen sind fest verankert im Sozialraum. Es gibt drei aufeinander aufbauende Schulformen, und zwar neun Jahre gemeinsames Lernen, aber eine sehr große Binnendifferenzierung. Sie steigert sich zu einem Kurssystem mit größter Wahlmöglichkeit für die Schüler bei zugleich strengsten Bildungsstandards und ständigen Leistungsüberprüfungen. Das Zentralabitur beeinflusst das Gesamtniveau hinunter bis zur Gesamtschule. Und das Wichtigste: Die Autonomie der Schulen reicht bis hin zur Freiheit, Lehrer einstellen und entlassen zu können. Jede Schule, getragen von der jeweiligen Kommune, ist verpflichtet, ein eigenes Profil zu entwickeln, um sich im Wettbewerb zu behaupten. Die Lehrpläne werden von den Kollegien erstellt und natürlich gibt es keine Schulbezirke.
Die OECD-Studie im September empfiehlt die Kommunalisierung des Lehrpersonals ausdrücklich. Aus Erfahrung vieler OECD-Staaten, der Minister hat es genannt, in denen die Kommunen hohe bildungspolitische Zuständigkeit besitzen, wissen wir, Dezentralisierung und Verlagerung bildungspolitischer Kompetenzen stärken die Verantwortung vor Ort, den Wettbewerb und die Qualität. Vielfalt der Träger bedeutet mehr Wettbewerb und Wettbewerb führt erfahrungsgemäß zu einem stärkeren Bemühen um Qualität.
Die notwendige engere und neue Kooperation zwischen Schulen, Kommunen, freien Trägern und Schulämtern sehen wir als Chance zur Weiterentwicklung eigenverantwortlicher Schulen und ihrer Profilierung in der Region. Wir sehen dieses Konzept als Chance zur Profilierung der jeweiligen Region - Bildung als Standortfaktor. In Weimar werden wir diese Chance nutzen. Wenn andere das nicht tun, ist das deren Problem.
Die Horterziehung ist und bleibt fester Bestandteil der Grundschulbildung. Das Hortangebot darf sich aber stärker an den Bedürfnissen der Kinder, der Eltern und also der Nachfrage vor Ort orientieren. Je nach Gegebenheiten im Sozialraum sollen die Eltern zwischen unterschiedlichen Hortträgern wählen können. Meine Tochter geht selber in die Grundschule und in einen Hort und ich bin halbwegs zufrieden. Ich kenne aber sehr viele, die überhaupt nicht zufrieden sind.
Im ländlichen Raum könnte die Nähe zum Wohnort entscheidendes Kriterium sein, in den größeren Städten ein anderes inhaltliches Angebot. Warum etwa sollte es keinen Hort geben, der sich etwas stärker musikpädagogisch profiliert. Die Kontinuität und Abstimmung des Erziehungs- und Bildungsprozesses muss überhaupt nicht beeinträchtigt werden und die Qualität erst recht nicht. Individualität, Vielfalt, Eigenverantwortung im Sozialraum, mehr Qualität, das ist die Kernbotschaft des Konzepts.
Anders geht es nicht, wenn wir ein leistungsfähiges, zeitgemäßes Bildungssystem entwickeln wollen. Wenn Sie, verehrter Kollege Döring, von einer Bildungsoffensive reden, so rennen Sie bei uns natürlich offene Türen ein. Das Konzept ist ein wichtiger Plan für diese Offensive und möglicherweise steckt da auch mehr Adorno drin als Ihnen lieb sein dürfte. Die frühere hessische Kultusministerin HammBrücher, die Vorkämpferin der Gesamtschule und der bildungspolitischen Gleichheit schlechthin, ließ ihre Kinder auf Schloss Salem unterrichten. Sie rechtfertigte sich: "Mit seinen eigenen Kindern ist man immer eigen." Wir werden mit den Thüringer Kindern und Schülern eigen sein und ihnen weiterhin eines der besten deutschen Bildungssysteme bieten und wir werden es weiterentwickeln.
Deshalb begrüßen wir das Konzept "Bildung und Betreuung" als wegweisende Diskussionsgrundlage ausdrücklich. Danke sehr.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Damen und Herren Abgeordnete, noch im Dezember versuchten Sie, Herr Prof. Dr. Goebel, die Bildungsexperten in Thüringen mit der Floskel zu beruhigen: Abwarten, das Konzept für "Bildung und Betreuung von 2 bis 16" wird Ende Januar der Öffentlichkeit vorgestellt und gibt Antworten auf die vielen Fragen. Die Antworten finden wir jedoch nicht, ist das Konzept doch nur ein Entwurf. Die Kommunalisierung der Horte wird nicht nur von der Öffentlichkeit kritisiert. Es gab da eine Vielzahl von Protesten, Sie gingen schon darauf ein, auch von CDU-Politikern und von Bildungsexperten. Gegen die Kommunalisierung der Horte gibt es jede Menge Proteste. Es macht keinen Sinn, diese Kommunalisierung voranzutreiben, an dieser Einheit von Grundschule und Hort auch nur irgendetwas zu ändern.
Im Konzept werden Wunschzustände formuliert der Abgeordnete Döring ging vorhin schon darauf ein - und mit vielen Begriffen hantiert. Wurde nicht wieder einmal der zweite Schritt vor dem ersten getan? Nein, die ersten wurden ja bereits in der vergangenen Legislatur gemacht, nämlich mit dem Einsetzen der Bildungsenquete und den vielfältig dort erarbeiteten Empfehlungen. Ich weiß nicht, wie sich die jetzt wieder hier im Landtag sitzenden Abgeordneten fühlen, die diese Empfehlungen offensichtlich für den Papierkorb erarbeitet haben oder die Ergebnisse einfach ignorieren. Offensichtlich ist jedoch, dass der Entwurf des Konzepts für Bildung und Betreuung den Empfehlungen der Enquetekommission in einigen Punkten widerspricht. So empfahl die Kommission, ich zitiere: "durch engere personelle sowie konzeptionelle Verflechtungen aufeinander folgender Bildungseinrichtungen kann die Zusammenarbeit verbessert werden.
Kooperationen müssen von unten wachsen und nicht von oben verordnet werden. Schule und Jugendhilfe können gegenseitig keine Kompensationsfunktion übernehmen, müssen sich aber im Interesse des Kindes weiterentwickeln und besser ergänzen." Macht das Konzept aber nicht genau das, was es verordnet von oben und vernichtet genau das, was bereits von unten gewachsen ist? 60 Prozent der Grundschüler - Sie erwähnten es bereits besuchen den Hort. Die Grundschulen und der Hort sind demnach nach dem Thüringer Schulgesetz eine
organisatorische Einheit und damit eine offene Ganztagsschule im Sinne der KMK. Die Verantwortung des Schulleiters erstreckt sich dabei auch auf den Bereich des Hortes. Unterricht und außerunterrichtliche Angebote werden aufeinander abgestimmt. Die Erzieherinnen und Erzieher sind in Unterrichtsprozesse einbezogen und an Schulentwicklungsprozessen beteiligt. Warum soll das aber geändert werden? Die Überführung der Grundschulhorte an die Kommunen bzw. freien Träger ist beschlossene Sache und wird durchgesetzt, trotz tausendfacher Proteste von Erzieherinnen, Eltern, Politikern und Kommunen. Ich frage Sie deshalb: Wie kann die Einheit von Grundschule und Hort gewahrt bleiben, wenn nach der Kommunalisierung der Thüringer Grundschulhorte Lehrer und Erzieher verschiedene Arbeitgeber haben? Flexible Schuleingangsphase, Förderung leistungsschwächerer oder leistungsstärkerer Schüler, Hausaufgabenhilfe und Freizeitaktivitäten - wird das noch gewollt? Wenn die Neueinstellung von Erzieherinnen und eventuell weiteren Kräften grundsätzlich nur durch kommunale oder freie Träger vorgenommen werden soll, bezeichne ich das einfach nur als eine Nötigung der Horte, dem von Ihnen vorgeschriebenen Weg zu folgen. Die Finanzen dazu werden weder langfristig noch ausreichend bereitgestellt. Bis 2008 sind diese sowieso durch das Floating-Modell gebunden. Eine Sicherheit über eventuelle Zuwendungshöhen gibt es ebenfalls nicht, auch darauf ging Abgeordneter Döring bereits ein. Der zukünftige Etat wird auf den Stand des Sparhaushalts 2005 und unter Maßgabe des Haushalts geregelt. Auch die mehrfache Wiederholung der 192 Mio. ! " machen das nicht besser.
Eine weitere Empfehlung der Enquetekommission bezog sich auf die Ausbildung der Erzieherinnen. Sie empfahl die Prüfung der Zweckmäßigkeit der derzeitigen Breitbandausbildung - auch darauf ging Abgeordneter Döring bereits ein. Diese Breitbandausbildung zum Erzieher für 0 bis 27 als geeignete personelle Voraussetzung für den Einsatz im Sinne des Gesamtkonzepts zu sehen, geht an den Tatsachen vorbei und wird von vielen Seiten kritisiert. Wo sind die von Ihnen, Herr Kultusminister Prof. Dr. Goebel, den Schulleitern erst Ende des vergangenen Jahres versprochenen Angebote? Welche Rahmenbedingungen werden von Ihnen benannt? Was Sie unter der dort versprochenen Verlässlichkeit verstehen, konnten wir in der Haushaltsdebatte des gestrigen Tages erleben. Mir kommt es eigentlich so vor, als ob überall dort, wo Thüringen überdurchschnittlich gut ist, Kürzungen in Kauf genommen werden, koste es, was es wolle. Unter dem gestrigen Eindruck der Haushaltsdebatte mit den vielen Kürzungen in vielen Bereichen der Bildung ist eines zu befürchten: Der Zugang zur Bildung für sozial schwächere Familien wird auf das Nötigste beschränkt.
Die sozialen Unterschiede - eine Ursache für das schlechte Abschneiden der Schüler bei PISA - werden zunehmen. Danke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Minister, meine Damen und Herren, bei der Bewertung dieses vom Kultusministerium geschriebenen Aufsatzes - Konzept wäre wirklich ein zu bedeutendes Wort, wie wir auch schon mehrfach gehört haben - halte ich es für erforderlich, auch auf die Rolle der Jugendhilfe einzugehen. Das Kultusministerium hat mehrfach in seinem Aufsatz die Jugendhilfe für sich vereinnahmt und formuliert, dass zukünftig die Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe verbindlich geregelt werden müsse. Diese Erkenntnis ist nicht neu, eine entsprechende Kooperationsvereinbarung wurde in den vergangenen Jahren wiederholt seitens der Landesregierung angekündigt. Sie kam aber nie zustande, weil sich offenbar die kommunalen Spitzenverbände geweigert haben und sie werden die Gründe dafür gehabt haben. Nun kündigt der Kultusminister unverdrossen erneut eine derartige Kooperationsvereinbarung an, aber sagt den Kommunen im Vorfeld schon einmal, was sie in Zukunft alles verändern sollen. Doch nicht nur das, er wirft den Landkreisen und kreisfreien Städten damit zugleich vor, dass die Wahrnehmung ihrer Verantwortung im Rahmen des SGB VIII nicht konsequent umgesetzt wurde. Das können Sie wortwörtlich nachlesen.
Und weil nach Auffassung der Landesregierung das Treten vor die Schienbeine der Kommunen offenbar die Kooperationsbereitschaft verbessern soll, wird auch noch heiter der finanzielle Druck erhöht, denn innerhalb von nur zwei Haushaltsjahren seit 2003 wurde die Jugendpauschale um 33 Prozent gekürzt. Das ist ein Drittel. Von den Millionenkürzungen im Kommunalen Finanzausgleich der Kommunen will ich dabei gar nicht reden. Die Landesregierung nimmt somit den Kommunen im Bereich der Jugendhilfe, insbesondere der Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit seit dem Jahr 2003 zunehmend den Handlungsspielraum. Mit dem jetzt verabschiedeten Landeshaushalt werden die Landkreise und kreisfreien Städte und deren Jugendämter samt der Jugendhilfeausschüsse gezwungen, Strukturen insbesondere im Bereich der Jugendarbeit und der Ju
Uns liegt eine Liste mit ca. 95 Einrichtungen vor, wo abgebaut oder auch zerstört wird. Das ist erst der Beginn.
Meine Damen und Herren, was in diesem Aufsatz des Kultusministers mit Blick auf die Jugendhilfe angekündigt wird, entbehrt überdies jeglicher Praxiserfahrung. Auch der Kultusminister sollte wissen, dass er rechtlich gar nicht in der Lage ist, derart in die kommunale Selbstverwaltung einzugreifen. Wenn sich irgendetwas in der Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendhilfe ändern soll - und das wäre beiderseitig durchaus sehr wünschenswert, auch von unserer Seite -, dann muss die Landesregierung endlich einen anderen Umgang mit denjenigen pflegen, die Leistungsträger der Jugendhilfe sind.