Protocol of the Session on April 3, 2009

Gestatten Sie mir wegen der Wichtigkeit dieser gesamten Angelegenheiten einen kleinen Rückblick auf die Entwicklung in den vergangenen Jahren. Auch 2003 hatten sich die drei Fraktionen im Thüringer Landtag zusammengefunden, um für den Ausbau der direkten Demokratie eine politische Lösung zu finden. Damals hatten 360.000 Bürgerinnen und Bürger mit ihren Unterschriften in einem Volksbegehren, ebenfalls getragen vom Bündnis „Mehr Demokratie in Thüringen“, das Signal gegeben, dass sie mehr Mitsprache und wirksame politische Gestaltungsrechte wollen. Leider hatte damals der Thüringer Verfassungsgerichtshof das Begehren gestoppt. Damit war aber das politische Anliegen nicht aus der Welt. Die damalige PDS-Fraktion und die SPD-Fraktion griffen das Volksbegehren auf und reichten es als Gesetzentwurf in den Landtag ein. Darüber hinaus legten sie in Zusammenarbeit mit dem Bündnis noch einen Reformvorschlag für ein neues Verfahrensgesetz vor. Nach längeren Verhandlungen war auch damals die CDU bereit, der politischen Botschaft der zigtausenden Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern nachzukommen und die direkte Demokratie zu erleichtern, zumindest für die Landesebene.

Ausgehend von diesem gemeinsamen Erfolg machte das Bündnis „Mehr Demokratie in Thüringen“, immerhin bestehend aus 20 Organisationen, auch für die Verbesserung der direkten Demokratie auf der kommunalen Ebene sich auf den Weg. Das war, wir erinnern uns, im Jahre 2004.

Nach eingehenden Diskussionen im Bündnis, die auch von Fachveranstaltungen zum Thema begleitet waren, reichten PDS- und SPD-Fraktion als die parlamentarischen Arme des Bündnisses im Jahre 2005 einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Landtag ein. Verbesserungen, die 2003 auf der Landesebene erreicht worden waren, sollten auch auf der kommunalen Ebene gelten. Bisher in Thüringen

nicht Vorhandenes, aber in den Ländern Bewährtes sollte eingeführt werden. So sollten die Quoren gesenkt, die Fristen verbessert, die Themenausschlüsse erheblich eingeschränkt werden, es sollte auch Bürgerbegehren und Bürgerentscheide auf Landkreisebene geben. Der Gemeinderat sollte den Bürgern einen Beschluss zur Entscheidung vorlegen können, so das genannte Ratsbegehren, wie es zum Beispiel in Bayern existiert. Vor dem Bürgerentscheid sollten die Stimmberechtigten ausführliche Informationen erhalten. Die Vertrauenspersonen bzw. Initiatoren des Begehrens sollten zu ihrem Anliegen Anwesenheits- und Rederecht im Gemeindrat erhalten. Statt eines Bürgerantrags sollte es einen Einwohnerantrag mit Beteiligungsrecht ab 14 Jahren geben. Damit sollten insbesondere Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit und junge Menschen eine Möglichkeit direkter demokratischer Mitsprache erhalten.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn ich allein den Jugendaspekt - nicht um ihn zu gewichten - hervorhebe, dann wissen wir, wie wichtig und notwendig es ist, gerade durch solche Beteiligungsmöglichkeiten junge Menschen dazu in die Lage zu versetzen, Demokratie und eigenes demokratisches Handeln zu erleben und selber mitzugestalten. Das ist eine ganz wichtige Frage für die Zukunft unserer Demokratie.

(Beifall DIE LINKE)

Leider mussten dann das Bündnis und die Oppositionsfraktionen dennoch erleben, dass die 2003 schon vorhandene Motivation der CDU-Mehrheitsfraktion in Sachen direkter Demokratie offensichtlich wieder ein Stück weit erlahmt war.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Der Gesetzentwurf lag etwa ein Jahr im Landtag und wurde dann abgelehnt. Doch das Problem, dass Thüringen bundesweit Schlusslicht in Sachen direkter Demokratie der Kommunen war, blieb ja dennoch bestehen. Also machte sich das Bündnis „Mehr Demokratie in Thüringen“ auf den Weg des Volksbegehrens „Mehr Demokratie in Thüringer Kommunen“. Es konnte aus Praktikabilitäts- und formalen Gründen nicht so umfangreich sein wie das Gesetz. Als inhaltliche Kernpunkte wurden die Senkung der Quoren, die Änderung von Fristen, die Beschneidung des Ausschlusskatalogs, die Ausweisung auf die Landkreisebene und der Einwohnerantrag aufgenommen. Der Fortbestand der freien Sammlung war selbstverständlich Grundlage des Volksbegehrens. Am 31. August 2007 war Startschuss für die Antragssammlung; 12.800 Bürgerinnen und Bürger unterschrieben. Dann will ich das noch einmal vorhalten:

12.800 Bürgerinnen und Bürger - weit mehr als das Doppelte an notwendigen Unterschriften, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Am 20. März 2008 begann die Sammlungsfrist für das zugelassene Volksbegehren; sie lief bis zum 19. Juli 2008. Wie schon beim Volksbegehren im Jahr 2000 machten Zigtausende Bürgerinnen und Bürger als Unterzeichner mit, aber nicht nur das, auch als Unterschriftensammler oder in anderen Formen der Unterstützung. Eine spannende und vielfältige Debatte über Bürgerbeteiligung, Demokratie, aber auch darüber, was denn nun wichtige, drängende Probleme in Kommunen sind, zu denen Bürger sich politisch einmischen wollen, fand in diesem Land statt. Meine Damen und Herren, wahrlich lebendige Demokratie als ein ganz wichtiges Gegenmittel gegen die viel diagnostizierte und beschworene Politik und Parteienverdrossenheit in unserem Land, welch ein Gewinn für Thüringen!

(Beifall DIE LINKE, SPD)

251.000 Thüringerinnen und Thüringen haben mit ihrer Unterschrift unter das Volksbegehren dokumentiert, dass sie mit ihrem politischen Willen und ihrem Engagement ernst genommen werden wollen und mehr noch, dass sie ihre Gesellschaft, ihren Alltag vor Ort selbst mitgestalten wollen. Das, meine Damen und Herren, ist dank der Initiatoren des Volksbegehrens ein großer Sieg für die Demokratie in Thüringen.

(Beifall DIE LINKE)

Die direkte Demokratie ist dabei nicht aus unserem gesamtgesellschaftlichen und politischen Gefüge etwa herauszudenken, sondern direkte Demokratie ist ein unverzichtbarer Weg und bei Sachentscheidungen ein wichtiges Grundprinzip der Thüringer Verfassung, wenn nicht gar, meine Damen und Herren, das Grundlegendste überhaupt unmittelbar Realität werden zu lassen. Das heißt, ohne den Zwischenschritt der Delegierung, der Entscheidung, der auf Vertreter, nämlich dem Grundsatz gerecht zu werden, alle Staatsgewalt, alle Macht geht von den Bürgerinnen und Bürgern, geht vom Volke aus, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Insofern betone ich das, was ich vielfach an diesem Rednerpult und in anderen Zusammenhängen betont habe, die Stärkung der Demokratie ist eine Stärkung unserer repräsentativen Demokratie und des Ansehens ihrer Institutionen im Land, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Direkte Demokratie ist eine wichtige, sogar notwendige Ergänzung für unsere parlamentarische Demokratie. Sie macht die parlamentarische Demokratie lebendiger, sie hilft den gewählten Vertreterinnen und Vertretern der Bürger in den Parlamenten besser zu erkennen, welche Themen die Menschen wirklich bewegen, welche Probleme in der Gesellschaft dringend gelöst werden müssen, sei dies nun auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Ich will schon in diesem Zusammenhang noch einmal hervorheben, wir haben jetzt in Thüringen ein gutes Ergebnis zu erwarten in Sachen direkter Demokratie, aber wir sollten auch das Signal weiter ganz deutlich aussenden, dass wir auch auf der Bundesebene direkte Demokratie in diesem Land brauchen, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Direkte Demokratie gibt den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, ihre Anliegen, ihr Engagement, ihr Wissen und ihre Kompetenzen unmittelbar zu Sachfragen in die politische Entscheidungsfindung einzubringen. Direkte Demokratie fördert die Akzeptanz der Demokratie überhaupt. Sie lässt die Bürgerinnen und Bürger erfahren, dass sie wirksame politische Gestaltungsmöglichkeiten haben und engagierte und selbstbestimmte Handlungen realisieren können. Diese gestiegene Akzeptanz unterstützt unser demokratisches System in seinem Ganzen.

Allerdings kann dies nur gelingen, wenn die Bürgerinnen und Bürger in ihrem Vertrauen auf ihre demokratischen, insbesondere auch ihre direktdemokratischen Rechte, nicht enttäuscht werden, meine Damen und Herren. Entsprechend groß ist die Verantwortung der von den Bürgern gewählten Vertreterinnen und Vertreter im Umgang mit einem Volksbegehren. Außerdem sollten die Vertreter gegenüber denen, die sie mit ihrem Vertretungsauftrag vertreten, den sie erfüllen wollen, auch immer wieder den direktdemokratischen Anliegen den notwendigen Respekt erweisen und im Grunde genommen ihn sogar in den Vordergrund schieben.

Während der Sammlungsfrist des Volksbegehrens waren in den Medien immer wieder Zwischenstände veröffentlicht worden, die auf einen positiven Ausgang schließen ließen. Am 4. August 2008 verkündete das Bündnis „Mehr Demokratie in Thüringen“ ihr Zählergebnis von 250.982 Unterschriften.

Mittlerweile - und das gehört natürlich auch zur Geschichte bis zum heutigen Tag - hatte die CDU im Maiplenum einen Gesetzentwurf zur Änderung der Kommunalordnung eingebracht. Er war dem Volksbegehrensgesetz scheinbar sehr ähnlich, vor allem

nach Änderungen im Innenausschuss, und enthielt als bundesweites Novum aber die ausschließliche Amtsstubensammlung. Außerdem sollte es weiterhin nur den Bürgerantrag geben.

Diese scheinbare Vorwegnahme des Volksbegehrens löste danach natürlich politische wie rechtliche Diskussionen aus, insbesondere als am 8. Oktober dieser Gesetzentwurf verabschiedet wurde, am 9. Oktober von der Landtagspräsidentin ausgefertigt und am 18. Oktober in Kraft trat und am 23. Oktober der Erfolg des Volksbegehrens von der Landtagspräsidentin verbindlich festgelegt wurde. Es stellten sich neben Fragen des Vertrauens in und der Anwendbarkeit von rechtlichen Regelungen vor allem die politischen Fragen nach dem Respekt vor dem Willen von 251.000 Thüringerinnen und Thüringern und nach dem Verantwortungsbewusstsein der Mehrheit der Abgeordneten im Thüringer Landtag.

Die rechtlichen Probleme wurden von den Oppositionsfraktionen mit Blick auf Expertenäußerungen als so schwerwiegend eingeschätzt, dass sie kurz vor der Jahreswende 2008/2009 Normenkontrollklage beim Verfassungsgerichtshof einreichten. Die Vertrauenspersonen des Volksbegehrens klagten ebenfalls wegen Verletzung von Verfassungsrechten, denn es hatte kein rechtlicher Zwang bestanden, das Oktober-Gesetz zur Kommunalordnung so schnell in Kraft zu setzen, höchstens ein politischer Zweck damals aus Sicht der CDU-Mehrheit.

In der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses vom 13. Februar 2009 hat die übergroße Mehrheit der Sachverständigen der Landtagsmehrheit vor Augen geführt, dass dieses in Deutschland einmalige Vorgehen weder politisch noch juristisch haltbar ist. Anzuhörende aus der Schweiz, einem Land mit langer, sehr positiv wirksamer direkter Demokratie, machten unmissverständlich deutlich, so etwas wäre in ihrem Land nicht vorstellbar. Anzuhörende aus Bayern verwiesen darauf, dass eine sehr lebendige und wirksame direkte Demokratie selbst unter CSU-Spitzenpolitikern viele Verfechter hat. Aus rechtlicher Sicht wurde darauf verwiesen, dass es nach einem erfolgreichen Volksentscheid eine unklare, praktisch unanwendbare Rechtslage geben würde. Der Überholversuch der Landtagsmehrheit hatte hier neben einem politischen Unfall auch eine juristische Karambolage verursacht.

Aber, meine Damen und Herren, heute liegt mit dem Volksbegehrens-Begleitgesetz das notwendige Reparaturgesetz zusammen mit dem Gesetzentwurf des Volksbegehrens zur abschließenden Beratung hier auf unserem Tisch und, ich denke, das ist das letztlich entscheidende Ergebnis.

(Beifall DIE LINKE)

Wie schon 2003 hat bei der Mehrheitsfraktion des Hauses nach - aus meiner Sicht - einigen Irrungen und Wirrungen offensichtlich die Einsicht gesiegt, dass der Respekt vor dem Willen von 251.000 Bürgerinnen und Bürgern gleichbedeutend ist mit dem Respekt vor der Demokratie und auch gleichbedeutend ist mit dem Respekt vor der Verantwortung als demokratisches Parlament hier in Thüringen. Das alles im vor allem auch von unserem Ministerpräsidenten verkündeten Jahr der Demokratie 2009, meine Damen und Herren, ist meiner Ansicht nach für dieses Jahr ein würdiges und ein richtiges Zeichen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich will es auch hier gar nicht verhehlen, es verdient auch die Anerkennung, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, dass Sie sich in dieser Richtung ein Stück weit bewegt haben und eine solche heutige Konsenslösung im Interesse des Landes Thüringen möglich gemacht haben.

Mein größter Dank aber gilt noch einmal den Initiatoren des Volksbegehrens, insbesondere auch seinem Sprecher Ralf-Uwe Beck, er gilt aber vor allen Dingen den über 250.000 Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land. Dann wissen wir ja, wenn es so viele sind, die zur Abstimmung gegangen sind und die sich für das Volksbegehren entschieden haben, dann sind es eigentlich noch sehr viel mehr, die bewiesen haben, dass sie willens und in der Lage sind, mit ihrer persönlichen Mitwirkung unsere Demokratie in diesem Land zu stärken. So können wir heute nur mit einem erfolgreichen Votum für diese Demokratie auch aus diesem Parlament gehen, und es wird uns in der Öffentlichkeit, meine Damen und Herren, fern jeder parteipolitischen Provenienz honoriert werden.

(Beifall DIE LINKE)

Das Wort hat Abgeordneter Matschie, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, das Volksbegehren ist am Ziel, wenn wir heute die Entscheidung im Landtag treffen, auf die wir uns verständigt haben. 250.000 Menschen in Thüringen haben für dieses Ziel unterschrieben. Viele waren unterwegs um dafür zu werben und Unterschriften zu sammeln. Ich will mich an dieser Stelle zuallererst noch mal ganz herzlich bedanken bei all denjenigen, die unterwegs waren, die sich engagiert haben, die diskutiert haben, die mit ihrer Unterschrift

zu diesem Erfolg beigetragen haben. Ein ganz herzliches Dankeschön.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Wir können sagen, das Engagement hat sich gelohnt. Wer in der eigenen Stadt, wer im eigenen Dorf, wer im Landkreis sich in Einzelfragen direkt einmischen möchte, wer mitentscheiden will, der findet mit unserer heutigen Entscheidung dafür gute Bedingungen vor. 7 Prozent der Bürger müssen unterschreiben, damit ein Bürgerbegehren erfolgreich ist und es zu einer Entscheidung in einem Bürgerentscheid kommen muss. Das ist eine Hürde, die vernünftig ist, die es möglich macht, wirklich mehr solche Entscheidungen auf den Weg zu bringen. Auch die Hürden, die wir haben bei der Zustimmung, sind so ausgestaltet, dass solche Initiativen nicht am Ende vor die Wand laufen, weil sich zu wenige an der Abstimmung beteiligen.

Was genauso wichtig ist, die Befugnisse, über die Bürger in Zukunft verfügen können, sind erweitert worden. Mehr Dinge sind solchen direkten Abstimmungen zugänglich gemacht worden. Das gilt z.B. für Bauplanungen, das gilt aber auch für einen so heiklen Bereich wie die Abgaben. Dann, wenn in einer Initiative auch ein Deckungsvorschlag vorgelegt wird, muss auch über solche Fragen direkt in der eigenen Gemeinde entschieden werden können. Das ist gut.

Ich will ausdrücklich den Einwohnerantrag erwähnen, weil er die Möglichkeit gibt, den gewählten Gemeinderäten, Stadträten oder Kreistagen bestimmte Probleme auf den Tisch zu legen. Auch das ist ein gutes Instrument, weil es ein Seismograf sein kann für Probleme, die in einer Kommune da sind und die Möglichkeit für engagierte Menschen, solche Probleme zum Thema zu machen und zum Gegenstand von Diskussionen und Entscheidungen in den kommunalen Parlamenten.

Ich finde, das ist heute ein guter Tag für die Rechte der Bürger. Wir wissen, es war ein langer Weg. Er begann vor fast vier Jahren im Juli 2005 mit einem Symposium hier im Landtag, an dem sich sehr viele interessiert und engagiert beteiligt haben, wo wir darüber diskutiert haben, welche Möglichkeiten brauchen wir eigentlich, um direkte Demokratie in unseren Städten und Gemeinden lebendig zu machen, denn wir hatten die Erfahrung, dass die gegenwärtigen Bedingungen nicht dazu geführt haben, dass dieses Instrument oft genutzt werden konnte. Wir haben gesehen, dass in unserem Nachbarland Bayern beispielsweise bei besseren Bedingungen sehr viel mehr solcher Initiativen erfolgreich sein konnten. Wir waren überzeugt an dieser Stelle in der Debatte, wir sollten die Bedingungen auch in Thüringen verän

dern. Sie wissen, es gab dann einen Gesetzentwurf im November 2005, der nach gut einem Jahr Diskussion gescheitert ist im Landtag an der Mehrheit in diesem Haus. Dann ging die Initiative auf die Straße, hat geworben, hat Unterschriften gesammelt, insgesamt über 250.000. Als der Erfolg da war, ist etwas passiert, was nicht zu den Sternstunden dieses Hauses gehört, die CDU-Fraktion hat versucht, das Volksbegehren auszutricksen und ein eigenes Gesetz hier im Landtag durchzusetzen - keine glückliche Situation für die Demokratie und ihre Entscheidungswege. Wir haben uns gezwungen gesehen, deswegen auch vor das Verfassungsgericht zu gehen, weil wir sagen, so kann direkte Demokratie nicht funktionieren, es muss eine Sicherheit bei Entscheidungswegen geben. Wer soll sich eigentlich auf ein solches Verfahren einlassen, wenn er in dem Verfahren riskieren muss, dass ihm die Entscheidungsgrundlage mitten im Verfahren entzogen wird? So gesehen kehren wir heute an den Ausgangspunkt der Debatte zurück. Das Volksbegehren wird heute 1 : 1 beschlossen, es wird kein Komma und kein I-Punkt geändert an dem, was die Bürger auf den Tisch dieses Hauses gelegt haben und die freie Sammlung wird wieder eingeführt. Die Thüringerinnen und Thüringer bekommen heute mehr Rechte und das ist gut.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Wir erinnern in diesem Jahr an 20 Jahre friedliche Revolution. Wer sich an diese Zeit erinnert, weiß, dass in diesem Herbst 1989 etwas passiert ist - ich will es eine „gewisse Verwandlung“ nennen -, aus Einwohnern sind plötzlich Bürger geworden. Menschen wollten nicht länger Objekt von Politik sein, sondern selbst Subjekt. Sie wollten selber die Angelegenheiten in die eigene Hand nehmen, weil sie auf die politischen Strukturen nicht mehr vertrauen konnten. Das war der Anfang der Demokratie hier in Ostdeutschland, aber das ist auch ganz grundsätzlich gesprochen der Anfang jeder Demokratie, dass Menschen die Rechte in die eigenen Hände nehmen wollen, dass Menschen Gesellschaft gestalten wollen und mitentscheiden wollen. Umgekehrt ist auch klar, Demokratie muss auf mündige Bürger setzen, sie kann nicht ohne mündige und engagierte Bürger leben. Vertrauen in die Demokratie heißt immer Vertrauen auf die Bürger.

Wir haben aber auch in diesem Herbst 1989 und in den Folgemonaten erlebt, Demokratie braucht Struktur. Es reicht nicht, wenn Menschen auf die Straße gehen. Es reicht auch nicht, wenn man runde Tische macht - das geht in einer Übergangszeit -, sondern Demokratie braucht Strukturen, die verlässliche Entscheidungswege garantieren. Zu diesen Strukturen gehören mit Sicherheit Parteien, dazu gehören die Parlamente, dazu gehören freie Wahlen, die

wir 1989 erkämpft haben, aber dazu gehören auch Bürgerinitiativen, dazu gehören Gewerkschaften, dazu gehören Vereine, dazu gehören auch Einzelkämpfer für das öffentliche Interesse, die versuchen, Ideen in die Debatte zu bringen und durchzusetzen. Zur Demokratie gehört auch die öffentliche Debatte, die Auseinandersetzung um Entscheidungsfragen. Es ist sicher, auch wenn wir die direkte Demokratie heute deutlich stärken, die parlamentarische Demokratie ist der Hauptpfeiler im Demokratiegebäude, weil hier die allermeisten Entscheidungen getroffen werden und auch getroffen werden müssen. Aber die direkte Demokratie ist eine ganz wichtige Ergänzung in einer aktiven Bürgergesellschaft. Meine Erfahrung ist, dass Volksbegehren und Bürgerbegehren Werkstätten der Demokratie sind, weil hier Menschen sich plötzlich mit konkreten Fragen auseinandersetzen müssen, sich entscheiden müssen: Will ich dafür sein, ist das nicht mein Anliegen, bin ich dagegen? Ich habe das selbst erlebt, als wir unterwegs waren auf der Straße, um Unterschriften zu sammeln, wie viele Gespräche es gegeben hat über das Anliegen. Ich will es noch mal deutlich sagen, das ist keine Mc-Drive-Demokratie, wenn Menschen auf der Straße miteinander ins Gespräch kommen, miteinander diskutieren und am Ende auch sagen, ich gebe meine Unterschrift - Ja oder Nein.

(Beifall DIE LINKE, SPD)