Die Bürgerbegehren, die Volksbegehren ermöglichen Erfahrungen mit der Demokratie, die auf andere Art und Weise so nicht möglich sind, und sie steigern damit Akzeptanz von Demokratie.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will es noch mal deutlich sagen, weil das auch in der Debatte immer mal wieder aufgetaucht ist: Man muss keine Angst vor dieser Art von Demokratie haben, man muss keine Angst vor Bürgerentscheidungen haben.
Natürlich lassen sich Beispiele heraussuchen, in denen es Fehlentscheidungen gegeben hat, aber, werte Kolleginnen und Kollegen, ist das nicht auch Teil von Demokratie, dass es auch falsche Entscheidungen geben kann und treffen nicht auch Parlamente manchmal falsche Entscheidungen?
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen hier in der Mitte, Sie wissen, dass auch Parlamente Fehlentscheidungen treffen können. Das gilt für die Demokratie und alle ihre Institutionen und deshalb sage ich noch mal deutlich: Der Gewinn, wenn Bürger
sich entscheiden, wenn Bürger sich beteiligen, der ist notwendig für die Demokratie, für ihre Lebendigkeit und vor Fehlentscheidungen sollten wir deshalb keine Angst haben.
Willy Brandt hat Anfang der 70er-Jahre eine politische Bewegung in Gang gesetzt mit seiner Aufforderung „Mehr Demokratie wagen!“. Wer heute zurückschaut, der weiß, dass dieses „Mehr Demokratie wagen!“ die alte Bundesrepublik verändert hat. Es hat sie offener gemacht, es hat sie moderner gemacht, es hat sie auch erfolgreicher gemacht. Aber das Land ist nicht nur offener und erfolgreicher geworden, denn Demokratie ist für mich nie nur Mittel zum Zweck. Sie ist nicht nur Mittel zum Zweck, Entscheidungen zu treffen oder wirtschaftlich erfolgreich zu sein, sondern Demokratie hat einen Wert an sich als Lebensform einer Gesellschaft. Auch der Satz stammt von Willy Brandt, ich will ihn zitieren: „Demokratie ist keine Frage der Zweckmäßigkeit, sondern der Sittlichkeit.“ In der Demokratie geht es zuallererst um das Verhältnis von Menschen zueinander. Es geht um gleiche Augenhöhe, es geht um die Frage, nicht Herr und nicht Knecht sein. Es geht darum, dass sich in einer Gesellschaft freie Bürger auf gleicher Augenhöhe begegnen können.
Demokratie braucht Zeit, Demokratie kann anstrengend sein. Das gilt auch für die direkte Demokratie, vielleicht an dieser Stelle sogar noch ein bisschen mehr, aber die Zeit, die wir da reingeben, die Anstrengung, die sie kostet, ist nach meiner Überzeugung aller Mühen wert.
Wir haben vor wenigen Wochen an den Beginn der Weimarer Republik erinnert, an den Beginn der Verfassungsdiskussion und natürlich auch einen Blick auf die Geschichte und die Entwicklung dieser Weimarer Republik geworfen und allen, die zurückschauen, ist deutlich, demokratische Institutionen allein reichen noch nicht aus, sie garantieren noch nicht die Festigkeit von Demokratie, denn Demokratie braucht Demokraten, Demokratie braucht Zustimmung und nicht nur Zustimmung, sondern auch Einsatz für die Demokratie. Ich bin überzeugt, dass die Möglichkeit, direkt zu entscheiden über einzelne Fragen, die Möglichkeiten der direkten Demokratie dabei helfen, die Zustimmung zur Demokratie zu erhöhen und den Einsatz für unsere Demokratie zu verstärken. Wir alle kennen ja die Umfragen auch aus dem Thüringen-Monitor, die uns zeigen: Die Zustimmung zum System der Demokratie ist nach wie vor hoch und das ist gut, aber die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie ist deutlich geringer. Ich hoffe, dass mit der heutigen Entscheidung, mit der Möglichkeit, die die Bürgerinnen und Bürger bekommen, auch selbst Entscheidungen in die Hand
zu nehmen, die Zustimmung zum Funktionieren der Demokratie wieder wächst. Volksentscheide und Volksbegehren sind so etwas wie Vitamine der Demokratie und wir sollten sie deshalb nicht zur Mangelware machen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es ist Zeit für eine Entscheidung, es ist Zeit für mehr direkte Demokratie. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir vorab zwei allgemeine Bemerkungen. Es ist ja eine der eher überflüssigen Übungen dieses Hauses, einmütig zu verabschiedende Vorhaben als Sternstunden des Parlamentarismus zu feiern, ganz so, als würde Demokratie von der Einmütigkeit und nicht im Streit leben. Doch unabhängig davon empfinde ich es als eine der guten Stunden dieses Hauses, weil es uns heute gelingt, eine politische Frage dort zu lösen, wo sie zu lösen ist, nämlich im Parlament und nicht vor Gericht.
Erlauben Sie mir eine zweite Bemerkung zu den beiden Vorrednern, meinen Kollegen Herrn Hausold und Herrn Matschie. Sie sagen, sie würden definitiv mehr Demokratie für die Bürger bekommen. Ich sage Ihnen an dieser Stelle, das können Sie nur dann sagen, wenn Sie die Rechtslage ausblenden. Mit dem heutigen Gesetz steigen die Quoren teilweise wieder an, statt einen Zwischenraum von 5 bis 10 Prozent haben wir jetzt einheitlich 7 Prozent. Der Katalog der möglichen Themen wird nicht erweitert, sondern wird eingeschränkt gegenüber der geltenden Rechtslage. Wenn ich das noch sagen darf: Zwar erhalten die Einwohner das Recht, Themen zu setzen, aber es bleibt dabei, am Ende entscheiden die Bürger.
Meine Damen und Herren, gerade wenn man die Presse der vergangenen Tage zur Kenntnis nahm, konnte der Eindruck entstehen, hier handele es sich um eine katastrophale Niederlage der Union - die Überschriften: „Die CDU rudert zurück“, „Die CDU knickt ein“. „Die CDU gibt nach“ war eingedenk des alten Sprichworts vom Klügeren wohl noch die charmanteste Überschrift. Tatsächlich, meine Damen und Herren, haben hier alle Beteiligten einen weiten Weg hinter sich liegen. Das gilt sowohl für die Vertreter
des Volksbegehrens, für die kommunalen Spitzenverbände, die beiden Minderheitsfraktionen als auch für uns als Mehrheitsfraktion. Ich darf daran erinnern, dass dieser Kompromiss Ergebnis von Verhandlungen ist, denen wir als Unionsfraktion seit Oktober letzten Jahres sehr positiv gegenüberstanden. Ich erinnere daran, dass DIE LINKE, SPD und der Trägerkreis gestern ihre massiven Bedenken gegen die Zulässigkeit unseres Gesetzes aus dem Oktober zurückgestellt haben und ihre Klagen vor dem Verfassungsgerichtshof zurückzogen zugunsten eines Kompromisses, der nun auch die gerade von Ihnen heftig umkämpfte Amtsstubensammlung umfasst. Nicht zuletzt, meine Damen und Herren, haben DIE LINKE und SPD einen, wenn nicht den wichtigen Baustein ihrer Wahlkampagne aus der Hand gegeben, zugunsten eines ehrenvollen Anliegens, nämlich klarere Regelungen für die direkte Demokratie vor Ort in den Kommunen.
Meine Damen und Herren, das nötigt uns als Unionsfraktion hohen Respekt ab, denn auf ein solches Mobilisierungsinstrument zu verzichten, fällt gerade im Wahlkampf sicher sehr schwer.
Andererseits haben auch wir Federn gelassen. Die Zulassung der freien Sammlung, meine Damen und Herren, ist ein Zugeständnis, dem ich ambivalent gegenüberstehe. Mit anderen Worten: Aus meiner Überzeugung als Christdemokrat kann ich sowohl für eine freie Sammlung sein als auch dagegen. Das ist keine Glaubensfrage, die zum Kernbestand konservativen Denkens gehört, denn vor Ort kann dieses Instrument natürlich von jedem Wortführer genutzt werden. Insofern stört mich die Zulassung der freien Sammlung wenig, denn die Amtssammlung war im Gegenzug nie als Schutzinstrument schwarzer Rathäuser vor berechtigten Bürgeranliegen gedacht, sondern sie war immer als eine Ergänzung gedacht. Skeptisch bin ich dagegen bei der in § 17 a Thüringer Kommunalordnung geregelten Zulassung der freien Sammlung, die nach unserer Ansicht weiterhin einem gewissen Manipulationsrisiko unterliegt. Das heißt, gerade die freie Sammlung ist kein Weg völlig frei von Gefahren.
Das heißt nicht, meine Damen und Herren, dass wir jenen misstrauen, die sich im vergangen Jahr in der freien Sammlung engagiert haben. Ausdrücklich: Diese Menschen verdienen, auch wenn wir nicht in jeder Hinsicht ihrer Meinung waren und sind, unseren Respekt für ihren Einsatz. Das haben die Kollegen meiner Fraktion und ich auch stets betont.
Doch möchte ich dennoch die Gefahren nennen, wenn unser Gesetz allein die freie Sammlung kennen würde. Sie bestehen zunächst einmal ganz offenkundig im Risiko, hier gut organisierten Populisten ein zusätzliches Feld zur Steigerung ihrer zweifelhaften Popularität zu bieten und, meine Damen und Herren, ich rede hier keineswegs von Populisten von links. Das heißt, das Manipulationsrisiko besteht gerade darin, dass der einzelne Bürger auf der Straße einem hohen Druck von Vertretern großer, nicht nur wohlmeinender Organisationen ausgesetzt wird.
Während wir bei Haustürgeschäften die Kunden mit umfangreichen Widerrufsmöglichkeiten ausstatten, bleibt doch dann hier zumindest zweifelhaft, ob dem einzelnen Bürger die einmal geleistete Unterschrift für ein politisches Vorhaben wirklich so ernst ist, dass er sie widerruft, wenn er doch anderer Meinung ist.
Meine Damen und Herren, auch wenn ich ausdrücklich die Unterschriftensammler dieses Volksbegehrens von diesem Vorwurf ausnehmen möchte, da wir Ihnen ihre Ernsthaftigkeit abnehmen, die theoretischen Missbrauchsmöglichkeiten führen dazu, dass am Argument der Mc-Drive-Demokratie ein Fünkchen Wahrheit bleibt.
Zum Punkt großer Organisationen: Ich darf für meine Fraktion heute noch mal betonen, dass wir die Sammlung durch Eintragung in amtlich ausgelegten Eintragungslisten nicht zum Selbstzweck etabliert haben. Wir sind der Meinung, dass gerade auch im ländlichen Raum eine staatliche Hilfestellung für die Verwirklichung direkter Demokratie notwendig sein kann. Denn nicht alle Menschen mit berechtigten Interessen verfügen über eine so ausgeprägte und schlagkräftige Organisation, wie beispielsweise der Verein „Mehr Demokratie e.V.“.
Deshalb ist die Amtseintragung keinesfalls Teufelszeug, sondern ein notwendiger Steigbügel für all jene, die außerhalb des „Mehr Demokratie e.V.“ Plebiszite vor Ort auf den Weg bringen möchten. Diesem Anliegen sind wir in Thüringen durch den Gesetzentwurf der CDU-Fraktion im vergangenen Oktober nachgekommen und wir haben die Amtseintragung auf kommunaler Ebene eingeführt und sie bleibt uns in Zukunft in § 17 b der Thüringer Kommunalordnung auch erhalten.
Neben diesem Hauptpunkt möchte ich aber auch kurz auf andere Inhalte des Gesetzes eingehen, die man durchaus mit ambivalenten Gefühlen betrachten kann. Die praxisrelevante Änderung dürfte in den allermeisten Punkten kaum spürbar sein. Die Bürgeranträge, die nun als Einwohneranträge ausgestaltet wurden, waren auch zuvor bei einem Quorum von 1 Prozent möglich. Hier setze ich im Übrigen weiter darauf, dass die Einwohner sich vollkommen unbürokratisch und ganz ohne die Unterstützung etwaiger Quoren auch in Zukunft direkt an die Vertreter der Kommunalparlamente richten werden und so ihr Anliegen auf dem einfachsten Wege zu Gehör bringen.
Was die Bürgerbegehren angeht, so sind sowohl bei den Quoren als auch im Bereich des Ausschlusskatalogs die Änderungen so marginal, dass sie zunächst kaum Praxisrelevanz besitzen dürfen.
Meine Damen und Herren, jedes Gesetz muss sich in der Praxis bewähren. Daher muss es die erste Aufgabe dieses und auch des nächsten Landtags sein, dieses Gesetz in seiner Anwendungspraxis sorgfältig zu beobachten und gegebenenfalls auch nachzubessern.
Wenig schlüssig ist zum Beispiel die Deckelung der Zustimmungsquoren, denn wir waren hier zum Teil leider gezwungen, auch wenig schlüssige Regelungen zu übernehmen. Ich will dies an einem Beispiel belegen. Während für ein Bürgerbegehren auf Gemeindeebene zukünftig 7 Prozent, aber höchsten 7.000 Stimmen notwendig sind, sind es auf Landkreisebene 7 Prozent, höchstens aber 10.000 Stimmen. Für die Stadt Erfurt bedeutet dies, bei 164.402 Wahlberechtigten die Notwendigkeit von 7.000 Stimmen; in Gera mit nur 88.511 Wahlberechtigen, also fast der Hälfte der Wahlberechtigten, bedarf es hingegen 6.196 Stimmen, um das Quorum zu erreichen, also fast genauso viele wie in Erfurt. Festzuhalten ist, dass die Höchstgrenzenregelung zu enormen Verzerrungen führen kann, die zulasten der Bürger in kleineren Städten gehen.
Erlauben Sie mir aus rechtlicher Sicht folgenden Hinweis: Auf Landesebene schreibt unsere Verfassung nicht nur die Wahlrechts-, sondern auch die Stimmrechtsgleichheit vor. Für die Kommunalebenen gilt dies allerdings nur für die kommunalen Volksvertreter, also nicht für die Abstimmung. Daher ist die jetzt kritisierte Regelung nicht per se verfassungswidrig, die Ungleichbehandlung, meine Damen und Herren, der Kommunen allein aufgrund ihrer Wählerzahl erscheint mir aber dennoch höchst fragwürdig.
Ich möchte auch einen anderen Aspekt von Ihnen, Herr Hausold, ansprechen, der Höchstgrenzenregelung auf Landkreiseebene, die bei 10.000 Einwohnern festgelegt wurde. Im größten Landkreis des Freistaats, dem Landkreis Gotha, bedarf es bei 120.271 Wahlberechtigten 8.419 Stimmen, um ein erfolgreiches Volksbegehren durchzuführen. Die 10.000er-Obergrenze kann in Thüringen erst gar nicht erreicht werden. Sie ist daher aus meiner Sicht nicht sinnvoll und ich bezweifle ehrlich gesagt, dass Ihnen das bisher aufgefallen ist.
Meine Damen und Herren Abgeordneten der Opposition, einen weiteren Punkt möglicher Nachbesserungen habe ich in meiner Eingangsbemerkung schon aufgegriffen, das ist der Negativkatalog. Gemeint sind jene Themen, zu denen Volksbegehren unzulässig sind. Denn auch hier war die bisherige Rechtslage unseres Oktober-Gesetzes fortschriftlicher. Jetzt wird der Katalog um der gesetzlichen Klarheit willen vereinheitlicht und wieder erweitert, was heißt, die Themen werden eingeschränkt, bislang zulässige Begehren bleiben damit zukünftig auf der Strecke.
All diese Argumente sind aus meiner Sicht gute Gründe, dem heutigen Gesetz mit einiger Skepsis zu begegnen. Ich habe daher Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen, die trotz inhaltlicher Vorbehalte heute um des gemeinsamen Weges willen diesem Gesetz zustimmen. Aber ich habe auch Respekt vor jenen, die diesen Schritt nicht mitgehen können.
Meine Damen und Herren, ob dieses Gesetz ein Ostergeschenk oder nur ein Osterei ist, das dürfen wir in Zukunft sicherlich in österlicher Tradition selbst herausfinden. Es bleibt abzuwarten, ob die Instrumente tatsächlich auch so vor Ort genutzt werden. Das Gesetz jedenfalls schafft bei aller Skepsis im Detail für den Bürger Rechtsklarheit über die rechtlichen Möglichkeiten direkter demokratischer Beteiligung vor Ort. Dafür danke ich allen Beteiligten hier im Haus, aber auch den beiden kommunalen Spitzenverbänden, die sich am Gesetzgebungsverfahren nicht nur mit ihrer üblichen hohen Sachkompetenz, sondern auch mit hoher Geschwindigkeit beteiligt haben. Ich sage ihnen an dieser Stelle zu, auch die Union wird vor Ort genau prüfen, ob sie sich dieser Instrumente bedient, um Missstände zu beseitigen, Erleichterungen für den Bürger zu erreichen. Von daher haben wir diesen vorliegenden Gesetzentwurf mit eingebracht und werden ihn auch heute hier verabschieden. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Vertreter der sammelnden Bürgerschaft, ich freue mich, dass so viele hier sind und dass wir über dieses Thema heute sprechen. Ich denke, es ist guter Brauch, mein Kollege hat es gerade gesagt, dass man auch wohl über Dinge streiten kann und muss und auch unterschiedliche Meinungen haben kann. Denn, ich glaube, wir alle hier im Hohen Haus sind froh, dass nicht irgendwo von oben gleichgeschaltet wird und dann haben alle zu folgen. Ich war mal in der freigewählten Volkskammer, habe die deutsche Einheit mit beschlossen und das ist gerade mal 19 Jahre her und das war auch am 18. März. Wenn wir da wieder hinkommen, dass irgendjemand auch einem Parlament was aufoktroyieren will, muss man sehen, dass man trotzdem noch der parlamentarischen Demokratie den Spielraum lässt, dass man auch dazu unterschiedlicher Meinung sein kann.