Protocol of the Session on January 28, 2000

Es hat sich als nächster Redner zu Wort gemeldet der Abgeordnete Dittes, PDS-Fraktion.

(Unruhe bei der CDU)

Sie sollten sich doch eigentlich mittlerweile daran gewöhnt haben, dass ich Mitglied dieses Parlaments bin.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, ich habe lange überlegt, was man ehemaligen DDR-Bürgern, die Sie ja zum größten Teil sind, erklären muss, warum es eigentlich keinen Grund geben sollte, Menschen - ob nun durch Mauern oder durch mit Strafandrohung versehenen Regelungen in Gesetzen - in ihrer Freizügigkeit einzuschränken. Ich werde Ihnen die verfassungsrechtlichen Überlegungen, das heißt, die juristischen Argumente unserer Fraktion vorstellen, aber ich bin der Überzeugung, dass der normale Menschenverstand eigentlich derartiger Argumente nicht mehr bedarf. Allein die Redebeiträge, die wir eben vernommen haben, sprechen aber dennoch für die Notwendigkeit, Ihnen diese auch in diesem Fall nicht zu ersparen. Was ist die Absicht der PDS-Fraktion? Die Landesregierung soll aufgefordert werden, auf der Grundlage des § 58 Abs. 6 Asylverfahrensgesetz eine Rechtsverordnung dergestalt zu erlassen, dass sich Asylbewerberinnen und Asylbewerber ohne Erlaubnis in allen Landkreisen und kreisfreien Städten des Freistaats Thüringen vorübergehend aufhal

ten können. Grundlage für diese nach dem Asylverfahrensgesetz als möglich vorgesehene Ausweitung der Beschränkung des Aufenthalts ist die in § 56 geregelte Beschränkung auf den Bezirk der Ausländerbehörde, in dem die für die Aufnahme des Ausländers zuständige Aufnahmeeinrichtung liegt. Für Thüringen heißt das nichts anderes, als dass Asylbewerberinnen und Asylbewerber und Flüchtlinge sich lediglich erlaubnisfrei im Landkreis oder der kreisfreien Stadt aufhalten können, in der ihre Unterkunft - in der Regel ihre Gemeinschaftsunterkunft - liegt.

Meine Damen und Herren, was bedeutet das beispielsweise für Menschen, die in der Gemeinschaftsunterkunft in Markersdorf leben? Markersdorf liegt im Landkreis Greiz, aber in unmittelbarer Nähe zur kreisfreien Stadt Gera. Eine direkte Busverbindung nach Greiz existiert nicht. Die einzige Möglichkeit, mit dem Bus nach Greiz zu gelangen, beispielsweise zur Ausländerbehörde, führt über den Busknotenpunkt am Bahnhof in Gera. Und dort, meine Damen und Herren, werden Flüchtlinge kontrolliert, in Einzelfällen wurden ihnen die Ausweispapiere entzogen und sogar Bußgeldbescheide erlassen. Als ob diese Situation nicht schon makaber genug ist, riet etwa ein Polizeibeamter einem Flüchtling, er solle sich doch ein Taxi für die Fahrt nach Greiz nehmen. Aber nicht nur die fehlende direkte infrastrukturelle Anbindung lässt die Aufenthaltsbeschränkung zur quasi unerfüllbaren Vorschrift in diesem Fall werden. Die Fachärzte haben ihren Sitz in Gera, an die auch das Sozialamt verweist. Die Rechtsanwälte haben ihre Kanzleien in Gera, ebenso wie die Beratungsstelle der Diakonie ihren Sitz in der ehemaligen Bezirksstadt hat. Religiöse Betätigungen, soziale Kontakte, politische Aktivitäten und nicht zuletzt Möglichkeiten der sportlichen Betätigung sind an die Stadt Gera geknüpft. Und wenn Sie der Meinung sind, dass für eine Reihe dieser Betätigungen, dieser Besuche eine Erteilung einer Verlassensgenehmigung möglich wäre, dann möchte ich Sie kurz noch einmal darauf hinweisen, dass eine Antragstellung bei der Ausländerbehörde in Greiz für eine derartige Genehmigung ohne Verstoß gegen die Regelung des § 56 Asylverfahrensgesetz gar nicht möglich ist, sofern man auf die Nutzung der öffentlichen Personennahverkehrsmittel angewiesen ist. Noch etwas in diesem Fall. Das nächste Kartentelefon zur Gemeinschaftsunterkunft befindet sich in Weißig, also bereits im Stadtgebiet Gera, und ebenso auch die nächste Poststelle.

Meine Damen und Herren, zu welchen Auswirkungen diese Beschränkungen führen, habe ich Ihnen anhand dieses Beispiels, so hoffe ich doch, zumindest deutlich machen können. Ich möchte Sie auch darauf hinweisen, dass es nicht das einzige Beispiel in Thüringen ist. Auch die Unterkunft in Gangloffsömmern, am äußersten Rande des Landkreises Sömmerda, weist ähnliche Absurditäten auf. Ein Blick, Herr Pohl, in andere Bundesländer zeigt eben, dass die Beschränkung auf die Bezirke der Ausländerbehörde durchaus nicht gängige Praxis ist, weil deutlich wird, dass diese nach dem Asylverfahrensgesetz vorgenommene Beschränkung aufgrund der administrativen Struktur der

Landkreise und kreisfreien Städte zu einer nicht vertretbaren Einschränkung führt. Beispielsweise in Hessen bezieht sich die Aufenthaltsbeschränkung auf die Zuständigkeitsbereiche der Regierungspräsidien, die bis zu einem Drittel der Landesfläche des Landes Hessen ausmachen können; eine Größenordnung also, meine Damen und Herren, die durchaus von der Fläche, aber auch von der Einwohnerzahl die Ausweitung der Beschränkungen in Thüringen auf den gesamten Bereich des Freistaats nicht als völlig überzogene Forderung aussehen lässt. Man kann auch durchaus noch andere Beispiele aus anderen Ländern bringen, wie z.B. aus Nordrhein-Westfalen.

Meine Damen und Herren, die Regelung des § 56 Asylverfahrensgesetz ist auch so juristisch unbedenklich nicht. Es gibt für diese Einschränkung keinen plausiblen Grund; ihr liegt kein Schutzgut zugrunde; weder ist die verfassungsmäßige Ordnung durch das kurzzeitige Verlassen des Bezirks der Ausländerbehörde gestört, noch werden Rechte anderer dabei verletzt, welches die Einschränkung des allgemeinen Grundrechts auf Freizügigkeit einschränken kann. Herr Pohl, ich möchte Sie fragen: In welchem tatsächlichen Zusammenhang stehen denn eigentlich die Geschwindigkeit, in der Asylanträge genehmigt werden, und diese Beschränkung? Meines Erachtens dient diese Beschränkung letztendlich nur der Abschreckung von Asylbewerberinnen, Asylbewerbern und Flüchtlingen. Und dieser Abschreckungscharakter wird ja auch durch die Dreistufigkeit der Strafandrohung bei Verstoß gegen diese Beschränkung im Zusammenhang mit einem Zweitantrag gemäß Asylverfahrensgesetz sichtbar. Handelt es sich beim ersten Verstoß noch um eine Ordnungswidrigkeit, die mit einem Bußgeld belegt werden kann, so gilt die zweite Verletzung bereits als Straftat, die bei einer Wiederholung sogar zur Ausweisung führen kann. Die Rechtssicherheit, meine Damen und Herren, dieser Vorgehensweise ist mehr als fraglich, setzt sie doch voraus, dass die von dieser Regelung Betroffenen in umfassendem Maße über diese Regelung auch belehrt worden sind, das heißt, diesen Rechtsbelehr auch in ihrer Muttersprache erhalten haben. Meine Damen und Herren, ich kann guten Gewissens anzweifeln, dass dies in Thüringen erfolgt. Ich bin auch der Überzeugung, dass, wenn diese Regelung in dieser Form bleibt und aufgrund dieser Regelung Strafen verhängt werden, diese einer gerichtlichen Prüfung nicht mehr standhalten werden.

Meine Damen und Herren, auch Asylbewerberinnen, Asylbewerber und Flüchtlinge haben Menschenrechte, haben Grundrechte, die im Grundgesetz sowie in der Verfassung des Freistaats Thüringen niedergeschrieben sind. Das erste Grundrecht, was durch das Asylverfahrensgesetz einer Einschränkung unterworfen wird, ist das Recht auf Freizügigkeit. Nach dem Kommentar zur Thüringer Verfassung von Linck, Jutzi und Hopfe können sich Ausländer eben auf diesen Artikel 5 Abs. 1 nicht berufen, ihre Freizügigkeit aber wird durch Artikel 3 Abs. 2 gewährleistet. Das heißt, die Freizügigkeit ist Ausdruck der freien Entfaltung der Persönlichkeit, der allgemeinen Handlungsfreiheit im Sinne der Norm. In Artikel 3 Abs. 2 der Thürin

ger Verfassung heißt es: "Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt oder nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstößt." Ich hatte Ihnen ausgeführt, dass das aus unserer Sicht keinesfalls der Fall sein dürfte. Linck, Jutzi und Hopfe kommentieren diesen Artikel folgendermaßen, und ich möchte Ihnen dieses etwas längere Zitat durchaus nicht ersparen.

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Schriftlich nachreichen.)

Herr Kretschmer, Sie können gerne nachlesen. Wir alle haben ja freundlicherweise von der Landtagsverwaltung diesen Kommentar zur Verfügung gestellt bekommen, aber ich werde ihn trotzdem hier vortragen, weil er eben auch, ich glaube, in ganz deutlicher Form unser Anliegen begründen wird.

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Aber langsam, damit wir es mitbekommen.)

"Artikel 2 Abs. 3 steht auch Ausländern zu. Dies hat vor allem Bedeutung in den Handlungsbereichen, die durch spezielle Freiheitsrechte gesichert sind, aber lediglich Bürgern im Sinne des Artikels 104, also Deutschen im Sinne des Artikels 116 Grundgesetz, vorbehalten sind." Weiter heißt es: "Persönlichkeit bezeichnet den Menschen umfassender, enthält eine positive Aussage über dessen Individualität. Der Begriff der freien Entfaltung enthält ein Element der Aktivität. Demnach lässt sich die Gewährleistung des Artikels 3 Abs. 2 verstehen als Eröffnung eines Freiraumes zu eigener, bewusster und gestaltender Selbstentfaltung. Auf das Gewicht der Betätigung für die Persönlichkeitsentfaltung kommt es nicht an. Für diese Auffassung, die heute weitgehend unangefochten ist und es hoffentlich auch bleiben wird, spricht schon die Entstehungsgeschichte des Artikels 2 Abs. 1 Grundgesetz, dem Artikel 3 Abs. 2 nachgebildet wurde. Der Einzelne soll frei entscheiden können, in welcher Betätigung und Untätigkeit er seine persönliche Entfaltung findet.

(Zwischenruf Abg. Dr. Dr. Dietz, CDU: Zu einer verfassungsmäßigen Ordnung gehört...)

Einschränkungsversuche, wie etwa nur den Kernbereich des Persönlichen, sind entweder mit Blick auf Artikel 1 Abs. 1 überflüssig oder wegen drohender Bevormundung des Einzelnen und entstehender grundrechtlicher Schutzlücken abzulehnen." Soweit die Rechtsauffassung unter anderem des derzeitigen Landtagsdirektors. Ich glaube, es ist deutlich geworden oder zumindestens kann ich sagen, nach unserer Interpretation, nach unserer Auffassung steht diese Rechtsauffassung im Widerspruch zur Praxis bei der Erteilung von Verlassensgenehmigungen, auch erst recht dann, wenn z.B. das Thüringer Innenministerium die Teilnahme an einer Demonstration der Flüchtlingskarawane am 21. März 1998 mit der Begründung abgelehnt hat, dass kein öffentliches Interesse bestehe.

An dieser Stelle, meine Damen und Herren, wird nicht nur eine unzulässige politisch motivierte Einschränkung des Rechts zur freien Entfaltung der Persönlichkeit deutlich, hier verstößt die Handlungspraxis auch gegen das Recht auf Versammlungsfreiheit, welches die Teilnahme an politischen Versammlungen mit einschließt, auf das sich Ausländerinnen und Ausländer wiederum selbst nicht berufen können, an dessen Stelle nach Auffassung wiederum von Linck, Jutzi und Hopfe der Artikel 3 Abs. 2 Thüringer Verfassung tritt.

Meine Damen und Herren, die PDS-Fraktion bestreitet an dieser Stelle ausdrücklich, dass die Wahrnahme von Grundrechten, wie etwa die soziale Teilhabe, die politische Betätigung oder aber auch die Ausübung einer Religion keinesfalls einem Antrags- und Genehmigungsverfahren unterworfen werden kann.

(Beifall bei der PDS)

Das Asylverfahrensgesetz lässt es ausdrücklich zu, dass Landesregierungen, um örtlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen, per Rechtsverordnung bestimmen können, dass sich Ausländerinnen und Ausländer ohne Erlaubnis vorübergehend in einem die Bezirke mehrfacher Ausländerbehörden umfassenden Gebiet aufhalten können. Eine derartige Rechtsverordnung würde den juristischen Bedenken unsererseits, die nicht erstmalig an dieser Stelle geäußert worden sind oder in die Diskussionen eingebracht worden sind, zwar nicht im vollen Umfang entsprechen, aber, meine Damen und Herren, sie würde andererseits nicht nur den örtlichen Verhältnissen in Thüringen Rechnung tragen und damit in Thüringen lebenden Asylbewerbern ermöglichen, auch in Thüringen ohne bürokratische Hürden am gesellschaftlichen Leben entsprechend der Entfaltung ihrer Persönlichkeit teilzunehmen.

Meine Damen und Herren, deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag, nicht in erster Linie wegen der hier vorgetragenen juristischen Argumente, aber sehr wohl wegen ihres normalen allgemeinen Menschenverstands. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor; doch, die Landesregierung. Herr Minister Köckert.

Herr Dittes, weil Sie keine juristischen Argumente mehr hören wollen, sage ich jetzt nur ganz kurz: Die Landesregierung lehnt eine generelle Verordnung in Ihrem Sinne ab.

Jetzt kommen wir noch zu dem normalen Menschenverstand. Zutreffend ist allerdings, dass das Asylverfahrens

gesetz in § 58 Abs. 6 vorsieht, dass die Landesregierung, um örtlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen, durch Rechtsverordnungen bestimmen kann, dass sich Ausländer ohne Erlaubnis vorübergehend in einem die Bezirke mehrerer Ausländerbehörden umfassenden Gebiet aufhalten können. Diese Ermächtigung dient dazu, Unzuträglichkeiten auszuräumen, die sich im Einzelfall ergeben können, wenn die für Asylbewerber verbindlichen kommunalen Grenzen mit der Lebenswirklichkeit nicht übereinstimmen. Sie haben ja mehrere Beispiele davon genannt.

Das Innenministerium prüft derzeit den Erlass einer Rechtsverordnung gemäß § 58 Abs. 6 Asylverfahrensgesetz, um in einigen Fällen die Aufenthaltsbeschränkung der Lebenswirklichkeit anzupassen. Es ist aber überhaupt nicht nachvollziehbar, warum ein Asylbewerber, dessen Aufenthalt auf den Landkreis Sonneberg beschränkt ist, sich grundsätzlich auch im Landkreis Nordhausen aufhalten soll. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für Unzuträglichkeiten im Einzelfall grundsätzlich die Vorschriften des § 57 Asylverfahrensgesetz und § 58 Asylverfahrensgesetz hinreichende Lösungsmöglichkeiten bieten. Danach kann das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bzw. die Ausländerbehörde einem Ausländer erlauben, den Geltungsbereich der Aufenthaltsgestattung vorübergehend zu verlassen oder sich allgemein in dem angrenzenden Bezirk einer Ausländerbehörde aufzuhalten, wenn darin ein dringendes öffentliches Interesse besteht, zwingende Gründe es erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte darstellt. Die Notwendigkeit einer generellen Änderung der bisherigen Praxis in Thüringen sehe ich nicht. Deshalb bittet die Landesregierung darum, Ihren Antrag abzulehnen.

(Beifall bei der CDU)

Eine Ausschussüberweisung ist nicht beantragt, damit stimmen wir über den Antrag der PDS-Fraktion in der Drucksache 3/237 ab. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Gegenstimmen? Danke. Stimmenthaltungen? 2 Stimmenthaltungen. Bei einer großen Mehrheit von Gegenstimmen ist der Antrag der PDS-Fraktion mit 2 Stimmenthaltungen abgelehnt.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 10 und komme zum Aufruf des neuen Tagesordnungspunkts 10 a

Unterstützungsmaßnahmen zum Erhalt der Simson Zweirad GmbH Suhl und des Fahrzeugbau-Traditionsstandorts Antrag der Fraktion der PDS - Drucksache 3/283

Es ist signalisiert worden, dass es einen Sofortbericht durch die Landesregierung gibt und die Fraktion hat mir ebenfalls signalisiert, dass sie daraufhin auf die Begrün

dung verzichtet. Das bleibt auch dabei. Herr Minister Schuster, bitte.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, namens der Landesregierung erstatte ich den geforderten Sofortbericht. Die Simson Zweirad GmbH wurde am 21.08.1997 als Vertriebsgesellschaft für Produkte der Suhler Fahrzeugwerke GmbH und als Entwicklungsgesellschaft für neue Produkte gegründet. Die Suhler Fahrzeugwerke GmbH war zu diesem Zeitpunkt in eine existenzbedrohende Schieflage geraten. Ein von der Landesbank Hessen-Thüringen initiierter Sanierungsversuch war gescheitert. Gesellschafter der Simson Zweirad GmbH war eine private Kapitalanlagegesellschaft mit 51 Prozent sowie die TIB mit 49 Prozent. Die TIB hatte aufgrund ihres Know-how die industrielle Betreuung des Engagements übernommen. Gegenstand der Simson Zweirad GmbH war die Entwicklung und Vermarktung von Zweirädern in erster Linie aus der Produktion des Suhler Fahrzeugwerks unter der Marke "Simson". Zielsetzung der Unternehmensgründung war es, die Traditionsmarke "Simson" zu beleben. Basis dieser Entwicklung war das Unternehmens- und Umstrukturierungskonzept zur Sanierung und Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der Suhler Fahrzeugwerke. Die Geschäftstätigkeit der Simson Zweirad GmbH litt maßgeblich unter der nicht termingerechten und qualitativ unbefriedigenden Zulieferung durch das Suhler Fahrzeugwerk. Als Folge dieser Entwicklung wurde mit Datum vom 1. September 1998 auch die Verantwortung für die Produktion durch die Simson Zweirad GmbH übernommen. Die Simson Zweirad GmbH wurde durch den Freistaat Thüringen im Rahmen der einzelnen Förderprogramme finanziell begleitet. Auch die Suhler Fahrzeugwerke hatten früher durch den Bund, die Treuhandanstalt, BvS und den Freistaat eine Förderung erhalten. Eine detaillierte Darlegung der einzelnen Förderbeträge kann aufgrund der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht erfolgen.

Die wirtschaftliche Entwicklung der Simson Zweirad GmbH stellte sich in den Geschäftsjahren 1998 und 1999 unbefriedigend dar. Im Auftrag des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur wurde im September 1999 ein Gutachten in Auftrag gegeben, dessen Schwerpunkte und Aufgabenstellungen wie folgt lauteten:

1. Prüfung der Sanierbarkeit der Simson Zweirad GmbH und Ermittlung des vorhandenen finanziellen Aufwands;

2. Analyse möglicher alternativer Formen der Zweiradfertigung am Standort Gewerbepark Suhl;

3. Ermittlung der am Standort vorhandenen Ressourcen.

Die Ergebnisse des Gutachtens lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Die Analyse der Ist-Situation ergab, dass eine kostendeckende Produktion mit der gegebenen Fertigungstiefe am jetzigen Standort in den bestehenden Strukturen nicht möglich ist. Eine Zweiradfertigung, so heißt es da, ist nur durch die Zufuhr von Kapital bzw. durch Gewinnung eines industriellen Partners zur Finanzierung der notwendigen Investitionen und Umstrukturierungsmaßnahmen möglich. Dies gilt sowohl für eine im Gutachten analysierte Neubauvariante als auch für eine Fortführung am jetzigen Standort. Eine Sanierung aus eigener Kraft ist nicht darstellbar.

Parallel wurde im Auftrag des Betriebsrats bzw. der IG Metall ein separates Gutachten in Auftrag gegeben. Nach den uns vorliegenden Informationen sind die Ergebnisse beider Gutachten weitgehend identisch. Mit Datum 24.01.2000 stellte die Geschäftsführung der Simson Zweirad GmbH einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Als Insolvenzverwalter wurde Herr MüllerHeidenreich eingesetzt.

Der Freistaat Thüringen hat weiterhin ein großes Interesse, den Fertigungsstandort Suhl aufrechtzuerhalten. Es muss allerdings davon ausgegangen werden, dass dies nur gelingt, wenn ein industrieller Partner gewonnen werden kann. Bemühungen in diese Richtung hat es seit 1997 gegeben. Derzeit finden Gespräche mit rund einem halben Dutzend Interessenten statt. Sofern ein auch finanziell glaubwürdiger Investor mit einem plausiblen Konzept auftritt, ist der Freistaat Thüringen selbstverständlich bereit und willens, im Rahmen der einschlägigen Programme Unterstützung zu leisten.

Der Markenname "Simson" liegt derzeit in der Verfügungsgewalt der Gewerbepark Suhl GmbH. Die Gefahr, dass der Markenname verwertet wird und für den Standort nicht mehr zur Verfügung steht, besteht daher aus unserer Sicht nicht. Wir müssen andererseits davon ausgehen, dass wohl zumindest ein Teil der Arbeitsplätze im Unternehmen nicht gehalten werden kann. Soweit die betroffenen Arbeitnehmer das 50. Lebensjahr vollendet haben, wird das neue Programm "50 Plus" zum Einsatz kommen. Die einzelne Einkommenssituation ist streng einzelfallbezogen. Eine pauschale Aussage ist hier nicht möglich. Im Übrigen wird die Arbeitsverwaltung in Absprache mit den betroffenen Mitarbeitern individuelle Fortbildungsmaßnahmen einleiten. Am 27.01., also gestern, habe ich mit dem Betriebsrat des Unternehmens gesprochen. Hier sind seitens der IG Metall und des Betriebsrats Behauptungen aufgestellt worden, die so nicht stehen bleiben können. Es ist erklärt worden, die Simson Zweirad GmbH habe im Herbst in Kenntnis der prekären wirtschaftlichen Situation des Unternehmens Auszubildende eingestellt, deren Ausbildungsverhältnis in Folge der Insolvenz gefährdet sei. Richtig ist, dass die Auszubildenden vom Ausbildungsverbund Gewerbliche Wirtschaft e.V. in Suhl eingestellt wurden. Simson Zweirad ist lediglich ein Praktikumsbetrieb. Bei Betriebseinstellung würden die Auszubildenden selbstverständlich einem anderen Betrieb zugewiesen.

Weiterhin bestanden Unklarheiten bezüglich der aktuellen arbeitsrechtlichen Situation. Nach Aussage des Betriebsrats und IG Metall Suhl hat sich die Belegschaft ab dem 24.01., dem Tag des Insolvenzantrags, arbeitslos gemeldet. Nicht mitgeteilt hat die IG Metall bei diesem gestrigen Gespräch, dass der Insolvenzverwalter in Abstimmung mit dem Arbeitsamt Suhl die Zahlung von Insolvenzgeld bzw. dessen Vorfinanzierung beantragt hat, so dass die Zahlung der vollen Nettobezüge vorerst gesichert ist. Die Arbeitslosenmeldungen werden zurückgenommen.

Meine Damen und Herren, nicht gerade hilfreich ist auch ein Schreiben aus dem Bundeskanzleramt, in dem man uns erstens mitteilt, nicht alle Rettungsmöglichkeiten genutzt zu haben, und in dem man uns anschließend um Informationen über das Unternehmen bittet. So gut ist man informiert.

(Heiterkeit bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich fasse noch einmal zusammen und stelle die jetzt konkret vorgesehenen Maßnahmen zur Standortsicherung dar:

1. Am 02.02. dieses Jahres werde ich im Wirtschaftsministerium mit dem Verwalter, Herrn Rechtsanwalt Müller-Heidenreich, verhandeln. Dabei wird es insbesondere um Gespräche gehen, die Herr Müller-Heidenreich mit möglichen Interessenten geführt hat. Weiterhin wird es um die Frage betrieblicher Aktivitäten während der Dauer des Insolvenzverfahrens gehen. Herr Müller-Heidenreich hat signalisiert, dass er zumindest die Ersatzteilfertigung und -lieferung aufrechterhalten wird, wobei über den Umfang noch keine Aussagen möglich sind.