Protocol of the Session on March 6, 2003

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, sehr verehrte Mitglieder der Landesregierung, verehrte Gäste auf der Besuchertribüne, ich darf Sie herzlich begrüßen und eröffne unsere 80. Plenarsitzung des Thüringer Landtags am heutigen 6. März 2003. Als Schriftführer haben an meiner Seite Frau Abgeordnete Bechthum und Herr Abgeordneter Panse Platz genommen. Herr Abgeordneter Panse wird die Rednerliste führen.

(Beifall im Hause)

Schon ein anerkennender Applaus für die Tätigkeiten hier, so entnehme ich das. Damit komme ich zu den Entschuldigungen für den heutigen Tag und bitte um Aufmerksamkeit. Es haben sich entschuldigt: Frau Ministerin Prof. Dr. Schipanski und die Herren Minister Gnauck, Dr. Krapp, Schuster und Dr. Sklenar. Bei allen liegen unabweisbare dienstliche Gründe vor, das ist exakt die Hälfte des Kabinetts. Dann haben sich entschuldigt: der Abgeordnete Döring, Frau Abgeordnete Wolf, Herr Abgeordneter Wunderlich, Herr Abgeordneter Dr. Koch, Herr Abgeordneter Scheringer, Frau Abgeordnete Dr. Fischer und Frau Abgeordnete Vopel.

Ich darf noch einige Hinweise geben: Im Foyer des Funktionsgebäudes findet eine Präsentation der Regionalgruppe Thüringen des Schädel-Hirnpatienten in Not e.V. statt. Da werde ich im Laufe des Tages auch anwesend sein.

Der Landesmusikrat lädt uns heute nach Ende der Plenarsitzung gegen 20.00 Uhr zu einem parlamentarischen Abend ein. Ich möchte bereits auf eine Ausstellung im Zusammenhang mit dem Internationalen Frauentag hinweisen, die wir morgen eröffnen werden, nämlich eine Ausstellung des Stadtmuseums Jena zum Thema "Entwurf und Wirklichkeit - Frauen in Jena 1900 - 1933".

So weit die Hinweise zum Geschehen am Rande unseres Plenums. Ich komme jetzt zu einigen Hinweisen zur Tagesordnung. Hier ist zunächst der Punkt 2 zu nennen, Gesetzentwurf der Landesregierung in Drucksache 3/2548, es ist das Thüringer Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen und zur Änderung verfassungsschutzrechtlicher Bestimmungen, hier wurde ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD in Drucksache 3/3181 verteilt.

Zu Punkt 3, Gesetzentwurf der Landesregierung in Drucksache 3/3052, Thüringer Gesetz über die Errichtung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.

Ist das ein Handy oder hat mich mein Gehör getäuscht? Ich habe es jetzt nicht lokalisieren können. Sind das Vertre

ter der Landesregierung?

(Unruhe im Hause)

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Kann nur sein.)

Kann nur sein. Ich bitte noch einmal zu kontrollieren, dass die Handys ausgeschaltet werden.

Wir waren bei Punkt 3 und der Drucksache 3/3052. Hier gibt es einen Entschließungsantrag der Fraktion der CDU in Drucksache 3/3179, auch dieser wurde verteilt.

War das wieder ein Handy oder habe ich Halluzinationen?

(Heiterkeit im Hause)

Wo ist denn das nur?

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Bauarbei- ten.)

Bauarbeiten? Das sind ja handyähnliche Geräusche.

Tagesordnungspunkt 6 b, Antrag der Fraktion der SPD, Dioxin in Futter- und Lebensmitteln - Drucksache 3/3145 -, hier wurde eine Neufassung verteilt.

Zu TOP 6 c, Antrag der Fraktion der PDS, Dioxin Verbraucherschutz zwei Jahre nach BSE - Drucksache 3/3155 -, dazu wurde noch ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS in Drucksache 3/3180 verteilt.

Tagesordnungspunkt 8 b, Entschließungsantrag der Fraktion der PDS, Erhöhung der Anzahl betrieblicher Ausbildungsplätze in Drucksache 3/2701, hier wurde eine Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags in Drucksache 3/3173 verteilt.

Der angekündigte TOP 17, Nachwahl von einem Mitglied und von zwei stellvertretenden Mitgliedern für den Landesjugendhilfeausschuss, hier hat die antragstellende Fraktion gebeten, ihn von der Tagesordnung abzusetzen und in der kommenden Plenarsitzung im April aufzurufen. Damit entfällt dieser Tagesordnungspunkt.

Dann darf ich zu TOP 18 folgende Mündliche Anfragen ankündigen, die hinzukommen: das sind die Drucksachen 3/3161/3163/3164/3165/3166/3167/3170/3172.

Auf Wunsch der Landesregierung und im Einvernehmen mit den Fragestellern werden die Mündlichen Anfragen der Abgeordneten Nothnagel und Becker in den Drucksachen 3/3104 und 3/3142 in der morgigen Plenarsitzung aufgerufen. Außerdem hat mich noch eine Bitte des Wirtschaftsministers erreicht. Er bittet darum, dass die Tagesordnungspunkte 13 und 15 ebenfalls erst morgen aufgeru

fen werden, da er heute, wie bereits gesagt, dienstlich unabweisbar verhindert ist. Ich gehe davon aus, dass sich dies ohnehin aus der Abarbeitung der Tagesordnung so ergeben wird und wir die beiden Punkte morgen aufrufen.

Dann hat die Landesregierung noch angekündigt, zu den Tagesordnungspunkten 6 a, b und c von der Möglichkeit eines Sofortberichts gemäß § 106 Abs. 2 unserer GO Gebrauch zu machen. Weiterhin hat sie Sofortberichte zu den Tagesordnungspunkten 11, 12, 13 und 15 angekündigt.

Das war eine Fülle von zusätzlichen Hinweisen. Gibt es weitere Wünsche bezüglich der Tagesordnung? Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Pidde.

Im Namen der SPD-Fraktion beantrage ich, den fristgemäß eingereichten Antrag "Verbesserung der Qualität des Wirtschaftsstandorts Thüringen durch Abschaffung von Verwaltungshemmnissen und Umsetzung von Deregulierungsmaßnahmen auf Bundes- und Landesebene" in Drucksache 3/3162 auf die Tagesordnung zu setzen. Wir beantragen eine gemeinsame Beratung mit dem Tagesordnungspunkt 15.

Dann stimmen wir zunächst über die Aufnahme als Tagesordnungspunkt ab. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. Große Einmütigkeit im Hause. Gibt es Gegenstimmen? Enthaltungen? Das ist nicht der Fall, dann einstimmig so aufgenommen. Die Platzierung und gemeinsame Beratung mit TOP 15 oder als TOP 15 a und b ist, denke ich, sehr plausibel, dem sollten wir folgen. Ich lasse auch darüber abstimmen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Auch einmütig. Gegenstimmen sehe ich nicht, Enthaltungen auch nicht. Dann ist das so beschlossen und damit insgesamt die Tagesordnung für die heutige und morgige Plenarsitzung festgestellt. Vielen Dank.

Ich komme zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 1

Thüringer Gesetz über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Straftäter (ThürStrUBG) Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 3/2493 dazu: Beschlussempfehlung des Justizausschusses - Drucksache 3/3129 ZWEITE BERATUNG

Ich darf den Abgeordneten Carius bitten, der als Berichterstatter bestimmt wurde, die Berichterstattung vorzunehmen.

Sehr verehrte Präsidentin, meine Damen und Herren, durch Beschluss des Landtags vom 13. Juni 2002 ist der Gesetzentwurf der Landesregierung an den Justizausschuss - federführend - sowie an den Innenausschuss überwiesen worden. Der Justiz- und der Innenausschuss haben den Gesetzentwurf intensiv beraten. Allein im Justizausschuss war er insgesamt sechsmal Gegenstand ausführlicher Debatten. Im federführenden Justizausschuss haben sich die Fraktionen auf eine mündliche Anhörung sowie eine umfangreichere schriftliche Anhörung verständigt. Da es sich bei diesem Gesetz um die Einführung eines neuen Rechtsinstituts im Bereich der Gefahrenabwehr handelt, das in dieser Form bislang in noch keinem Bundesland existiert, muss ich als Berichterstatter wenigstens grundsätzlich den Verlauf der Debatte schildern.

Ziel des Gesetzes ist es, einen wirksameren Schutz der Allgemeinheit vor der Gefährdung elementarer Rechtsgüter durch gefährliche Straftäter, die sich erst beim Vollzug der Strafe als besonders rückfallgefährdet erweisen, zu erreichen. Dazu kann die JVA, in die der Betroffene eingewiesen ist, bei der zuständigen Strafvollstreckungskammer Antrag auf nachträgliche Sicherungsverwahrung stellen. Die Kammer hat für die anzustellende Gefährlichkeitsprognose zwei Sachverständige zu hören und im Verfahren vor der Kammer wird dem Betroffenen ein Rechtsanwalt zur Seite gestellt.

Angehört wurden schriftlich der Landesverband Thüringen im Deutschen Anwaltsverein, der zwar eine Reihe von wichtigen Fragen anriss, dessen Stellungnahme aber weder eine grundsätzliche Begrüßung noch eine Ablehnung des Gesetzes zu entnehmen war. Der Landesverband der Deutschen Polizeigewerkschaft stimmte dem Entwurf der Landesregierung - ich zitiere - "abstrichlos" zu. Der Verband der Strafvollzugsbediensteten begrüßte den Gesetzentwurf grundsätzlich, auch wenn neben der Änderung technischer Details eher eine Bundeslösung präferiert wird, ebenso der Bund Deutscher Kriminalbeamter. Der Thüringer Richterbund begrüßte den Gesetzentwurf, insbesondere da er nach der im Bundestag verabschiedeten Vorbehaltslösung keine Chance einer bundesweiten Lösung des Problems sieht. Grundsätzliche Unterstützung erfuhr der Gesetzentwurf ebenso von der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft sowie dem Präsidenten des Thüringer Oberlandesgerichts. Technische Hinweise sowie ein Einwand der Thüringer Datenschutzbeauftragten wurden, soweit der Ausschuss sie teilte, in Anträgen der Mehrheitsfraktion in das Gesetz eingearbeitet. Sie liegen dem hohen Haus in der Form der Beschlussempfehlung in Drucksache 3/3129 vor.

Nun zu den Hauptdiskussionspunkten, die sich insbesondere aus der mündlichen Anhörung ergaben: Zweifel wurden von einem anzuhörenden Sachverständigen Dr. Kinzig vor allem an der gesetzgeberischen Zuständigkeit des Landes für die Regelung der nachträglichen Sicherungsver

wahrung laut, zumal nachdem der Bund zwischenzeitlich die so genannte Vorbehaltslösung eingeführt hat und schon vorher mit Erlass der StPO auch den sich aus der konkurrierenden Gesetzgebung ergebenden Spielraum für die Länder ausgeschöpft habe. Dem wurde durch den Sachverständigen Prof. Würtenberger jedoch entgegengehalten, es handele sich hier nicht um eine strafprozessuale Sicherungsverwahrung, wo der Einwand berechtigt wäre, sondern um ein neues Rechtsinstitut, nämlich die polizeirechtliche Sicherungsverwahrung, die als Maßnahme der Gefahrenabwehr in die Gesetzgebungskompetenz der Länder falle. Ein weiterer Kritikpunkt betraf die Notwendigkeit des Gesetzes im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sowie ein möglicher Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot des ne bis in idem. Hier wurde angeführt, die Verhältnismäßigkeit der Sicherungsverwahrung nach der verbüßten Schuld sei nicht gegeben, da man unter Wahrung der Rechte des Betroffenen mindestens eine sichere Prognose der Gefährlichkeit des Täters geben können müsse. Da dies aber statistisch kaum möglich sei, müssten die Rechte des Betroffenen auf Freiheit gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit auf Schutz vor Gefährdung elementarer Rechtsgüter überwiegen. Insoweit sei das Gesetz also eine unverhältnismäßige Maßnahme. Demgegenüber wurde sowohl von Dr. Frank, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes, als auch von Prof. Würtenberger deutlich gemacht, ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin, dass "je existenzieller die Grundrechte für den Einzelnen sind, je eher die Gefährdung zu erwarten ist, desto intensiver muss der staatliche Schutz vor Gefährdungen und Beeinträchtigungen sein". Weiter wurde deutlich gemacht, dass Statistiken empirisch nicht beweisbar seien und im Übrigen diese nicht leugnen könnten, dass es im Bereich der Schwerstkriminalität rückfallgefährdete Hangtäter gebe. Zur behaupteten Verletzungen des Gebots ne bis in idem wurde ausgeführt, dass sich dies nur auf Strafen, nicht aber auf Maßnahmen der Gefahrenabwehr beziehe. So weit die Argumentation zu den Hauptpunkten des Gesetzes. Der Ausschuss empfiehlt mehrheitlich die Annahme des Gesetzentwurfs der Landesregierung unter Berücksichtigung der vorgeschlagenen Änderungen. Danke.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank für die Berichterstattung aus dem Ausschuss. Wir kommen jetzt zur Aussprache. Als Erster hat das Wort der Abgeordnete Dittes, PDS-Fraktion.

Meine Damen und Herren, sehr verehrte Kollegen, ich hoffe, die Art der Berichterstattung von Herrn Kollegen Carius wird auch bei anderen Anträgen, die im Ausschuss zur Beratung standen, beispielgebend sein, weil sie tatsächlich einen Überblick über das Gesetz und über die Diskussion gibt. Die Einführung der nachträglichen Sicher

heitsverwahrung durch das im August 2002 auf Bundesebene in Kraft getretene Gesetz steht und stand damals im unmittelbaren Zusammenhang zum Bundestagswahlkampf. Das, meine Damen und Herren, trifft auch auf den Entwurf, der uns heute zur Beratung vorliegt, aus dem Nachlass von dem ehemaligen Justizminister Dr. Birkmann zu. In der Landespressekonferenz am 4. Juni 2002 sagte der Justizminister wortwörtlich: "Die Bürgerinnen und Bürger Thüringens müssten wegen der schleppenden Vorgehensweise der Bundesregierung mit dem täglichen Risiko von tickenden Zeitbomben leben". Dass die menschlichen Bomben mittlerweile neun weitere Monate ticken konnten, beweist, dass die angebliche Gesetzeslücke nicht so dramatisch sein kann, wie damals von Dr. Birkmann im Wahlkampf behauptet. Die Landesregierung hätte den Gesetzentwurf längst zurückziehen können und müssen, wenn die von Dr. Gasser angekündigte Absicht ernst gemeint ist, statt symbolischer Gesetzgebungsinitiativen sich künftig den tatsächlichen Problemen in der Justiz, insbesondere derer im Strafvollzug, zu widmen. Hinzu kommt, meine Damen und Herren, dass der Präsident des Bundesverfassungsgerichts erst kürzlich angekündigt hat, dass das Bundesverfassungsgericht noch in diesem Jahr über die Verfassungsbeschwerde des Albert Haidn entscheiden wird, der sich aufgrund des bayerischen Gesetzes zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten und hochgefährlichen Straftätern in Sicherheitsverwahrung befindet. Die Erfolgsaussichten dieser Verfassungsbeschwerde werden überwiegend als gut eingeschätzt und, meine Damen und Herren der CDU, das kann ich Ihnen noch sagen, der parteipolitische Nutzen, der sich für Sie in Thüringen aus dem Festhalten an dem Gesetz möglicherweise ergibt, steht deshalb in keinem Verhältnis zu dem beträchtlichen Risiko einer Blamage für Minister Dr. Gasser, wenn das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit des bayerischen Gesetzes in Kürze feststellen sollte.

Die Gründe, die für die PDS-Fraktion zur Ablehnung des Gesetzentwurfs führen müssen, hat Ihnen mein Kollege Dr. Koch bereits in der ersten Lesung im Juni vergangenen Jahres genannt, der krankheitsbedingt hier an dieser Stelle nicht noch einmal selbst darauf zurückkommen kann, deshalb meine Person an seiner statt.

Zunächst zu den Gründen, die sowohl gegen die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach der Vorbehaltsregelung des neuen § 66 a im Strafgesetzbuch als auch gegen die landesrechtliche, nicht vorbehaltene nachträgliche Unterbringung sprechen. Sowohl die Gesetzentwürfe der rotgrünen Regierungskoalition in Berlin als auch der Gesetzentwurf der Thüringer Landesregierung erwähnen in ihrer Begründung als Gesetzeszweck, im Interesse potenzieller Opfer eine Schutzlücke zu füllen. Diese Lücke bestehe, weil die Sicherungsverwahrung nur im Erkenntnisverfahren und nicht nachträglich angeordnet werden könne. Die vorbehaltene nachträgliche Sicherungsverwahrung wurde von der Bundesregierung damit begründet, dass bei einzelnen Tätern der Hang zu schweren Straftaten zum

Zeitpunkt der Verurteilung nicht sicher festgestellt werden könne und die Gefährlichkeit sich erst in der Straftat herausstelle. Diese Annahme liegt auch dem Thüringer Regierungsentwurf zu Grunde, allerdings meint die Landesregierung, dass die Vorbehaltslösung nicht ausreichend sei, weil zum einen Verurteilte, die derzeit Strafhaft verbüßen, nicht berücksichtigt und zum anderen Straftäter nicht erfasst würden, deren potenzielle Gefährlichkeit vom Tatgericht nicht erkannt werden würde. Kommt eine solche Tätergruppe in der Gerichts- und Vollzugspraxis überhaupt vor, bei der sich die Gefährlichkeit erst in der Strafhaft herausstellt? Empirische Untersuchungen oder tatsächliche Erkenntnisse sind bislang hierzu nicht bekannt. Auch in der vom Justizausschuss durchgeführten Anhörung hat keiner der Angehörten derartige Erkenntnisse mitgeteilt. Dagegen entspricht es allgemeinen Kenntnissen der Psychologie, dass allein aufgrund von Therapieverweigerung und von Drohungen, nach der Haftentlassung neue, schwere Straftaten begehen zu wollen, noch nicht auf die künftige Gefährlichkeit eines Verurteilten geschlossen werden kann. Häufig handelt es sich hierbei um bloße Trotzreaktionen, Uneinsichtigkeiten oder auch um Imponiergehabe unter den Bedingungen der Strafhaft. Letztendlich gibt es keinerlei Belege dafür, wie viele Verbrechen hätten vermieden werden können, wenn die nachträgliche Sicherungsverwahrung schon früher möglich gewesen wäre.

Andererseits muss sowohl bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Erkenntnisverfahren als auch bei der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung immer eine Prognoseentscheidung über die Gefährlichkeit des Täters vom Gericht getroffen werden. Dabei handelt es sich in der gegenwärtigen Gerichtspraxis regelmäßig um keine empirisch fundierte Gefährlichkeitsprognose, vielmehr wird die Prognoseentscheidung nach Lebensund Berufserfahrung, nach kriminologischen Laien- und Alltagstheorien, nach persönlichem Eindruck und Gespür getroffen. Kurz: Es handelt sich regelmäßig um höchst subjektive und intuitive Prognosen der Richter, die demzufolge auch mit einer hohen Fehlerhaftigkeit belastet sind. Der im Anhörungsverfahren des Justizausschusses gehörte Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, Herr Kinzig - Herr Carius hat ihn bereits genannt -, zitierte eine Untersuchung, wonach 60 bis 70 Prozent der Personen, die wegen ihrer vermuteten Gefährlichkeit in Gewahrsam gehalten werden, überhaupt nicht gefährlich sind. Bei dem Versuch, allein oder primär aufgrund des Verhaltens im Vollzug, d.h. in Unfreiheit, schwer rückfällige Straftäter zu prognostizieren, würden sich die Prognoseprobleme noch vervielfältigen. Der empirisch nicht belegte Sicherheitsgewinn und das Fehlen einer empirisch fundierten Prognosemethode rechtfertigen es nicht, durch Anordnung der Sicherungsverwahrung Rechtsbrechern über einen langen Zeitraum, möglicherweise ja sogar lebenslänglich die Freiheit zu entziehen. Dies entbehrt, meine Damen und Herren, jeder Verhältnismäßigkeit und Rationalität. Erst recht gilt dies dann, wenn die Prognoseentscheidung ganz oder überwiegend auf das wenig aussagekräftige Vollzugsver

halten gestützt werden soll.

Schließlich spricht gegen weitere Varianten der nachträglichen Sicherungsverwahrung die Gefahr kontraproduktiver Wirkung. Eine nicht vorbehaltene nachträgliche Sicherungsanordnung birgt die Gefahr, dass sich ein Strafgefangener im Strafvollzug angepasst verhält, um die drohende Anordnung der Sicherungsverwahrung zu verhindern, zum Beispiel, indem er sich einer Therapie scheinbar freiwillig unterzieht. Die Folge eines solchen durch die Möglichkeit einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung induzierten Anpassungsverhaltens könnte zu gravierenden Fehlentscheidungen bei Vollzugslockerung und der Entlassungsprognose führen und damit letztendlich den Strafvollzugszweck konterkarieren. Auch bestünde die Gefahr, dass lediglich angepasste, in Wahrheit aber therapieunwillige Gefangene knappe Therapieplätze in Anspruch nehmen.

Deshalb, meine Damen und Herren, ist das aus meiner Sicht geradezu widersinnig, wenn in der Begründung des Gesetzentwurfs behauptet wird, das Fehlen der Möglichkeit, die Sicherungsverwahrung nachträglich anzuordnen, wirke sich negativ auf resozialisierungsbereite Gefangene aus. Im Gegenteil, es ist die Möglichkeit, der nachträglichen Sicherungsverwahrung, die diese negativen Folgen hervorruft.

Nach den kriminalpolitischen Einwänden komme ich jetzt zu den verfassungsrechtlichen Einwänden, die gegen eine landesrechtliche Regelung der Sicherungsverwahrung bestehen: Zunächst ist zu klären, ob die konkurrierende Bundesgesetzgebungskompetenz für das Strafrecht nach Artikel 74 Abs. 1 des Grundgesetzes eine Landesregelung ausschließt. Unstreitig dürfte sein, dass der Bundesgesetzgeber aufgrund der konkurrierenden Kompetenz für das Strafrecht eine Kompetenz für die Regelung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung hat. Der Bundesgesetzgeber hat eine Regelung mit § 66 ff. Strafgesetzbuch getroffen. Damit ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Landesgesetzgeber verwehrt, tatsächliche oder nur behauptete Lücken der bundesrechtlichen Regelung durch Landesrecht zu schließen.

Der von der CDU nominierte Sachverständige in der Anhörung, Prof. Würtenberger aus Freiburg, wandte allerdings hiergegen ein, dass nicht jede Anknüpfung an eine Straftat zu einem strafrechtlichen Charakter des jeweiligen Rechtsinstituts führt. Als Beispiel nannte er die Ausweisung von Ausländerinnen und Ausländern wegen im Inland begangener Straftaten. Das Ausweisungsverfahren sei ein sicherheitsrechtliches Verfahren und kein strafprozessuales Verfahren, obwohl es unmittelbar und direkt an konkrete strafgerichtliche Verurteilungen anknüpfe und reagiere. Das Argument, meine Damen und Herren, geht allerdings fehl und damit erwidere ich auch Ihre Einlassung, Herr Carius. Für die nachträglichen Sicherheitsverwahrungen ist die Verurteilung eine notwendige Voraussetzung, während in dem Beispiel der Ausweisung diese

auch unter anderen Voraussetzungen möglich ist. Die Sicherungsverwahrung wird somit gerade wegen der Straftat, mit anderen Worten, durch die Straftat gerechtfertigt. Dies verleiht ihr strafrechtlichen und nicht gefahrenabwehrrechtlichen Charakter, denn verhielte es sich anders und wäre nicht die Straftat, sondern die Gefährlichkeit des Täters der eigentliche Grund für die Anordnung der Sicherungsverwahrung, so wäre nicht einleuchtend, weshalb die Sicherheitsverwahrung nicht auch dann angeordnet werden kann, wenn die formellen Voraussetzungen der landesrechtlichen Regelung, also hier in § 1 des Gesetzentwurfs, nicht erfüllt sind oder wenn der Täter gar nicht in einer Justizvollzugsanstalt einsitzt. Die hier bestehende Ungleichbehandlung lässt sich nur mit den Straftaten als tatbestandliche Voraussetzung des Landesgesetzes, aber nicht mit denen von den betreffenden Personen ausgehenden Gefahren rechtfertigen. Es greift daher auch nicht das weitere Argument des Professors durch, in dem einen Fall knüpfe das Institut die Sicherungsverwahrung an das Strafverfahren an, im anderen Fall jedoch an die Legalbiografie des Betroffenen, insbesondere während der Strafhaft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt es im Überschneidungsbereich von Bundes- und Landeskompetenz auf den stärkeren Sachzusammenhang an bzw. darauf, mit welchem Kompetenzbereich eine Regelung enger verzahnt ist. Bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist dies eindeutig hinsichtlich des Strafrechts der Fall und nicht hinsichtlich der Gefahrenabwehr.