Nicht an allen Orten und nicht in allen Institutionen wird die Gegenwehr der Demokraten so ernsthaft betrieben, wie dies nach dem schrecklichen Anschlag auf die Erfurter Synagoge von vor zwei Jahren gefordert wurde. In manchen Orten fehlen bis heute Strukturen, wie Bündnisse gegen Rechts oder antifaschistische Initiativen; Beratungsangebote werden oft ignoriert. Neben dem bürgerschaftlichen Engagement gegen Ausländerfeindlichkeit und Neofaschismus kommt den verschiedenen Projekten, Beratungsstellen und Netzwerken gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus eine große Bedeutung zu. Sie unterstützen durch qualifizierte und kontinuierliche Beratung die Opfer rassistischer und rechtsextremer Gewalt, sie beraten kommunale Initiativen und Projekte, sie gehen in Schulen und klären auf gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Diese noch durch die Mittel des Bundesprogramms Civitas geförderten Projekte werden ihre erfolgreiche Arbeit nur dann fortführen können, wenn wir deren Arbeit in Zukunft auch mit Landesmitteln unterstützen. Wir werden einen entsprechenden Haushaltsantrag einbringen und dann wird sich an Ihrem Verhalten zeigen, meine Damen und Herren, wie ernst Sie es meinen mit der wirkungsvollen Abwehr rechtsextremistischen
Herr Ministerpräsident, Sie haben Ihre Vorschläge zur Einschränkung des Versammlungsrechts erwähnt. Diese stärken demokratisches Bürgerengagement nicht. Sie schwächen das demokratische Potenzial der bewussten Bürgerinnen und Bürger und sie leisten nichts gegen undemokratisches Denken und Handeln. Wir lehnen die Ideen der Landesregierung ab, an bestimmten Tagen und Orten das Versammlungsrecht einzuschränken.
Diese Einschränkung des Versammlungsrechts würde dann auch demokratische Gedenk- und Gegenveranstaltungen treffen und diese, genau diese, sind notwendiger denn je.
Mit dem Schaffen von Ruhe, meine Damen und Herren, ist es nicht getan. Auch solche trügerische Ruhe, meine Damen und Herren, ist ein Nährboden für das Erstarken rechtsextremistischen Denkens und Handelns. Dieses Denken und Handeln setzt auf den nichtengagierten, desinteressierten und nicht auf den bewussten und engagierten emanzipierten Bürger.
Außerdem, ich frage mich schon seit einiger Zeit: Ist es nicht auch an der Zeit, den antinazistischen Impetus des Grundgesetzes gegen seine Inanspruchnahme durch Neonazis zu verteidigen? Eine verfassungsrechtliche Lösung, wie sie von Verfassungsjuristen vorgeschlagen wird, könnte die Aufnahme einer eindeutigen Aussage gegen die Wiederbelebung nationalsozialistischen Gedankenguts in das Grundgesetz sein.
Meine Damen und Herren, ich sage es nicht zum ersten und - ich bin überzeugt davon - auch nicht zum letzten Male, die Einschränkung demokratischer Rechte wird nicht helfen gegen undemokratischen Ungeist. Ganz im Gegenteil, sie wird denen in die Hände spielen, die auf man
gelnden Widerstand der Bürgerschaft setzen und bei Ihnen, meine Damen und Herren, am Ende einen naiven Gehilfen finden.
Es mutet schon grotesk an, dass auf der einen Seite die mangelnde Unterstützung der Bevölkerung für die demokratische Verfasstheit unseres Staates vielfach bedauert wird, denn auf der anderen Seite wurden in diesem Haus Gesetze auf den Weg gebracht, die einen zentralen Pfeiler dieses demokratischen Systems, nämlich die Grundund Bürgerrechte, erheblich schwächen. Das im Juni 2002 in Kraft getretene neue Thüringer Polizeiaufgabengesetz eröffnet weit reichende Befugnisse, die ursprünglich für Ausnahmesituationen vorgesehen waren. Diese finden nun Eingang in die polizeiliche Alltagsroutine. Ich denke da an den Platzverweis oder an das Aufenthaltsverbot, an die Ausweitung der verdeckten Datenerhebung durch nicht offen ermittelnde Polizeibeamte auch auf Begleit- und Kontaktpersonen, an die präventive Telefonüberwachung, an den Lauschangriff oder an die Rasterfahndung. Wegen Ihrer Heimlichkeit, wegen Ihrer Wagheit und wegen Ihrer Generalität werden viele unbescholtene Bürger und Bürgerinnen durch derartige Maßnahmen betroffen sein. Damit bleiben Grundrechte auf der Strecke. Alle diese Regelungen sind am Ende ein gewaltiger Generalverdacht der Politik gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Das ist sicher der Identifikation der Menschen mit der gegenwärtigen Demokratie und dem engagierten Denken und Handeln einer aufgeklärten Bürgerschaft nicht dienlich.
Deswegen, Herr Ministerpräsident, ist die Kritik am Polizeiaufgabengesetz keinesfalls "unverantwortlich", sondern höchst nötig.
Herr Ministerpräsident, Ihre Erklärung war ziemlich allgemein gehalten. Ich habe versucht, unabhängig vom Agieren der ersten Reihe Ihrer Fraktion, auf zwei Aspekte konkret einzugehen und unsere kritische Sicht darauf deutlich zu machen. Man könnte jeweilige Teile dieser Regierungserklärung zur Weiterberatung an die jeweils zuständigen Ausschüsse überweisen, wenn das per Geschäftsordnung ginge. Das würde aber voraussetzen, dass der Zusammenhang zwischen herrschender Politik und demokratieverneinendem Denken und Tun auch in unserer Sichtweise anerkannt wird. Solange die Politik, das heißt Sie, Herr Ministerpräsident, Ihre Regierung und dieses hohe Haus, eine Politik macht, die Ausgrenzung, Entmündigung oder Diskriminierung ermöglicht, müssen wir uns über die Zunahme der Zahl von Demokratiezweiflern und Demokratiefeinden nicht wundern. Wenn die politische Klasse die Probleme der Bürgerinnen und Bürger nicht lösen will oder kann, ohne Ihnen lediglich nach dem Munde zu reden, werden wir auch nächstes Jahr wieder bittere Daten und anhaltende demokratiegefährdende Tendenzen zur Kenntnis nehmen müssen. Danke schön.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, eine der zentralen Aussagen des uns immerhin seit zwei Tagen vorliegenden Thüringen-Monitors ist die zunehmende Politikverdrossenheit unserer Bürger. Ich bin sehr erfreut, dass dieses Ergebnis auch in der Regierungserklärung nicht unter den Tisch gekehrt wurde. Die Politikverdrossenheit, meine Damen und Herren, hat mit unserer politischen Kultur zu tun, und zwar mit unserer politischen Kultur zunächst und vor allen Dingen hier im Land. Dafür liefert auch die heutige Debatte alles andere als ein gutes Beispiel.
Herr Ministerpräsident, bereits im vorigen Jahr habe ich darauf hingewiesen, dass es einer funktionierenden parlamentarischen Demokratie nicht würdig ist, wenn Sie und sicherlich auch die Regierungsfraktion seit geraumer Zeit über die Befunde des Thüringen-Monitors verfügen, darauf eine Regierungserklärung aufbauen, der Opposition aber erst kurze Zeit vor Ihrer Regierungserklärung die Ergebnisse zukommen lassen. Daran kann man nun zum wiederholten Male erkennen, wie ernst Sie und die Mehrheitsfraktion politische Kultur und die damit verbundenen demokratischen Regeln und Werte nehmen.
Nunmehr im dritten Jahr versuchen Sie Macht auszuüben durch Verzögerung von selbstverständlichen Informationen und wundern sich, wenn der Politik pure Machtgier zugeschrieben wird und die Politikverdrossenheit zunimmt, das Vertrauen in politische Institutionen, insbesondere in Parteien, abnimmt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an das von mir hinterfragte und kritisierte Verfahren anlässlich des Thüringentages und der dortigen Veranstaltung "Jugend trifft Politik", wo Politik aus dem Ministerpräsidenten bestand. Meine Damen und Herren, Politik in diesem Lande ist mehr als die Landesregierung und die sie tragende Fraktion in diesem Hause.
Wenn man demokratisches Verhalten, Interesse und Engagement für Politik im Bewusstsein der Bevölkerung und insbesondere im Bewusstsein junger Menschen verankern will, dann muss dies in jeder Generation immer
wieder neu vorgelebt und von den Menschen auch erlebt werden. Diejenigen aber - und das bestätigen Ihnen alle Studien und auch die jetzt vorgelegten Fakten -, die eigene Einflussmöglichkeiten auf die Lebensgestaltung erkennen, die in der Familie und in ihrem Lebensumfeld mitbestimmen und mitgestalten können, die zur Übernahme von Verantwortung ermuntert werden und die nicht in einem autoritären Klima von Befehl und Gehorsam leben, diejenigen sind gegen extremistisches Gedankengut nahezu immun. Dies aber, meine Damen und Herren, setzt Vorbilder voraus. Das schließt unser Verhalten hier im Hause ebenso ein wie die Auseinandersetzung in den Kommunalparlamenten und die Möglichkeit für Bürger, Einfluss auf Politik zu nehmen. Es schließt im Hinblick auf junge Menschen Vorbilder in den Familien, in den Schulen und in den Jugendeinrichtungen mit ein, nämlich solche Vorbilder, meine Damen und Herren, die Mitbestimmung, die Verantwortungsübernahme, die Partizipation nicht nur als theoretisches Gebilde lehren, sondern die dieses gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen auch leben.
Also noch einmal: Gelebte politische Partizipation und fundiertes Wissen ist das beste Immunsystem gegen Extremismus und Gewalt. Wenn wir dies anerkennen, meine Damen und Herren, dann müssen wir auch genau dafür etwas tun. Genau darum geht es in vielen Punkten meiner Rede. Dann ist es doch selbstverständlich, dass einer Opposition Material rechtzeitig zur Verfügung gestellt wird. Dann ist es doch selbstverständlich, meine Damen und Herren, dass Beiträge der Opposition, die offensichtlich auch zur Problembewältigung beitragen können, zumindest angehört und auch manchmal wenigstens akzeptiert werden. Dann ist es doch selbstverständlich, dass jungen Menschen und auch ihren Eltern an einer entscheidenden Stelle Mitbestimmungsrechte eingeräumt werden, die eben nicht nur auf dem Papier stehen, beispielsweise im Bereich der Schule. Die Schule wird bekanntermaßen ja von allen besucht, meine Damen und Herren, außer von den Flüchtlingskindern, die Sie, die Kollegen von der CDU, dort nicht sehen wollen.
Im gerade verabschiedeten Schulgesetz wurde zum Thema Flüchtlingskinder von Ihrer Seite entsprechend entschieden und es wurden auch sämtliche Versuche zur Erweiterung von Mitbestimmung abgebügelt. Das sind bezeichnende Beispiele dafür, dass diese Landesregierung ich zitiere Herrn Ministerpräsident Vogel - "die Bereitschaft der Menschen zur Mitwirkung" einfordert, aber selbst weder mit gutem Beispiel vorangeht noch im Bereich der Bildung die unumgänglichen Voraussetzungen dafür schafft. Jeder unbefangene Beobachter könnte den Eindruck haben, dass seit Ihrer absoluten Mehrheit in Thüringen die Monarchie ausgebrochen ist. Ich bin ja schon dankbar, dass Sie, Herr Ministerpräsident, wenigstens die unumgänglichen Fakten genannt haben, und diese Fakten verbieten jede Beschönigung. Aber eines kann ich Ihnen versichern: Allein mit Versammlungsverboten, mit Videoüber
wachung der Bevölkerung, mit Kopfnoten, mit der Betonung des Rechtskundeunterrichts, mit dem von Ihnen erweckten Eindruck einer Ein-Parteien-Herrschaft tragen Sie, meine Damen und Herren von der CDU, tatsächlich zu einer politischen Kultur in diesem Lande bei. Dies wird aber nicht die Kultur sein, die zum Abbau von Politikverdrossenheit und zum Engagement möglichst großer Bevölkerungsteile führt. Auch hierfür noch ein ganz konkretes Beispiel: Die Beteiligung junger Menschen an den sie betreffenden Entscheidungen versuchen Sie nicht nur im Schulgesetz auf das unbedingt notwendige dünne Mäntelchen zu reduzieren, nein, da sind Sie ganz konsequent. Wir hatten in der vergangenen Legislaturperiode einen Haushaltstitel, wenn auch mit wenigen Mitteln ausgestattet, zur Erprobung von Beteiligungsformen für Kinder und Jugendliche eingeführt. Sie haben diesen Haushaltstitel jetzt bis zur Unkenntlichkeit reduziert und vor allen Dingen wirklich alle Anstrengungen unterlassen, um diesen Titel tatsächlich mit Leben zu füllen. Dies haben Sie getan, obwohl Ihnen Ihre Untersuchung im Rahmen des ThüringenMonitors sehr wohl nahe legt, politische Bildung als erlebte Beteiligung zu stärken. Ihr eigenes Präventionsprogramm, meine Damen und Herren, gegen Jugendkriminalität hat Ihnen dies schon vor zwei Jahren nahe gelegt; erfolgt aber ist in der Praxis die rigorose Kürzung.
Ein weiterer Aspekt, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, erfüllt mich allerdings mit Hoffnung. Sie erkennen an, dass die wirtschaftliche Situation und die Arbeitsmarktsituation in unserem Lande zu einer enormen Verunsicherung der Menschen führt, insbesondere natürlich in den Bevölkerungsschichten, die sich nicht zu den Gewinnern der deutschen Wiedervereinigung zählen, und deren Zahl nimmt offensichtlich zu. Sie erkennen an - im Gegensatz zu den vergangenen Jahren -, dass sich die Schere zwischen Ost und West wieder öffnet.
Sie müssen aufgrund der vorliegenden Ergebnisse anerkennen, dass der Wegzug qualifizierter, insbesondere junger Menschen keine Erfindung des Deutschen Gewerkschaftsbundes ist.
Wirtschaftliche Unsicherheit und mangelnde Perspektiven gerade junger Menschen führen eben dazu und dies lässt sich nun wirklich nicht wegleugnen. Auch aus diesem Grunde wird der Graben zwischen alten und neuen Ländern wieder tiefer. Wenn es nun um die beruflichen Perspektiven junger Menschen geht, meine Damen und Herren, dann erinnere ich an die Debatten um den Arbeitsmarkt und an die gestrige Diskussion zur Jugendberufs
Über die Fakten hinaus sind diese Politikbereiche von hoher symbolischer Bedeutung. Wer gerade hieran grundsätzlich rütteln will - und dies geschieht derzeit durch Ihren Haushaltsentwurf -, der sendet gerade an jetzt schon verunsicherte junge Menschen katastrophale Signale. Wenn wir solche Signale aussenden, dann müssen wir uns nicht über Reaktionen wundern, nicht über Politikverdrossenheit und nicht über so genannte Ostalgie. Denn dies alles stärkt Unzufriedenheit. Spätestens jetzt wissen wir ganz genau, dass Unzufriedenheit - ein Gefühl von Ohnmacht, ob es berechtigt ist oder nicht -, gepaart mit geringem Kenntnisstand und geringen persönlichen Perspektiven, am ehesten dazu beiträgt, sich von Demokratie abzuwenden. Nichtdemokraten sind jetzt mehr als 20 Prozent der Befragten, zuzüglich 42,2 Prozent derjenigen, die mit der Demokratie unzufrieden sind.
Das sind, Herr Ministerpräsident, ohne jede Panikmache, mehr als feine Risse. Wenn Sie sich bei dieser Wertung auf die Verfasser berufen, sollten Sie wohlwollend auch mal den Zusammenhang von Auftraggeber und Auftragnehmer sehen. Mir geht es hier überhaupt nicht um Verzerrung oder um Panikmache und es geht auch gar nicht um Allheilmittel, aber es ist wirklich notwendig, dass wir als Parlamentarier, als politische Vorbilder eine offene und eine faire politische Diskussion führen und dass wir uns den Realitäten stellen. Also will ich bei dieser Gelegenheit noch einmal sagen: Lassen Sie doch dann endlich die Lobhudelei über all die tollen Aktivitäten der Landesregierung und ausschließlich Schuldzuweisung in Richtung Bundesregierung.
Das Ergebnis der hier vorliegenden Untersuchung ist doch der Beweis, dass bestenfalls im Moment von einer Verschlimmbesserung zu reden ist. Der Rückgang der politisch motivierten Gewaltdelikte und rechtsextremistischen Straftaten von Kindern und Jugendlichen, das ist die einzig positive Nachricht, die Sie dann selbst mit dem Anstieg des prozentualen Anteils fremdenfeindlicher Straftaten und von Straftaten mit antisemitischem Hintergrund relativieren.
Meine Damen und Herren, da wirkt der Blick über die Landesgrenzen lediglich ablenkend, aber nicht beruhigend. Also, es besteht keinerlei Grund zur Bagatellisierung, ganz im Gegenteil. Und dies, trotz der Koordinierungsstelle zur Gewaltprävention, trotz zusammengewürfelter und bestenfalls fortgeschriebener Bildungsprogramme der Landesregierung, die offensichtlich ohne einen deutlichen Erfolg sind, und trotz des Rechtskundeunterrichts, der bestenfalls formale Kenntnisse vermittelt, was im Übrigen nicht schädlich ist und was ich auch nicht in Abrede stellen will, aber was eben nicht ausreicht. Denn Demokratie, meine Damen und Herren, muss erlebt und sie muss gelebt werden. Dafür haben wir außerhalb der Familien eine erhebliche und eine unmittelbare landes
Meine Damen und Herren von der CDU, erkennen Sie doch auch im Hinblick auf Ihre Ziele zur Familienpolitik, dass Sie doch ein arg eingeengtes Bild von Familie vor sich haben, und erkennen Sie an, dass Familie in Thüringen gerade bei jungen Menschen mehr ist als Eheschließung. Sie müssen jetzt nicht gleich wieder in Panik verfallen. Die SPD ist nicht gegen die Ehe.