Protocol of the Session on November 21, 2002

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, seit langem wird von den Lehrern, Eltern und Schülern die wenige Zeit füreinander beklagt. Organisatorische und außerunterrichtliche Angelegenheiten können nur in der allgemeinen Unterrichtszeit bzw. während des Fachunterrichts besprochen werden. Ich denke, es ist höchste Zeit, unseren Schulen Klassenlehrerstunden zur Verfügung zu stellen. Dadurch kann nicht nur der Fachunterricht entlastet werden. Es ist auch eine der am vehementesten vorgetragenen Forderungen nach Gutenberg als den allerkleinsten kleinen Schritt hin zu einem partnerschaftlichen Verhältnis zwischen Lernenden und Lehrenden. Auch zu diesem fünften Punkt unseres Änderungsantrags beantragt die PDS-Fraktion namentliche Abstimmung.

(Beifall bei der PDS)

Zum Förderschulgesetz liegt Ihnen ein Entschließungsantrag der PDS-Fraktion vor. Wir erkennen die Bemühungen der Landesregierung an, das Förderschulgesetz vom Umfang her zu kürzen und einer Integration - wenn möglich - den Vorrang zu geben. Ob das nur Worte im Gesetzestext bleiben oder messbare Taten folgen, werden wir kritisch begleiten. Eine zeitgemäße Ausdrucksform, beispielsweise Stichworte wie Assistenz, zu benutzen statt Pflege und Therapie, wie unter den betroffenen Verbänden längst unumstritten, fanden bisher keine Berücksichtigung. Es ist für uns nicht nachvollziehbar, warum anderthalb Jahre nach In-Kraft-Treten des SGB IX, Gesetz zur Rehabiliation und Teilhabe Behinderter, und dem Behindertengleichstellungsgesetz vom Mai 2002 die Landesregierung den Paradigmenwechsel der Behindertenpolitik nach wie vor ignoriert.

(Beifall bei der PDS)

Wir hoffen auf Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag.

Zum Schulfinanzierungsgesetz: Die Streichung des warmen Mittagessens und der Wegfall der Deckelung der Kosten ist aus gesundheitspolitischer Sicht das völlig falsche Signal.

(Beifall bei der PDS)

Bereits jetzt sind 10 Prozent der Heranwachsenden übergewichtig; Bewegungsmangel und Armut werden zunehmend zum Gesundheitsrisiko.

(Zwischenruf Abg. Wunderlich, CDU: Was hat denn das damit zu tun?)

Ach hören Sie doch zu.

(Zwischenruf Abg. Wunderlich, CDU: Sie reden doch schon...)

Machen Sie es besser. Ich habe Sie hier vorn noch nicht gehört.

Offene Schulen mit ganztägigen Angeboten sollten nicht auf die Pommesbude in der Nachbarschaft angewiesen sein. Gesunde Ernährung darf nicht Unterrichtsfach, sondern muss Schulrealität werden.

(Beifall bei der PDS)

Die Kommunen als Schulträger brauchen Planungssicherheit und Angemessenheit beim Schullastenausgleich und bei den Schulinvestitionen. Dies gilt umso mehr, da die Finanzsituation der Thüringer Kommunen als desolat zu bezeichnen ist. Sie haben von allen 13 Flächenbundesländern die geringste Steuerkraft. Seit 1993 sind die Einnahmen der Thüringer Kommunen um rund 10 Prozent gesunken. Die Bildungsziele können im Freistaat nur dann erreicht werden, wenn die Schulträger hierfür eine angemessene materielle Basis bereitstellen können. Land und Kommunen sind hier gleichermaßen gefordert. Die Kosten der Schulträger werden neben der Schülerzahl wesentlich von der Anzahl der Schulstandorte bestimmt. Wir fordern deshalb eine Abkehr von der gegenwärtigen linearen Kürzung des Schullastenausgleichs. Stattdessen sieht unser Änderungsantrag einen Grundbetrag pro Schulstandort sowie einen schülerzahlabhängigen Auffüllbetrag und die analoge Regelung für investive Zuweisungen vor. Damit ist eine wohnortnahe Erhaltung der Schulstandorte eher möglich oder bleibt zumindest eine inhaltliche Entscheidung der Schulträger vor Ort.

(Beifall bei der PDS; Abg. Döring, SPD)

Mit einem weiteren Entschließungsantrag unter der Überschrift "Schulautonomie" wollen wir die Diskussion darum offensiv beginnen. Unseres Erachtens liegen genau dort die Potenziale brach, die Schulentwicklung derzeit wirklich nicht vorankommen lassen, denn die Schule vor Ort ist den Problemstellungen und alltäglichen Anforderungen am sachnächsten und könnte unter bestimmten Rahmen

bedingungen auch am schnellsten und wirksamsten reagieren.

(Beifall bei der PDS)

Kernpunkte müssen heißen: mehr Autonomie auf Basis von Zielvereinbarungen, Budgetierung der Finanzen, moderne Evaluierung statt Kontrolle durch die Schulaufsicht. Dadurch würde die Lernschule zu einer wirklichen Lebensschule werden, die demokratisch organisiert und entwickelt wird, in der Mitdenken aller Bildungsbeteiligten erwünscht wird, sich moderne Unterrichtsqualität wie von selbst herausbildet und die Wertschätzung der Arbeit der Pädagogen ohne Zweifel wäre.

(Beifall bei der PDS)

Die Bereitschaft zu diesen Reformen ist da. Das zeigen die nach wie vor unzähligen Briefe, Petitionen und Diskussionen. Die Fähigkeit dazu haben die Lehrerinnen und Lehrer nach 1990 in einer ungeheuer spannenden Nachwendezeit bereits einmal bewiesen. Die Möglichkeit im entsprechenden Rahmen muss durch die Politik gewährleistet werden. Diese "Neue Schule" in einer Kultur der Leistung braucht keine Kopfnoten, sondern die Souveränität der Bildungsbeteiligten beim Übergang in eine Wissensgesellschaft.

Ich schließe mit drei finnischen Geboten: Man sollte Pädagogen achten! Man darf Kinder nicht beschämen! Auf den Anfang kommt es an! Zögern wir nicht länger! Danke.

(Beifall bei der PDS)

Es hat jetzt Abgeordneter Döring, SPD-Fraktion, das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wäre der heutige Tag ein Fisch, ich würde ihn wieder reinwerfen. Die CDU-Mehrheit

(Unruhe im Hause)

wird heute einen Gesetzentwurf verabschieden, in dem die Qualitätsentwicklung keinerlei Rolle spielt, die Motivation von Schülern, Lehrern und Eltern auf der Strecke bleibt und sich unsere Schulen auch weiterhin mit bürokratischen Hindernissen herumschlagen müssen. Die Rahmenbedingungen für mehr Eigenverantwortung der Einzelschule als kreativer Kern aller Reformbemühungen werden den Thüringer Schulen durch Ihre Ignoranz, meine Damen und Herren von der CDU, verweigert. Die Wirtschaft hat es auf den Punkt gebracht. Der Entwurf der Gesetzgebung wird einer tief greifenden Thüringer Schulreform nicht gerecht, so die Industrie- und Handelskammern.

(Beifall bei der SPD)

Die Südthüringer Handwerkskammer fügt hinzu: Die Erwartungen des Handwerks an die Auswirkungen des neuen bzw. novellierten Thüringer Schulgesetzes sind realistisch bescheiden. Bescheiden - besser kann man den vorliegenden Entwurf gar nicht charakterisieren. Noch nie ist ein Gesetzentwurf der Landesregierung auf derart einmütige Ablehnung in der Bevölkerung gestoßen. In den vom Kultusministerium veranstalteten Regionalkonferenzen...

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Ach, wo waren Sie denn?)

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU:..., Herr Döring,... )

Meine Damen und Herren von der CDU, ich glaube, Ihre Wahrnehmung ist nicht mehr ganz normal, das ist Ihr Problem.

(Beifall bei der PDS, SPD)

(Unruhe bei der CDU)

In den vom Kultusministerium veranstalteten Regionalkonferenzen hagelte es Kritik seitens der Lehrer und Eltern an dem als realitätsfern und wenig innovativ empfundenen "Meilenstein". Die Thüringer Medien bezeichneten die Vorlage als enttäuschend, unzulänglich oder gar als bloßes Fragment, in dem "nur das Nötigste an Änderungen, die seit Jahren gefordert wurden und spätestens seit der Bluttat am Gutenberg-Gymnasium nicht länger zu verhindern waren, vollzogen werden". "Das Schulgesetz findet nur den Beifall der CDU", titelte etwa die "Ostthüringer Zeitung" zu Recht.

Genau diesen Eindruck erlangte man auch bei der Anhörung des Ausschusses für Bildung und Medien zur Schulgesetznovelle Anfang November. Dort verdeutlichten die Vertreter nahezu aller gesellschaftlich-relevanten Gruppen, darunter nicht nur Lehrer, Schüler und Eltern, sondern auch Wirtschaft, Handwerk und Kirchen ihre Vorbehalte gegenüber dem Regierungsentwurf. Manch einer aus den Reihen der CDU mag den geballten Unmut der Anzuhörenden an jenem Tag nicht gern vernommen haben, aber er war nicht zu überhören, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Zwei ver- schiedene Veranstaltungen.)

Wer auf guten Rat hört, der ist weise! - so ist im Alten Testament zu lesen.

Die Weisheit, die die CDU nach der Anhörung im Ausschuss für Bildung und Medien an den Tag legte, lässt sich in trauriger Kontinuität mit dem Attribut "sehr be

scheiden" beschreiben.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Haben Sie nicht noch ein stärkeres Wort?)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung und die Mehrheitsfraktion dieses Hauses reagierten auf die allgemeine Kritik in bezeichnender Weise. Die Staatskanzlei schaltet auf Kosten des Thüringer Steuerzahlers großflächige Zeitungsanzeigen, um der Bevölkerung doch noch irgendwie die nicht vorhandene Sinnhaftigkeit der Novelle zu suggerieren. Dabei haben die Bürger sehr wohl verstanden: "Was einer recht auffällig in das Schaufenster legt, das führt er gar nicht.", um mit Tucholsky zu sprechen. Die CDU veranstaltete in der Erfurter Messe eine Art Mutmachforum, das offenbar unter dem insgeheimen Motto "Wir sind das wahre Volk" stand. Mich erinnert so etwas an ähnlich realitätsferne Veranstaltungen aus der Zeit vor der Wende; die Hefte aus Burgscheidungen lassen grüßen.

(Zwischenruf Abg. Kölbel, CDU: Die kennen Sie wohl.)

Schon in der ersten Lesung hat ja das Trio der Gesundbeter versucht, den Gesetzentwurf unter dem Motto "Hohle Worte tönen voller" schönzureden. Der eine in der bildungspolitischen Vorstellung der 50er Jahre verhaftet und seit langem gewohnt, politische Probleme einfach wegzulächeln, der andere nur an der Beweihräucherung der eigenen Leistung interessiert, und der Dritte, der völlig überfordert die Wirklichkeit einfach nicht mehr wahrnehmen will oder kann. Auch heute wird es Ihnen nicht gelingen, meine Damen und Herren, aus Magermilch Schlagsahne zu machen.

Meine Damen und Herren, auch die SPD hat in den vergangenen Wochen ihre Kritik an der Schulgesetznovelle deutlich gemacht. Für uns ist dieser Entwurf beileibe kein Meisterwerk, sondern ein konturloser müder Aufguss eines Referentenentwurfs aus dem vergangenen Jahr. Das Kernproblem der Novelle ist das Fehlen jeglicher angemessener Reaktionen auf PISA und der Verzicht auf jede wirkliche bildungspolitische Innovation für Thüringen.

Lassen Sie mich noch einmal kurz rekapitulieren. Bei der PISA-Studie lagen die Spitzenstaaten sowohl in der Lesekompetenz als auch in der mathematischen und naturwissenschaftlichen Grundbildung 40 bis 60 Leistungspunkte vor Thüringen. Das entspricht einem Kompetenzunterschied von ein bis zwei Schuljahren. Unser Bundesland erreichte dagegen in keinem der geprüften Kompetenzbereiche auch nur den OECD-Durchschnitt.

Da will uns die CDU immer wieder einreden, man dürfe das alles nicht so eng sehen, sondern müsse sich über den 4. Platz Thüringens bei PISA-E freuen. Dazu nur so viel: Bei Nichtberücksichtigung der Zuwandererkinder - und das ist die wirklich für uns relevante Kategorie - nimmt Thüringen im nationalen Ranking unter 14 getesteten Bundes

ländern nur noch den 10. Platz ein, Herr Althaus.