Protocol of the Session on June 14, 2002

(Beifall bei der PDS; Abg. Pelke, SPD)

Dass unter diesen ca. 13 Prozent Schülerinnen und Schüler sind, denen durch rechtswidrige Auslegung eines Paragraphen in der Thüringer Schulordnung Chancen genommen wurden, ist und bleibt skandalös.

(Beifall bei der PDS)

Der entstandene Schaden ist kaum gutzumachen. Der tiefere Hintergrund der vielen Schülerinnen und Schüler ohne Abschlüsse ist aber systembedingt und heißt auslesen statt fördern. Ich habe gestern schon einmal darauf hingewiesen. Wer keine Leistung bringt, hat eben Pech gehabt, so könnte die Lesart auch heißen. Die meisten Schülerinnen und Schüler wollen Leistungen erbringen. Dies hat die Demonstration der jungen Leute "Schrei nach Veränderungen" in Erfurt eindrucksvoll gezeigt. Aber sie brauchen dafür auch Bedingungen, die ihnen Leistungen und den Erwerb eines Abschlusses gestatten. Dass sie dafür Anstrengungen erbringen müssen, versteht sich von selbst. Die meisten wissen und wollen das auch. Was der Einzelne, was die Gesellschaft braucht, ist fördern statt auslesen,

(Beifall bei der PDS)

ist Leistung auf der Basis der individuellen Fähigkeiten und Begabungen durch Förderung zu ermöglichen, um jedem Schüler, jeder Schülerin die Chance auf den Erwerb eines Abschlusses zu geben.

(Beifall bei der PDS)

In diesem Zusammenhang ist auch über andere strukturelle und inhaltliche Veränderungen nachzudenken. Ich will an dieser Stelle nur die viel zu frühe Entscheidung, wie die meisten Eltern, Schülerinnen und Schüler und viele Wissenschaftler meinen, zur Schullaufbahn in Klasse 4 ansprechen.

(Beifall bei der PDS)

Hier zu verändern könnte neben einer zu verstärkenden individuellen Förderung eine weitere Schlüsselstelle sein, um eben jedem Schüler, jeder Schülerin einen Abschluss zu ermöglichen.

Meine Damen und Herren, bislang ist es in der Thüringer Schule nur möglich, den in dem Bildungsgang eigenen Schulabschluss zu erwerben. Jugendliche können im gymnasialen Bildungsgang das Abitur erwerben, im Realschulbildungsgang kann nur der Realschulabschluss erworben werden. Das endgültige Nichtbestehen dieser Abschlussprüfungen hat zur Folge, dass die Schülerinnen und Schüler ohne jeglichen Abschluss die Schule verlassen müssen. Mit dieser Regelung nimmt Thüringen ganz klar eine Außenseiterposition in den Bundesländern ein und benachteiligt Schülerinnen und Schüler eklatant.

(Beifall bei der PDS)

Forderungen nach Veränderungen sind nicht neu. Wir wollen seit Jahren den Erwerb von Abschlüssen in den Realschulbildungsgängen und den gymnasialen Bildungsgängen durch zusätzliche Möglichkeit erweitern und somit gestufte Abschlüsse ermöglichen. Bislang wurde dies allerdings immer abgeblockt. Nun wurde die Möglichkeit für weitere Schulabschlüsse, meine Kollegin Frau Sojka hat darauf hingewiesen, auch im Beschluss des Landtags zur Regierungserklärung "Der 26. April und die Konsequenzen" unterstrichen. Ebenso spiegelt sie sich in zahlreichen und eindeutigen Stellungnahmen einer breiten Öffentlichkeit bis hin in den Wissenschaftsbereich wider.

Meine Damen und Herren, Möglichkeiten der externen Prüfung, wie wir sie haben, lösen das Problem nicht.

(Beifall bei der PDS)

Wer schon einmal genauer hingesehen hat, unter welchen Bedingungen der externe Realschulabschluss erworben wird, weiß von den Problemen und Belastungen der Schülerinnen und Schüler. Daneben gibt es auch noch die schlechten Beratungen der Schülerinnen und Schüler, warum man das eigentlich wolle. Wer diese Probleme negiert oder verschweigt, hat nicht hingesehen oder wollte dies bewusst nicht, weil er Auslesen und als pädagogisches, nein, ich muss sagen als politisches Prinzip das Auslesen bevorzugt.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, eine vernünftige, praktikable, die Chancengleichheit und Leistungsmotivation Thüringer Schülerinnen und Schüler befördernde Lösung in Sachen Abschlüsse muss her. Dem haben alle Fraktionen schon einmal zugestimmt. Ich erinnere noch einmal an den gemeinsam getragenen Beschluss zur Regierungserklärung "Der 26. April und die Konsequenzen". Sinn des heute vorliegenden Antrags meiner Fraktion ist es, dass die Landesregierung dem Landtag Entwürfe für rechtliche Regelungen unterbreitet, die es erlauben, in den Realschulbildungsgängen und den gymnasialen Bildungsgängen zusätzliche Abschlüsse zu den bisher möglichen zu erwerben. Im gymnasialen Bildungsgang einen mittleren und einen dem Hauptschulabschluss vergleichbaren Abschluss und im Realschulbildungsgang einen dem Hauptschulabschluss vergleichbaren Abschluss. Die entsprechenden Bildungsgänge an den Förderschulen müssen inbegriffen sein. Das lese ich so im Antrag der SPD nicht. Die rechtlichen Klärungen müssen nach unserer Auffassung umgehend getroffen werden.

(Beifall bei der PDS)

Das ist notwendig, damit für das Schuljahr 2002/03 entsprechende Regelungen Geltung erlangen können und Verlässlichkeit für Schülerinnen und Schüler vorhanden ist.

(Beifall bei der PDS)

Auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU, fordern neuerdings Regelungen. Ich bedaure es ja unendlich, dass Herr Althaus, nachdem er schon an der gestrigen Aktuellen Stunde nicht teilgenommen hat, auch heute offensichtlich wieder anderen Verpflichtungen nachgeht,

(Beifall bei der PDS)

statt als ehemaliger Kultusminister, der für viele Regelungen mit verantwortlich ist, und jetziger Fraktionsvorsitzender der CDU hier anwesend zu sein.

(Beifall bei der PDS; Abg. Pelke, SPD)

Auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU, fordern neuerdings Regelungen. Ob diese auch der realen Problemlage entsprechen und wirkliche Lösungen für Chancengleichheit bringen, bleibt abzuwarten. Zu möglichen Ursachen Ihres Sinneswandels, mit einem Mal auch etwas zu wollen, will ich mich an dieser Stelle nicht äußern, weil ich auf keinen Fall zynisch wirken will. Allerdings, so haben Sie es angekündigt, wollen Sie Regelungen nicht umgehend, wie es der Erwartungslage vieler Bürgerinnen und Bürger, vor allem Schülern und Eltern, entspricht, sondern Sie verschieben wieder einmal. Sie verschieben die Klärung auf den Herbst und die für diesen Zeitpunkt von der Landesregierung angekündigte Gesetzesnovelle. Die Novellierung des Thüringer Schulgesetzes war eigentlich bereits für das Frühjahr vorgesehen. Vor allem mit dem Blick auf PISA und die Regionalergebnisse

wurde sie verschoben. Die Novellierung soll auch unter Berücksichtigung der Länderergebnisse erfolgen, so ließ es der Kultusminister im Mai noch einmal mitteilen. Diese Ergebnisse kommen am 27. Juni, also in zwei Wochen. Es wird Zeit brauchen, sie gründlich auszuwerten und das muss man auch tun, wenn man gute Reformen angehen will. Darüber hinaus ließ der Kultusminister im Mai verlauten, dass alle Vorschläge zur Novellierung des Thüringer Schulgesetzes in die Auswertung der Anhörung einbezogen werden. Er stellte damit auf die vielfältigen Vorschläge zur Bildungspolitik ab, die eingegangen sind. Das finde ich einen vernünftigen Weg. Ich sage aber, die Zuschriften halten weiter an.

Meine Damen und Herren, wie aber will man mit diesen umfangreichen und schwierigen Arbeiten bis zum Herbst in Solidität fertig werden, wie will man sie bewältigt haben? Ist das bis zum Herbst, der Oktober wurde benannt, überhaupt machbar? Ich glaube nein, Herr Seela, auch wenn Sie nicken. Meine Sorge gilt dem Aufschieben oder deutlicher gesagt, dem Verschleppen der Regelung. Diese Sorge wird nicht kleiner, sie wird größer, wenn ich Folgendes, völlig Unverbindliches in einem Brief aus dem Kultusministerium lese, das, so glaube ich, berechtigte Zweifel weiter nährt. Frau Präsidentin, mit Ihrer Genehmigung zitiere ich aus diesem Brief, der datiert ist vom 6. Juni 2002, also eine große Aktualität hat. Es geht um die Frage Schulabschluss mittlere Reife, die Antwort heißt: "Diese Frage wird im Rahmen der Novellierung des Thüringer Schulgesetzes breit diskutiert. Eine definitive Lösung kann es daher im Moment noch nicht geben, sondern erst nach Abschluss des Verfahrens. Dann ist es im Übrigen der Thüringer Landtag als gesetzgebendes Organ, dem die Entscheidung in dieser Frage obliegt." Da drängt sich doch mindestens die Frage nach dem Abschluss des Verfahrens auf, wann soll denn das sein? Dann möchte ich schon noch darauf hinweisen, Herr Althaus, an dieser Stelle haben Sie womöglich den schwarzen Peter in der Hand, den Sie so gern an andere verteilen.

(Beifall bei der PDS)

Ein weiteres Aufschieben der Abschlussproblematik können wir uns nicht leisten, wenn wir den Schülerinnen und Schülern schon für das Schuljahr 2002/03 Rechtssicherheit bieten und den Gesamtablauf des Schuljahres garantieren wollen. Sie kennen außerdem alle die Zeiträume, die für Gesetzesänderungen im Parlament gebraucht werden. Ein weiteres Hinauszögern ist nicht zu verantworten, wenn man Lösungen will.

(Beifall bei der PDS)

Deshalb kann ich Sie nur auffordern, unseren Anträgen zuzustimmen. Die Schülerinnen und Schüler, ihre Eltern erwarten eine Lösung für das nächste Schuljahr und sie haben auch Ansprüche darauf.

(Beifall bei der PDS)

Deshalb muss die Lösung jetzt angegangen werden, wenn Regelungen wirksam werden sollen. Politik ist nicht zum Selbstzweck für Parteien zu gestalten, sondern hat sich um das Wohl der Bürgerinnen und Bürger zu kümmern. Alles andere ist Arroganz der Macht.

(Beifall bei der PDS)

Andere Fragen, wie die Entscheidung zur Schullaufbahn, sind zu einem späteren Zeitpunkt, sind im Zuge weiterer Reformen gründlich zu diskutieren. Die Abschlussregelungen erlauben jedoch keine Zeitverzögerung mehr, wenn sie im Parlament gründlich diskutiert und im Schuljahr 2002/03 Geltung erlangen können sollen.

Meine Damen und Herren von der CDU, Schülerinnen und Schüler haben in Erfurt zu Tausenden unter dem Motto "Schrei nach Veränderung" demonstriert. Hören Sie auf die jungen Leute, verweigern Sie sich nicht noch länger. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Es hat jetzt das Wort der Abgeordnete Döring, SPDFraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, das Dilemma der katastrophalen Abschlussregelung in Thüringen gleicht einer unendlichen Geschichte. Dieses Dilemma hat einen Namen: "Exkultusminister Dieter Althaus".

(Unruhe bei der CDU)

(Beifall bei der PDS, SPD)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Da wissen wir wenigstens gleich, wo es hingeht.)

Meine Damen und Herren! Herr Althaus, vielleicht kann ich Ihrer Erinnerung etwas nachhelfen. Beginnend mit der Diskussion über das Schulgesetz im Jahre 1993, haben wir wieder und wieder auf diesen einmaligen pädagogischen Nonsens hingewiesen. Heute - und ich sage es eindeutig muss Kultusminister Krapp das auslöffeln, was einst Kultusminister Althaus eingebrockt hat.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Von Ihnen, Herr Kollege Althaus, haben wir gebetsmühlenartig immer wieder den billigen Spruch zu hören bekommen "Kein Abschluss durch Absitzen",

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Das bleibt auch so.)

als gebe es keine kontinuierliche Leistungsbewertung in unseren Schulen, als würden Schülerinnen und Schüler an Gymnasien und den Regelschulen einzig ihre Zeit absitzen. Meine damalige Kritik, Herr Minister Althaus, gilt noch heute. Sie hatten und haben, Herr Althaus, nicht das Recht, Thüringer Schülerinnen und Schüler bundesweit einmalig zu benachteiligen und

(Beifall bei der PDS, SPD)

durch parteiideologische Hürden Lebenschancen zu verwehren. Ich habe Ihnen das 1993 gesagt und das gilt heute genauso.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Das hat Ihnen aber nichts gebracht.)