Protocol of the Session on May 23, 2002

Für eine bessere Arbeitsstelle aus Thüringen fortzuziehen, können sich knapp zwei Drittel der unter 30-Jährigen vorstellen. Das sind doppelt so viele wie bei den Erwachsenen. Natürlich muss man in Rechnung stellen, dass dieser Zusammenhang mit dem Alter signalisiert, dass die Jüngeren, die noch keine Familie, keine gefestigte Beziehung zu einer Arbeitsstelle bzw. sogar noch keine feste Arbeitsstelle haben, bzw. auch eine geringe regionale Verwurzelung besitzen, deutlich mobiler sind. Diese Feststellung darf aber nicht die Tatsache verdecken, dass unter den Jugendlichen die Anzahl derer, die aus Thüringen für eine bessere Arbeitsstelle fortziehen würden, vom Jahr 2000 zum Jahr 2001 zugenommen hat. Im Jahr 2000 brachten in der Monitorbefragung 62 Prozent der 18- bis 24-Jährigen zum Ausdruck, für einen besseren Arbeitsplatz aus Thüringen fortzuziehen. Im Jahr 2001 waren dies 68 Prozent.

Man könnte jetzt einwerfen, das sind lediglich Absichtserklärungen, aber die Tatsachen belegen, dass nicht nur das Motiv zunimmt, sondern auch die Abwanderungszahlen von Jahr zu Jahr wachsen. Die Zahlen werden es belegen. Im Jahr 2001 kam es in Thüringen seit 1992 zu den größten Abwanderungsverlusten. Im bisherigen Spitzenjahr 2000 betrug der Abwanderungsverlust Thüringens ca. 10.000 Personen. Diese Größe wurde zum Ende des III. Quartals des Jahres 2001 mit 10.111 Personen erreicht. Es bestätigt sich der Trend der ersten drei Quartale. Auch im IV. Quartal - bisher sind die Jahresergebnisse leider noch nicht verfügbar - werden dann die Abwanderungsverluste mit ca. 12.000 Personen - im November 2001 betrug die Zahl 11.325 - einen neuen traurigen Höchststand erreichen. Die Zahlen belegen also einen Zusammenhang von Befragungsergebnissen und dem tatsächlichen Handeln.

Man kann jetzt natürlich darüber philosophieren, ob diese Abwanderung von Fachkräften und jungen Leuten bedrohlich ist, wie der Ministerpräsident es hier im Landtag am 15. März 2001 bezeichnete, aber es acht Monate später, am 8. November letzten Jahres, bereits relativierte, indem er ausführte - Frau Präsidentin, ich zitiere: "Ich wende mich dagegen, das Thema 'Abwanderung' zu dramatisieren. Ich wende mich aber auch dagegen, es zu bagatellisieren." Ja, Herr Ministerpräsident, auch wenn Sie jetzt nicht hier sind, die Abwanderung ist bedrohlich und man darf sie auch nicht bagatellisieren.

(Beifall bei der PDS)

Es ist ja in Ordnung, Herr Seela. In Ihrer Argumentation am 8. November letzten Jahres sprechen Sie mit dem Hinweis, dass Thüringen seit 1990 pro Jahr etwa 0,4 Prozent seiner Einwohner durch Abwanderung verloren hat und damit im Vergleich mit anderen jungen Ländern einen Platz im Mittelfeld belegt. Die Situationseinschätzung taten Sie damals gegenüber denen, die die Lage anders einschätzten, mit dem Hinweis ab, dass sich die Leute ja die Zahlen suchen, die ihnen in die Aussage, die sie treffen möchten, passen und somit auch nicht stimmen. Ich kann Ihnen, Herr Ministerpräsident, versichern, die bisher von mir verwendeten Zahlen stimmen. Ich kann Ihnen weitere Zahlen zum überlegen und auch Ihnen, Herr Seela, noch nachreichen.

Ausgehend von der Wanderungsaltersstruktur musste per 31.12.2000, bekanntlich gibt es leider noch keine Jahreszahlen von 2001, festgestellt werden, dass 37.300 Frauen und Mädchen seit Ende 1990 per Saldo Thüringen verließen, die am 31.12.2000, zwischen 15 und 45 Jahre alt waren, ca. 5.100 von ihnen zwischen 18 und 30 Jahre alt waren. Legt man die wahrscheinlich niedrigeren Thüringer Geburtenziffern der Jahre 1991 bis 2000 zugrunde, der Einfachheit halber unter Vernachlässigung der Sterbefälle, so trat in nachhaltiger Auswirkung der Abwanderung vom 31.12.1990 bis zum 31.12.2000 ein Verlust von mindestens 12.600 nicht in Thüringen geborenen Kindern ein, welcher nach derzeitiger Kenntnis Ende 2001 die Größe von 15.000 erreichten. In den nächsten Jahren ist noch von einem verstärkten Anwachsen dieser Größe auszugehen. Die Relationen werden deutlich, wenn man bedenkt, dass im Jahr 2000 in Thüringen insgesamt 17.600 Babys zur Welt kamen. Deshalb kann man die zunehmende Tendenz der weiblichen Abwanderungsverluste in den letzten Jahren besonders kritisch vermerken, wobei sich für das Jahr 2001 wieder eine Steigerung gegenüber 2000 abzeichnet. Eine kontinuierlich leicht steigende Geburtenrate kann zukünftig unmöglich im überschaubaren Zeitraum Folgendes gleichzeitig kompensieren.

(Beifall bei der PDS)

Den schon genannten jährlich wachsenden Aderlass aufgrund der fehlenden Frauen aus dem Wanderungsverlust als zusätzliche Schwächung der ohnehin geringer werdenden Mütterjahrgänge und den Einbruch aufgrund des sehr geringen Geburtenniveaus in den Nachwendejahren. Dazu bedarf es vielfältiger dauerhafter und entscheidender gesellschaftspolitischer Anregungen, die allen negativen Faktoren der unerfreulichen Bevölkerungsentwicklung gleichzeitig entgegensteuern. Nur dann können eventuell positive Auswirkungen in den Folgejahren messbar sein. Bei wohlwollender Betrachtung kann man dieses Anliegen des Antrags der SPD entnehmen, wir wollen einmal nicht unterstellen, dass dieser Antrag publikumswirksam, wie es der Herr Abgeordnete Schemmel in einer der letzten Plenarsitzungen beliebte zu formulieren, erarbeitet und in die Debatte im Thüringer Landtag eingebracht wurde, obwohl es dafür vereinzelte Anzeichen gibt. Wir

meinen, die Problematik muss ernsthaft im Landtag beredet werden und dies unabhängig davon, ob wir kurz vor den Wahlen stehen oder zu gegenseitigen Schuldzuweisungen, insbesondere zwischen Landes- und Bundespolitik, greifen.

Daher möchte ich zu den genannten Vorschlägen der SPD Stellung nehmen. Um es vorweg zu sagen, halten wir das Thema für die Thüringer Zukunft für zu wichtig, als dass hier nur ein wirkungsloser Schnellschuss fabriziert wird. Es ist richtig, wie es im Titel des vorliegenden Antrags heißt, dass Maßnahmen gegen die Abwanderung junger Menschen aus Thüringen ergriffen werden sollen. Die heute hier im Zusammenhang mit diesem Antrag beginnende Diskussion - denn als PDS-Fraktion sind wir der Auffassung, die Diskussion unbedingt in den Ausschüssen fortzuführen - hätte eingeleitet werden können mit Überlegungen aus der Arbeit der Managementgruppe zur Sicherung des Fachkräftebedarfs. Aber vielleicht erfolgt dies ja auch noch.

Für diejenigen, die mit dieser Managementgruppe nichts anfangen können, möchte ich Folgendes zur Erhellung beitragen. Auf dem Hauptjahresempfang der Industrie- und Handelskammer am 8. Februar dieses Jahres schlug der Ministerpräsident die Bildung der schon genannten Managementgruppe aus Vertretern von Regierung, Kammern, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften vor, um gemeinsam Lösungsvorschläge für die verschiedenen Problemfelder zu erarbeiten. Der Herr Ministerpräsident nannte damals stichworthaft das Lohngefälle als Abwanderungsgrund, langfristige Prognosen für die Fachkräfteentwicklung, Zurückführung arbeitsloser Fachkräfte in den Arbeitsmarkt. Die Darstellung der Überlegungen dieser Expertenrunde wäre für unsere weitere Diskussion sehr hilfreich, sofern sie kein Herrschaftswissen für die Landesregierung darstellen.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Auf der Internetseite, soll ich Ihnen die sagen? Ihr seid doch sonst dauernd im Internet.)

Aber, was heute nicht erfolgte, kann ja noch in der Anschlussdiskussion geschehen.

(Zwischenruf Abg. Bergemann, CDU: Ja, ja - erst ein bisschen dumm stellen.)

Ich muss mich hier nicht dumm stellen.

(Heiterkeit bei der CDU)

Es freut mich ja, dass Sie das so erfreut.

Lassen Sie mich zu dem Antrag zurückkommen. An erster Stelle möchte ich hervorheben, dass wir der Fraktion der SPD einen Komplex von Maßnahmen für notwendig erachten, die dem Vergleich zu anderen Bundesländern überproportional einer Abwanderung entgegenwirken. Ausbildungs- und Arbeitsplätze sowie die Angleichung der Tarif

löhne sind und bleiben die entscheidenden Faktoren. Eine weitere Förderung betriebsnaher Ausbildungsplätze, wie in Punkt 4 des Antrags formuliert, ist zur Deckung der Nachfrage zwar nötig, ändert jedoch nichts grundlegend an den Abwanderungstendenzen junger Menschen. Wichtiger wäre es, die geforderten Mittel zur Verbesserung des Praxisbezuges von Hoch- und Fachschulstudierenden zu verwenden. Arbeitgebern muss ein Anreiz gegeben werden, Praktikanten aufzunehmen und somit einen engen Kontakt zwischen potenziellen Arbeitskräften und Unternehmern herzustellen. Der persönliche Kontakt ist der wichtigste Schritt dazu, jungen Menschen die Chancen und Möglichkeiten des Freistaats aufzuzeigen. Doch dazu muss dem eigenkapitalschwachen Mittelstand hierzulande die Chance in Form von Finanzmitteln gegeben werden. Die SPD fordert weiterhin, dass die Mobilitätsbeihilfen der Arbeitsverwaltung nur denjenigen gewährt werden, die innerhalb Thüringens umziehen oder neu in das Land kommen wollen. Dieser Vorschlag ist zugegebenermaßen nicht schlecht. Problematisch wird es aber an der Stelle, an der man bedenkt, dass die Mobilitätshilfen vom Bundesamt für Arbeit gewährt werden und der Zugriff auf diese Gelder daher sehr beschränkt ist. Unser gemeinsames Ziel sollte es daher sein, ein entsprechendes eigenes Förderprogramm aufzusetzen.

Auch der Punkt 6 des Antrags lädt zur Diskussion ein. Unter Berücksichtigung des Strukturwandels sollte es eben nicht vorrangig um Industrieansiedlungspolitik gehen, vielmehr sollte eine zukunftsorientierte Ansiedlungspolitik im Bereich der Hochschultechnologien und Dienstleistungen betrieben werden. Heutzutage besteht an anderer Stelle ein Bedarf, wie beispielsweise auch die Gespräche mit Unternehmen auf der Hannover-Messe gezeigt haben.

Es gibt noch weitere Punkte der SPD-Forderungen, über die eingehender diskutiert werden sollte. Ich habe hier nur zwei exemplarisch herausgegriffen und benannt, an denen eine grundlegende Veränderung der Strategie notwendig ist und bei weitem sind das nicht alle. Ich beantrage daher namens unserer Fraktion die Überweisung an die entsprechenden Fachausschüsse unter der Federführung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Strukturpolitik, damit dieses Strategiepapier der SPD-Fraktion weiter qualifiziert werden kann.

(Beifall bei der SPD)

So, das Wort hat jetzt der Abgeordnete Kretschmer, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der Antrag der SPD-Fraktion, Abwanderung junger Menschen, spricht ein wichtiges Thema an. Es geht um die Zukunft, ein Zukunftsthema. So wie Frau Kollegin Pelke vorhin erst zu einer sachlichen Diskussion einlud, möchte ich auch sagen,

dieses Thema ist nicht für einen oberflächlichen tagespolitischen Schlagabtausch geeignet. Wenn ich nun den Inhalt dieses Antrags sehe, befällt mich eine gewisse Hilflosigkeit oder auch ein Unverständnis, denn selbst bei wohlwollender Betrachtung ist mir nicht klar, was will man mit diesem Antrag erreichen, was soll das? Frau Kollegin Pelke, wenn ich zu einer sachlichen und ordentlichen Arbeit einlade, dann darf ich Sie zunächst daran erinnern, und Herr Kollege Höhn hat ja in dieser Enquetekommission "Wirtschaftsförderung" mitgearbeitet, dort wurde diese Arbeit geleistet, insbesondere die Fragen des Fachkräftebedarfs, insbesondere auch die soziale Infrastruktur, die zum Verbleiben in Thüringen notwendig ist, die Frage der Lohndiskussion, die Fachkräftebindung und Fachkräftebeteiligung ist dort auch mit externem Sachverstand beredet worden und man ist auch zu Handlungsempfehlungen gekommen - der erste Punkt.

Der zweite Punkt, den ich ansprechen will: Schon als der Antrag auf dem ursprünglichen Termin war, lag die Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung auf meinem Tisch, die leider heute, so dass wir daran nicht teilnehmen können, zu einer Veranstaltung einlädt, die da heißt: Stirbt der Osten aus? Meine Damen und Herren, warum haben Sie nicht wenigstens auf diese Veranstaltung gewartet, weil selbst in dieser Veranstaltung doch zu einer sorgfältigen Analyse der Ursachen und Wirkungen eingeladen wird.

Meine Damen und Herren, das geht nicht mit einem schnellen Katalog eins bis sieben, um dann zu sagen, damit ist das Thema besetzt und wir können einmal darüber diskutieren. Ich habe in dieser Situation im Internet einmal nicht nur nach der Managementgruppe geschaut, sondern danach, was man in anderen Parlamenten dazu macht. Meine Kollegen der CDU-Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern hatten beispielsweise im November letzten Jahres im dortigen Landtag eine Enquetekommission einsetzen wollen. Sie merken, ich habe für Enquetekommissionen eine gewisse Sympathie, wenngleich ich hier befürchte, dass wir uns in Thüringen damit ein wenig übernehmen. Aber dort war die Enquetekommission mit dem Ziel einzusetzen "Bevölkerungsentwicklung und Perspektiven zum Leben, Arbeiten und Wohnen in MecklenburgVorpommern". Das ist dort abgelehnt worden durch die regierungstragenden Fraktionen, weil man sich mit diesem Thema auf die Art und Weise nicht beschäftigen wollte. Das ist also für mich auch eine Schieflage. Wie soll ich das jetzt sehen, wenn wir hier mit so einem Thema kommen, während man die ordentliche Arbeit in MecklenburgVorpommern ablehnt. Ich will als Einstieg sagen...

(Zwischenruf Abg. Pelke, SPD: Weil ich in Mecklenburg-Vorpommern nicht im Parla- ment sitze.)

Wissen Sie, Frau Kollegin Pelke, das ist auch kein Thüringer Problem. Das wollte ich jetzt gleich sagen, wenn man sich damit beschäftigt, kann man das nicht partiell auf einer Landesparlamentsebene tun.

Meine Damen und Herren, man kann nicht einfach nur über Abwanderung reden, denn das ist nur ein Aspekt im Rahmen der Debatte über die demografische Entwicklung. Da ist die Frage der Geburten, da ist die Frage der Sterbefälle, da ist die Frage der Abwanderung, aber auch die Frage der Zuwanderung und man muss sehr wohl differenzieren, meine Damen und Herren. Wenn ich in diese Debatte eintrete, dann ist es ein bundesdeutsches Problem, natürlich auch mit dem Blick auf europäische Dimensionen. Also noch einmal ganz deutlich, wir können hier nur sorgfältige Analysen der Ursachen und Wirkungen vornehmen, es ist kein Platz für einen kurzfristigen Aktionismus und schon gar nicht auf Landesebene.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Nein, mit Gesetzgebung.)

Meine Damen und Herren, es ist auch kein Feld für Polemik und schlechte Stimmung machen. Als wir das Thema zum ersten Mal auf der Tagesordnung hatten, war am Tag zuvor erst der Bundespräsident durch alle Gazetten gelaufen. Er hatte schon eine Diskussion mit der Frage, steht der Osten auf der Kippe, initiiert. Dort war er nun noch initiiert worden, indem er die Ostdeutschen aufforderte, aufzuhören zu jammern.

Meine Damen und Herren, wenn ein Thüringer sich in München besser steht als in Thüringen, dann wird er erst recht nicht nach Thüringen kommen, wenn er in Thüringen noch als Jammerlappen beschimpft wird. Das muss man auch einmal so deutlich sagen. Wir müssen dort umschalten. Der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern hatte zu einer Diskussion, die da hieß "Der menschenleere Osten - reale Zukunftsvision?" geantwortet: Ein Schreckensbild von Schwarzmalern. Ich denke, wir sollten einen Perspektivwechsel führen, der in die Richtung geht: Die Menschen in Ost- und Mitteldeutschland haben einen gigantischen Strukturwechsel mit beachtlichem Erfolg bewältigt und die starke Flexibilität der gut ausgebildeten Fachkräfte, die sich auf diese neue Situation gut eingestellt haben, ist eben ein Standortvorteil. Deshalb dieser Perspektivwechsel, weil die Zukunft des Freistaats nicht unter der Leitfrage diskutiert wird, wann kippt der Osten oder kippt der Osten oder die andere Frage, wann wird er endlich recht oder schlecht zum Osten aufschließen, sondern man muss doch einmal deutlich sagen, zu allen Zeiten und auch in allen Teilen der Welt hat es Regionen gegeben, in denen es Abwanderungen gegeben hat. Das kann man auch im Thüringer Landstrich von 1990 und davor vielleicht feststellen. Es hat auch in allen Zeiten Indikatoren gegeben, sei es das Bruttoinlandsprodukt, das ProKopf-Einkommen oder die Zahl der Arbeitslosen, die im Vergleich zu anderen eher schlecht abschneiden. Dennoch können die Menschen in diesen Regionen ganz gut leben und kann die Politik dabei helfen, dass dies bleibt und ihre Chancen sich sogar verbessern. Das heißt also, man kann der Region weder mit einem Niedergangsszenario, wie das Wort Altenheim, was dort in der Begründung Ihres Antrags steht, helfen, noch kann man hier mit einem

Aufholjagdszenario helfen, weil das die Kräfte lähmt und den Niedergang beschleunigt. Es setzt unrealistische Ziele und führt zu Traumata des Scheiterns sowie am Ende zum gleichen Ergebnis. Die Alternative dazu wäre ein Entwicklungsszenario, das heißt, welche politischen Schritte können dazu beitragen, die Chancen der Menschen, beispielsweise in Thüringen, aber auch in Ost- und Mitteldeutschland zu verbessern, also so eine Arbeit, wie sie auch die Enquetekommission "Wirtschaftsförderung" in Thüringen geleistet hat. Nun zu den Zahlen, weil sowohl von Frau Pelke als auch von Herrn Nothnagel die 2001-Zahl für Thüringen benannt wurde. Ich hatte sie mir schon herausgesucht für Sachsen-Anhalt. Da war das noch vor der Landtagswahl. Das waren im Übrigen im Jahr 2000 34.000, die dort abgewandert sind, was bei der Abwanderung im Saldo Statistik Zugänge und Abgänge ganz interessant ist. Das sollte man der guten Ordnung halber auch sagen, das wuchs seit 1991 und nahm bemerkenswerterweise bis 1997 ab und stieg von 1998 jetzt kontinuierlich wieder an, meine Damen und Herren. Ich gebe nur einmal den leichten Hinweis. Das hat offensichtlich auch etwas mit wirtschaftspolitischen Entwicklungen zu tun.

(Beifall bei der CDU)

Das hat offensichtlich auch mit einem Trend zu tun. Ich belege das noch, Frau Kollegin. Interessanterweise, ich weiß, dass das wehtut, wenn ich immer wieder aus anderen Bundesländern, wo Sie regieren, die entsprechenden Belege bringe, das hat etwas damit zu tun, wie Bundespolitik insbesondere die Situation in Ost- und Mitteldeutschland missachtet und schlecht tut, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Bevor ich diesen Passus zur Bundespolitik sage, möchte ich Ihnen, weil er für die Arbeit in Thüringen nicht uninteressant ist, zumindest den Einblick, Herr Nothnagel, gewähren, den Sie dort als Herrschaftswissen möglicherweise benannt haben, also die Managementgruppe zur Sicherung des Fachkräftebedarfs der Thüringer Wirtschaft. Ich habe es mir deshalb herausgesucht, weil deren Arbeit Hilfestellung leisten kann für unsere weitere Überlegung, wenn Sie es mit notieren lassen wollen. Also die Thüringenseite, die wir haben, www.thueringen.de, die Homepage aktuell Management, also sehr einfach zu finden, da können Sie das nachlesen, was dort steht. Dort wurde insbesondere auch der Hinweis gegeben, es gibt eine ganze Anzahl von Studien und Prognosen, insbesondere zu der Beschäftigtenstruktur und zum Fachkräftebedarf, aber was man dort festgestellt hat, dass dort wertvolle Auswertungen bereitstehen, aber dass in den Gesprächen mit den Autoren dieser Studien die Managementgruppe zu dem Schluss kommt, dass man keine ausreichenden Signale und damit keine signifikanten Aussagen für Thüringen treffen kann. Also, Sachverständigenmeinung gegen Schnellschuss SPDAntrag, hätte ich daneben geschrieben. Deshalb ist man dort zu der Meinung gekommen, dass man eine neue Studie in Auftrag gibt. Die Managementgruppe hat das ge

sagt, und zwar die die konkreten Informationen zu dem Bedarf, also hier insbesondere zum Fachkräftebedarf in dem Bereich, in den Jahren 2005 bis 2010 bringen soll. Dann stehen dort auch entsprechende Handlungsempfehlungen, die jetzt schon vorliegen. Die Handlungsempfehlungen, das wundert mich ein wenig, zum Fachkräftebedarf, weil der DGB, der ja in der Managementgruppe drin ist und auch ver.di ist in der Managementgruppe drin und hat dort unterschrieben zum Fachkräftebedarf und nun in der aktuellen Position sagt, er wäre in erster Linie hausgemacht. Da muss man sich dann schon einmal verständigen, auf welcher Seite des Flusses man steht, wenn man solche Arbeiten mit leistet.

Aber nun noch einmal zu der Frage, warum sich denn seit 1998 möglicherweise die Geschichte so verschlechtert hat. Ich habe das vorhin mit dem Entwicklungsszenario auch gesagt. Ich habe den Eindruck und habe das aus einem Diskussionsbeitrag der "Denkwerkstatt 2002" aus Mecklenburg-Vorpommern herausgenommen, der Diskussionsbeitrag heißt "Abschied vom Aufholprozess Ost"; ein kritischer Diskussionsbeitrag von den Herren May und Steinitz. Da ist dieser Verweis - wenn der von mir kommt, könnte ja jeder denken, ich mache hier irgendwelchen Wahlkampf oder so etwas, nein, nein, aber dort steht es, man muss die realistische Sichtweise für Ost- und Mitteldeutschland sehen. Es fehlen die neuen Impulse für ein mögliches Wachstum in Ost. Die Autoren schreiben dort also wirklich, dass man sich in Deutschland gesamtstaatlich entscheiden soll, wie es in Ostdeutschland weitergehen soll mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Und die Autoren schreiben eben, dass sich um diese Zukunftsentscheidung die Bundesregierung, jetzt ist die Bundesregierung von Gerhard Schröder angesprochen, in ihrer gesamten Legislaturperiode bereits erfolgreich herumgemogelt hat. Die Chefsache Ost stellt sich gesamtstrategisch als leere Hülle heraus. "Der Chefadjutant", Sie wissen, wer damit gemeint ist, ich zitiere hier "fungiert als Abwickler und die ostdeutschen Bundestagsabgeordneten finden nicht unter einem Hut ihre wirklichen Wählerinteressen", meine Damen und Herren. Dieses Zitat ist damit zu Ende und belegt eigentlich auch den Blick auf die Zahlen, dass wir, auch aus dem Bericht der Enquetekommission "Wirtschaftsförderung", hier vor Ort schon sehr versuchen gute Wirtschaftspolitik zu machen, aber sie gegen den Trend der Bundespolitik und der Konjunkturentwicklung nicht ständig gegenhalten können. Sie merken also auch in Thüringen natürlich die entsprechenden Auswirkungen.

Nun ein paar Worte noch zu dem Antrag selbst. Ich habe es, glaube ich, schon versucht deutlich zu machen, wegen der inhaltlichen Dürftigkeit des Antrags. Da hilft auch nicht das Rückrudern, Frau Kollegin Pelke, dass man sagt, wir wollten ja nur den Impuls geben, um in den Ausschüssen darüber zu beraten. Nein, nein, wegen der inhaltlichen Dürftigkeit des Antrags wollen wir mit diesem Antrag keine weitere Behandlung. Und Sie werden von uns auch die Zustimmung nicht bekommen können. Sehen Sie ein

mal, wenn man die Punkte schnell durchgeht. Der Punkt 1 die Wohnungsbauförderung so auszurichten usw.; haben Sie einmal mit den Vertretern der Wohnungsbauwirtschaft gesprochen? Bei dem Leerstand, den wir an Wohnungen haben, kann ich nur sagen, das läuft ja wie ein aufeinanderfahrender Zug aufeinander. Das mit den Tarifvertragsparteien, da haben Sie schon die richtige Adresse benannt in dem Antrag, wir haben auch in der Union die Beschlusslage sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene, dass man versuchen muss, die Angleichung in einem absehbaren Korridor herbeizuführen und insbesondere auch die Aufforderung an die private Wirtschaft, zumindest bei den Fachkräften mit einer Differenzierung in Lohn und Gehalt auch Haltemöglichkeiten zu bringen. Nicht in jedem Fall ist da der Flächentarifvertrag besonders hilfreich.

Zu den Mobilitätshilfen hat Kollege Nothnagel gesagt, das ist Bundesangelegenheit. Wenn Sie das weghaben wollen, sollten Sie die entsprechenden Möglichkeiten doch ergreifen. Ich will aber nicht verhehlen, dass es auch bei dieser Mobilitätshilfe eine Diskussion im Bereich Pro und Kontra gibt, denn die Bundesregierung hat das ja sicher nicht aus Jux und Tollerei gemacht. Junge Menschen, die von der Straße weg sind, sind auf alle Fälle besser untergebracht als dass sie zu Hause rumgammeln, deutlich gesagt. Die entscheidende Frage ist: Wie schaffen wir Bedingungen, dass die Leute wieder zurückkommen. Da sagen alle Untersuchungen ganz deutlich, entscheidend ist die Frage des Arbeitsplatzes und die Bezahlung. Alles andere, was danach kommt, ist doch zweitrangig. Das sind auch Untersuchungen, die vorliegen.

Bei Punkt 5 sage ich Anreize für die Rückkehr von Arbeitnehmern und deren Familien. Warum nur die und nicht die anderen oder noch mehr? Zur Förderung des Mittelstands ist ein umfangreiches Paket in der Enquetekommission festgestellt worden an Handlungsempfehlungen und das, was die Landesregierung leisten kann, das tut sie, den Hochschulstandort auch für Spitzenkräfte attraktiv zu machen. Da würde ich ketzerisch die Frage an die Wissenschaftspolitiker stellen: Ist er nicht attraktiv für Spitzenkräfte? Ich hoffe, dass da gleich der Aufschrei der Empörung kommt. Denn ich glaube, gerade in dem Bereich in der Hochschullandschaft haben wir Spitzenergebnisse zu verzeichnen, so dass ich diesen Punkt 7 eher als wenig hilfreich empfinde, meine Damen und Herren.

Ich denke, wir haben die wirtschaftliche Entwicklung für Thüringen voranzubringen und dort insbesondere natürlich auch die Handlungsempfehlungen der Enquetekommission "Wirtschaftsförderung" in die Arbeit weiterhin mit einzubeziehen. Wir haben darauf zu drängen, dass es ein Umschwenken in der Politik für Ost- und Mitteldeutschland gibt in der Bundesregierung. Ich habe nicht das Vertrauen, dass die bisherige Bundesregierung, die an dieser Stelle versagt hat, es nach einer weiteren Legislatur besser machen würde. Deshalb brauche ich, glaube ich, nicht weiter zu sagen, was ich mir an dieser Stelle erhoffe. Ich glaube, wir müssen alles tun, dass die Menschen hier bleiben,

hierher kommen und hierher zurückkehren. Das kann nur geschehen, indem man ein attraktives Thüringen entwickelt, das lebens- und liebenswert ist und damit die Bindungskräfte hat, um nicht nur junge Menschen, sondern insbesondere Menschen hier in Thüringen auch arbeiten und leben zu lassen. Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete Bechthum, SPDFraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich werde zur Abwanderung von Frauen aus Thüringen sprechen. In einer Studie des DGB, die ich im Plenum im März bereits erwähnt hatte, wurde ermittelt, dass 3.000 bis 4.000 junge Frauen jedes Jahr Thüringen verlassen. Frauen zwischen 18 und 40 Jahren gehen vor allem nach Bayern, Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Selbst der MDR machte sich im März, nachdem diese Studie in die Öffentlichkeit kam, ziemlich große Sorgen um diese Abwanderung, nannte diese Zahlen in verschiedenen Beiträgen dramatisch, vor allem diese Altersgruppe Frauen betreffend. Fast die Hälfte der Frauen nämlich ist zwischen 18 und 25 Jahren und jede zweite Frau, die Thüringen verlässt, hat Abitur. Die durch ein abgeschlossenes Studium höher Qualifizierten machen ein Viertel aller weiblichen Abwanderer Thüringens aus. Als dramatisch ist vor allem angesichts der Geburtenentwicklung der Wegzug der jungen Frauen zu bewerten. Es sind genau die Frauen in den Jahrgängen, die im gebärfähigen Alter sind. Von den Folgen der Geburtenausfälle der 90er-Jahre wird sich Thüringen nun noch langsamer erholen als bisher angenommen. Eine Ursache der Abwanderung junger Frauen in westliche Bundesländer liegt auch in den fehlenden oder ungenügenden Ausbildungsangeboten. In den letzten Jahren standen in Thüringen nur für die Hälfte der Bewerberinnen betriebliche Ausbildungsplätze bereit. Die Direktoren von Erfurter Berufsschulen, von der einen Berufsschule waren sie auch bei Herrn Minister Krapp und haben über ihre Misere sehr, sehr deutlich berichtet, haben mir das auch bestätigt. Thüringer Firmen begründen ihre mangelnde Ausbildungsbereitschaft mit der geringen Unterstützung von den Kammern, mit schlechten Rahmenbedingungen. Vielleicht muss man darüber auch reden. Trotz anzuerkennender Bemühungen wurde das Angebot an Berufsfachschulen nicht im erforderlichen Maße ausgebaut, um insbesondere Frauen eine qualifizierte Ausbildung anstelle des dualen Systems in beruflichen Vollzeitschulen im erforderlichen Umfang zu ermöglichen.

Meine Damen und Herren, für Thüringer Abiturientinnen, die eine duale Ausbildung anstreben, gibt es zu wenig adäquate Ausbildungsberufe oder auch später Berufschancen. Die Berufsschulen haben auf eine duale Ausbildung keinen

Einfluss. Das wiederholen sie immer wieder. Die Rahmenbedingungen sind dafür schlecht. So werden sie wenig unterstützt von den Kammern, also auch die Berufsschulen. Irgendwie stimmt so manches nicht. Das ist mir bei der Vorbereitung hier auch klar geworden. Die Bereitschaft junger Frauen in einem alten Bundesland zu beginnen, beträgt nach jährlichen Erhebungen des Bundesinstituts für Berufsbildung mehr als 70 Prozent. Das sollte uns doch sehr, sehr hellhörig werden lassen. Nochmals, es handelt sich dabei vor allem um junge Frauen, die gern eine höhere und hoch qualifizierte Tätigkeit erlernen und ausüben möchten. Es sind Frauen mit Abitur, die Ausbildungsplätze insbesondere im höherwertigen Dienstleistungsbereich suchen und deshalb abwandern. Ein weiteres Problem ist, dass am Ende der Berufsausbildung nur wenige Auszubildende von den Ausbildungsbetrieben übernommen werden, vor allem Frauen werden arbeitslos.