Protocol of the Session on March 15, 2002

(Beifall bei der CDU)

In Thüringen, meine Damen und Herren - das muss man sich einmal vor Augen führen - sind heute mehr Menschen pro 1.000 Einwohner erwerbstätig als in Niedersachen. Im Vergleich mit anderen Ländern sind in Thüringen weniger Menschen auf Sozialhilfe angewiesen. Die Quote der Sozialhilfeempfänger liegt bei 2 Prozent und ist die niedrigste in den jungen Ländern.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte ein paar Bemerkungen zu den Rahmenbedingungen machen, denn es steht trotz allem, was ich bisher gesagt habe, natürlich völlig außer Frage, die wirtschaftliche Situation ist nicht so, wie wir es uns hier wünschen, und nach wie vor ist die Arbeitslosigkeit viel zu hoch. Allein können wir den Abbau der Arbeitslosigkeit nicht schaffen. Wenn wir das schaffen sollen, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Der "Aufbau Ost" ist gegenwärtig zwar wieder in aller Munde, aber leider, meine Damen und Herren, werden nicht tatsächlich Prioritäten gesetzt.

(Beifall bei der CDU)

Die Bundesregierung hat nicht Wort gehalten, sie hat dem Aufbau der jungen Länder keine Priorität eingeräumt.

(Beifall bei der CDU)

Das wird vor allem in der Arbeitsmarktpolitik deutlich. In den neuen Ländern gibt es heute rund 100.000 Arbeitslose mehr als am Ende der Regierung Kohl. Das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle rechnet damit, dass die Zahl der Arbeitslosen in diesem Jahr im Osten den höchsten Wert seit der Wende erreicht. Das Ziel der Bundesregierung, die Zahl der Arbeitslosen in diesem Jahr auf 3,5 Mio. zu senken, wird nicht annähernd erreicht. Im Jahresdurchschnitt wird die Arbeitslosenzahl voraussichtlich bei rund 4 Mio. liegen. Sie liegt damit höher als beim Regierungswechsel 1998, und das, obwohl seit 1999 1,8 Mio. geringfügig Beschäftigte als Erwerbstätige gezählt werden und damit die Arbeitslosenstatistik entlasten. Strukturverbesserungen und konjunkturelle Impulse sind ausgeblieben. Der Arbeitsmarkt wirkt wie verriegelt und überbürokratisiert.

Meine Damen und Herren, die wirtschaftliche Lage in ganz Deutschland - und damit natürlich auch in Thürin

gen - gibt in diesem Frühjahr Anlass zur Sorge. Wir befinden uns in einer Rezession. Die Abwärtsbewegung begann Mitte 2000 und hat sich im Verlauf des letzten Jahres beschleunigt. Sie ist im Grunde hausgemacht, auch wenn weltwirtschaftliche Einflüsse sie verstärkt haben. Für dieses Jahr ist mit einem Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent zu rechnen. Damit steht Deutschland auf dem vorletzten Platz der EU-Mitgliedsländer. Das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist international beschädigt und die Investitionstätigkeit der mittelständischen Wirtschaft, in Thüringen wie in ganz Deutschland Hauptträgerin von Wachstum und Beschäftigung, ist nachhaltig geschwächt, und zwar geschwächt durch eine Steuerreform, die Personengesellschaften gegenüber Kapitalgesellschaften benachteiligt hat und die durch deutlich verschlechterte Abschreibungsbedingungen gekennzeichnet ist und außerdem durch zahlreiche bürokratische und kostenintensive Gesetze. Ich nenne nur die Novelle "Rückwärts" des Betriebsverfassungsgesetzes, den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit und die Einschränkung der geringfügig Beschäftigten, das Gesetz zur so genannten Scheinselbständigkeit, das den Weg in die Selbständigkeit verbaut. Der Mittelstand und die vielen tausend Handwerksbetriebe brauchen mehr Luft zum Atmen.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen müssen diese beschäftigungshemmenden Gesetze wieder beseitigt werden. Deshalb kämpfen wir zum Beispiel gegen das so genannte Tariftreuegesetz, das ostdeutschen Betrieben die Chance nimmt, bei öffentlichen Ausschreibungen den Zuschlag zu erhalten. Wir setzen uns dafür ein, die Zahlungsmoral zu verbessern und haben im Bundesrat dazu einen Gesetzentwurf eingebracht. Wir brauchen eine Senkung der Lohnnebenkosten, der Rentenund Sozialbeiträge. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, seit Mittwoch vor acht Tagen, wissen alle: Die Rentenreform ist Makulatur. Es ist genau das eingetreten, was wir und alle Sachverständigen befürchtet haben.

Das Problem einer wirklichen Gesundheitsreform bleibt nach wie vor auf der Tagesordnung. Zurzeit wird nur an Symptomen herumgedoktert. Wir brauchen weniger Bürokratie im Bund und im Land. Selbst die Europäische Kommission stellt fest, dass wir besonders viele überflüssige und komplizierte Regelungen haben.

Wir brauchen eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, z.B. die Zulassung von mehr Lohndifferenzierung regional, in den einzelnen Branchen und nach Qualifikation. Ich meine, wir müssen die Trennung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe aufheben, damit erwerbsfähige Leistungsempfänger bessere Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt haben.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb unterstützen wir das hessische Offensivgesetz.

Meine Damen und Herren, zur ehrlichen Analyse der gegenwärtigen Situation gehört, dass sich die Schere zwischen Ost und West, die sich bis 1997 zu schließen begann, wieder öffnet. 2001 ist die Wirtschaft in den jungen Ländern erstmals seit der Wiedervereinigung nicht gewachsen, sondern um rund 0,3 Prozent geschrumpft. Der Abstand zu den alten Ländern verringert sich nicht, er wird wieder größer.

Bereits vor gut einem Jahr habe ich deshalb ein Sonderprogramm Ost gefordert, kein Konjunkturprogramm, sondern ein Investitionsprogramm. Ich wiederhole: Wir brauchen eine zügige Verbesserung der Infrastruktur, damit der Aufholprozess wieder in Gang kommt.

(Beifall bei der CDU)

Obwohl ich konkrete Finanzierungsvorschläge gemacht habe, hat die Bundesregierung ablehnend reagiert und das Geld anderweitig ausgegeben. Nur einen Punkt, das Stadtumbauprogramm, hat sie inzwischen aufgegriffen. Aber das reicht natürlich nicht. Ich begrüße, meine Damen und Herren, die Ankündigung des Bundeskanzlers in Magdeburg, die ICE-Strecke Nürnberg-Erfurt-Berlin werde jetzt gebaut. Ich sehe darin die Erfüllung einer Forderung, die ich seit dem Baustopp von 1999 immer wieder nachdrücklich erhoben habe.

(Beifall bei der CDU)

Ich hoffe nur, das "jetzt" tatsächlich "jetzt" bedeutet, meine Damen und Herren, die Wiederaufnahme der Baumaßnahmen an der ICE-Strecke kann morgen erfolgen. Es braucht nirgends etwas gesagt werden, es kann morgen weitergebaut werden.

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Heute!)

Nur damit das klar ist: Wir sind die Einzigen, die von Anfang an ohne Wenn und Aber den Bau der Thüringer Waldautobahn und der ICE-Strecke gefordert haben.

(Beifall bei der CDU)

Wer das heute begrüßt, darf nicht vergessen, dass er gestern noch nicht einmal gewagt hat, eine entsprechende Petition an die Bundesregierung mit zu unterschreiben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Was Schwanitz vor einem Jahr als Antwort auf meinen Vorschlag herablassend als "Wunsch und Wolke" bezeichnet hat, ist jetzt endlich als absolut notwendig erkannt worden. Ich kann nur sagen: Bitte weiter so! Auch der DGB teilt neuerdings meine Auffassung; er fordert das Gleiche wie ich, Mittel aus dem Solidarpakt II vorzuziehen. Herr Putzhammer aus dem DGB-Vorstand sagt, an dieser Stelle ist der Bund gefordert. Ich kann nur sagen,

der DGB hat Recht. Er wiederholt, was ich im letzten Februar bereits gesagt habe.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin sicher, meine Damen und Herren, hätte der Bund das Sonderprogramm letztes Jahr umzusetzen begonnen, stünden die jungen Länder heute besser da, und ich bin sicher, die Beschleunigung des Aufbaus Ost ist die Voraussetzung für die wirtschaftliche Genesung der ganzen Bundesrepublik und nicht nur des Ostens.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben die Absicht, in Kürze einen Entschließungsantrag im Bundesrat einzubringen, der sich darauf bezieht. Es gibt auch Signale bei der Wirtschaft, es gehe wieder aufwärts. Ich kann nur hoffen, dass sich diese Signale tatsächlich bewahrheiten. Ich greife im Übrigen einen Vorschlag auf, den Helmut Schmidt gemacht hat. Er hat vorgeschlagen, in Ostdeutschland Gesetze und Verordnungen zumindest zeitlich befristet auszusetzen oder abzuschaffen. Ich mache konkrete Vorschläge; ich schlage beispielsweise vor, in der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau für einige Jahre den Mitfinanzierungsanteil der neuen Länder deutlich zu senken.

(Beifall bei der CDU)

Ich schlage vor, meine Damen und Herren, das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz über 2004 hinaus zu verlängern.

(Beifall bei der CDU)

Ich schlage vor, die kürzlich durch den Bund eingeführte Möglichkeit der Verbandsklage in Genehmigungsverfahren, die zu einer umständlichen Verlängerung aller Genehmigungsverfahren führt, wenigstens für die neuen Länder für die nächsten fünf Jahre auszusetzen.

(Beifall bei der CDU)

Ich rede über Rahmenbedingungen, und wenn wir über Rahmenbedingungen reden, dann müssen wir auch über Europa reden. Denn dass der Schwerpunkt der künftigen EU-Strukturpolitik in den Beitrittsländern, in Mittelostund Südosteuropa liegen muss, ist ein Gebot europäischer Solidarität. Nur darf es nicht dazu kommen, dass die Förderung der jungen Länder in Deutschland ab 2006 auf einen Schlag wegbricht. Über die Neuverteilung der Struktursubventionen muss in der EU weiter verhandelt werden.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die Entscheidung der EUKommission, die Fördergrenzen für Großinvestitionen um die Hälfte zu senken, gefährdet die weitere Entwicklung unseres Wirtschaftsstandorts.

(Beifall bei der CDU)

Ja, die Verschiebung auf 2004 ist ein Teilerfolg, aber nicht mehr, zumal die Automobil- und Kunstfaserbranche ausgenommen sind. Um es ganz deutlich zu machen: Unter den neuen Bedingungen käme Daimler/Chrysler nicht nach Kölleda. Deswegen dürfen wir nicht lockerlassen - die EU-Kommission muss diese ihre Entscheidung korrigieren. Wir werden weiter für die Verbesserung der Rahmenbedingungen in Berlin und in Brüssel kämpfen. Aber, meine Damen und Herren, was wir hier tun können, um den Zukunftsstandort Thüringen weiter voranzubringen, das werden wir tun. Was wir tun werden, darüber möchte ich jetzt sprechen.

Im Standortwettbewerb sind nur Regionen mit einer leistungsfähigen Infrastruktur konkurrenzfähig. Dazu gehören ein gut ausgebautes Verkehrsnetz, ein breites Angebot an Gewerbeflächen, eine sichere und preisgünstige Energieversorgung, eine gesicherte und finanzierbare Wasserversorgung, eine umweltverträgliche Abwasserentsorgung und eine moderne Telekommunikationsinfrastruktur. Dazu gehören leistungsfähige Schulen und Hochschulen. Da die notwendigen Investitionen ohne die Mitwirkung der Kommunen nicht in Angriff genommen werden können, bleibt die Stärkung ihrer Finanzkraft auch in den kommenden Jahren eine wichtige Aufgabe.

(Beifall bei der CDU)

Auf Drängen Thüringens und mit der Unterstützung der anderen ostdeutschen Länder ist der Förderhöchstsatz für die GA-Infrastrukturförderung von 80 auf 90 Prozent angehoben worden. Das heißt, Kommunen müssen für gewerbenahe Infrastrukturinvestitionen statt 20 Prozent nur noch 10 Prozent Eigenanteil aufbringen. Um auch in konjunkturell schwierigen Zeiten die Innovations- und Investitionsfähigkeit zu erhalten und zu stärken, haben wir das Förderinstrumentarium dem veränderten Bedarf angepasst. Seit vergangenem November sind die Fördersätze im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe für Rationalisierungs- und Modernisierungsinvestitionen angehoben worden. Das Mindestinvestitionsvolumen haben wir gesenkt, damit es für die Wirtschaft leichter ist, Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Der Bund hat sein Engagement für die Gemeinschaftsaufgabe, wie Sie wissen, in den letzten Jahren Stück für Stück zurückgenommen; sie wurde um über 1 Mrd. DM gekürzt. Wir Regierungschefs wollen diese Entwicklung stoppen. Die Bundesmittel aus der Gemeinschaftsaufgabe müssen vollständig, auf Dauer und dynamisiert den Ländern zur Verfügung stehen.

(Beifall bei der CDU)

Die Enquetekommission "Wirtschaftsförderung in Thüringen", von der CDU-Fraktion hier im Landtag beantragt, hat über Fraktionsgrenzen hinweg konstruktiv gearbeitet. Die Kommissionsempfehlungen, die zum Teil schon Bestandteil unserer Wirtschaftspolitik sind, werden umge

setzt. Die Stichworte dessen, was wir aufgreifen und umsetzen, lauten: zügiger Ausbau der Infrastruktur, einzelbetriebliche Investitionsförderung, Produktivitätssteigerung, Regionalförderung, Unterstützung von Existenzgründungen und Förderung von Forschung und Entwicklung.

Sicherung der Investitionsfähigkeit heißt auch Sicherung der Finanzierungsmöglichkeiten. Die Landesregierung setzt sich dafür ein, dass die Belange des Mittelstandes bei der Neuregelung der Eigenkapitalvorschriften für Kreditinstitute bei den so genannten Basel-II-Verhandlungen ausreichend berücksichtigt werden. Es hat keinen Sinn, wenn nur der Kredit bekommt, der keinen Kredit braucht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)