Protocol of the Session on January 25, 2002

Zu dieser Kultur der Anstrengung gehört auch, dass wir Politiker Zuständigkeitshürden im Interesse konsistenter Bildungsbiografien unserer Kinder unbürokratisch überwinden. So sehe ich durchaus gute Möglichkeiten, das frühkindliche Bildungspotenzial noch systematischer mit

dem Bildungsauftrag der Grundschule zu verbinden. Damit sind natürlich die Felder der Familienpolitik und der Kindertagesstätten angesprochen. Die Gespräche des Thüringer Kultusministeriums mit dem Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit laufen länger als die PISA-Debatte, sie werden allerdings durch die PISADebatte durchaus belebt.

Meine Damen und Herren, es ist bekannt, dass ich mich für eine verstärkte Partnerschaft von Sekundarschulen und Jugendarbeit und Jugendhilfe einsetze, auch das weist über meine Ressortzuständigkeit hinaus und berührt insbesondere die kommunale Selbstverwaltung. Ermutigt zu diesem "Grenzübertritt" werde ich dabei von guten Beispielen der Schulsozialarbeit in Thüringer Schulen. Den gelegentlichen Vorwurf, dass ich damit auf Kosten der Kommunen Erziehungs- und Betreuungsprobleme der Schule lösen will, weise ich zurück. Ich hoffe, dass sich auch hier die Anstrengungen lohnen, einmal im Interesse gemeinsamer Ganztagsangebote für Kinder mit meist berufstätigen Eltern über den Tellerrand des Ressorts hinauszuschauen.

Schließlich will ich in diesem Zusammenhang die wichtige Beziehung zwischen Thüringer Kultusministerium und Thüringer Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst ansprechen, denn Pädagogen werden aus gutem Grunde an Universitäten ausgebildet. Dies halte ich auch in Zukunft für notwendig, das bestätigen die steigenden fachlichen, pädagogischen und didaktischen Anforderungen an Lehrerinnen und Lehrer. Einig sind wir uns darüber, dass der Praxisbezug bereits in der Erstausbildung, also während des Studiums verstärkt werden muss. Unsere Studienseminare, also diejenigen, die die zweite Phase der Ausbildung bewerkstelligen, sind bereit, ihren Beitrag dazu zu leisten. Fangen wir also an, das Lehramtsstudium in Thüringen noch attraktiver und praxisnäher zu machen. Wir benötigen dringend fachlich, pädagogisch und didaktisch leistungsfähige und praxistaugliche Lehrerinnen und Lehrer. Aber auch innerhalb des eigenen Ressorts ist die Kultur der Anstrengung zur Auflösung gewisser Vorurteile oder Hemmnisse gerade jetzt notwendiger denn je. So müssen z.B. Grundschulen und weiterführende Schulen weniger übereinander und mehr miteinander sprechen. Selbstverständlich müssen die weiterführenden Schulen bestimmte Leistungsstandards der Grundschulabgänger voraussetzen können. Aber umgekehrt sollten insbesondere Regelschulen und Gymnasien auch bereit sein, die Erfahrungen der Grundschulen bei der pädagogischen Aufarbeitung neuer Verhaltensweisen der Kinder zu berücksichtigen. Genauso wichtig ist es, dass sich die auf unterschiedliche Bedürfnisse der Schüler angelegten Schullaufbahnen der Sekundarstufe nicht gegenseitig als besser oder schlechter empfinden oder diskriminieren lassen. Jede Schullaufbahn in Thüringen hat ihren Eigenwert und jeder Hauptschüler z.B. erst recht. In der laufenden PISADebatte in Thüringen dürfen auch Fragen nach landesweiten Vergleichstests bestimmter Altersstufen, nach Fortund Weiterbildungspflicht der Lehrerinnen und Lehrer,

nach dem Verhältnis zwischen Bedarf und Angebot von Fort- und Weiterbildung, nach besserer Teamarbeit oder nach besonderer Anerkennung von besonderem pädagogischen Engagement kein Tabu sein.

Eines ist aber in diesem Zusammenhang auch klarzustellen: die höchste Form der Anerkennung der Leistung von Pädagogen besteht darin, dass ihnen Eltern, Wirtschaft, Verbände und die gesamte Öffentlichkeit den Rücken stärken. Den Rücken stärken bei der Erziehungsaufgabe, unseren Kindern auch und vor allem an der Schule die Sinnhaftigkeit der Kultur der Anstrengung glaubhaft zu vermitteln. Das ist in einer Zeit wachsender Konsumangebote und schillernder Verheißungen wahrhaft eine Herkulesaufgabe, aber für unser aller Zukunft entscheidend. Ohne die Zumutung der Anstrengung werden unsere Kinder nicht das Schlüsselerlebnis haben, dass Freude und Lust an der über Anstrengung erreichten Leistung die eigentliche Kraftquelle eines gelingenden Lebens ist. Und um Missverständnissen vorzubeugen, Leistung in diesem Sinne ist nicht absolut gemeint, sondern immer auf die spezifische Leistungsfähigkeit des Einzelnen zu beziehen.

Meine Damen und Herren, es gibt also einen großen Diskussions- und Handlungsbedarf. In der nächsten Woche liefert das Thüringer Kultusministerium diese kleine Broschüre "PISA-Studie - erste Ergebnisse" als Diskussionsgrundlage an alle Lehrerinnen und Lehrer sowie alle Interessenten aus, gleichzeitig wird in den nächsten Tagen eine Internetplattform eingerichtet, in der gegliedert in die sieben Handlungsfelder der Kultusministerkonferenz die dort zuzuordnenden Thüringer Projekte dargestellt und Diskussionsbeiträge dazu oder darüber hinaus erwartet werden. Es sind verschiedene Fachveranstaltungen im 1. Halbjahr geplant, alle Ergebnisse sollen im 2. Halbjahr in einem Bildungssymposium zusammengefasst werden. Ich freue mich, dass der Ausschuss für Bildung und Medien dieses hohen Hauses bereits einen Beschluss über eine Anhörung zu PISA gefasst hat. Ich gehe davon aus, dass sich darin auch das Anliegen des hier auf der Tagesordnung stehenden Antrags zu den Schulleistungen im Freistaat Thüringen wiederfindet. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Frau Dr. Klaubert hat eine Frage an Sie, Herr Minister. Gestatten Sie der Frau Abgeordneten, diese zu stellen?

Ich möchte einfach noch mal nach dem Ruck fragen, der da durch Sie und durch die Kultusministerkonferenz gegangen ist. Also, der Herr Kölbel hat jetzt gefragt, wie sich das abgespielt hat, das möchte ich nicht nachfragen. Sind Sie in Ihrem Hause schon in der Lage, Aussagen darüber zu treffen, an welchen Symptomen das Thüringer Bildungssystem krankt?

Ich wiederhole: Die Länderauswertung in Deutschland ist noch in der Berechnung, liegt uns also nicht vor, insofern muss ich Ihre Frage verneinen. Dass ein Bildungssystem, auch das Thüringer Bildungssystem, immer der Weiterentwicklung bedarf, ist uns auch schon vor PISA bewusst gewesen. Ich habe hier in meinem Statement, glaube ich, einige Punkte angesprochen, wo wir uns verstärkt bemühen werden, die Weiterentwicklung voranzubringen.

Gut, erledigt. So, dann haben wir den nächsten Redner, Herrn Abgeordneten Döring, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, bei der Diskussion der PISA-Studie haben wir es mit einem merkwürdigen Phänomen zu tun. Noch nie wurde mit größerer Vehemenz vor Schnellschüssen gewarnt und noch nie wurde von den gleichen Leuten so schnell aus der Hüfte geschossen.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Auch die PDS ist dieser Versuchung erlegen und hat ihren Schnellschuss abgegeben; eine Enquetekommission soll es richten. Wir lehnen eine Enquetekommission nicht grundsätzlich ab, aber die Tatsache, dass die länderspezifischen Ergebnisse, also PISA-E, erst im Sommer vorliegen, macht deutlich, eine Etablierung zum jetzigen Zeitpunkt macht sicher wenig Sinn. Meine Damen und Herren, mehr denn je ist PISA in letzter Zeit ein Synonym für Schieflage. Schief ist dabei vor allem, dass jeder meint, er habe die richtigen Antworten. Dabei habe ich den Eindruck, PISA ist für manchen ein wirklich herrliches Alibi, ausbildungspolitische Ladenhüter wieder auszupacken und als Stein des Weisen zu verkaufen. Vieles, was richtigerweise längst vergessen schien, sorgt heute zumindest für eine Schlagzeile. Auch Ministerpräsident Vogel hat in diesem Sinne in Bad Kissingen eine "geniale" Behauptung aufgestellt: Die von PISA nachgewiesene große Diskrepanz zwischen einer schmalen Leistungsspitze und einer großen Risikogruppe schwächerer Schüler hängt für ihn damit zusammen, ich zitiere: "... dass viele die Hauptschule oder den Hauptschulbildungsgang diskriminieren oder als Restschule an den Rand geredet haben." Ich denke, hier erübrigt sich jeglicher Kommentar. Froh können wir auch sein, dass wir mit Frau Schipanski und Herrn Krapp jetzt zwei profilierte Bildungsfachleute in der Regierung haben. Noch schöner wäre es allerdings, wenn wenigstens im Ansatz deutlich würde, dass sie das Gleiche wollen und dementsprechend auch das Gleiche sagen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, komplexe Probleme haben selten einfache Lösungen und deshalb brauchen wir keine Schnellschussreaktion auf den PISA-Schock. Was wir brauchen, ist eine grundlegende Analyse der Thüringer Ergebnisse. Auf der Grundlage dieser Analyse müssen wir uns dann schon überlegen, welche ganz konkreten Änderungen wir vorschlagen. Natürlich ist die Tatsache erschreckend, dass uns PISA bescheinigt, dass wir Weltmeister in der sozialen Auswahl sind. In keinem anderen Industrieland ist die soziale Herkunft so entscheidend für den Schulerfolg wie in Deutschland. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Sohn einer Kassiererin und eines Hilfsarbeiters einen höheren Bildungsabschluss erreicht, ist etwa in Finnland viermal so hoch. Unser System ist offensichtlich ungerecht und hiermit dürfen und hiermit können wir uns nicht abfinden.

(Beifall bei der SPD)

Da wird es nicht helfen, nur oberflächlich am Lack zu kratzen. Wir werden nicht umhin kommen, unseren Bildungsansatz noch einmal neu zu diskutieren. Eines lässt sich dabei schon jetzt sagen, wir müssen mit der Förderung früher ansetzen, bereits verstärkt im vorschulischen Bereich. Auch muss das schulische Lernen stärker anwendungsorientiert sein, es geht vor allem um die Fähigkeit, sich kreativ und realistisch mit Problemstellungen auseinander zu setzen. Lebenstüchtigkeit muss stärker im Mittelpunkt schulischer Bildung stehen. Das heißt auch, wir brauchen eine stärker ergebnisorientierte Lern- und Unterrichtskultur. Hier ist die Fort- und Weiterbildung ebenso gefragt, wie die generelle Stärkung der Wertschätzung des Lernens. Lernen in der Schule muss sich am pädagogischen Leistungsbegriff orientieren. Jedes Kind hat ein Recht auf erfolgreiches Lernen, allerdings muss hier auch deutlich gesagt werden, Schule ist kein Zweigbetrieb des show business, Lernen bedeutet auch Anstrengung, bedeutet Selbstdisziplin und Ausdauer, daran hat sich nichts geändert und daran wird sich nichts ändern.

(Beifall bei der SPD; Abg. Emde, Abg. Wehner, CDU)

Meine Damen und Herren, Leistungsorientierung darf nicht diskreditiert werden, denn Kinder haben Freude an der Leistung und wollen Leistung bringen, sie wollen gefordert und gefördert werden. Der Lernerfolg hängt natürlich von der Qualität des Unterrichts ab, aber genauso vom Ansehen, das Anstrengung und Leistung in einer Gesellschaft genießt. Hier, denke ich, ist längst eine Bewusstseinsänderung in unserer Gesellschaft fällig.

Meine Damen und Herren, PISA zeigt eindeutig, Schulen schneiden im internationalen Vergleich umso besser ab, je mehr Eigenverantwortung ihnen zugestanden wird. Ein Lehrerkollegium, das gemeinsam über pädagogische Konzepte nachdenkt, stärkt die Identifikation mit der eigenen Schule auch unter den Schülern. Insofern sind moderne Schulen mit Profil und Eigeninitiative gefragt. Dies be

deutet natürlich Erweiterung der schulischen Eigenständigkeit, Arbeitsfelder sind hier selbstständige und flexible Mittelbewirtschaftung, Reformen im Personalsektor, Erweiterung des Unterrichtskonzepts.

Zur Eigenverantwortung gehört allerdings auch die Rückmeldung. Schulen müssen sich auch für den Lernerfolg ihrer Schüler verantwortlich fühlen. Deshalb brauchen wir Maßnahmen zur Schulentwicklung und Qualitätssicherung und dazu gehören zwingend Qualitätsstandards und Überprüfungskonzepte. Qualität lässt sich nicht über die Köpfe der Akteure hinweg durchsetzen. Qualität beginnt in den Köpfen, das heißt, wir brauchen ein positives Klima für Qualität. Schulen benötigen hier mehr Ermutigung, wir müssen sie ermuntern, die Vision, das Leitbild der eigenständigen Schule zu entwickeln. Hier müssen wir vernünftige Rahmenbedingungen schaffen, Standards und Vergleichbarkeit sichern und in erheblich stärkerem Maße Entwicklungsimpulse setzen. Den Stein des Weisen zu finden, ist sicher nicht einfach, noch schwerer ist es allerdings, ihn ins Rollen zu bringen. Hier liegt unser Problem. Wer mehr Qualität will, muss auch mehr in Bildung investieren. Wir müssen uns schon verständigen, was ist uns Bildung Wert. Hier gibt es einen Paradigmenwechsel, einige Beispiele: Nordrhein-Westfalen wird bis 2005 2,2 Mrd. zusätzlich in Bildung investieren; Rheinland-Pfalz hat festgelegt, in der laufenden Legislatur jährlich 1.000 Stellen und 100 Mio. Mark zusätzlich aufzuwenden, vor allem für die Entwicklung eines flächendeckenden Ganztagsangebots; Niedersachsen hat ein zusätzliches 100-Mio.-Programm aufgelegt und Bayern hat sich auf ein zusätzliches 400-Mio.-Programm verständigt. In Thüringen sind wir mit den von der CDU beschlossenen Kürzungen leider eine traurige Ausnahme. Ich kann nur wieder und wieder gebetsmühlenartig wiederholen: Wir brauchen endlich ein Personalentwicklungskonzept, welches seinen Namen auch wirklich verdient, wir brauchen vernünftige Rahmenbedingungen für Schulentwicklung,

(Beifall bei der SPD)

das heißt auch Stabilität der Lehrerkollegien. Und nicht zuletzt brauchen Lehrer eine sichere berufliche Perspektive, der Kopf muss frei sein für verantwortungsvolle Arbeit und dazu braucht der Pädagogenberuf endlich mehr Wertschätzung.

Meine Damen und Herren, Aktionismus, Beschwichtigung und vage Absichtserklärungen helfen wenig. Von der Kultusministerkonferenz erwarte ich mittelfristig ein klares Entwicklungskonzept zur Schulbildung in Deutschland und auch die Forderung des Bundespräsidenten nach einem regelmäßig vorzulegenden Bildungsbericht darf nicht zur Seite gelegt werden. Wir brauchen eine breite öffentliche und öffentlich geführte Diskussion über Bildung und Schule, und zwar unter Einbeziehung aller Beteiligten, von Eltern, Lehrern und Schülern über Wirtschaft und Wissenschaft bis hin zu den Trägern und der Politik. Wenn die Thüringer Analyse vorliegt, kann auch eine Enquete

kommission unter Einbeziehung der Ergebnisse des Forums Bildung hier einen guten Beitrag leisten. Zum jetzigen Zeitpunkt erscheint eine Problemanalyse durch eine Anhörung produktiver und nützlicher als die Einsetzung einer Enquetekommission. Wir favorisieren diesen Weg und lehnen deshalb zum jetzigen Zeitpunkt den PDS-Antrag ab. Erst aus einer Anhörung werden sich dann weitere Schritte ergeben.

Meine Damen und Herren, denken ist oft schwerer als man denkt. Kollege Ramelow, in Bezug auf Ihren Antrag kann ich nur sagen, auch als Vordenker sollte man ab und zu nachdenken. Danke.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Emde, CDUFraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, Herr Döring, in weiten Teilen Ihrer Rede kann ich Ihnen nur folgen und freue mich auch darüber, dass es an dieser Stelle Einigkeit gibt und nicht von vornherein die Diskussion verfestigt wird, sondern wir alle müssen uns in bestimmten Teilen loslösen von alten Gedanken und müssen die PISA-Studie sehr ernst nehmen und das Beste daraus für unser Land machen. Ihnen sage ich nur, an einer Stelle muss ich widersprechen, denn Sie können nicht die Fragen des Schülerrückgangs und des damit verbundenen Lehrerabbaus und des Personalentwicklungskonzepts in Thüringen sofort auf die PISAStudie beziehen. Wenn man sich die PISA-Studie anschaut, wird man feststellen, dass nicht nur die Frage von mehr Geld auch sofort bessere Bildungsergebnisse bringt, aber ich gehe an der Stelle auch mit, dass wir durchaus an der einen oder anderen Stelle, wenn wir dann zu Ergebnissen gekommen sind, auch mehr Geld aufwenden müssen für das Thüringer Schulsystem.

Meine Damen und Herren, was ist und was will PISA? PISA hat doch nur bedingt etwas mit der bekannten italienischen Stadt zu tun, denn auch Italien hat am Test teilgenommen. Dort sind die Ergebnisse allerdings noch in etwas größerer Schieflage als in Deutschland und trotzdem wird in Italien nicht so masochistisch mit dem Thema umgegangen wie hier bei uns. 29 Mitgliedsländer der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, also die OECD, und noch ein paar Länder dazu haben sich entschlossen, Untersuchungen darüber anzustellen, was in den teuren Prozessen von Bildung denn am Ende überhaupt herauskommt. Es geht also gar nicht um die Frage, wer investiert mehr oder weniger in die Bildung der Menschen, sondern wie effektiv ist ein Bildungssystem und was wird mit den Investitionen - und das sind in Deutschland jährlich ca. 40 Mrd.  !&

Die OECD-Studien haben auch ergeben, dass höhere Bildungsausgaben nicht automatisch zu besseren Ergebnissen führen. So sind die Bildungsinvestitionen in Großbritannien, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, niedriger als in Deutschland, aber man schneidet bei PISA deutlich besser ab.

(Zwischenruf Abg. Nitzpon, PDS: Vielleicht, weil die Schulstrukturen andere sind.)

Frau Nitzpon, genau das ist der Punkt, wir müssen eben nicht zuerst wieder über Strukturen streiten. In den alten Bundesländern hat man sich über Jahrzehnte um Strukturen gestritten und heute stellen wir fest, das hat sich gar nicht gelohnt. Genau das will ich hier vermeiden und da bin ich mit Herrn Döring d'accord. Wenn Sie so anfangen, okay, machen Sie weiter, aber, ich denke, wir müssen hier von diesen Strukturdebatten losgelöste Diskussionen führen.

(Zwischenruf Abg. Buse, PDS: Und wir bezahlen.)

Die OECD hat sich zum Ziel gesetzt, zu wirtschaftlichem Wachstum und zur Sicherung eines hohen Lebensstandards in den Mitgliedsstaaten beizutragen. Da die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes in engem Zusammenhang mit dem Ausbildungsstand der Bevölkerung steht, ist PISA also nicht Selbstzweck, sondern dient zur Standortbestimmung und zur Politikberatung.

Im Frühjahr des Jahres 2000 unterzogen sich in der Bundesrepublik 5.000 15-jährige Schüler an 219 Schulen in ganz Deutschland einem Leistungstest, für Thüringen waren das 300 Schüler an 10 Schulen, PISA ausgesprochen: Programme for international student assessment - legt den Schwerpunkt auf den Bildungserfolg. Es soll festgestellt werden, ob 15-Jährige, die in vielen Fällen kurz vor dem Abschluss ihrer schulischen Laufbahn stehen, Kenntnisse und Fähigkeiten erworben haben, die sie zur vollen Teilhabe am wirtschaftlichen und auch am gesellschaftlichen Leben brauchen. Für die Bereiche Leseverständnis, Mathematik, Naturwissenschaften und fächerübergreifende Basiskompetenzen als Kernanforderungen für das Leben in einer modernen Gesellschaft wurde von einem internationalen Konsortium die Grundkonzeption für diesen Test beschlossen. Trotz des kooperativen, konsensbildenden Vorgehens trifft die Studie nicht in allen Ländern auf ungeteilte Zustimmung. Dafür gibt es auch gute Gründe. Die wissenschaftliche Validität, also die Frage, ob die Tests den zu erforschenden Gegenstand überhaupt genügend treffen, wird infrage gestellt. Ich empfehle uns, dazu auch einmal Beispielaufgaben im Internet anzuschauen. In England und Amerika, also Ländern mit regelmäßigen Leistungstests, gibt es negative Erfahrungen damit, dass sich der Unterricht bei regelmäßigen Leistungstests darauf reduziert, das Lösen von Testaufgaben zu trainieren. Ich nehme diese Untersuchung sehr ernst, sage aber auch, weil deutsche Schüler eben diese Erfahrung mit Tests nicht haben,

könnte hier ein Grund dafür liegen, warum englische und amerikanische Schüler entscheidend besser abschneiden als deutsche.

Im Übrigen ist es angesichts der Komplexität des schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrags nicht unbedingt zulässig, die Beurteilung der Qualität einer Schule an der Beantwortung einiger pragmatischer Gesichtspunkte und nach Nützlichkeit ausgewählter Aufgaben zu messen.

Meine Damen und Herren, auch Kollege Döring hat festgestellt, der Lernerfolg hängt zwar von der Qualität des Unterrichts maßgeblich ab, aber auch das Ansehen, welches Anstrengung, welches Leistung und welches Lernen in unserer Gesellschaft genießen, sind von maßgeblicher Bedeutung. Für mich ist in der Diskussion ganz wesentlich, dass Lehrer und ihre Arbeit nicht einfach abqualifiziert werden. Ich komme beim Lesen der Ergebnisse dieser Studie auch zu dem Ergebnis, dass solche Länder besser abschneiden, in denen der Beruf eines Lehrers einen wesentlich besseren Ruf genießt. Eine Arzthelferin in Thüringen wies mit Recht darauf hin - ich zitiere - "dass die Eltern ganz erbost in die Schule kommen, sobald die Lehrer versuchen, die Kinder zu erziehen. Und wenn einmal eine Arbeit mit der Note 5 oder 6 bewertet wird, ist auf dem nächsten Elternabend Protest angesagt." Das ist der tatsächliche Zustand. Und das, was heute durch die Presse geistert und wo gesagt wird, was für Zustände sind an Thüringer Schulen, weil vielleicht - man weiß es ja noch nicht genau - einer Kollegin die Hand ausgerutscht ist, das ist mit Sicherheit nicht der Dauerzustand. Wir müssen dringend im Land eine Debatte auch um die Frage der Erziehung und der Wertstellung der Erziehung in unserem Land führen und diese müssen wir mit den Eltern und mit den Schülern führen. Für unser Verständnis ist das Ziel des PISA-Projekts nicht ein Ranking, sondern das Ziel ist es vielmehr, Bedingungen für ein hohes Leistungsniveau zu ermitteln und den Ländern qualitative Indikatoren zur Erlangung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Schüler zur Verfügung zu stellen. Das setzt allerdings voraus, dass man sich intensiv mit dem Zustandekommen, mit der Durchführung und den Ergebnissen der Studie und deren Bewertung kritisch auseinander setzt. Dabei gilt es, nicht nur die Schule, sondern auch das familiäre und gesellschaftliche Umfeld, das heißt, auch sozialpolitische Aspekte zu betrachten. In den 32 an der Untersuchung beteiligten Ländern gibt es hierbei himmelweite Unterschiede, was uns natürlich die Befassung nicht leichter macht.

Auf den zweiten Teil der Studie - PISA-E -, also den regionalisierten Teil, ist in diesem Zusammenhang hinzuweisen. Diese auf die Länder bezogene und ihre konkreten Bedingungen berücksichtigende Erhebung werden wir erst im Sommer dieses Jahres erhalten. Dazu wurden auch wesentlich mehr Schüler an einer größeren Anzahl von Thüringer Schulen getestet, so dass diese Ergebnisse von uns als repräsentativ angesehen werden können. Aber auch hier warne ich vor einer vorschnellen Wertung. Es ist mit Vorsicht zu genießen, denn eine wesentliche Schlussfol

gerung aus PISA ist, dass der Unterricht auf handlungsund anwendungsorientierte Kompetenz zielen muss. Die genau darauf orientierenden neuen Thüringer Lehrpläne sind nämlich erst zum Ende des Jahres 1990 eingeführt worden, just zu dem Zeitpunkt, als die Erhebungen zu PISA stattfanden. Aussagen darüber, wie die neuen Lehrpläne Wirkung entfalten, werden wir also noch nicht bekommen.

Für unser Vorgehen im Landtag sehe ich drei Schritte:

Erstens: Genaues Studium und intensive Befassung mit der Studie, insbesondere mit der regionalisierten Fassung.

Zweitens müssen wir uns die Frage stellen: Was ist in Ländern, die besser abschneiden als wir, besser und anders? Neben Strukturen muss es dabei vor allem um die Inhalte, um die Methoden, um Kooperationen und eine höhere Wertschätzung von Bildung gehen.

Und erst drittens geht es dann um konkrete Ableitungen auf unsere Thüringer Verhältnisse.

Einige Schlüsse kann man sicher schon jetzt ziehen und auch da gehe ich mit Herrn Döring d'accord. Zum Beispiel für Kindertagesstätten ist ein Bildungsauftrag durchaus konkreter formulierbar. Auch die Übergänge bei den Bildungsetappen, die ein Schüler durchläuft, sind im Hinblick auf die Benachteiligung von Kindern aus sozial schwachen Familien effizienter zu gestalten. Eine stärkere Konzentration auf Kernwissen scheint mir angezeigt oder auch die Ausbildung von Erziehern und Lehrern muss stärker praxisorientiert sein. Uns geht es also um eine tief greifende Befassung mit der Materie, auch unabhängig von den bildungspolitischen Grabenkämpfen, die in der Vergangenheit geführt wurden. Für Thüringen möchte ich sagen, haben wir es in der Form nicht geführt und das sollte so bleiben. PISA zeigt uns, dass der organisatorische Aufbau des Schulsystems allein nicht den Schlüssel zum Erfolg bringt.

Im Bildungsausschuss des Landtags sind uns die beiden anderen Fraktionen mit dem Antrag gefolgt, eine Anhörung von Experten durchzuführen. Eine tief greifende Analyse und Beratung im Bildungsausschuss des Landtags halten wir für den richtigen Weg. Wir sind der Meinung, dass es heute keinen Grund gibt, eine Enquetekommission zu berufen. Der Nutzen einer besonderen Enquetekommission ist für uns derzeit nicht ersichtlich. Es liegt jedoch der Verdacht nahe, dass die PDS mit ihrem Antrag eine parteipolitische Schlacht eröffnen will. Wie sonst, Herr Ramelow, sind Ihre Äußerungen zu verstehen, die PISA mit den Lehrerentlassungen in unmittelbare Verbindung bringen.

Abschließend möchte ich Herrn Baumert, das ist der Vorsitzende des Deutschen PISA-Konsortiums zitieren, er sagt: "Es dauert zehn bis 15 Jahre, bis Kurskorrekturen in der Bildungspolitik wirksam werden." Also, nicht hektisches