Die Landesregierung misst der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit im Inland, beispielsweise mit den Thüringer entwicklungspolitischen Bildungs- und Informationstagen, große Bedeutung zu. Ich verweise, meine Damen und Herren, auf die zahlreichen Kontakte mit Israel. Die Landesregierung räumt den Beziehungen zu Israel nach wie vor einen besonderen Stellenwert ein
und fördert seit 1991 zahlreiche thüringisch-israelische Vorhaben, fördert Vorhaben in Israel und fördert beispielsweise die jährlichen Studienreisen von und nach Israel und zahlreiche Projekte in den Vereinen. Ich selbst werde im Dezember einer Einladung nach Israel folgen. Die Partnerschaften, von denen ich spreche, meine Damen und Herren, sind mehr als nur freundliche Besuchsprogramme. In der Bevölkerung ist der Gedanke der Partnerschaft, des Austausches und der Hilfe tief verwurzelt. Es haben sich viele Vereine gebildet, um in Osteuropa zu helfen, beispielsweise in Tschernobyl, um in Krakau zu helfen, um in Rumänien zu helfen, um in Bulgarien zu helfen. Wer die Gelegenheit hat, andere Länder und andere Kulturen kennen zu lernen und eng bei der Lösung verschiedener Probleme zusammenzuarbeiten, der steht nicht in der Gefahr, fremdenfeindliche Ideen zu entwickeln.
Allein aus dem Thüringer Wissenschaftsministerium liegt mir eine Liste von nicht weniger als 25 derartiger Initiativen vor, die durch das Ministerium, meist aus Lottomitteln, gefördert werden, z.B. der Eichsfelder Verein für Menschen in Not, der Förderverein "Buchenwald" und der Verein der Freunde und Förderer der Begegnungsstätte "Kleine Synagoge" in Erfurt. Ich nenne aber auch die vielen Jugendtheater, die vielen Tanzgruppen, beispielsweise eine deutsch-türkische Tanzgruppe in Rudolstadt und anderes. Ich nenne die Öffentlichkeitsarbeit etwa der Universität Jena, die sich dem Appell gegen Ausländerfeindlichkeit und extremistische Gewalt angeschlossen hat. Ich denke an Programme und Maßnahmen der Hochschulen zur Integration ausländischer Studierender und Lehrender, aber eben auch an zahlreiche Projekte überall im Land zur Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und dem gewaltfreien Zusammenleben, von der Pfadfindergruppe in Ilmenau, meine Damen und Herren, bis zur Akademie der Wissenschaften auf allen Ebenen. Und das ist großartig und das muss man fördern und möglichst noch vermehren.
Alle Bereiche des gesellschaftlichen und politischen Lebens zu nutzen, um für Freiheit und friedlichen Wettbewerb einzutreten und Gewalt und Extremismus zu bekämpfen, finanziell zu helfen, wo das möglich ist, möglichst viele Initiativen zu vernetzen, das nennen wir unser Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, meine Damen und Herren.
Es hat sich in der Vergangenheit immer wieder bestätigt, dass Aufgeregtheit und Schnellschüsse nicht weiterhelfen. Die Studie zeigt, dass wir es mit einem Phänomen zu tun haben, das sich allen einfachen Erklärungsmustern widersetzt. Die Studie zeigt eine Reihe von Besorgnis erregenden Tatbeständen, die ich nicht überse
hen habe und die nicht übersehen werden dürfen, aber die Studie besteht nicht aus einzelnen Besorgnis erregenden Tatbeständen, sondern aus einer Gesamtaussage, die Mut macht. Es macht Mut, wenn sie feststellt, dass der demokratische Verfassungsstaat in den Einstellungen der Menschen in Thüringen fest verwurzelt ist.
Meine Damen und Herren, es macht Mut, dass explizit antidemokratische Einstellungen sich auf eine kleine Minderheit beschränken. Die Ablehnung antisemitischer Einstellungen fällt in Thüringen besonders deutlich aus. Es macht Mut, Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit, vor allem in ihrer organisierten Form, findet in Thüringen nur geringen Anklang. Weltoffenheit, Toleranz, die Achtung der Menschenrechte finden überwältigende Zustimmung. Aber, wir haben leider auch gesehen, dass in Thüringen eine radikale und gewaltbereite Minderheit existiert, eine Minderheit, die wir sehr ernst nehmen müssen.
Das ehrenamtliche Engagement ist ein fester Bestandteil unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung und ehrenamtliche Arbeit ist Ausdruck gelebter Solidarität und praktizierter Subsidiarität. Ohne sie kann ein Gemeinwesen nicht funktionieren, ob in Sportvereinen, in Familien- und Wohlfahrtsverbänden, in Selbsthilfegruppen oder auch in politischen Gremien, meine Damen und Herren, überall ergänzt die ehrenamtliche Tätigkeit das staatliche Engagement in konkreter und praktischer Form. Mehr als ein Drittel der Menschen in unserem Land ist ehrenamtlich tätig.
Ganz ohne Frage tragen die Medien bei der Bekämpfung des Extremismus eine besondere Verantwortung. Ich bedanke mich dafür, dass viele Journalistinnen und Journalisten sich hier mit großem Engagement und großer Hingabe engagieren. Sie haben die wichtige Aufgabe, der großen Mehrheit der demokratisch denkenden Menschen den Rückhalt zu geben, ihnen den Rücken zu stärken.
Meine Damen und Herren, es ist notwendig, der Bevölkerung zu zeigen, es lohnt sich, aufmerksam zu sein. Wir sollten die Medien ermutigen, nicht nur über die schrecklichen Taten gewaltbereiter Extremisten zu berichten, sondern auch über die vielfältigen Aktivitäten zur Aufklärung über die Geschichte und zur Stärkung des demokratischen Bewusstseins. Ich weiß selbstverständlich, die Politik kann, die Politik darf den Medien keine Ratschläge erteilen, schon gar nicht Aufträge, aber ich bin der Überzeugung, dass die Mitarbeiterinnen und die Mitarbeiter der Medien ein ureigenes, großes Interesse daran haben, Freiheit und Demokratie gegen Extremisten zu verteidigen, denn nur in einem freiheitlichen Staat ist die Pressefreiheit gesichert, meine Damen und Herren.
Aktionen wie "Thüringen tolerant" sind geeignet, der schweigenden Mehrheit eine Stimme zu geben. Vielen Dank für alle diese Initiativen. Es ist gut, dass sich viele Menschen im ganzen Land an dieser Aktion beteiligt haben. Wir sollten nicht nur über feindliche Anschläge gegen Ausländer, die unter uns leben, sprechen, sondern bitte auch darüber, dass wir wollen, dass Ausländer nach Thüringen und nach Deutschland kommen. Wir wollen ein weltoffenes Land sein, Ausländer sind uns willkommen, wir verachten Fremdenfeindlichkeit und Fremdenhass. Dass man die Diskussion zum schwierigen Thema "Zuwanderung" sensibel führen muss, das ist allerdings wahr. In den alten Ländern gibt es Regionen mit sehr vielen Ausländern. Hier gibt es Regionen ohne Ausländer. Ich bin für eine sachliche Debatte, die beide Situationen berücksichtigt. Ich halte nichts von akademisch-theoretischen Begriffen. Ich verwende in meiner Rede solche Begriffe in der Regel nicht. Aber, meine Damen und Herren, ich verteidige jedermanns Recht, solche Begriffe zu verwenden. Auch Herr Merz hat das Recht, von deutscher Leitkultur zu sprechen, zumal ihm das Verdienst zukommt, eine ganz wesentliche Diskussion angestoßen zu haben.
Ich meine, Zuwanderung muss zu Integration führen. Wir wollen nicht, dass Parallelgesellschaften in Deutschland entstehen.
Wir sollten, meine Damen und Herren, und darum spreche ich das Thema zum Schluss an, die gegenwärtige Diskussion als Chance begreifen, uns darüber klar zu werden, wie wir uns als Deutsche verstehen und was wir mit Begriffen wie "Heimat", "Vaterland", "Nation" und "Identität" verbinden. Es gibt keinen Grund, vor diesen Begriffen zurückzuschrecken, aber es gibt allen Grund, sie mit Inhalt zu füllen.
Wir sagen in letzter Zeit - und das ist gut - immer wieder mit erfreulicher Deutlichkeit, wogegen wir sind. Wir sollten etwas mehr sagen, wofür wir sind, meine Damen und Herren.
Die gemeinsamen Überzeugungen, die die deutsche Kultur auszeichnen, dazu gehören die Achtung der Menschenwürde, dazu gehört das Recht auf freie Entfaltung der
Persönlichkeit, dazu gehört unsere Wertordnung, die wir brauchen, wenn wir einen freiheitlich-demokratischen Staat für die Zukunft sichern wollen, eine Wertordnung, die aus christlich-abendländischer Prägung unseres Landes entstanden ist, aber zu der natürlich die Antike und zu der das Judentum gehört. Sie sind die Basis für unsere Vorstellungen vom freiheitlichen, demokratischen und solidarischen Rechtsstaat. Diesen grundlegenden Wertvorstellungen darf von niemandem die Loyalität verweigert werden. Und ich sage es ganz einfach: Wir haben uns in Deutschland eine Hausordnung für unser Zusammenleben gegeben. Wir nennen diese Hausordnung Grundgesetz und, ich meine, wer auf Dauer zu uns kommen und wer ganz bei uns bleiben will, der muss diese Hausordnung akzeptieren und der muss bereit sein, nach den Regeln dieser Hausordnung leben zu wollen.
Inhalt dieser Hausordnung ist neben vielem anderen auch, dass wir fest entschlossen sind, unsere freiheitliche Ordnung gegen jeden zu verteidigen, der sie gefährdet und der sie zerstören will.
Meine Damen und Herren, Deutschland hat in seiner Vergangenheit bewiesen, dass es seinen internationalen Verpflichtungen im humanitären Bereich nachkommt. Deutschland hat mehr getan - es hat auch viel Grund dazu - als alle seine europäischen Partner zusammen. Zu diesen Verpflichtungen stehen wir und steht auch die Regierung des Freistaats, aber es ist legitim und notwendig, auch eigene Interessen zu artikulieren. Wer die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft leichtfertig überstrapaziert, der wird gerade denjenigen, die zu uns kommen, keine wirkliche neue Heimat bieten können. Wer am "Haus Thüringen" mitbauen will, ist uns willkommen. Wir bieten ihm an, hier heimisch zu werden und wir freuen uns, wenn Thüringen, so wie seit Jahrhunderten, von der Kreativität und dem Ideenreichtum vieler Neuthüringer profitieren kann. Aber, meine Damen und Herren, wir sagen Nein zu Gewalt. Es ist gut, und die Geschlossenheit, dass wir das sagen ist gut, aber mir ist noch wichtiger: Wir sagen Ja zur Demokratie, zur Freiheit und zur Weltoffenheit. Diese Botschaft ist noch wichtiger. Danke schön.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, als Helmut Kohl 1982 Kanzler wurde, versprach er eine geistig-moralische Wende. Sie ist ja auch tatsächlich unter seiner Regentschaft vollzogen worden - bis hin zur Big-Brother-Gesellschaft. Der Marktwert von Menschen bemisst sich heute
mehr an Designerklamotten und an Automarken als am tatsächlichen Können und am Menschen selbst. Die Fassaden sind alles, die Fähigkeiten ja leider oftmals nichts. Der öffentliche Diskurs wurde lange Zeit so oberflächlich, falsch und auch ahistorisch geführt, wie das meiste, mit dem wir in letzter Zeit konfrontiert werden.
Da ließ es schon aufhorchen, als Thüringer Tageszeitungen vor einiger Zeit für den heutigen Tag eine Regierungserklärung des Ministerpräsidenten ankündigten, die sich mit der geistigen Lage im Lande Thüringen befassen werde. Schließlich sind Sie, Herr Dr. Vogel, einer der treuesten Wegbegleiter des ehemaligen Kanzlers und Sie standen jederzeit, ob als Ministerpräsident in RheinlandPfalz, als Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung oder eben als Ministerpräsident hier in Thüringen, für diese geistigmoralische Wende. Vor dem Hintergrund, der in der "Studie zur politischen Kultur im Freistaat Thüringen" - auf die Sie sich ja heute vielfach bezogen haben - benannten hohen Bereitschaft gerade von jungen Wählerinnen und Wählern, in Thüringen rechte Parteien zu wählen oder deren Wahl zu akzeptieren, schien mir das zumindest ein sehr brisantes Unterfangen, das da angekündigt wurde. Dass bei der erwähnten Umfrage 92 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer es ausschließen, eine rechtsextreme Partei zu wählen, ist ungeheuer wichtig. Wenn aber 14 Prozent der 18- bis 24-Jährigen erklären, schon einmal DVU und NPD oder Republikaner gewählt zu haben, dann macht das eigentlich nur deutlich, wie dünn das Eis ist, auf dem wir uns bewegen.
Nun ist die Erklärung gegeben worden. Manches unterscheidet sich, Herr Ministerpräsident, wohltuend von dem, was in den letzten Monaten, Jahren oftmals sehr verschwommen, auch hier in diesem Raum, auch hier von Ihnen erklärt worden ist. An anderen Positionen, denke ich, wird es ganz konkrete Kritik aus unserer Fraktion geben. So "eins in diesem Sinne", wie Sie gesagt haben, im Kampf gegen Extremismus allgemein - ich glaube, da gibt es noch ein paar Differenzen, die wir ganz genau ausloten sollten. Leider blieb aber Ihre Erklärung auch weit hinter dem Anspruch zurück, sich mit der geistigen Lage in Thüringen zu befassen. Ich hätte mir gewünscht, dass sich dieses Parlament Stück für Stück dazu durchringen müsste, das gesamte Feld nach Wurzeln für Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu durchforsten. Sie hätten mit Ihrer heutigen Regierungserklärung dazu schon die Vorgabe geben können; das wollten oder konnten Sie nicht.
Ihnen sind ja nicht nur die Visionen aus der Politik verloren gegangen, sondern auch die Bereitschaft, innezuhalten, zu fragen und zu zweifeln. Mit "Top Thüringen", einem Spruch so inhaltsschwer wie "Ja, frische Bohne", gewinnt man sogar Wahlen.
Thüringen hat überholt ohne einzuholen. Der Gewinner ist jetzt zufrieden, wenn er nicht unter dem Durchschnitt der anderen ostdeutschen Länder bleibt. Tolles "Top Thüringen", tolle Genügsamkeit.
Thüringen ist eben nicht "Top Thüringen". Im Sommer blühen zwar die Landschaften, aber als neues oder - wie Sie es oft sagen - junges Bundesland hat es eben seit 10 Jahren neben Erfolgen auch mit allen Verwerfungen eines ostdeutschen Bundeslandes zu kämpfen. Die Hoffnung, dass sich Massenarbeitslosigkeit durch den konjunkturellen Exportaufschwung drastisch reduziere, ist längst gestorben. Thüringen ist auch kein Land für junge Leute. Warum sonst ziehen insbesondere junge Leute und junge Familien aus Thüringen weg? Offizieller Regierungspolitik wird oftmals nicht mehr zugetraut, Probleme lösen zu können. Die Angst vor dem sozialen Abstieg, die Abwendung von Politik und auch die zunehmende Nichtteilnahme an Wahlen gefährden die Demokratie, den sozialen und den solidarischen Zusammenhalt der Gesellschaft.
Bei dem Begriff "Leitkultur" denke ich immer unwillkürlich an eine Glocke und an ein Tier, das einer Herde vorantrottet. Das Bild ist harmlos und es trifft auch nicht den Kern dieser Ungeheuerlichkeit. Das Gefährliche besteht in dem Versuch, eine Wertigkeit aufzumachen, die nicht existiert; Kultur ist immer national und international. Soll jetzt etwa am deutschen Kulturwesen die Welt genesen?
Zündeln Sie nicht mit Worten, warnte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland am 9. November 2000 jene Politiker, die den Begriff in die Welt gebracht haben. Dafür bezieht dieser honorige Mann seither Prügel von der Union.
Herr Ministerpräsident, ich habe sehr wohl bemerkt, dass Sie sich an der Auslegung des Begriffs "Leitkultur" nicht beteiligt haben, das finde ich gut. Ich sage, das ist Ausdruck von Klugheit und auch von Instinkt. Sie sollten aber als profilierter Unionspolitiker, der auf Bundesebene keine geringe Rolle spielt, einen Schritt weitergehen und auf Ihre Parteifreunde einwirken, dass sie endlich diesen Begriff zurücknehmen und sich für diesen eklatanten Missgriff entschuldigen.
Nachgereichte Interpretationen, was denn schließlich unter diesem Begriff zu verstehen sei, retten hier überhaupt nichts. Auch, Herr Dr. Vogel, Ihr Hinweis zu möglichen Denkanstößen, die jedem Politiker möglich sein sollten, verpflichtet insbesondere zum Nachdenken über Folgen. Noch ist es nicht so weit, dass die CDU/CSU die Definitionsmacht in diesem Land hat, aber Verantwortung für geistige Haltungen in diesem Land tragen
Ich unterstelle, dass den Ministerpräsidenten ganz andere Sorgen drücken, von denen er weiß, dass die auch zur Bilanz seines Regierens gehören: die hohe Arbeitslosigkeit im Land, die Kürzungen bei den Sozialausgaben trotz steigender Zahlen Sozialhilfeempfängerinnen, die permanente Abwanderung vor allem junger Leute, Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit oder eben auch der Ruf der Bananenrepublik, der inzwischen Thüringen nacheilt, der Selbstbedienungsmentalität und das damit vermittelte Bild, dass die CDU Thüringen als ihren Erbhof betrachtet.
Herr Ministerpräsident, da ist es auch nicht zu akzeptieren, dass Sie für das, was Sie als Regierungschef, als Regierung verantworten, jetzt versuchen, Rechtsextremismus als Begründung, als Rechtfertigung heranzuziehen - Herr Eschbach als Undercover bei "Simson" im Kampf gegen Rechtsextremismus, das geht mir dann doch ein Stückchen zu weit, Herr Dr. Vogel.