Protocol of the Session on March 16, 2000

Den Streit, den fechten wir schon noch mal aus bei der nächst möglichen Gelegenheit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir nicht erst seit gestern und heute - beispielsweise auch das ist angesprochen worden und deshalb will ich auch darauf eingehen - Defizite im IT-Bereich haben, die kurzfristig über

wunden werden müssen, weil wir sonst vom Fenster weg sind, dann müssen wir uns dort bedienen, wo wir sie haben oder wo sie sind und im Übrigen alles nur Erdenkliche in Bildung und Ausbildung im Land tun, damit dieser Zustand überwunden wird. Nur wird er nicht von heute auf morgen überwunden.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind mit unserer schulischen, beruflichen und akademischen Ausbildung - so meine ich - nicht auf dem Höchststand der Entwicklung im IT-Bereich. Wir haben einen guten Ruf hier, auch an unseren Universitäten und Fachhochschulen, das ist unstrittig, aber in diesem Bereich reicht es noch nicht, den Anforderungen gerecht zu werden. Wenn der Herr Rüttgers Kinder- statt InderParolen nuschelt - freundlich assistiert wie immer aus dem Süden der Republik -, er hat diesen Zustand ja mit zu verantworten. Gerade wir in Thüringen, meine sehr verehrten Damen und Herren, leiden ja auch oder ganz besonders unter dem Wegzug junger Leute, was den Wirtschaftsminister kürzlich mit der Forderung nach höheren Löhnen in Thüringen ins Gewerkschaftsboot trieb.

(Beifall bei der SPD)

Daran haben wir nichts auszusetzen, Herr Minister Schuster. Selbstverständlich muss jungen Menschen mit guter und solider Ausbildung eine adäquate Entlohnung geboten werden, sonst sind wir sie los und bleiben auf den Kosten sitzen. Aber das ist Sache der Unternehmen und der Tarifparteien. Wenn Sie Flexibilität in der Tarifgestaltung anmahnen, ist das schon richtig, aber es darf nicht dazu führen, dass Rahmentarifverträge ausgehöhlt werden. Dafür sind wir nicht. Unser Ruf hier in Thüringen ist sicher nicht schlecht; leider sind wir auch dafür bekannt, die niedrigsten Löhne in Deutschland zu zahlen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist kein guter Standortfaktor. Das ist ein Imageverlust, der sich von heute auf morgen noch nicht einmal beseitigen lässt, auch wenn wir noch so gut und effizient fördern.

Wir waren uns nicht immer einig, Herr Minister Schuster, was Ihre infrastrukturpolitische Förderung und Schwerpunktsetzung betraf.

Herr Abgeordneter Lippmann...

Nein, nein, Sie können dann sprechen. Manchmal konnte man den Eindruck haben, Sie wollten Thüringen, zumindest zeitweilig, zu einer Art Walt Disney Land mit Holodria und Trachtenjacken umfunktionieren. Und 2,3 Mio. Einwohner tummeln sich fröhlich in den Freizeiteinrichtungen, nur muss das Geld, was man dort ausgibt, erst einmal verdient werden. Was uns noch fehlt, das ist der 1000-m-Gipfel.

Wenn wir keinen gewachsenen haben, dann müssen wir halt einen aufschütten. Das ist notwendig, auch für die Tourismusförderung.

Auch die Forderung nach regionaler Schwerpunktsetzung, die heute ein Thema und ein neues war, die auch in der Diskussion um die Abgrenzung der Fördergebiete eine immer größere Bedeutung gewinnt, haben Sie bisher stets abgelehnt - leider.

(Zwischenruf Schuster, Minister für Wirt- schaft, Arbeit und Infrastruktur: Mit Förder- sätzen.)

Nein, nein, um die regionale Schwerpunktförderung in der Infrastruktur. Nun aber liegt für die Landkreise Altenburger Land - jetzt komme ich auf das zu sprechen, was Sie vorgetragen haben oder vorgelegt haben - und den Kyffhäuserkreis jeweils ein Infrastrukturprogramm für die Jahre 2000 bis 2002 vor. Sie - die Programme - vermitteln den Eindruck, Sonderinvestitionsprogramme zu sein, wenn Sie mir das bestätigen wollen. Wenn nicht, ich sage erst mal, wir begrüßen dieses ausdrücklich. Wir begrüßen das ausdrücklich, nachdem Sie fast acht Jahre stumm auf die Arbeitsmarktzahlen in diesen Regionen geguckt haben. Wir begrüßen es. Sagen Sie uns aber, ob dies nur eine platonische Erklärung oder aber ein ernsthafter Versucht ist, unbestritten strukturschwachen Regionen aufzuhelfen. Erklären Sie uns, woraus Sie das finanzieren wollen und erklären Sie uns, wie und warum dieser Meinungsumschwung - ist ja ganz interessant - zustande gekommen ist und warum gerade jetzt.

Im Übrigen, meine sehr verehrten Damen und Herren, beklagen wir die Methodik der einzelbetrieblichen Förderung im gewerblichen Bereich nicht. Die Fördersätze, die Sie heute genannt haben, müssen selbstverständlich dem marktwirtschaftlichen Prinzip Angebot und Nachfrage folgen, das ist logisch. Und wenn man unterstellt, dass jeder einzelne Förderfall gesondert behandelt wird, dann ist das richtig. Nur gebe ich zu bedenken, dass die Vergabekriterien mit denen des 29. Rahmenplans und EURechts kompatibel sein müssen, nicht dass es uns dann wieder so geht, dass wir am Ende zurückzahlen müssen. Das wäre kontraproduktiv. Gleichwohl sage ich an dieser Stelle zum x-ten Mal, dass Startförderung nur die eine Seite und der eigentlich viel leichtere Part ist. Erhaltende Begleitung der Konsolidierung ist der weit wichtigere und der weit kompliziertere Part in der Förderung. Das muss im Übrigen nicht immer mit Geld verbunden sein. Das ist zweifellos eine Sache, die für Bosch, Opel und Siemens völlig ohne Bedeutung ist, aber für Firmengründungen aus dem Land heraus ist diese Konsolidierungspolitik von essenzieller Bedeutung. Manchmal habe ich den Eindruck, dass das Land in solchen Fällen eines Unternehmens zweimal in Erscheinung tritt - einmal mit der Geburt und einmal mit der Beerdigung. Dann ist es aber in den meisten Fällen zu spät. Zwischendurch sind wir nicht so recht präsent, zumindest ist der Eindruck so vermittelbar.

(Zwischenruf Schuster, Minister für Wirt- schaft, Arbeit und Infrastruktur: Nein, nein.)

Doch, doch Herr Schuster. Eine Startförderung, das heißt eine Investitionsförderung aus der Gemeinschaftsaufgabe, aus GA, die nicht dauerhaft erfolgreich ist, ist verlorenes Geld. Das kann man sich bestenfalls in Silicon Valley leisten, da kommt es nämlich aus privaten Taschen, nicht aber bei uns, da sind es Steuermittel und Mittel der öffentlichen Hand. Und dann noch etwas, was mich veranlasst, Sie mal zu fragen - Sie hatten gesagt, ich glaube es war wörtlich, Sie hätten sich entschieden, die EFRE-Mittel für infrastrukturelle und investive Maßnahmen einzusetzen. Korrekt? Hatten Sie gesagt. Hoffentlich ist Ihnen die Entscheidung nicht allzu schwer gefallen, denn dafür ist ja eigentlich EFRE da.

(Beifall bei der SPD)

Genau dafür ist es da. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Wirtschaftspolitik, das heißt Vergabepolitik von öffentlichen Mitteln zur Stärkung der Wirtschaftskraft eines Bundeslandes, muss ausgewogen und weitsichtig betrieben werden. Sie muss in die finanz-, in die steuerpolitischen und in die wirtschaftspolitischen Leitlinien des Bundes, ja auch der Europäischen Union hineinpassen und bestimmten langfristigen Zielstellungen vor allen Dingen bei Forschung und Entwicklung folgen. Sie hatten sinngemäß gesagt, wir brauchen mehr Geduld und Weitblick, Herr Schuster, die Geduld will ich Ihnen gern bescheinigen, aber die Weitsicht haben Sie vermissen lassen. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Herr Abgeordneter Lippmann. Als nächster Redner hat sich Herr Abgeordneter Kretschmer zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es gab offensichtlich im Vorfeld etwas Unverständnis über die Regierungserklärung. Herr Kollege Lippmann sprach gar von einer Inflation, Herr Gentzel sagt, dass man nichts Großes davon erwartet. Wissen Sie, natürlich keine Zauberkunststücke einmal zu verkünden, andererseits auch nicht nachzuschieben, wie von anderen erwartet worden ist, sondern ich begrüße es überhaupt erst einmal mit so einer Regierungserklärung ein einzelnes Thema, nämlich das der Wirtschaftspolitik, intensiv zu diskutieren und auszusprechen.

(Beifall bei der CDU)

Aktuelle Stunde und Anfragen, diese Hetze hat uns oft genug dazu feststellen lassen, das Thema müsste breiter erörtert werden. Es ist schon faszinierend, Herr Ramelow, wie Ihre Auswertetätigkeit funktioniert hat. Ich will einmal

so sagen, Ihr Mitarbeiterstab ist damit ganz schön ausgelastet, so wie Sie unseren Mitarbeiterstab der Ministerien durch die Flut Ihrer Anfragen sozusagen auslasten.

(Zwischenruf Abg. Neudert, PDS: Nur kein Neid!)

Mich hat nur gewundert, wie tief Sie das bringen, da ist Erfahrung schon, ganz klar.

Meine Damen und Herren, zehn Jahre Wirtschaft, Transformationsprozess, da ist es sehr richtig und wichtig, dass man analysiert und auch Reaktionen, so sie notwendig sind, findet. Ich vergleiche das einmal mit dem Controlling in einem Unternehmen, denn wer Controlling im Unternehmen nur auf Kontrolle verkürzt, der hat das Unternehmen nicht verstanden, sondern man muss Märkte beobachten, muss frühzeitig auch auf die Entwicklung der Märkte und der Wirtschaftssituation eingehen. Es ist gar keine Frage, wir sind in unserer Wirtschaftspolitik erfolgreich, und es braucht gar keine Kurskorrekturen in einem Winnerteam, sondern wir wollen sehen, welche Bedingungen haben sich verändert. Dazu sind zunächst erst einmal die Zahlen wichtig, Herr Kollege Lippmann, nicht im Sinne einer Selbstdarstellung, sondern ich muss ja auf bestimmte Dinge aufbauen, analysieren. Das hat die SPD ja in letzter Zeit, in der letzten Legislatur beklagt, dass sie sich mit ihren Wirtschaftsexperten nicht eingebunden fühlte. Jetzt ist es doch gut, wenn die Politik vom Minister vorgestellt und anhand der Zahlen auch dargestellt wird. Herr Kollege Ramelow, es nutzt ja nichts, Wirtschaftspolitik ist ja nicht, nur immer in der Vergangenheit zu graben, warum ist dieses und warum ist jenes passiert, sondern man muss sich schon einmal ein bisschen auch in diese Diskussion mit einbringen.

630 DM, von beiden benannt, ich habe mir diese Information auch herbeigenommen, Herr Kollege Lippmann, also auf meiner Wertung der Studie, die Sie von dem Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik bzw. und der Unternehmensberatung Kienbaum benannt haben, steht hier: 630-DM-Gesetz am besten aufheben. Das ist ja interessant, wie die unterschiedliche Ausdeutung der Ergebnisse stattfindet. Ich finde es gut, dass diese Untersuchung im Freistaat Sachsen, im Land Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen durchgeführt wurde. Ich glaube, damit ist es sehr repräsentativ und nicht nur einzeln hervorgezogene Zahlen aus dem Statistischen Landesamt, sondern einmal die volle Bandbreite, die von den 630-DM-Regelungen betroffen worden ist, zu untersuchen. Sie haben vollkommen Recht, dass in der Studie zunächst steht, der Missbrauch, also der Anstieg der geringfügig Beschäftigten ist gestoppt. Das war ein Anliegen, was alle geteilt haben. Wir haben nur noch andere Aspekte mit hineingeführt, und das steht hier drin, das Ausweichen in die Schattenwirtschaft. Das ist ein erklärbares, erkennbares Ergebnis und resultiert allein aus den unterschiedlichen Zahlen, die die Befragung angibt bei den für Sozialversicherungsträger angemeldeten Beschäftigten und bei den, wo sie denn ange

kommen sind, 700.000 Leuten, die in die Schattenwirtschaft abgedriftet sind, steht hier in der Studie drin. Die Belastung für die Wirtschaft, die wir immer benannt haben, steht hier mit Zahlen in dieser Studie drin, und zwar im Bereich Kostensteigerung von 5 Prozent bis 7,5 Prozent, in Einzelfällen sogar 20 Prozent. Also genau das ist eingetreten, was Sie jetzt hier mit Gebrüll benannt haben, was wir aber doch in ruhiger und sachlicher Atmosphäre an diesem Gesetz kritisiert haben. Zusätzlich ist die gesamte Bürokratie benannt worden, die insbesondere die kleinen Unternehmen überproportional beeinträchtigt. Die Schwierigkeiten bei den Vereinen ist im Vorhinein bei uns benannt worden, insbesondere, dass bei den Feuerwehren, bei den Wohlfahrtsverbänden und bei den Sportvereinen die Schwierigkeiten auftreten. Das heißt, die Untersuchung sagt, die Kritik war berechtigt und die Kritik und die Problempunkte müssen ernst genommen werden.

Das Zweite, Herr Ramelow, mit Ihrer Bemerkung "Schluss mit den beleuchteten Schafwiesen". Der Ausblick auf die Infrastrukturmaßnahmen, das ist eine subtile Strategie, die Sie verfolgen, nicht nur Sie in Person, sondern die PDS, einerseits solche Parolen herauszusetzen, andererseits aber die Atmosphäre, die notwendig ist, um solche Gewerbegebiete beispielsweise zu besiedeln, zu vergiften.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Vergif- ten, haben Sie gesagt?)

Nein, das will ich nicht sagen, jedenfalls nicht günstig zu gestalten. Das heißt, es ist doch nicht beförderlich, Herr Ramelow, wenn Sie im Internet oder über Untersuchungsausschüsse, die Sie einrichten oder androhen wollen, die Unternehmer hier diskreditieren. Es ist doch nicht förderlich, wenn Sie kostensteigernde Belastungen einfordern. Es ist doch nicht förderlich, wenn Sie Fördererfolge wie vorhin hier zu Brandt in Frage stellen oder die Wirtschaftserfolge in Frage stellen. Das meine ich, das kann man auch nicht mit viel Eigenlob für sich selber ablenken.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Sie haben mich nicht verstanden, ich rede von Steuergeldern.)

Ja, ja. Das ist eine subtile Strategie, wie sie genau diese Atmosphäre, die wir brauchen, um Ansiedlung durchzuführen, diskreditieren, meine Damen und Herren.

Wir haben die Zahlen bei Herrn Minister Schuster zur wirtschaftlichen Situation vernommen. Ich darf mich mit einigen Überschriften aus den Zeitungen anschließen, die das auch genau entsprechend würdigen. "Die Thüringer Wirtschaft sieht die Trendwende" - Herr Lippmann hat, glaube ich, auch Bezug genommen -, 56 Prozent sehen eine Verbesserung in der Branchensituation - eine Umfrage, die der Verband der Wirtschaft gestellt hat. "Thüringen ist beim Wirtschaftswachstum führend" - und das finde ich jetzt interessant - "Trotz Flaute im Osten, die Thüringer Wirtschaft wächst", meine Damen und Herren.

Wobei ich es nicht ganz verstehe, Herr Kollege Lippmann, wieso Sie die Wirtschaftspolitik bewusst oder unbewusst nur auf den Bund verkürzen. Das war auch nicht immer so, will ich da einmal ganz deutlich sagen. Denn schauen Sie einmal, wie wollen Sie denn die unterschiedliche Entwicklung in Ost- und Mitteldeutschland differenzieren? Im Übrigen beispielsweise vom Institut für Wirtschaftsförderung in Halle mit der Regionalstudie von Ostdeutschland belegt, die wirtschaftliche Entwicklung ist unterschiedlich in Ost- und Mitteldeutschland. Es gibt Erste, es gibt Zweite, und es gibt auch welche am letzten Platz. Das ist Wirtschaftspolitik, die regional stattfindet. Die zweite Frage, die ich, glaube ich, auch schon einmal gestellt habe: Wie wollen Sie die unterschiedlichen Entwicklungen belegen, wenn ich davon ausgehe, dass 1990 alle gleichmäßig in der DDR und alle mit den gleichen Menschen gestartet sind? Wie wollen Sie denn sonst die unterschiedliche Entwicklung belegen, wenn nicht Thüringer Wirtschaftspolitik erfolgreich ist und zu diesen Differenzierungen geführt hat?

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Lippmann, SPD: Es wa- ren deutliche Unterschiede zwischen Thürin- gen und Mecklenburg-Vorpommern schon da. Die gesellschaftlichen Bedingungen waren die gleichen.)

Es waren volkseigene Betriebe, es war runtergekommene Infrastruktur. Ich denke, da will ich gar nicht so sehr differenzieren, das sind gleiche Startbedingungen.

Meine Damen und Herren, es ist ganz klar bei der Analyse der Thüringer Wirtschaftsstruktur, und daraus ergeben sich Handlungsfelder, dass die Thüringer Industriebetriebe, obwohl sie so erfolgreich sind, Herr Minister Schuster, in der Mitarbeiterzahl zu gering sind. Wenn ich es richtig sehe, 76 Mitarbeiter im Durchschnitt ist zu gering, um große Märkte zu erobern. Daher begrüße ich es, dass man sehr wohl darauf sieht, dass man mit Fördermitteln auch die Erweiterungsinvestitionen bedenkt, um diesen erfolgreichen Unternehmen auch die Expansionen zu erlauben.

Herr Lippmann, ein Punkt noch zur Politik des Bundes: In den letzten Monaten ist die Frage Saldo Gewerbeanmeldung und Gewerbeabmeldung ganz deutlich negativ. Das war eine starke Situation, in der sich Thüringen bis Anfang letzten Jahres insbesondere befand, dass es zumindest ein reges Geschehen bei Existenzgründungen und -abmeldungen gab, die aber immer ein positives Saldo hatten. Also insbesondere, weil das vielleicht auch mit den 630 DM zu tun hat, der Einbruch in dem Gebiet Gastronomie und Gaststättengewerbe, was das Saldo angeht, ist enorm. Die Zahlen müssen Sie sich eben auch einmal anschauen. Das sind vielleicht die verkappten Folgen auch insbesondere des 630-DM-Gesetzes, wenn ich das hier einmal so sagen darf. Eine Bemerkung zum Strukturwandel

in der Bauwirtschaft, auch dort habe ich mir eine Studie herbeigezogen. Natürlich findet der Abbau der Überkapazitäten statt. Eine zweite Beobachtung, die ich aber sehr interessant finde, ist, dass die Thüringer Betriebe - bei rückläufiger Auftragslage, das will ich schon deutlich sagen - ihren Anteil am Baustellengeschehen erweitern konnten, das heißt, es baut zunehmend Thüringer Handwerk, es bauen zunehmend Thüringer Betriebe. Das liegt daran, dass es uns insbesondere gelungen ist, und ich denke auch, gemeinsam gelungen ist, vielfältige Kleinaufträge bei ihrem Akquirieren die mittelständischen Betriebe aufgrund ihrer Wettbewerbsfähigkeit neues Terrain gewinnen, also in der Frage der Sanierung der Innenstadt und der Wohnumfeldgestaltung dort entsprechend entgegenzusteuern. Das ist, glaube ich, eine Leistung, die man in Thüringen auch nachdrücklich würdigen soll. Ein Ende des Aufholprozesses ist nicht sichtbar, im Gegenteil, ich habe den Eindruck, dass durch die konjunkturell auseinander driftende Entwicklung zwischen Ost- und Westdeutschland eher die Schere wieder größer wird. Die westdeutschen Zahlen zeigen einen Konjunkturzuwachs, während wir hier in Ost- und Mitteldeutschland, auch in Thüringen, die Gefahr haben, dass keine Stagnation, aber ein wesentlich geringerer Zuwachs stattfindet und damit auch die Schere weiter auseinanderklafft. Wir fordern nachdrücklich, dass dieser Aufholprozess wieder an Fahrt gewinnen soll. Herr Schröder hat, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, ja damals gesagt, er will den Aufbau Ost zur Chefsache machen. Wenn das die Chefsache ist, dann möchte ich kein Chef sein; was hier stattfindet ist eben nicht Aufholprozess, Fahrtgewinnung und den Aufschwung Ost in Wachstumskräfte zu fördern.

(Zwischenruf Dr. Botz, SPD: Es ist immer noch besser, als das, was euer Chef macht.)

Ich sage gleich noch einmal etwas dazu, Herr Botz, das war eine Passage, die bei Herrn Lippmann zunächst sehr karnevalistisch anmutete, aber wenn man sie zweimal nachlas oder in sich aufnahm, dann kann man auch sehr wohl sehr sachlich darauf reagieren. Die Wachstumsorientierung der Wirtschaftspolitik kam dreifach zum Ausdruck in der letzten Zeit. Das war das Erste, wenn ich das mal mit Blick auf die letzten Jahre sehe, die schnelle Privatisierung der als sanierungsfähig eingestuften Staatsunternehmen. Das Nächste war die Wirtschaftsförderung insbesondere und der dritte Punkt der Wachstumsorientierung der Wirtschaftspolitik ist die Nachqualifizierung der Thüringer Erwerbspersonen. Herr Lippmann, Sie wissen doch: Der Forderung nach Erhalt der nicht wettbewerbsfähigen Strukturen - manche haben es halt als Beschönigung "industrielle Kerne" bezeichnet -, dem haben wir an sich eine deutliche Absage erteilt, und ich denke, das hat sich auch gelohnt, weil nun ein gesunder Mittelstand entstanden ist, der insbesondere mit den Zahlen beeindruckt im industriellen und verarbeitenden Bereich und, ich habe es schon gesagt, der natürlich jetzt mit den entsprechenden Beschäftigungszuwächsen auch noch die Unterstützung der Landesregierung braucht. Mit der Zeit sind die Prioritäten verlagert

worden, indem immer mehr Ausgleichs- und sozialpolitische Überlegungen in den Vordergrund gedrungen sind. Ich meine, das ist Ausdruck einer Fehlinterpretation von einer Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse. In einer Marktwirtschaft kann der Staat nicht die Verantwortung für ein bestimmtes Einkommens- und Beschäftigungsniveau übernehmen. Insbesondere zur Marktwirtschaft will ich sagen: Thüringen basiert auf einem starken Mittelstand und es ist meines Erachtens notwendig, ab und an mal auch wieder die Rolle und die Funktion des Mittelstands und des Unternehmers zu benennen, denn der Unternehmer und hier, sage ich, insbesondere auch der Eigentümerunternehmer ist, wenn wir nicht gerade auf die Verabsolutierung von Shareholder-Value eingehen wollen, wenn wir den Unternehmer nicht nur als Einrichtung zur Gewinnmaximierung verstehen wollen, auch eine soziale Veranstaltung. Unternehmen dienen natürlich zunächst dem Zweck der Optimierung des Bedarfs an Gütern und Dienstleistungen. Aber sie haben eben auch Verantwortung für Kunden, Lieferanten, Arbeitnehmer und auch für die Umwelt, also für die Allgemeinheit schlechthin. Und wenn wir Unternehmen so verstehen, wissen Sie, dann brauchen wir Unternehmer und das sind eben nicht Manager. Zu den Unternehmern gehört Risiko und Haftung, Ideen und Initiativen und Investitionen und, meine Damen und Herren, deshalb darf, wer soziale Marktwirtschaft erfolgreich praktizieren will, nicht Unternehmen als etwas Gutes hinstellen, und wenn sie dann groß sind, besonders gut und Unternehmer als etwas Schlechtes begreifen, wie es jetzt von der Bundesregierung kommt, wenn sie zwar Unternehmen, nicht aber Unternehmer steuerlich entlasten will. Ich habe mir hier ein Zitat herausgesucht, das finde ich auch ganz treffend. Henry Ford, der ja nun wirklich ein erfolgreicher Unternehmer war, sagte: "Ein Geschäft, das nichts anderes als Geld bringt, ist kein Geschäft." Ich glaube, das ist sehr bezeichnend. Frau Neudert, von Ihnen ist gestern auch die Frage des Gemeinsinns des Mittelstands besonders strapaziert und in Frage gestellt worden. Diese Frage des Mittelstands und des Unternehmers bricht hier und da auch einmal deutlich auf und führt zu lebhaften Diskussionen, wie wir es hier im Landtag erlebt haben und erleben werden bei an sich einer sehr schlichten Frage der Liberalisierung des Energiesektors. Meine Damen und Herren, ich habe es damals schon gesagt: Es ist schon eine spannende Frage der sozialen Marktwirtschaft, das Verhältnis der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand zu dem Mittelständler und zur privaten Wirtschaft immer wieder neu zu hinterfragen, denn der Unternehmer trägt das Risiko und die Verantwortung.

(Beifall Abg. Wackernagel, CDU)

Es ist eine Frage nicht nur der Förderung der bestehenden Unternehmen, sondern auch den doch bestehenden Nachholbedarf an Existenzgründungen auch hier in Thüringen herzuholen und da ist ein nächster Punkt, wo ich sage, wo wir insgesamt gefordert sind. Wie ist das Bild des Unternehmers und wie schaffe ich es, auch Leute zu ermutigen, in dem Spannungsfeld zwischen Risiko und Hoff

nung die Aufgabe einer Existenzgründung zu übernehmen, denn bei Misserfolg einer Unternehmung, das wissen Sie, ist Häme und Missachtung sehr schnell da. Bei Erfolg haben wir es mit Neid und Missgunst zu tun. Das ist doch das Spannungsfeld, in dem sich heute Menschen befinden, die darüber nachdenken, ob sie eine Existenz gründen wollen, und das ist die Frage, verängstigen wir sie bei dieser Überlegung oder bestärken wir sie bei dieser Überlegung, weil, das ist ja kein Achtstundentag, den sie auf sich nehmen, und es ist auch keine Fünftagewoche. Ich denke, an dieser Stelle

(Beifall bei der CDU)

ist die gesamte Politik gefordert. Ich kann es nur sagen, da ist es auch wichtig, insbesondere das Unternehmerbild in die Schulen mit hineinzutragen. Ich habe dieser Tage eine sehr beachtenswerte Initiative der IHK "Bosse in die Schulen" festgestellt, ich glaube, das ist eine begrüßenswerte Initiative, insbesondere um das Verständnis für soziale Marktwirtschaft und das Verständnis für die Aufgaben, die Unternehmer in dieser sozialen Marktwirtschaft wahrnehmen, unter die Schüler auch schon frühzeitig zu bringen.