Protocol of the Session on February 28, 2020

In Privateigentum oder in privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen greifen Sie ja auch ein, wenn eine Seuche ausgebrochen ist. Das sehen wir gerade beim Coronavirus. Dann greifen Sie doch auch ein.

Es gibt Möglichkeiten, wenn Sie das wollen, Zäune zu errichten. Dass es geht, zeigen ja die Länder Brandenburg und Sachsen. Da gibt es auch Möglichkeiten, an Autohöfen Zäune zu errichten. Vielleicht rufen Sie einfach einmal in den Ministerien unserer Nachbarbundesländer an und informieren sich darüber, wie das geht. Und schon wird das auch hier in SachsenAnhalt zu machen sein. Nichts anderes wollen wir.

Sie geben uns alle doch recht. Stimmen Sie einfach unserem Antrag zu und hören wir auf zu reden. Wir haben jetzt drei Jahre lang ge

redet. Jetzt müssen wir endlich handeln. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der AfD)

Jetzt handeln wir auch, indem wir abstimmen. Ich habe einen Antrag auf Überweisung gehört, und zwar zur federführenden Beratung in den Landwirtschaftsausschuss und zur Mitberatung in den LEV. Dazu gibt es jetzt keine alternativen Vorschläge. Deswegen lasse ich darüber abstimmen.

Wer für diese Ausschussüberweisung ist, den bitte ich jetzt um sein Kartenzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. - Wer ist dagegen? - Das sind die AfD-Fraktion und die Fraktion DIE LINKE. Gibt es Stimmenenthaltungen? - Ein fraktionsloser Abgeordneter und ein Mitglied der AfD. Damit ist der Antrag in die genannten Ausschüsse überwiesen worden.

Wir beenden damit den Tagesordnungspunkt 16 und führen einen Wechsel in der Sitzungsleitung durch, bevor wir fortfahren.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 17

Beratung

Frieden sichern statt DEFENDER 2020!

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/5728

Einbringer ist der Abg. Herr Gallert. Herr Gallert, Sie haben das Wort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den nächsten Wochen werden wir hier in Sachsen-Anhalt die größte Militäroperation der NATO in den letzten 25 Jahren erleben. Unter dem leider irreführenden Titel Defender 2020 werden wir Dreh- und Angelpunkt eines NATO-Truppenaufmarsches werden, an dem etwa 37 000 Soldatinnen und Soldaten, davon allein 20 000 US-Militärs, und insgesamt 35 000 Militärfahrzeuge beteiligt sind.

Gegenstand dieser Militärübung ist die möglichst schnelle und reibungslose Verlegung von vor allem amerikanischer Militärtechnik an die Westgrenze Russlands.

Eine der in Anspruch genommenen Hauptverkehrsadern wird in einem Zyklus von sechsmal eine Woche die Autobahn A 2 sein. Es wird also sechsmal ein Intervall geben, das jeweils eine Woche dauert, um vor allem amerikanische

NATO-Militärtechnik durch unser Land in Richtung Osten zu bewegen. Das wird in absehbarer Zeit beginnen.

Einer der drei Hauptstützpunkte in Deutschland für diese Truppenverlegung ist der Bundeswehrstandort in Burg. Auch das Sanitätsregiment in Weißenfels wird involviert sein.

Dieses Manöver wird zweifellos zu einer ausgesprochen schweren Belastung und Beschädigung der Infrastruktur führen, von der in SachsenAnhalt besonders die Autobahn A 2 betroffen sein wird, deren grundsätzliche Sanierung nun noch einmal um anderthalb Monate hinausgezögert werden muss. Die Einschränkung des Verkehrs auf dieser Autobahn wird durch die Truppenverlegung also noch einmal um anderthalb Monate verlängert.

Die Umweltbilanz dieses Manövers dürfte ähnlich verheerend sein wie die der vielen Brände auf den Truppenübungsplätzen im letzten Jahr. All das würde schon ausreichen, um dieses Manöver abzulehnen.

Schwerpunkt dieses Antrages und auch meiner heutigen Rede ist jedoch ein anderer. Denn viel größere Schäden als in unserer Umwelt und an den Straßen richtet dieses Manöver in den Beziehungen innerhalb Europas an.

Nun könnten wir die Frage stellen, warum wir in diesen Landtag einen Antrag einbringen, der sich schwerpunktmäßig um außenpolitische Belange der Bundesrepublik kümmert. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat etwas mit unserer besonderen Verantwortung als Ostdeutsche zu tun. Das betrifft unsere Beziehungen sowohl zu Osteuropa als auch zu Russland. Es hat auch sehr viel mit unserer eigenen Geschichte zu tun.

Vor mehr als 30 Jahren ging eine bipolare Weltordnung zu Ende, deren Daseinsform wohl treffend als der Kalte Krieg beschrieben wurde. Im Zentrum dieser Systemauseinandersetzung standen vorher die beiden deutschen Staaten und nach dem vermeintlichen Ende das wiedervereinte Deutschland.

Diese Wiedervereinigung kann man zwar als Glücksfall der Geschichte bezeichnen. Das wird dann aber den Realitäten nicht ganz gerecht. Denn es war kein Glücksfall, sondern das war das Ergebnis von bewusstem politischen Handeln von sehr mutigen Akteuren, von denen vor allen Dingen bei den Siegermächten oder bei den Alliierten viele über ihren Schatten gesprungen sind, um diese Wiedervereinigung zu ermöglichen.

Einer derjenigen, der damit am meisten zu tun hatte, war sichtlich Gorbatschow. Denn er gab in diesem Kontext viele alte Grundsätze des Kalten Krieges aus seiner Sicht auf. Eine der Grund

lagen, die dazu geführt haben, dass Gorbatschow damals seine Widerstände gegen die Vereinigung der beiden deutschen Staaten relativ schnell aufgegeben hat, waren übrigens die ausdrücklichen Versicherungen - sie sind protokolliert; sie sind heute öffentlich - des amerikanischen, des britischen und des deutschen Außenministers, dass es infolge der Vereinigung der beiden deutschen Staaten nie und nimmer eine NATO-Osterweiterung geben würde.

Das war übrigens auch der Preis dafür, dass Gorbatschow, also die damals zerfallende Sowjetunion oder Russland, akzeptiert hat, dass Deutschland insgesamt NATO-Mitglied wird. Diese Zusicherungen sind damals gegeben worden. Sie waren ganz maßgeblich das Argument auf russischer Seite dafür, diese Verträge zu unterzeichnen. Aber sie waren nachher vergessen.

Schon 1997 ging es um eine ausdrückliche Osterweiterung der NATO. Heute sind es insgesamt zwölf osteuropäische Staaten, die in die NATO aufgenommen worden sind. Zurzeit steht die Aufnahme von Nordmazedonien bevor.

Das Jahr 1997 - das muss man noch einmal klar sagen -, das war eine Phase der faktisch vollständigen Demilitarisierung Russlands. Es gab dort im Grunde genommen kaum noch Rüstungsausgaben. Das Militär selbst befand sich faktisch in einer Auflösung. Diese Phase war unter Bezugnahme auf die alten Feindbilder des Kalten Krieges seitens des Westens die Phase, in der man die NATO nach Osten ausweitete. 1997 hat dies begonnen.

Ich will ganz klar sagen: Auch damals war diese NATO-Osterweiterung umstritten. Es gab damals einen Brief von 40 sehr klugen US-amerikanischen Politikern an Bill Clinton, die sich ausdrücklich gegen die Osterweiterung der NATO gewandt haben, unter anderem der ehemalige Verteidigungsminister McNamara, der ehemalige CIA-Chef usw. usf. Die haben gesagt, wenn wir die NATO-Osterweiterung machen, dann werden wir folgende Probleme erzeugen:

Erstens. Es wird in Russland ein Erstarken nationalistischer und militaristischer Kräfte geben, die wiederum auf ihrer Seite die alten Feindbilder des Kalten Krieges reproduzieren.

Zweitens. Diese NATO-Osterweiterung wird dazu führen, dass die NATO selbst in sich so heterogen wird, dass sie sozusagen kaum noch zu handhaben ist.

Drittens. Jeder weitere Staat, der sich in der Region befindet, sieht sich bemüßigt, als Nächster den Antrag zu stellen, in die NATO aufgenommen zu werden, weil wir das System verunsichern für all diejenigen, die nicht in einem Militärbündnis sind.

Viertens. Wir werden es als US-Amerikaner nicht mehr bezahlen können, weil dieses System so groß wird, dass wir es nicht mehr beherrschen.

Alle vier Voraussagen sind eingetroffen. Dies ist die Vorgeschichte der heutigen extrem angespannten politischen Situation zwischen der NATO und Russland. Ich will ganz klar sagen: Diese Prozesse haben fast 20 Jahre vor der Annexion der Krim stattgefunden, vor der militärischen Auseinandersetzung in der Ukraine.

Diese Prozesse haben unter anderem dazu geführt, dass Deutschland das Völkerrecht gebrochen hat und sich an der Bombardierung Belgrads beteiligt hat. Erst viele, viele Jahre später hat diese Reaktion des Westens dazu geführt, dass wir uns Russland zum Feind erzogen haben.

Ich sage mit aller Deutlichkeit: Mit diesem „Defender 2020“-Manöver wird diese Feindschaft gepflegt, wird eine nächste Spirale angezogen, und das darf nicht sein. Das ist ein riesiger politischer Fehler, deswegen müssen wir dagegen zu Felde ziehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt kann man natürlich die üblichen Argumentationen verwenden, warum das alles so extrem wichtig sein muss. Dazu will ich klar sagen: Russland ist wegen interner Probleme, aber auch aufgrund der Reaktion und aufgrund der Wirkung des Westens heute ein politisches System, das man mindestens als autoritär, wenn nicht auch schon ein Stück weit auf dem Weg hin zur Diktatur bezeichnen könnte. Russland ist ein politisches System, in dem Militarisierung inzwischen in der Gesellschaft eine viel, viel größere Rolle spielt, in dem auch Nationalismus eine viel größere Rolle spielt als noch vor 15 oder 20 Jahren.

Aber ich sage ausdrücklich: Auch Putin, auch die russische Führungsoligarchie, ist nicht dumm. Beide Länder, die USA und Russland, geben etwa 4 % ihres BIP für Militär aus, aber die Russen wissen, dass es nur 15 % dessen sind, was die US-Amerikaner für das Militär ausgeben.

Niemand - glauben Sie mir - ist auf der russischen Seite so weltfremd und so selbstmörderisch, dass er in einer solchen Situation eine kriegerische Aktion Richtung NATO planen würde.

Aber wir auf der anderen Seite machen das größte Militärmanöver mit 20 000 US-Soldaten mit. Wir unterstützen, wir organisieren es und eskalieren damit an der russischen Grenze zwischen den NATO-Staaten und Russland Spannungen.

Ich frage ganz deutlich: Worin liegt unsere ostdeutsche Verantwortung? - Unsere ostdeutsche Verantwortung liegt darin, dass wir zum Ende des

Kalten Krieges gesehen haben, wie die fatalen Feindbilder des Kalten Krieges bei uns zum Glück substanziell infrage gestellt worden sind.

Wir müssen uns heute die Frage stellen, warum das auf der anderen Seite, nämlich im Westen, nach der Beendigung des Kalten Krieges nicht passiert ist, warum die Kontinuität der alten Feindbilder eins zu eins gewirkt hat und übernommen wurde und wir uns heute wieder in einer strategisch extrem schwierigen und auch militärisch leider inzwischen wieder angespannten Situation im Zentrum Europas befinden.

Dieses Manöver „Defender 2020“ bildet das nächste Drehen der Eskalationsschraube, und deswegen ist es ein Fehler. Unsere ostdeutsche Verantwortung ist es, darauf hinzuweisen, dass dies ein Fehler ist und wir uns dem deshalb entgegenstellen müssen. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Gallert, es gibt eine Frage von Herrn Poggenburg. - Herr Poggenburg, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Abg. Gallert, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört und entnehme Ihren Ausführungen eine leichte Kritik an der NATO-Osterweiterung, die ich übrigens voll und ganz unterstreiche.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Ah! Das wun- dert mich!)