Protocol of the Session on November 22, 2019

Sehr geehrte Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 87. Sitzung des Landtags von SachsenAnhalt der siebenten Wahlperiode. Ich begrüße Sie auf das Herzlichste.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir setzen nunmehr die 41. Sitzungsperiode fort und beginnen die heutige Beratung mit den Aktuellen Debatten unter den Tagesordnungspunkten 10 und 11. Ich erinnere daran, dass heute Herr Ministerpräsident Dr. Haseloff, Herr Minister Prof. Dr. Willingmann, Herr Minister Stahlknecht und Frau Ministerin Keding ganztägig entschuldigt sind.

(Unruhe)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bitte Sie, Ihre Gespräche einzustellen. Die Bänke sind zwar noch nicht ganz gefüllt, aber bei der Lautstärke denkt man, sie sind überfüllt. Bitte seien Sie etwas ruhiger.

Wir kommen nunmehr zu

Tagesordnungspunkt 10

a) Aktuelle Debatte

Zukunft des Windkraftstandortes SachsenAnhalt und Perspektiven für die Beschäftigten der Enercon GmbH und ihrer Tochterfirmen in Magdeburg

Antrag Fraktion SPD - Drs. 7/5263

b) Erste Beratung

Solidarität mit den Beschäftigten bei Enercon, Windenergie retten

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/5240

Die Redezeit je Fraktion beträgt zehn Minuten. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten. Eine gesonderte Einbringung des Antrags ist nicht vorgesehen. Es wurde folgende Reihenfolge für die Redebeiträge vereinbart: SPD, DIE LINKE, CDU, AfD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Zunächst hat als Antragstellerin die Fraktion der SPD das Wort. Hierzu wird Herr Dr. Grube einführen. Sie haben jetzt das Wort. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Als ich am 8. November davon erfahren habe, dass Enercon plant, in Magdeburg 1 500 Stellen abzubauen - die Zahl ist bis heute ein bisschen valide -, hatte ich ein hässliches Déjà-vu, und zwar ein doppeltes hässliches.

Die erste Erinnerung ist die an die Jahre 1989/ 1990, als von heute auf morgen die Maschinen stillstanden im SKET, im SKL, im MAW, bei Fahlberg-List, bei TAKRAF, im EAW - und wie alle diese Betriebe hießen -, weil keine Aufträge mehr da waren, als es hieß: Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, Ungewissheit. Am Ende blieben von Zigtausend Arbeitsplätzen nur einige Hundert.

Nun werden einige von Ihnen nachrechnen und sagen: Der Mann da vorne ist doch zur Wende erst zwölf oder 13 Jahre alt gewesen. Ja, das stimmt. Aber natürlich haben die Kinder meiner Generation das mitbekommen. Wir haben mitbekommen, wie es ist, wenn die Eltern abends ratlos am Esstisch sitzen, und wie es ist, wenn kaum eine Familie verschont wird. Und ich erinnere mich noch gut daran, wie sich die Gespräche auf dem Schulhof wandelten. Erst waren wir froh, dass es samstags keine Schule mehr gab, und wir unterhielten uns darüber, wer sich was von den 100 DM Begrüßungsgeld gekauft hatte, aber dann änderten sich die Themen und es kam die Frage auf: Haben deine Eltern noch Arbeit? - Die meisten konnten diese Frage nicht mit Ja beantworten, jedenfalls nicht für beide Elternteile.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie heute die Fernsehbilder von damals sehen. Die Pressekonferenz mit Schabowski, die Bilder vom Checkpoint Charlie, die kilometerlangen Schlangen an der Grenze, die grenzenlose Euphorie der Leute über den Mauerfall. Ich persönlich bekomme dabei immer noch eine Gänsehaut. Aber trotzdem kommt es auch wieder, dieses flaue Gefühl in der Magengegend bei dem, was danach in vielen Familien passiert ist. Meine Damen und Herren! Noch heute ist das Wort „Treuhand“ ein ganz klassisches Reizwort auf unseren Familienfeiern.

Das zweite hässliche Déjà-vu führt uns ins Solar Valley: im Jahr 2012 die Pleite von Sovello, 1 000 Arbeitsplätzen weg; im Jahr 2015 der Weggang von Hanwha Q Cells, 470 Arbeitsplätze weg, Verlagerung der Produktion nach Asien. Am Ende blieben von Tausenden Arbeitsplätzen nur noch einige Hundert.

Und heute? - Heute macht Enercon in Magdeburg zu großen Teilen dicht. 6 000 Arbeitsplätze waren es einmal in der Spitze; einige sind schon eine Weile weg, einige gehen jetzt ins Ausland, einige werden einfach wegfallen. Am Ende werden von

den 6 000 Arbeitsplätzen einige Hundert bleiben - nach jetzigem Stand, also vielleicht.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mich macht das wirklich wütend. Es war eine unglaubliche Kraftanstrengung, den Maschinenbaustandort Magdeburg nach der Wende zu erhalten. Enercon ist da natürlich nicht der einzige Betrieb. Ja, Enercon war ein Glücksfall trotz der Diskussion um den Betrieb, die wir alle kennen, auf die ich auch noch zu sprechen kommen werde. In der Spitze gab es dort diese 6 000 Arbeitsplätze in der industriellen Produktion einer Zukunftsbranche. Und eine Zukunftsbranche ist die Windkraftenergie heute noch, theoretisch, eigentlich.

Da bin ich wieder bei dem Thema „hässliches Déjà-vu“. Denn es bleibt ein bitterer Befund genau 30 Jahre nach der Wende. Die Betriebe der DDR wurden in der Treuhand von Managern aus dem Westen abgewickelt und heute sterben die Arbeitsplätze im Osten vor allem aufgrund der Untätigkeit einiger Landesregierungen im Westen. Das, meine Damen und Herren, ist die bittere Wahrheit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU und bei der LINKEN)

Und da sind wir bei den Ursachen der Pleite, bei den gesellschaftlichen Ursachen. Meine Damen und Herren! Es ist doch ein perverser Zustand, dass in Deutschland Millionen von Menschen bei Fridays for Future auf die Straßen gehen, dass die Bundesregierung und alle Landesregierungen landauf, landab meistens Lippenbekenntnisse zu den erneuerbaren Energien abgeben und dass in Sachsen-Anhalt trotzdem die Solarindustrie und die Windkraftenergie vor die Hunde gehen. Das ist doch ein perverser Zustand, meine Damen und Herren.

Wie ist denn der Ausbauzustand in der Bundesrepublik? - Das Land Baden-Württemberg hält sich vornehm zurück. 3,3 % am Energiemix durch Windenergie.

(Markus Kurze, CDU: Was?)

- Da ist echt Luft nach oben.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Auch Bayern!)

- Bayern hält sich auch zurück mit 5,5 % Windenergieanteil am Energiemix.

(Zuruf von Siegfried Borgwardt, CDU)

Die Wahrheit ist doch: Die Länder in Süddeutschland wollen zwar den Strom, aber keine Leitungen und sie wollen auch keine Windkrafträder und sie wollen übrigens auch keine Endlager für den Abfall aus den so heißgeliebten Atomkraftwerken. Es ist wirklich eine Fehlleistung der Bundesregie

rung im Klimapaket, dass das weiterhin möglich ist.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Auch in Sachsen-Anhalt haben wir unsere Hausaufgaben nicht gemacht. Es ist uns nicht gelungen, in nennenswerter Anzahl zu repowern. Das heißt, es ist nicht gelungen, den Wildwuchs der Anfangsjahre zu beseitigen und die verstreuten Anlagen ab- und in Vorranggebieten wieder aufzubauen. Die Regionalplanung stoppt. Das liegt auch an vielen Widerständen vor Ort. Das liegt aber auch daran, dass die Artenschutzrichtlinie eine Windkraftverhinderungsrichtlinie ist, meine Damen und Herren.

(Zustimmung von Silke Schindler, SPD)

Bei den gesamtgesellschaftlichen Ursachen will ich auch eine nicht verschweigen, die hier rechts außen im Parlament sitzt. Ja, die AfD hat den kopflosen Kampf gegen die Windkraft zum neuen politischen Hauptthema erkoren,

(Zurufe von der AfD)

und deshalb sind Sie persönlich mit daran schuld, dass in Magdeburg Tausende Menschen arbeitslos werden.

(Beifall bei der LINKEN - Daniel Wald, AfD: Was soll denn das? - Weitere Zurufe von der AfD)

Da können Sie im Stadtrat noch so viele Krokodilstränen weinen. In Magdeburg ist die Übersetzung für AfD: Arbeitslosigkeit für Deutschland.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der AfD: Buh! - Oliver Kirchner, AfD: Sie sind schuld daran!)

Meine Damen und Herren!

(Zuruf von der AfD: Das ist doch dummes Zeug!)

- Es ist doch schön, dass die AfD auch mal morgens wach wird. Super!

(Ulrich Siegmund, AfD: Das sagt der Arbei- terverräter!)

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will zu der Erwartungshaltung kommen, die wir in unserem Antrag zur Aktuellen Debatte formuliert haben.

(Oliver Kirchner, AfD: Scheindebatte!)

Wir erwarten drei Dinge:

Erstens. Die Landesregierung ist aufgerufen - die Bundesregierung auch -, die Angestellten von Enercon und ihrer Töchter nach Kräften dabei

zu unterstützen, einen neuen Job zu finden. Die Landesregierung hat das zugesagt; ich habe auch keinen Zweifel daran, dass das passiert.