Möglicherweise hatte der unzureichende Polizeischutz weniger mit einem ausgeklügelten Sicherheitskonzept zu tun, sondern hatte vielmehr praktische Gründe. Mittlerweile wissen wir, dass der in Halle befindliche Zug der vierten Hundertschaft exakt an diesem Tag dienstfrei hatte. Ging es dabei darum, Überstunden abzubauen? Hat es also einen ganz profanen Grund, warum die in der Zahl ständig weiter reduzierte Polizei schlichtweg keine freien Kräfte hatte? Wer genau traf die Entscheidung, den Polizisten exakt an diesem Tag frei zu geben?
Gleichzeitig erfahren wir aus der Presse - bezeichnenderweise nicht vom Innenminister -, dass ebenfalls exakt am 9. Oktober eine groß angelegte Razzia mit 120 Beamten aus vier Bundesländern, inklusive Sachsen-Anhalt, gegen dubiose Neonazi-Organisationen wie Combat 18 durchgeführt wurde, bei der sechs Personen festgenommen, aber direkt im Anschluss wieder auf freien Fuß gesetzt wurden. Warum führt man eine solche Razzia ausgerechnet an diesem Tag durch? Warum beteiligt sich Sachsen-Anhalt an einer solchen Aktion, wenn Polizeikräfte gleichzeitig an anderer Stelle fehlen?
Nach einem polizeiinternen Papier, das dem „Spiegel“ vorliegt, heißt es - „die Mindeststärke je Dienststelle“ für das Polizeirevier Halle betrage zehn Streifenwagen. In Halle waren am 9. Oktober 2019 aber nur sieben Streifenwagen im Einsatz, vier davon am Tatort. Wo blieb die Unterstützung für die Kollegen im Feuergefecht? - Über den Verbleib der restlichen drei Streifenwagen schweigt sich das Innenministerium aus. Nach Recherchen des „Spiegel“ soll der Streifen
bereichsindex beweisen, dass die Mindestsollbesetzung in Sachsen-Anhalt grundsätzlich nicht erreicht wird.
Ich nenne weitere Untersuchungsgegenstände, die ich aus Zeitgründen nur kurz ansprechen kann. Das betrifft zum einen die Einsatzpannen der Sicherheitskräfte. Wie konnte es passieren, dass der Täter nach dem Schusswechsel vor dem Döner-Imbiss trotz Schusswunde am Hals und einem zerschossenen Reifen der Polizei entkommen konnte? War die Polizei für einen Terroreinsatz ausreichend ausgerüstet? Gab es Einsatzpläne für Terrorismus oder Katastrophenszenarien zur Sicherstellung der inneren Sicherheit? Wie war es möglich, dass die Einsatzkräfte den Täter für eine Stunde aus den Augen verloren haben? - Der Mann konnte Halle verlassen, ein älteres Paar schwer verletzen und ein Taxi stehlen.
Der vom Täter überfallene Wiedersdorfer Taxiunternehmer ließ sein geraubtes Taxi mittels Telemetriedaten über das Autohaus orten und nahm eigenständig die Verfolgung auf. Über die Mietwagenfirma hätte die Polizei die Identität und die Handynummer des Täters erfahren können. Warum ließ die Polizei den Wagen nicht über die Mietwagenfirma orten? Kam es schon in früheren Fällen zu vergleichbaren Fehlern während der polizeilichen Ermittlungsarbeit bei der Polizeiinspektion Halle? Existieren Sicherheitskonzepte für Einrichtungen anderer Religionsgemeinschaften? Warum verlief die Kommunikation innerhalb der Polizeikräfte teils chaotisch? Warum wurde der langjährige Pressesprecher des LKA Andreas von Koß kurz nach dem Anschlag aus - ich zitiere - politischen Gründen von seinen Aufgaben entbunden?
Das sind einige wesentliche Punkte, die aufgeklärt werden müssen. Es gibt sicherlich viele weitere Punkte, zu denen ich nicht Stellung nehmen kann. Ich denke, darin besteht Einigkeit unter allen Fraktionen.
Nun möchte ich darauf eingehen, weshalb wir Herrn Stahlknecht selbst die lückenlose Aufklärung nicht zutrauen. Er hat eine Pressekonferenz durchgeführt und keine Antworten auf Fragen gegeben. Bei dem aktuellen Kenntnisstand und zahlreichen Aussagen von Gemeindemitgliedern müssen wir davon ausgehen, dass die Öffentlichkeit durch ihn mehrfach getäuscht wurde.
Ich komme damit zum Schluss. - Das Entscheidende für mich ist: Wir müssen das alles aufklären, damit das in Zukunft nicht noch einmal vorkommt, und zwar gegenüber jedermann nicht vorkommt. Wir sind gegen Terrorismus von allen Seiten; denn wir müssen die innere Sicherheit dieses Landes gewährleisten und Schlussfolgerungen aus den dort aufgetretenen Fehlern und Problemen ziehen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Farle. Ich sehe keine Wortmeldungen. - Bevor wir zur vereinbarten Dreiminutendebatte der Fraktionen kommen, wird für die Landesregierung Herr Minister Stahlknecht sprechen.
- Er verzichtet. Das hat er auch angekündigt. - Somit steigen wir in die Debatte der Fraktionen ein. Als Erster spricht für die CDU-Fraktion Herr Abg. Schulenburg. Sie haben das Wort, Herr Abg. Schulenburg.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Mit dem vorliegenden Antrag auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zündet die AfD-Fraktion die nächste Stufe ihrer Fundamentalopposition,
Sie versuchen in einer scheinheiligen, aber durchsichtigen Form, sich als Schützer des jüdischen Lebens in Sachsen-Anhalt darzustellen sowie unseren Sicherheitsbehörden Vollversagen und dem Innenminister ein persönliches Fehlverhalten vorzuwerfen. Das ist scheinheilig, aber durchsichtig.
Ihre Formulierungen sind kein Untersuchungsauftrag, sondern ein Generalangriff auf das Agieren unserer Landespolizei und der Sicherheitsbehörden. Das Ergebnis des PUA steht doch für Sie schon fest. Das war eindeutig aus dem Duktus Ihrer Einbringung herauszuhören.
Wir sind verwundert, dass Sie zuerst den Rücktritt des Ministers fordern und im Anschluss durch einen Untersuchungsausschuss ergründen wollen, ob Ihre Rücktrittsforderung begründet ist.
Ihr Antrag ist völlig unnötig, da die Landesregierung im Landtag, im Innenausschuss und auf einer Pressekonferenz umfassend und minutiös zu der Gefährdungsanalyse des BKA,
dem Schutz der Synagogen und zum Polizeieinsatz Bericht erstattet hat. Mehr als 700 Polizisten haben geholfen, den Täter in Halle festzunehmen. Unser Dank gilt ausdrücklich den Einsatzkräften, die unter physischen und psychischen Belastungen den Täter stellen konnten und trotz aller Schwierigkeiten, die mit einem solchen Einsatz verbunden sind, professionell agiert und den Täter gefasst haben.
In einer Zeit, in der aufgrund der schlimmen Ereignisse in Halle ein ganzes Land zusammengerückt ist, werden wir uns nicht an diesen einseitigen Schuldzuweisungen beteiligen. Die Notwendigkeit einer Untersuchung wird vonseiten meiner Fraktion nicht gesehen. Wir werden uns heute lediglich aus Respekt vor dem verfassungsrechtlich garantierten Minderheitsrecht bei der Abstimmung über die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses der Stimme enthalten und die Arbeit im Ausschuss konstruktiv, ganz sachlich und nüchtern begleiten und auswerten.
Alle Ihre Vorwürfe werden sich - davon gehen wir aus - im Ergebnis der Arbeit dieses Untersuchungsausschusses als haltlos erweisen. Es wäre schön, wenn Sie sich danach hier hinstellen und sich bei denjenigen entschuldigen, die Sie heute hier angegriffen haben.
Diese Größe sollten Sie zeigen, wenn wir die entsprechenden Ergebnisse vorliegen haben. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Abg. Schulenburg. Ich habe zwei Wortmeldungen vorliegen. - Als Erster erhält der Abg. Herr Olenicak das Wort. Bitte, Sie haben das Wort.
Rede laut und deutlich betont, dass es sich in Halle um einen rechtsextremen Attentäter handelte. Könnten Sie mir Ihre Quellen für diese Feststellung nennen?
(Minister Holger Stahlknecht: Der General- bundesanwalt hat das gesagt! - Eva von Angern, DIE LINKE: Pressemitteilung des Generalbundesanwaltes! Wer lesen kann, ist klar im Vorteil! - Zuruf von der AfD)
Herr Schulenburg, gleich zu Beginn Ihrer Rede werfen Sie der AfD vor, dass sie politischen Nutzen aus dieser schrecklichen Tat ziehen wolle. Jetzt frage ich Sie einfach ganz konkret: Ist es nicht so, dass genau der CDU-Innenminister diese Tat für sich, also diesen Nutzen der Tat für sich reklamieren wollte - nicht diesen Nutzen, Entschuldigung, sondern die Tat durch die Schuldzuweisung zur AfD,