Zwei Fragen. Erste Frage: Was wollen Sie machen, wenn es Schüler gibt, die aufgrund ihrer kognitiven Ausstattung einfach nicht dazu in der Lage sind, selbst einen Hauptschulabschluss zu erwerben? Wollen Sie dann die Anforderungen an den Hauptschulabschluss so weit absenken, dass wirklich jeder Lernbehinderte in der Lage ist, einen Hauptschulabschluss zu erwerben? Ist das Ihr Plan? Wie soll das gehen?
Zweitens. Ich habe mich sehr gefreut, dass Sie in Ihrer Rede deutlich gemacht haben, dass das, was Sie wollen, Lehrerkapazitäten kostet und dass es umgekehrt Lehrerkapazitäten spart, auf ein leistungsdifferenziertes Schulsystem zu setzen und zum Beispiel auf starke Förderschulen, wo dann die Förderschullehrer die förderungsbedürftigen Kinder en bloc in Klassen unterrichten können. Ist klar, wenn man sie alle verteilt auf die normalen Regelschulen und dann gemeinsamen Unterricht macht und die Förderschullehrer von Schule zu Schule tingeln, dann braucht man einfach mehr Lehrer.
Jetzt ist die Frage angesichts des Lehrermangels, den wir haben: Wollen Sie das Schulsystem gegen die Wand fahren oder nehmen Sie die Realität nicht wahr?
Ich glaube, ich habe ganz deutlich gesagt, dass wir durchaus die Realitäten wahrnehmen und dass wir, ausgehend von den Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, auch die Instrumente gestaltet haben.
Es ist nicht richtig, dass der gemeinsame Unterricht das Ressourcenintensive ist, sondern ressourcenintensiv ist dieses kleinteilig gegliederte System von Förderschulen, das wir in SachsenAnhalt haben.
Das ist das eigentliche Problem. Wenn wir überall gemeinsamen Unterricht hätten, würde das auch Lehrerinnen und Lehrer sparen und wir würden mit den Förderschullehrkräften, die wir haben, dann möglicherweise auskommen.
Was Ihre Frage nach dem Niveau der Abschlüsse betrifft: Das wollen wir natürlich nicht absenken. Uns ist auch bewusst, dass es beispielsweise bei Kindern mit geistiger Behinderung durchaus Kinder geben kann, die aufgrund ihrer Fähigkeiten nicht in der Lage sein werden, ihren Schulabschluss zu machen.
Aber gerade bei den Schülerinnen und Schülern an den Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen haben wir festgestellt, dass es oft gar keine kognitiven Beeinträchtigungen, sondern einfach Entwicklungsverzögerungen sind. Die brauchen manchmal einfach ein Jahr länger, und dieses Jahr sollen sie auch bekommen, damit sie eine Chance haben, den Schulabschluss zu machen. - Danke.
Weitere Fragen sehe ich nicht. Dann danke ich Frau Prof. Dr. Kolb-Janssen für den Redebeitrag. - Für die Fraktion DIE LINKE hat der Abg. Herr Lippmann jetzt das Wort. Herr Lippmann, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf den sehr langen Beratungszeitraum und die Genese der Entstehung des heute vorliegenden Papiers ist durch die Vorredner schon hingewiesen worden. In der Frage, wie man das beurteilt, was dabei am Ende herausgekommen ist, gehen die Meinungen doch ein Stückchen auseinander. Die Genese war auch nicht ganz vollständig, aber darauf komme ich im Laufe meines Vortrags zurück.
Drei Jahre Beratungszeit, und man könnte die Hoffnung haben, dass das, was lange währt, auch gut wird.
-Tut mir leid, das stört mich. - Das ist aus unserer Sicht aber mitnichten so. Was wir zunächst relativ schnell hatten, nach einem Dreivierteljahr, war der erwähnte Bericht aus der eingerichteten Expertenkommission, der in dem ganzen Prozess das substanzreichste Papier war. Darin waren immerhin einige erwähnenswerte und nachzuverfolgende konzeptionelle Ansätze enthalten.
Ministerium sein sogenanntes Konzept vor, das ich in der Folgezeit nie als Konzept, sondern als Papier bezeichnet habe, weil es keinen konzeptionellen Gedanken enthielt. Es war von Anfang an ein vielseitiger Aufsatz über das Förderschulwesen ganz allgemein und in Sachsen-Anhalt.
Einen einzigen konzeptionellen Gedanken enthielt es aber immerhin doch, nämlich die Förderklassen an allgemeinbildenden Schulen, allerdings mit dem Hinweis, dass diese nur realisiert werden können, wenn wir dazu eine Schulgesetzänderung machen. Diese Schulgesetzänderung haben wir auch angemahnt, weil wir wenigstens diesen einen konzeptionellen Gedanken erhalten wollten. Als wir die letzte Schulgesetznovelle beraten haben, haben wir das eingebracht. Das ist mit dem Hinweis abgelehnt worden, wir machen das erst einmal fertig; dazu brauchen wir noch ein paar Monate, und danach rufen wir das Schulgesetz noch einmal auf.
Wir wissen heute, dass das Schulgesetz nicht noch einmal aufgerufen wird. Wir wissen, dass diese Änderung nicht erfolgt ist. Es steht auch jetzt noch in dem Papier, dass Förderschulklassen eingerichtet werden können, aber mit dem Hinweis auf Seite 19: Dieses Angebot sehen die derzeitigen Bestimmungen des Schulgesetzes nicht vor. Eine Anpassung ist erforderlich. Wie gesagt, diese Anpassung ist nicht geschehen, und sie wird auch nicht geschehen. Also wird es auch diese Förderklassen nicht geben.
Was bleibt unter dem Strich? Der Ärger im Bildungsausschuss. Schade um die Zeit und das Papier. Schade um die viele Arbeit, die wir aufgewendet haben. Bevor die Koalition ihren Änderungsantrag vorgelegt hat, hatten wir fast ein halbes Jahr vorher einen zumindest in der Sache ähnlichen, allerdings viel konkreteren und viel weiter gehenden Vorschlag unterbreitet, allerdings auch ausgehend von diesem ersten Papier, das wir hatten, nämlich das sogenannte Viersäulenmodell des Burgenlandkreises oder wie auch immer das bezeichnet wurde. Das ist der einzige sinnvolle Ansatz.
Was die Koalition jetzt gemacht hat, nämlich angehängt an das Papier - das ist sozusagen der einzige konzeptionelle Ansatz -, ist eine stark abgespeckte und sehr verwässerte Variante dieses sogenannten Viersäulenmodells, von dem man heute nicht so richtig weiß, was es bringt, was es taugt, was man damit anfangen kann.
Wir sind von diesem Papier, das kein Konzept ist, durch und durch enttäuscht. Es steht allerdings nichts Falsches darin; denn wenn ich einen Aufsatz über das Förderschulwesen schreibe, mit dem ich einigermaßen meine Hausaufgaben mache, dann ist es kein Papier, von dem man sagt, das lehne ich ab. Wegen der Ergänzung
durch die Koalition, von der wir auch noch nicht wissen, ob es nicht vielleicht doch den einen oder anderen Schulträger gibt, der daraus etwas machen kann, ist es auch nicht abzulehnen. Deshalb werden wir uns der Stimme enthalten.
Ich sage aber dazu: Mit diesem Papier, mit Ausnahme des Letztgenannten, wird sich draußen nichts ändern. Die Schulträger haben damit keine Klarheit für ihre Förderschulstandorte. Es ist keine Stärkung der Förderschulen und es ist auch kein echter Beitrag zur Inklusion. Es ist einfach ein Papier, das wir jetzt im Landtag haben, und bei dem wir einmal sehen wollen, ob es Landkreise gibt, die daraus irgendetwas machen können. Ich hoffe, dass wir noch andere Papiere auf den Tisch bekommen, über denen das Wort „Konzept“ steht und in denen auch ein Konzept enthalten ist. - Vielen Dank.
Fragen sehe ich nicht. Dann danke ich Herrn Lippmann für den Redebeitrag. Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt der Abg. Herr Aldag das Wort. - Herr Aldag, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Ja, auch für mich ist es kaum zu glauben, aber es wird heute wahr. Wir bringen im Hohen Haus final das Förderschulkonzept auf den Weg, ein Vorhaben, das uns über fast zwei Jahre begleitet hat und viele Schleifen zwischen Bildungsministerium, Kabinett, Fraktionen und dem Ausschuss drehte. Ein neues Förderschulkonzept ist notwendig, weil sich in den letzten Jahren mehr Eltern dafür entschieden haben, ihr Kind mit Förderbedarf, insbesondere im Bereich Lernen, an allgemeinbildenden Schulen unterrichten zu lassen und viele Förderschulen damit unter die Mindestschülergrenze gefallen sind.
Maßgeblich handelt es sich daher in dem Konzept um die Zusammenlegung von Förderschwerpunkten und die zeitgleiche Gewährung einer wohnortnahen Beschulung. Das war nicht ganz das, was wir uns als grüne Fraktion unter dem Titel „Weiterentwicklung der Förderschulen“ vorgestellt hatten. Wir hatten vielmehr an einen verbindlichen Fahrplan für die schrittweise Umgestaltung unseres Bildungssystems entlang der UN-Behindertenrechtskonvention gedacht.
So kostete uns das Förderschulkonzept einiges an Zeit und Nerven, bis wir uns als Koalitionsfraktionen darauf einigen konnten, das Konzept gemeinsam weiter zu qualifizieren. Ganz besonders wichtig war uns GRÜNEN dabei, das bestehende Engagement im Bereich der Förderung benachtei
ligter Kinder und Jugendlicher, das wir beispielsweise aus dem Burgenlandkreis, dem Harz oder auch aus Dessau kennenlernen durften, zu unterstützen.
Ganz klares Ziel dessen ist für mich, dass mehr Schülerinnen und Schüler einen Schulabschluss erlangen, damit sie die Grundlage für eine Berufsausbildung erlangen und einen Platz inmitten unserer Gesellschaft finden. Um dies zu ermöglichen, bedarf es nicht nur einer neuen Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Bildungseinrichtungen einer Region, sondern insbesondere auch einer gemeinsamen Haltung und Verantwortung gegenüber allen Kindern und Jugendlichen einer Region.
Mit der Ergänzung der Nr. 5 im Förderschulkonzept haben wir dafür nun den Weg geebnet. Allgemeinbildende Schulen, berufsbildende Schulen und Förderschulen werden in Förderregionen künftig enger kooperieren, Schülerinnen und Schüler werden an allen Schulformen Förderung erhalten können. Ausgleichsklassen werden als Hybridlösung für stärkere Förderung an allen Schulformen etabliert werden können, um das Recht auf Unterstützung zur Erlangung des bestmöglichen Bildungserfolgs für alle Schülerinnen und Schüler wohnortnah zu ermöglichen.
Lange haben wir um diese Möglichkeit gerungen. Ich freue mich, dass wir eine Besserung zum Status quo erreicht haben. Für mich ist es ein hart erkämpfter Meilenstein auf dem Weg zu mehr Inklusion in der Schule. Weitere müssen aber zwingend folgen. - Vielen Dank.
Ich sehe keine Fragen. Dann danke ich Herrn Aldag für den Redebeitrag. Für die CDU spricht die Abg. Frau Gorr. - Frau Gorr, Sie haben das Wort.
Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich bin stolz und glücklich, dass die Landesregierung uns heute bittet, das Einvernehmen zum Konzept zur zukünftigen Gestaltung von Förderschulen zu erklären. „Chancen eröffnen, Möglichkeiten schaffen“, so der Titel des vorgelegten Konzepts zur Weiterentwicklung der Förderschulen im Land Sachsen-Anhalt. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, welcher Titel könnte passender sein?
Wir sind gewählt worden, um das Wohl der Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt unserer Arbeit zu stellen. Mit dem vorgelegten Konzept tun
wir dies in doppelter Weise: Wir garantieren den Eltern von Schülerinnen und Schülern mit festgestelltem sonderpädagogischen Förderbedarf eine echte Wahlfreiheit, und wir stellen das Wohl und die Entwicklung unserer Kinder, die wir für ihre eigene und die Zukunft des Landes Sachsen-Anhalt stark und fit machen wollen, an die erste Stelle.
Wir haben sehr lange darum gerungen, wie die notwendige Qualität und der erforderliche Umfang der Unterstützung für alle Schülerinnen und Schüler gesichert werden können. Als glühende Verfechterin der Notwendigkeit von Förderschulen im Sinne von Inklusion und als CDU-Bildungspolitikerin danke ich zunächst der Arbeitsgruppe Bildung und Kultur, die 2016 den Koalitionsvertrag ausgehandelt hat. Der Herr Minister führte dazu aus.
Ich danke auch allen Mitgliedern des Bildungsausschusses, dass unter anderem durch die intensive Anhörung und die darauf folgenden Diskussionen einige aus meiner Sicht zum Teil ideologische Vorurteile aufgebrochen werden konnten. Die betroffenen Eltern und Schülerinnen und Schüler werden es uns danken, dass wir Möglichkeiten eröffnen, zum Beispiel beschwerliche Schulwege zu verhindern oder zu verringern. Wir wollen weiterhin verstärkt flexible Übergänge ermöglichen. Vor allem aber werden sich neue reale Chancen für Teilhabe und Abschlussmöglichkeiten eröffnen. Meine Kolleginnen und Kollegen haben erwähnt, wie wichtig dieser Aspekt ist, dass Förderschülerinnen und Förderschüler die Möglichkeit bekommen, einen ordentlichen Schulabschluss zu machen.
Ein großer Dank gilt auch den Teilnehmern des Ministeriums mit ihrer Arbeitsgruppe und den anderen Experten aus der Praxis, die wesentlich zur endgültigen Qualifizierung des vorliegenden Konzepts beigetragen haben. Hier nenne ich stellvertretend den Landrat des Burgenlandkreises Götz Ulrich und die Pestalozzi-Schule in Wernigerode mit ihrem Schulleiter, Herrn H., und mit seinen engagierten Kolleginnen und Kollegen aus dem Landkreis Harz. Ich bin meinen Kollegen Frau Kolb-Janssen und Herrn Wolfgang Aldag sehr dankbar, dass wir dort gemeinsam ein intensives Fachgespräch mit Schülerinnen und Schülern und den dortigen Lehrern geführt haben.
In den Diskussionen vor Ort, auch mit dem Ministerpräsidenten und dem Bildungsminister Tullner, wurde deutlich, dass viele Jugendliche mit besonderer Förderung auf gute Schulabschlüsse vorbereitet werden können, zum Beispiel durch die Kooperationsklassen - Frau Kolb-Janssen erwähnte es -, wenn man ihre individuellen Fähigkeiten optimal begleiten kann. Ihre Persönlichkeiten können sich so auf der Grundlage von Ach
tung und Wertschätzung, aber auch der bereits erwähnten Erfolgserlebnisse entfalten, und ich sage ausdrücklich: jenseits von Hänseleien und Geringschätzung.
Eltern, die auf ihre Kinder stolz sein können, auch wenn diese mit denkbar schlechten Bedingungen starten müssen, und starke Kinder, die manchmal sogar durch ihre guten Ergebnisse und Zukunftsperspektiven ihre eigenen Eltern stolz machen und in ihrer Entwicklung stärken können - sehr geehrte Damen und Herren, genau damit eröffnen wir Chancen und Möglichkeiten.