Protocol of the Session on October 23, 2019

Wir als AfD-Fraktion stellen heute keinen Antrag. Wer mir aufmerksam zuhörte, hat verstanden, warum das so ist. Gern noch einmal: Wir fordern, dass die Fraktionen in diesem Hause gemeinsam mit der Landesregierung und den Betroffenen an

tragfähigen Lösungen arbeiten, und das vorbereitet, offen und öffentlich.

Zu Ihren Anträgen bleibt zu sagen: Wir hätten sie gern überwiesen; denn ich denke, dass so umfassende Anträge hier nicht kurzfristig zur Abstimmung kommen sollten, sondern dass wir uns damit wirklich eingehend beschäftigen sollten. Auch das ist für mich ein Stück verlässliche Politik.

Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich kurz auf einige Dinge eingehen, die Herr Ministerpräsident soeben erklärte. Wer Ihnen, Herr Ministerpräsident, aufmerksam zugehört hat, dem ist aufgefallen, dass Sie das Problem des importierten Antisemitismus wohl bedacht haben - zwar nur in einem Nebensatz, aber immerhin. Ihr Hauptaugenmerk lag dann aber wiederum auf dem Antisemitismus des Rechtsextremismus.

Damit gehen auch Sie an der Wirklichkeit in diesem Land vorbei. Denn, wie ich eben bereits erklärte, fast das ganze Problem liegt bei dem muslimischen Antisemitismus, der weitaus kleinere Teil verteilt sich auf rechts und links. Das ist selbstverständlich schlimm genug. All das hat in Deutschland im Jahr 2019 nichts verloren. Gerade deswegen kommen aber wir nicht umhin, die Wahrheit klar anzusprechen.

Aber das, was mich bei Ihrer Rede, Herr Ministerpräsident, am meisten erschreckt hat, ist, dass Sie uns, der AfD, vorwerfen, wir würden die Anschläge von Halle für unsere parteipolitischen Zwecke instrumentalisieren. Genau das tun Sie hiermit in dem langsam beginnenden Wahlkampf in Sachsen-Anhalt. Das ist eigentlich auch unredlich und einem Ministerpräsidenten meiner Meinung nach nicht würdig.

(Lebhafter Beifall bei der AfD)

Es ist mir auch völlig schleierhaft, wie Sie darauf kommen. Ich hoffe, Sie selbst glauben das nicht wirklich. Es macht mich mehr als nachdenklich, dass Sie als Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt sich hier vor den Karren spannen lassen und in die Hörner blasen, die jeglicher sachlichen Grundlage entbehren.

Ja, wir fordern den Rücktritt des Innenministers. Er ist politisch verantwortlich für all das, was in Halle am 9. Oktober 2019 und davor und danach schiefgelaufen ist. Unsere Argumentation basiert dabei allein auf Fakten, nichts ist erfunden, nichts ist ausgelassen worden. Dass Sie sich trotzdem vor Ihren Innenminister stellen, da er Ihr volles Vertrauen genießt, war absehbar. Das heißt aber nicht, dass das vernünftig und nachvollziehbar ist. Nein, für uns ist es das nach dem 9. Oktober in Halle nicht.

Herr Ministerpräsident, wir instrumentalisieren nicht, wir betreiben grundsätzlich keine Politik

auf dem Rücken von Opfern schrecklicher Taten, auch wenn Sie und viele Ihrer Kollegen uns das immer wieder mit Hass- und Hetztiraden unterstellen. Wenn Sie uns das nun aber wieder vorwerfen, dann ist das so, als würde der Dieb rufen: Haltet den Dieb! Mit Ihrer Kritik an meinen Parteifreunden Brandner, Höcke und Gauland betreiben Sie selbst parteipolitische Instrumentalisierung,

(Zuruf von Dr. Falko Grube, SPD)

und das wenige Tage vor einer entscheidenden Landtagswahl in unserem Nachbarland Thüringen.

(Zuruf von Dr. Falko Grube, SPD)

Dass Sie als Ministerpräsident unseres Landes und als wahrnehmbar konservativer Politiker sich dafür nicht zu schade sind, finde ich sehr bedauerlich.

Selbstredend gibt es keinen Zweifel daran, dass jüdisches Leben uneingeschränkten Schutz in unserem Land zu genießen hat. Damit haben Sie völlig recht. Das trifft aber nicht nur auf jüdisches Leben zu. Wie ich eingangs bereits sagte, hat dies für alle Menschen im Land zu gelten, egal ob Mehrheitsgesellschaft oder Minderheit - nicht nur weil das für ein zivilisiertes Land selbstverständlich sein muss, sondern insbesondere auch, weil uns unsere Verfassung dazu verpflichtet. Wir als AfD, als Partei des Grundgesetzes, betonen das auch immer wieder.

(Beifall bei der AfD)

Lassen Sie es mich noch einmal deutlich machen: Wir als AfD-Fraktion stehen fest an der Seite der jüdischen Gemeinden im Land. Ich fordere Sie heute, wie ich es bereits im letzten Jahr tat, erneut dazu auf, als Landesregierung und Landtag das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Nehmen Sie die Hand, die Ihnen die jüdischen Gemeinden reichen, und organisieren Sie endlich das geforderte Treffen der Gemeinden mit den Fraktionen des Landtags und mit der Landesregierung. Nur zusammen, wenn alle politisch und gesellschaftlich verantwortlichen Akteure gemeinsam an einen Tisch kommen, haben wir eine reale Chance, die bestehenden Probleme nachhaltig zu lösen. Wir stehen dafür bereit. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Abg. Kirchner. - Die nächste Rednerin ist die Abg. Frau Dr. Pähle von der SPD-Fraktion. Sie haben jetzt das Wort, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nein, meine Herren von der AfD, so kommen Sie nicht davon.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Es wird Ihnen nicht gelingen, sich freizuzeichnen von Ihrer Mitverantwortung. Damit meine ich nicht nur Ihre allgemeine Verantwortung für das Klima von Spaltung und Hass, das Sie in die Gesellschaft tragen. Ich meine auch die besondere Verantwortung dafür, dass Sie seit Jahren mitzeichnen an einem Weltbild, wie es auch dem Attentäter von Halle als Motiv für seinen Anschlag diente.

Als dieser Attentäter seine eigenen Morde filmte und diese in perfider Weise im Netz verbreitete, lieferte er dazu folgende vorgebliche Rechtfertigung - ich zitiere aus der „Zeit“ -:

„[…] er sei überzeugt, dass der Holocaust niemals stattgefunden habe. Er bezeichnet den Feminismus als Grund für niedrige Geburtenraten im Westen, die zu Massenimmigration führten. Und [er] erklärt, dass ‚der Jude‘ der Grund für all diese Probleme sei.“

Das Ganze ist ein Manifest des Hasses - Hass auf Jüdinnen und Juden, Hass auf Musliminnen und Muslime, Hass auf Frauen, die selbstbestimmt leben, Hass auf Linke und Andersdenkende. Diese Feindbilder kennzeichnen die rechtsextremistische und antisemitische Motivation des Täters, die der Generalbundesanwalt festgestellt hat.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Wir kennen all diese Feindbilder. Wir kennen sie nur allzu gut. Wir kennen sie aus den Reden, die die AfD hier vom ersten Tag an gehalten hat: gegen den Islam, gegen angebliche Masseneinwanderung und Überfremdung, gegen den Genderwahn, gegen die, die links von ihnen stehen, also alle, und die deshalb für sie Linksextremisten sind. Wir erkennen alles wieder: das Zerrbild von unserer Gesellschaft, dieselben Bedrohungslügen, dieselben Feindbilder, die mobilisiert werden. Die Parallelen sind unverkennbar.

Aber gilt das auch für den Antisemitismus, sozusagen den Schlussstein im ideologischen Gewölbe des Mörders von Halle? - Ich sage: ja. Ich möchte dafür zitieren, was der Abg. Tillschneider bei einer AfD-Veranstaltung in Heroldsberg in Bayern im Januar 2018 gesagt hat: Der Islam wird von vielen, sowohl vom Zentralrat der Juden als auch von den etablierten Parteien, vom Establishment, von den Linksliberalen, benutzt, um in Deutschland multikulturelle Verhältnisse

herbeizuführen. Es geht ihnen nicht um den Islam. Es geht ihnen darum, die deutsche Kultur zu schwächen. Es geht ihnen um das, was sie Pluralität nennen, was nichts anderes ist als die Zersplitterung und letzten Endes die Abschaffung unseres Volkes.

Der Zentralrat der Juden im Zentrum einer Verschwörung zur Abschaffung des deutschen Volkes - das ist nicht nur irgendwie antisemitisch, das ist das antisemitische Narrativ schlechthin.

(Starker Beifall bei der SPD, bei der LIN- KEN, bei den GRÜNEN und von der Regie- rungsbank)

Aber nicht nur aus der Landtagsfraktion der AfD kommen solche Verschwörungstheorien. In Halle, das zum Ort dieses furchtbaren Anschlages wurde, wirken dieselben Strukturen. Das wird schnell klar, wenn man sich ansieht, welche Botschaften der heutige AfD-Stadtrat Donatus Schmidt in einem YouTube-Video verbreitet. Da wird zu NineEleven die altbekannte Verschwörungsbehauptung wiederholt, die jüdischen Beschäftigten im World-Trade-Center seien vor dem Anschlag gewarnt worden; es hätte einen Jew-Call gegeben. Und es fallen Sätze wie: Wir müssen jetzt wirklich im Untergrund arbeiten. Die Truppen, die die Fäden ziehen, sind international, nicht an irgendeine Nation gebunden. Hinterher sollen die alle gerichtet werden.

Das ist derselbe Schmidt, der noch sechs Tage vor dem Anschlag in Halle, am 3. Oktober 2019, an einer rechtsextremistischen Demonstration in Berlin teilnahm, bei der Parolen gerufen wurden wie: Nie wieder Israel! Und: Wenn wir wollen, schlagen wir euch tot! - Diesen Mann hat Herr Abg. Raue auch noch als Referent der Stadtratsfraktion eingestellt.

Also drücken Sie sich gefälligst nicht vor Ihrer Verantwortung und sparen Sie sich Ihre Heuchelei - hier und vor der Synagoge in Halle!

(Starker Beifall bei der SPD, bei der LIN- KEN, bei den GRÜNEN und von der Regie- rungsbank)

Meine Damen und Herren! Heute kommt die Gefahr für jüdisches Leben und jüdische Einrichtungen von Terroristen, und der Staat muss alles tun, um sie zu schützen. Vor fast 81 Jahren, als in der Reichspogromnacht 1938 in ganz Deutschland die Synagogen brannten, war der Staat selbst zum Mordbrenner geworden. Wenn wir das nicht wieder erleben wollen, dann wird es nicht ausreichen, über stärkeren Schutz für jüdische Einrichtungen zu sprechen, sondern wir müssen uns auch als Gesellschaft denen politisch entgegenstellen, die heute innerhalb und außerhalb der Parlamente eine neue Machtergreifungsstrategie verfolgen.

Es ist insgesamt 1 050 Jahre her, dass Juden in Halle zum ersten Mal erwähnt wurden. Jüdisches Leben in Halle hat alle Vertreibungen überstanden und selbst die Schoah überdauert. Schon im Jahr 1945 begann jüdisches Gemeindeleben wieder, in Halle zu wirken. Von 1952 bis 1962 war Halle sogar Sitz des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR. Seit 1991 führte Zuwanderung aus Osteuropa dazu, dass jüdisches Gemeindeleben auch in Halle weiter an Aufschwung gewann. Deshalb schmerzt es mich besonders, wenn ich nach dem Anschlag von Halle lesen muss, dass Jüdinnen und Juden darüber nachdenken, ob sie noch in Deutschland leben können oder ob sie besser auswandern.

Ich hoffe deshalb, dass von dieser Landtagssitzung ein starkes und eindeutiges Signal ausgeht: Jüdischer Glaube und jüdisches Leben sind ein untrennbarer Teil der deutschen Kultur.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir wollen alles dafür tun, dass Jüdinnen und Juden in Frieden und gesichert in unserer Mitte leben können.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Ich danke dem Ministerpräsidenten dafür, dass er im Namen der Landesregierung ein unmissverständliches Bekenntnis dazu abgelegt hat. Und ich bin froh und erleichtert über die Zeichen, die die Stadtgesellschaft von Halle mit Trauerfeier und Mahnwachen, mit Demonstrationen und dem großen Gedenkkonzert am letzten Samstag gesetzt hat.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Unsere Stadt, unser Halle, wird dem rechten Ungeist widerstehen, und wir werden in dieser Stadt alle vor Terror und Gewalt schützen - unabhängig von Herkunft, Abstammung, Glauben, Aufenthaltsstatus und politischer Überzeugung.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Ich möchte auch auf die Punkte eingehen, die aus der Sicht meiner Fraktion jetzt besonders wichtig sind, um eine angemessene Antwort auf den Anschlag von Halle zu geben.

Erstens. Wir haben gesagt, es darf keine blinden Flecken bei der Abwehr terroristischer Bedrohungen geben. Wir können es vor den Opfern nicht verantworten, nach einem solchen Anschlag entschuldigend zu sagen: Es war ein Einzeltäter. Deshalb müssen sich Gefahrenabwehr, Aufklärung und Strafverfolgung auf die Netzwerke der Radikalisierung erstrecken, in denen Hasspropa

ganda verbreitet, Verschwörungstheorien weitergereicht und Gewalttaten verherrlicht werden.

Die Innenminister von Bund und Ländern haben am vergangenen Freitag eine ganze Reihe von Maßnahmen zur besseren Bekämpfung von Rechtsextremismus und Antisemitismus vereinbart. Diese Beschlüsse gehen aus meiner Sicht in die richtige Richtung.

Zweitens. Wir brauchen ein nachhaltiges Schutzkonzept für Synagogen und Moscheen in Sachsen-Anhalt. Ich begrüße die Verabredung von Innenminister Stahlknecht mit den jüdischen Gemeinden vom letzten Donnerstag. Das ist ein wichtiger erster Schritt.