Frau Quade, wenn Sie damit einverstanden sind und Sie eine Frage beantworten würden, dann würde ich das nach dem Beitrag von Herrn Stahlknecht aufrufen, damit wir jetzt vorwärtskommen. Ihre beiden Wortmeldungen werden dann noch zum Zuge kommen. Okay?
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meinen Redebeitrag mit einem längeren Zitat beginnen.
„Lasst uns froh und munter sein, schlagt dem Wirth den Schädel ein. Lustig, lustig, trallerallala, bald ist Wilhelm wieder da!
Wenn einst der Kaiser kommen wird, schlagen wir zum Krüppel Dr. Wirth, knallen die Gewehre tack, tack, tack, aufs schwarze und das rote Pack.
Haut immer feste auf den Wirth! Haut seinen Schädel, dass er klirrt! Lustig, lustig, trallerallala, bald ist Wilhelm wieder da!
Auch Rathenau, der Walther, erreicht kein hohes Alter, knallt ab den Walther Rathenau, die gottverfluchte Judensau!“
Meine Damen und Herren! Walther Rathenau war jüdischer Abstammung, Industrieller, Vorstandsvorsitzender der AEG und im Jahr 1922 Außenminister der damals noch jungen Weimarer Republik. Er verhandelte im April 1922 die Verträge zu Rapallo mit dem damaligen Russland, um einen Ausgleich der beiden isolierten Staaten, Deutsches Reich auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite, herbeizuführen. Es war ein guter Vertrag für die Weimarer Republik.
Im Reichstag sagte vor dem Tod von Walther Rathenau der Abg. Helfferich, dass die Außenpolitik von Walther Rathenau als Vaterlandsverrat zu bezeichnen wäre. Das war am 23. Juni 1922. Am 24. Juni 1922 war Walther Rathenau auf dem
Weg zur Ernennung von Konsulanwärtern, und auf ihn lauerten Attentäter. Fünf Schüsse - Rücken, Hals und Kiefer - töteten Walther Rathenau, und eine noch hineingeworfene Eierhandgranate führte dann letztendlich komplett zum Tod. Dreizehn der angeklagten Täter wurden zu Haftstrafen verurteilt.
Das Gericht ließ damals in seiner Urteilsbegründung offen, ob ein rechtsgerichteter oder antisemitischer Hintergrund vorhanden war. Die Attentäter entstammten der Organisation Consul. Zwei der Täter, Fischer und Ernst, sind auf der Burg Saaleck ums Leben gekommen. Der eine erschossen durch die hallesche Polizei; der, der ihn aufs Bett trug, nahm sich das Leben.
Ich sage das nicht ohne Grund. Was damals passierte, bewegte noch Hunderttausende Menschen in dieser Weimarer Republik. Weil in Berlin 400 000 Menschen gegen Gewalt demonstrieren gingen und weil in vielen deutschen Städten die Anständigen gegen dieses hinterhältige Attentat auf Walther Rathenau demonstrierten.
Begriffe wie Vaterlandsverräter für diejenigen, die sich einsetzten, wie Stresemann, der viel zu früh verstarb, waren Worte der Rechtsgerichteten; hierzu gehörte auch die Dolchstoßlegende. Nach 1922 zerschliss die Weimarer Republik an diesen Extremen, an der NSDAP, an den Kämpfen zwischen Rechts- und Linksextremismus. Und am 30. Januar 1933 übertrug Hindenburg nicht im Wege eines Putsches, sondern auf dem silbernen Tablett Adolf Hitler die Macht.
An diesem Abend, meine Damen und Herren, demonstrierten nicht mehr 400 000, wie zum Zeitpunkt des Todes von Walther Rathenau, für Freiheit und Demokratie, sondern
- das werde ich Ihnen gleich sagen - es marschierten die in den braunen Uniformen und läuteten zwölf Jahre dunkelste deutsche Geschichte ein.
In dieser Zeit bis 1933 war es Hasssprache, war es Gewalt in Wort und am Ende auch in Tat, die tagtäglich diese junge Weimarer Republik begleiteten und am Ende zum Untergang dieser Republik führten. Nach der Machtübernahme wurde Hasssprache, meine Damen und Herren, zur Staatssprache. Goebbels sagte im Februar 1933 im Berliner Sportpalast: Einmal wird unsere Geduld zu Ende sein und wir werden den Juden das freche Lügenmaul stopfen.
Das war dann Staatssprache. Darauf folgten zwölf Jahre dunkelste deutsche Geschichte und das dunkelste deutsche Kapitel.
Nach dem Ende des Krieges mit Abermillionen Toten, einem Krieg, der von Deutschland ausging, nach dem Umbringen von Andersdenkenden, Andersseienden Andersglaubenden herrschte in diesem Teil Deutschlands weiterhin eine Diktatur, meine Damen und Herren, bis sich vor 30 Jahren die Menschen mit Kerzen in den Händen friedlich die Freiheit zurückholten.
Als das alles geschah - ich war damals, glaube ich, Mitte 20 -, habe ich mir nie vorstellen können, dass ich mal in irgendeinem Parlament darüber reden müsste, dass angesichts unserer Geschichte wieder ein deutscher Politiker aufgrund seiner Einstellung ermordet werden würde. Das war für mich aus der Verantwortung der Geschichte heraus unvorstellbar.
Wenn ich heute sehe, was wir an Hasssprache haben, was wir an Gewalt haben - - Heute sind es nicht mehr die Vaterlandsverräter, heute heißt das Volksverräter. Heute gibt es keine Organisation Consul, der die Täter angehörten, sondern es gab den NSU. Es gibt Todeslisten, auf denen Politiker, Andersdenkende, Andersseiende stehen. Wir haben die Auseinandersetzung in den Parlamenten.
Vielleicht stutzten Sie bei dem Gedicht, wer denn Wirth sei. Ich helfe Ihnen: Das war der Reichskanzler zu der Zeit, zu der Rathenau erschossen wurde. Wirth hat im Parlament des Reichstags gesagt:
Danach gab es tumultartige Auseinandersetzungen im Reichstag zwischen Linken und Rechten mit Anbrüllen und Anschreien. Gelegentlich habe ich das Gefühl, dass sich Bilder wiederholen, meine Damen und Herren,
mit dem einzigen Unterschied, dass diese Republik nicht wankt. Aber ich bin mir sicher, dass das, was passiert, zumindest das Fundament, auf dem wir stehen, zutiefst erschüttert. Denn der Anstand ist verlorengegangen ist. Was für Goebbels der Volksempfänger und die Gleichschaltung der Presse und die Zensur waren, ist für die Populisten mittlerweile das soziale Netzwerk, mit dem einzigen Unterschied: Sie müssen nichts mehr gleichschalten, sie müssen die Presse nicht verbieten, weil sie dort Lügen und falsche Nachrichten verbreiten können, die nicht mehr kontrollierbar sind, und dadurch die Menschen in gewisse Richtungen drängen und Hass und Angst schüren.
Weil sich manches wiederholt und auch in den Bildern vergleichbar ist, haben wir die Verantwortung dafür, dass dieser Staat nicht ins Wanken kommt, und zwar nicht nur um unserer selbst willen, sondern auch, damit unsere Kinder und Kindeskinder in Zukunft in Freiheit leben können, ihre Meinung sagen dürfen, anders sein und anders glauben dürfen und eine andere Nationalität haben dürfen.
In dem Unterschied zur Weimarer Republik, liebe Frau Quade, ist dies eine wehrhafte Demokratie. Wir haben die beste Verfassung, die Deutschland je hatte,
mit Artikel 1 - „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ -, mit den Freiheitsrechten als Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Wir haben eine Strafprozessordnung und ein Strafgesetz, mit denen uns Instrumentarien in die Hand gegeben wurden, um diejenigen, die unsere Freiheit gefährden, in einem rechtsstaatlichen Verfahren verurteilen zu können.
Meine Damen und Herren! Wir werden es nicht zulassen, dass Extreme, egal, von welcher Seite, wieder anfangen, genussvoll diesen Staat zu destabilisieren und unter der Freiheit, die wir ihnen gewähren, diese dann ausnutzen, um diese Freiheit abzuschaffen, damit wir wieder in Unfreiheit leben.
Wenn wir uns das vergegenwärtigen, was mit Walther Rathenau begann und hier mit Walter Lübcke passierte, dann stellen wir fest, dass dahinter auch persönliche Erinnerungen und Momente stehen. Ich denke an seine Familie, auch weil ich ihn kannte. Ich habe noch wenige Tage vor seinem Tod mit Walter Lübcke gemeinsam zu Abend gegessen. Er war ein liberalkonservativer Mensch, ein Freigeist, ein Grandseigneur und hochanständig. Am Ende ist er für seine liberale Einstellung gegenüber anderen getötet worden. Es bestehen Parallelen zu dem, was ich Ihnen am Anfang geschildert habe.
Wenn wir uns unserer eigenen Geschichte und der daraus resultierenden Verantwortung nicht bewusst sind und das durch Zwischenrufe noch auf eine Ebene herunterziehen, die der Würde dieser Stunde nicht angemessen ist, dann habe ich die Sorge, dass wir ähnliche Situationen haben wie damals, als der Reichskanzler Wirth sagte, die Gefahr komme von rechts. Sie können es auch von links nennen.
Wir haben auch eine Vorbildfunktion dadurch, wie wir reden, wie wir auftreten, wie wir uns verhalten. Wenn wir uns so verhalten, dass die eigene Würde gelegentlich infrage gestellt wird, dann weiß ich nicht, warum Menschen uns vertrauen sollen, warum Menschen uns wählen sollen. Denn dann tun wir selber daran, diesen Staat zu destabilisieren.
Jede politische Auseinandersetzung ist in einer Demokratie gewollt und gewünscht. Aber es gibt einen Punkt des Anstandes und der Grenze in dem Umgang miteinander, damit solche Menschen wie Walther Rathenau und Walter Lübcke nicht vergessen werden. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Minister. Bleiben Sie bitte vorn. Es gibt zwei Wortmeldungen, und zwar von Herrn Raue und von Herrn Kirchner. - Herr Raue, Sie haben das Wort.
Herr Stahlknecht, wir nehmen diese ganze Debatte, die hier geführt wird, natürlich zur Kenntnis. Aber wir verwahren uns dagegen, dass wir in irgendeiner Form für den Mord an Walter Lübcke in Mithaftung gezogen werden.
Wenn Sie so eine Mithaftung generell für linke und rechte Gruppen aussprechen, dann müssen Sie sich schon überlegen, an wen Sie sich wenden. Ich möchte Sie mit einem Vorgang aus dem Jahr 2014 konfrontieren. Im Februar 2014 hatte sich die Aktivistin Anne Helm mit einem Körpertattoo mit der Botschaft „Thanks Bomber Harris“ ablichten lassen und das ins Internet gestellt. Darauf antwortete dann Ulrike Schramm von der Linkspartei: „Sauerkraut, Kartoffelbrei - Bomber Harris, Feuer frei“.
Ich frage Sie als Erstes: Ist das nicht ein Tatbestand der Volksverhetzung? Oder wie gehen Sie damit um? Das hetzt doch die Bürger auf der anderen Seite der gedachten Mittellinie im Prinzip gegen all diejenigen auf, die eine konservative Grundhaltung haben und die die aktuelle Politik des Staates nicht mittragen. Das ist die erste Frage.
Das Zweite folgt daraus. Bürger veranstalteten am 20. Juli in Halle eine angemeldete Demonstration, die Teile Ihrer Polizei erst mal verhinderten und eingekesselten. Die Demonstration erstreckte sich auf einer Strecke vom Hauptbahnhof bis in die Adam-Kuckhoff-Straße. Ziemlich schnell tauchten im Internet unter der Aktion „Beat“ verschiedene Aufrufe auf,
genau diese Aktion und das anschließende Sommerfest zu verhindern. Aus dieser Aktivistengruppe - ich denke, das war die Terrorgruppe Antifa, die sich letztlich dahinter versteckt hat und verborgen hat - wurde dann auf die Besucher dieses Sommerfestes ein Mordanschlag verübt. Ein Brandsatz wurde geworfen und nur durch viel Glück ist dabei kein Mensch gestorben.