Protocol of the Session on April 5, 2019

Ich sehe keine weiteren Fragen. Dann danke ich Frau Prof. Dr. Kolb-Janssen für die Ausführungen.

Bevor wir fortfahren, begrüße ich Damen und Herren der Fit-Fortbildungsgesellschaft Magdeburg. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Für die Fraktion DIE LINKE spricht der Abg. Herr Gallert. Herr Gallert, Sie haben das Wort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann die Sinnhaftigkeit des Antrages hinterfragen, aber ich glaube, es ist wichtig, dass wir über die Dinge, die heute zur Debatte stehen, diskutieren.

Es geht zuerst darum, dass man nach dieser Einbringungsrede natürlich etwas zur Einbringungsrede sagen muss. Es stellt sich nämlich die Frage, wie diese Mischung aus Arroganz, Zynismus und Abwertung gegen jedweden, der sich in irgendeiner Art und Weise dem islamischen Glauben verbunden sieht, wirkt. Das haben wir 15 Minuten lang stakkatomäßig gehört - nicht überraschend. Unsereiner gewöhnt sich daran, allerdings ist es für uns ein bisschen einfacher, weil wir davon persönlich nicht unmittelbar betroffen sind.

Nun gibt es aber eine ganze Reihe von Menschen bei uns - ich gehöre nicht dazu -, die sich mit der christlichen Religion identifizieren. Stellen Sie sich nur fünf Minuten lang vor, das, was Herr Tillschneider über den Islam gesagt hat, würde er in gleicher Tonalität, in gleicher Schärfe und in gleicher Lautstärke über die christliche Kirche sagen.

(Ulrich Siegmund, AfD: Das kann er doch gar nicht! - Tobias Rausch, AfD: Das kann man doch nicht miteinander vergleichen!)

Nun können Sie sich in etwa vorstellen, was bei denjenigen, die sich dem muslimischen Glauben

verbunden fühlen, durch solche Reden emotional ausgelöst wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Danach sagten Sie noch, in welcher Art und Weise d i e sich gefälligst bei uns zu integrieren hätten.

(Robert Farle, AfD: Na klar!)

Nein, lieber Herr Tillschneider, wir sind im Geltungsbereich des Grundgesetzes und in diesem gilt die Religionsfreiheit. Wichtig wäre es, Herr Tillschneider, dass Sie sich in das Grundgesetz integrieren würden,

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

aber ich befürchte, diese Hoffnung kommt eindeutig zu spät, liebe Kolleginnen und Kollegen. - Punkt 1.

(André Poggenburg, fraktionslos: Wir sind für Gleichberechtigung!)

Punkt 2: Jetzt reden wir über die Frage des islamischen Religionsunterrichts. Alles, was wir dazu wissen müssen, steht in vier Zeilen des Grundgesetzes. Darin steht: Erstens. Das gesamte Schulsystem steht unter der Aufsicht des Staates. Zweitens. Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen. Drittens. Der Religionsunterricht ist an den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach.

Was bedeutet das? - Erstens. Die Eltern entscheiden darüber, welches Kind an welchem Religionsunterricht teilnimmt. Es ist ein Recht, das sich gegen den Staat richtet und nicht gegen irgendeine Religionsgemeinschaft. Zweitens. Es ist kein missionarischer Unterricht. Das wissen inzwischen auch die christlichen Kirchen und haben sich von diesem Aspekt längst distanziert. Drittens. Der Staat muss die Voraussetzungen liefern und kann sich nicht wegducken und sagen, es gebe keinen adäquaten Kirchenstaatsvertrag - diesen Vertrag kann man übrigens mit dem Islam überhaupt nicht abschließen, weil Kirchen immer christlich sind - und deswegen brauchten wir den Unterricht nicht anzubieten. Nein, so funktioniert es nicht.

Im Grundgesetz ist klar geregelt, wenn Eltern an den Schulen Religionsunterricht haben wollen, dann muss der Staat die Voraussetzungen dafür liefern. Davor kann er sich nicht drücken. Deswegen ist diese Argumentation, es gebe keinen Vertrag und deswegen müsste es nicht gemacht werden, falsch, liebe Kolleginnen und Kollegen - oder wir sagen, Artikel 7 des Grundgesetzes gilt für niemanden mehr, also auch nicht mehr für die christlichen Kirchen. Das wäre die Konsequenz.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Der eigentliche Punkt - deswegen haben wir einen Alternativantrag vorgelegt - ist ein anderer. Es geht hierbei gar nicht um den Islamunterricht. Eigentlich geht es darum, dass ethische Grundlagen und ethische Werte im gesamten Klassenverband, und zwar verbindlich für alle Schüler im Klassenverband, unterrichtet und ethische Debatten geführt werden. Die Segmentierung der Schüler nach Glaubensrichtungen oder danach, dass sie atheistischen Elternhäusern entstammen, ist heute schon genauso falsch, und zwar mit oder ohne den Islamunterricht.

Alle Kinder, egal welche religiöse Ausrichtung die Elternhäuser haben, müssen verbindlich gemeinsam im Ethikunterricht über diese Grundwerte diskutieren und diese Grundwerte erzielen. Deswegen plädieren wir für einen gemeinsamen verbindlichen Ethikunterricht,

(Beifall bei der LINKEN)

egal, ob die Eltern einen katholischen, protestantischen, islamischen oder jüdischen Religionsunterricht wollen.

Danach, und zwar sowohl kausal als auch temporär, können und müssen wir - so steht es im Grundgesetz - Religionsunterricht anbieten. Dann können wir, wenn es Eltern wollen, den katholischen, protestantischen, jüdischen, meinetwegen buddhistischen oder islamischen Religionsunterricht anbieten.

Nun könnten wir über die Sinnhaftigkeit diskutieren. Das macht in diesem Kontext aber keinen Sinn, weil es im Grundgesetz steht. Ansonsten müssten wir das Grundgesetz ändern.

Verbindlicher Ethikunterricht für alle und dann je nach Wunsch der Eltern Religionsunterricht in der jeweiligen Religion, die nachgefragt wird - das ist der Anspruch, der sich gegen den Staat richtet.

Dann zuallerletzt: Diese Arroganz gegenüber dem Islam, gegenüber dem muslimischen Glauben. Herr Tillschneider stellt sich hin und sagt: Diese Regeln sind mit unserer Gesellschaft nicht in Übereinstimmung zu bringen. Ich frage mich ohnehin, welche Regeln das sind, Herr Tillschneider, die Sie haben wollen.

(Matthias Büttner, AfD: Islamwissenschaft- ler! - Lydia Funke, AfD: Er ist Islamwissen- schaftler!)

Leute, die Katholische Kirche hat eine Regel: bis dass der Tod euch scheidet. Ist das etwa mit unserem Leben in Übereinstimmung zu bringen? Trotzdem wird versucht, es durchzusetzen.

(Frank Bommersbach, CDU: Das war kein guter Vergleich!)

Herr Gallert, kommen Sie bitte zum Schluss.

Also, liebe Kollegen, kommen Sie einmal runter.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Es gibt noch drei Fragen. Sie haben die Möglichkeit weiterzureden.

Ich werde die Fragen beantworten.

Als Erster spricht Herr Poggenburg. Sie haben das Wort.

Eine Kurzintervention, bitte. - Sehr geehrter Herr Gallert, Sie haben gerade gesagt, man solle sich vorstellen, jemand äußere sich in dem Duktus, wie es Herr Tillschneider gerade getan hat, gegen Christen oder das Christentum.

Ich habe überlegt und mir gesagt, wenn sich Christen in einem muslimischen Land so bewegen und teilweise so aufführen würden, wie sich manche - ich sage: manche! - Muslime bei uns aufführen, dann wäre es sogar sehr angemessen, wenn man in diesem Duktus auch Christen kritisieren würde. Das ist vollkommen richtig.

Wenn eben Praktiken - Sie haben es gerade ein wenig angesprochen - bzw. Grundwerte, die nicht nur im Buch stehen, sondern praktiziert werden, wie die Ehe mit Minderjährigen, wie Tierquälerei durch Schächten, wie das direkte Anfeinden und Steinigen von Homosexuellen usw. usf. in die andere Kultur hineingebracht werden, dann ist schon der Ansatz scharf zu kritisieren. So gesehen, wäre es vollkommen richtig, einen Christen umgekehrt zu kritisieren. - Danke.

(Zustimmung bei der AfD)

Herr Gallert, wenn Sie darauf antworten möchten, dann haben Sie dazu die Möglichkeit. Oder möchten Sie den nächsten Redner abwarten?

Im Grunde genommen haben wir es in der Debatte mit einem Kontext zu tun, der relativ leicht aufzuklären ist, aber natürlich einer der beliebtesten Ursachen für Konflikte ist, und zwar wird das Verhalten eines Einzelnen als Kennzeichen seiner Religionszugehörigkeit definiert. Dann werden alle

Menschen, die dieser Religion angehören, in eine Schuldsituation hineingetrieben. Das ist genau das, was die Konfrontation in unserer Gesellschaft, die Auseinandersetzung, die gegenseitigen Missverständnisse und die Zuspitzung der Konfrontation permanent und in jeder Art und Weise erhöht.

Leute, es ist nicht so lange her, als die Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten in Irland dazu ausreichten, einen Krieg zu entfachen. Wir sind unter Umständen nicht so weit entfernt davon, dass es wieder passiert.

(Zuruf von Matthias Büttner, AfD)

Diese Dinge sind jedem Religionsverständnis, das dogmatisch ist, eigen. Dagegen müssen wir uns wehren. Gerade deswegen ist es wichtig, sich über Religionen, übrigens auch mit Kindern aus atheistischen Elternhäusern, im Ethikunterricht zu unterhalten.

Wir müssen miteinander über Potenziale, Risiken und Gefahren diskutieren. Sie unterscheiden sich nicht zwischen den verschiedenen Religionen - das lehrt uns wahrlich die Geschichte. Diese Prozesse sind fast überall die gleichen. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Farle hat sich gemeldet. - Herr Farle, Sie haben das Wort.