Die eigentliche Frage, über die wir diskutieren müssen, ist nicht die, die die AfD uns hier auftischen will. Die AfD hat ein Nationenverständnis aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, das mit all den Katastrophen verbunden ist, die dabei herausgekommen sind. Wir müssen darüber diskutieren - das ist unsere Aufgabe -, welche Zielrichtung denn diese Vertiefung der Europäischen Union haben soll. Was sind die Entwicklungsziele? Was wollen wir genau umsetzen? Worin besteht die Notwendigkeit, dass wir diese Dinge miteinander realisieren?
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen in der Europäischen Union sind an vielen Stellen sehr viel weiter als die politische Debatte. Wir haben - das muss man zunächst feststellen -, nicht in Europa, aber in der Europäischen Union de facto einen vollständig miteinander verbunde
nen Wirtschaftsraum. Die Grundfreiheiten freier Kapital- und Zahlungsverkehr, Dienstleistungsfreiheit, freier Warenverkehr und die Personenfreizügigkeit haben dazu geführt, dass wir inzwischen längst einen gemeinsamen Wirtschaftsraum haben. Dazu will ich ganz klar sagen: Das finde ich gut. Inzwischen ist dieser Raum im persönlichen Sinne ein Identifikationsraum für einige Menschen geworden, wie es früher die Nation für sie geworden ist. Das ist längst ein Fakt.
Unser großes Problem ist, dass wir auf der politischen Seite ein riesiges Defizit haben. Dort haben wir tatsächlich erst einmal nur einen Staatenbund mit einer ganz gering ausgeprägten politischen Willensbildung auf europäischer Ebene. Die Einzelstaaten, die innerhalb der Europäischen Union die bestimmenden Akteure sind, begegnen sich in gegenseitiger Konkurrenz. Häufig ist es so, dass der kleine individuelle Vorteil die großen Vorhaben und die großen Perspektiven zunichtemacht. Dagegen müssen wir vorgehen. Dafür brauchen wir eine neue Idee. Das ist die Krise der Europäischen Union, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Lassen Sie uns deswegen über die Richtung reden. Man kann es natürlich so machen wie bei der deutschen Reaktion auf die Vorschläge von Macron: ignorant, arrogant und versehen mit einem Stück Provinzialismus aus dem Saarland. Das kann man machen, aber ich glaube, so geht es nicht. Man kann es auch einmal differenziert betrachten. Natürlich haben wir gegenüber den Vorschlägen von Macron ganz gewaltige Vorbehalte. Übrigens werden sie aktuell in einer Debatte wieder aufgegriffen, und zwar unter anderem von Frau Merkel. Es ist interessanterweise eine Rüstungsdebatte.
Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz auf die großen Probleme eingehen, die wir mit der europäischen Integration haben. Derzeit gibt es im Jemen einen vernichtenden Bürgerkrieg gegen die Zivilbevölkerung. Wer ist ein entscheidender Akteur? - Saudi-Arabien. Worüber diskutieren wir? - Wir diskutieren innerhalb der Europäischen Union über Rüstungslieferungen nach SaudiArabien. Man muss keine Fachfrau oder kein Fachmann für Außenpolitik sein, um zu sehen: Wer unter diesen Bedingungen Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien akzeptiert, der handelt schändlich, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Er handelt gegen die EU-Grundrechtecharte. Er handelt unanständig und er muss sich dafür rechtfertigen.
Jetzt haben wir folgende Debatte in der Europäischen Union. Es gibt Dinge, die vor allen Dingen in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt werden. Na gut, die wollen wir jetzt nicht unbedingt liefern. Aber die großen militärischen Projekte werden in der Europäischen Union gemeinsam mit Großbritannien und Frankreich hergestellt.
Und jetzt kommen wir zu einer ganz eigenartigen Debatte. Den Leuten, die jetzt sagen: „Nein, auch die entsprechenden Militärflugzeuge, die dort Not und Elend verbreiten, wollen wir nicht exportieren“, beginnt man zu entgegnen: „Du bist Antieuropäer; du bist Antieuropäer, weil du gemeinsame Rüstungsprojekte mit Franzosen und Briten nicht haben willst.“ Dazu sage ich: Wer in dieser Art und Weise die europäische Integration beschmutzt, und zwar unter Verstoß gegen die Grundwerte der Europäischen Union, der erweist ihr einen Bärendienst, der schafft Feinde der europäischen Integration. Das dürfen wir nicht zulassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Unsere Perspektive ist eine Integration, aber eine Integration in eine Europäische Union des Friedens, der strukturellen Nichtangriffsfähigkeit und der strukturellen Friedenskomponente im globalen Maßstab, und nicht in eine Europäische Union, die sich darauf einigt, möglichst wenige Beschränkungen für Rüstungsexporte in solche Krisengebiete zu realisieren. Das ist der Unterschied bei der Ausrichtung der Europäischen Union zwischen uns und einigen von Ihnen, liebe Kolleginnen - leider.
Lassen Sie mich ein anderes Beispiel nennen. Wir werden im südöstlichen Afrika zurzeit Zeuge einer der größten Naturkatastrophen seit der Aufzeichnung überhaupt. Dort gibt es zigtausende Quadratkilometer, die unbewohnbar geworden sind. Dort sind landwirtschaftliche Flächen verloren gegangen. Die Küstenstadt Beira mit 500 000 Einwohnern wurde dem Erdboden gleichgemacht durch einen Wirbelsturm, durch eine Katastrophe.
Wenn das in der Karibik oder in den USA passiert, dann bekommen wir es mit, wenn das im südöstlichen Afrika passiert, dann natürlich kaum. Wir wissen nicht, wie viele Menschen dort inzwischen gestorben sind. Aber diese Klimakatastrophen dort unten werden in ihrer Intensität permanent zunehmen, und zwar parallel zu der Erwärmung des Klimas, parallel zu der Erhöhung der CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre.
Nun muss man aber wissen: Der Mosambikaner - wenn wir das auf einen Pro-Kopf-Wert der Bevölkerung herunterrechnen - liegt in der Reihenfolge der CO2-Produktion im internationalen Vergleich auf Platz 117. Die Mosambikaner bekommen die Konsequenzen unserer verfehlten Klimapolitik zu spüren. Das ist das Problem, liebe Kolleginnen.
Und nein: Deutschland wird das nicht allein bewältigen können; dazu brauchen wir verbindliche Regeln innerhalb der Europäischen Union. Dafür brauchen wir verbindliche Regeln, die so stark sind, dass dieser gemeinsame starke Wirtschaftsraum bei der Entwicklung von klimafreundlicher Produktion und bei der Eindämmung der CO2Emissionen wirklich vorangeht. Das sind die entscheidenden Dinge.
Aber was ist die Realität? - Die Realität ist, dass es ausreicht, wenn die Bundeskanzlerin nach Brüssel fährt, sich für die Interessen der Autolobby, der deutschen Oberklasse-Autolobby, starkmacht
und dort sämtliche CO2-Werte wieder nach oben korrigieren kann. Das sind die strukturellen Fehler der Europäischen Union. So etwas darf nicht mehr passieren; das ist eine falsche Entwicklung. Wir stehen für eine andere: Wir stehen für die globale Verantwortung auch im Klimabereich, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das eigentliche und zentrale Problem, mit dem wir es allerdings bei der sinkenden Akzeptanz der Europäischen Union in vielen Ländern - nicht so sehr in Deutschland, das stimmt, aber in vielen Ländern - zu tun haben, ist, dass wir zwar einen gemeinsamen Wirtschaftsraum haben, aber keine Sozialstandards, die in dieser Europäischen Union wirklich verbindlich sind.
aber ich versuche, es den anderen zu erklären -: Wenn Sie einen gemeinsamen Wirtschaftsraum haben, freier Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Menschen, in diesem gemeinsamen Wirtschaftsraum, der diesbezüglich übrigens klar normiert ist, aber keine sozialen Standards haben, die gemeinsam organisiert werden, dann haben Sie immer einen Sozialdumpingwettbewerb im Standortwettbewerb. Dann ist immer
derjenige Standort innerhalb der Europäischen Union am profitabelsten, der die geringsten sozialen Standards hat. Das ist das Problem, liebe Kolleginnen. Das ist die einfache Losung, auf die man es zurückführen kann. Deswegen braucht dieser europäische Wirtschaftsraum gemeinsame höhere soziale Standards. Dafür kämpfen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Dabei sind beide Sätze richtig. Wenn es diese Europäische Union nicht schafft, sich zu einem sozialstaatlichen Gefüge zu entwickeln, dann wird sie auseinanderfallen, weil die Masse der Menschen diese Europäische Union als knallharte neoliberale Konkurrenz für ihre soziale Sicherheit empfinden wird. Das ist das Problem, das wir in Großbritannien hatten. Der polnische Arbeiter als Konkurrent für den britischen Arbeiter - das hat zum Brexit geführt; davon müssen wir loskommen.
Deswegen gilt: Diese Europäischen Union kann nur als Sozialstaat existieren. Ich sage umgekehrt auch: Keiner mag sich der Illusion hingeben, dass es in der Perspektive noch einen nationalen Sozialstaat geben wird, der allein auf sich gestellt ist. Diese Wirtschaft ist viel, viel zu verflochten, um dies zu realisieren.
Die Europäische Union wird nur als Sozialstaat existieren können. Einen sozialen Nationalstaat wird es allein nicht geben. Es wird ihn nur noch auf europäischer Ebene geben. Das ist unsere Perspektive, das ist unser Ziel, darum geht es auch hier in Sachsen-Anhalt. - Danke, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Vielen Dank, Herr Abg. Gallert. Ich habe eine Wortmeldung von Herrn Farle. - Abg. Herr Farle, Sie haben das Wort, bitte.
Ich bestätige Ihnen gern: Sie können gut frei sprechen. Aber das sagt nichts über den Inhalt aus, den Sie von sich geben. Ich muss ehrlich sagen: Es ist eine Zumutung, dass Sie hier noch immer die Klimalüge verbreiten,
dass der CO2-Ausstoß irgendetwas mit einer Veränderung der großen klimatischen Bewegungen auf der Erde zu tun hat. Vor dem von Menschen gemachten CO2-Ausstoß gab es schon immer CO2, nämlich 95 % oder 97 % des weltweiten CO2-Anteils.
Es hat überhaupt nichts mit den Lebensbedingungen in Afrika oder sonst irgendwo in der Welt zu tun, ob bei uns Dieselfahrzeuge fahren oder nicht. Das ist einfach nur linke Demagogie.
Wer zahlt denn die gemeinsamen sozialen Standards in Europa, für die Sie eintreten? - Das soll Deutschland bezahlen, mit soundsoviel Milliarden mehr als Haftungsgemeinschaft. Sagen Sie das den Wählern, damit kein Mensch mehr für die Linken auch nur ein einziges Kreuz