Protocol of the Session on January 31, 2019

Wir konnten es gerade wieder wortwörtlich erleben, wie insbesondere Rechtspopulisten Ängste schüren und Zweifel säen.

(Zuruf von der AfD: Na klar!)

Sie ziehen die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates in Zweifel. Sie suggerieren, der Rechtsstaat sei nicht handlungsfähig, und untergraben so das Vertrauen in ihn.

Wir haben es hier im Parlament ja auch schon öfter erlebt. Uns lagen gerade von Ihnen von der AfD Anträge vor. Sie haben den Staatsanwaltschaften, so wie heute wieder, unterstellt, sie würden ein unterschiedliches Maß bei den Ermittlungen anlegen.

Wenn es der AfD politisch opportun erscheint, fordert sie, die Ministerin möge von ihrem Einzelweisungsrecht nach § 146 des Gerichtsverfassungsgesetzes Gebrauch machen. Ein Jahr vorher haben Sie gefordert, genau dieses Weisungsrecht abzuschaffen.

So, meine Damen und Herren, wird Rechtspolitik zur Willkür. Das dürfen und das werden wir nicht zulassen.

(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Oli- ver Kirchner, AfD)

Ich habe es schon in meiner Rede zum Pakt für den Rechtsstaat im Oktober 2018 gesagt, und das wiederhole ich an dieser Stelle gern noch einmal: Wir haben einen funktionierenden und verlässlichen Rechtsstaat. Wer ständig Zweifel sät, sät auch Zweifel am Rechtsstaat und beschädigt damit eine zentrale Säule der Demokratie in unserem Land.

Eine Schlussfolgerung aus der aktuellen Situation bei der Justiz lautet aber auch: Wir müssen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat stärken. Das Rechtssystem braucht Akzeptanz. Diese erreichen wir nur, wenn die Bürger den Rechtsstaat als leistungsstark, effektiv und bürgernah erleben. Wer recht hat, muss recht bekommen. Dafür braucht es eine moderne und starke Justiz.

Die Ministerin hat für die heutige Regierungserklärung die Überschrift gewählt: Herausforderungen für die Justiz in Sachsen-Anhalt. Genau darum geht es. Wenn wir die anstehenden Herausforderungen - davon gibt es einige, so wie es die Minis

terin geschildert hat - meistern, dann stärken wir auch die Akzeptanz in den Rechtsstaat.

Ich möchte daher im Folgenden - auch in Anbetracht der Zeit - auf einige wenige, aber wichtige Schwerpunkte eingehen, die darzustellen sind.

Die größte Herausforderung ist sicherlich, die Justiz und den Justizvollzug sachlich und personell gut aufzustellen, damit sie ihre Aufgaben erfüllen können. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich aufgrund von Personalmangel Verfahren hinziehen und gar eingestellt werden müssen und die Aufgaben im Justizvollzug nicht zur Wahrung von Sicherheit und Resozialisierung erfüllt werden können.

Wir wissen um den hohen Altersdurchschnitt in der Justiz in Sachsen-Anhalt. Die hohe Pensionierungsrate bei zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist absehbar gewesen. Das betrifft den gesamten Personalbereich: Richterinnen und Richter, Staatsanwälte, die Beschäftigten im Justizvollzug sowie den mittleren Justizdienst.

Wir werden deshalb die Personalstrategie in der Justiz, die wir mit dem Feinkonzept im letzten Jahr hier im Parlament beschlossen haben, umsetzen und damit für eine Sicherung in diesem Bereich sorgen. Bis zu 50 zusätzliche Richterinnen und Richter werden eingestellt und auch für die kommenden Jahre sind weitere Einstellungen geplant. Wir werden dieses in den Haushaltsberatungen intensiv mit begleiten.

Um aber auch für die Zukunft den Bedarf decken zu können, muss schon jetzt mehr getan werden. Wir müssen das Referendariat stärken und mehr Absolventinnen und Absolventen motivieren, ein Referendariat in unserem Land zu beginnen. Wir müssen ihnen aber abschließend auch eine Perspektive bieten; denn gerade die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen doch, wie schwierig es ist, qualifizierte Absolventen, die nach ihrer Ausbildung unser Land verlassen haben, zurückzugewinnen. Die Schlussfolgerung kann daher nur sein, sie möglichst gar nicht gehen zu lassen.

Wir unterstützen daher die Ansätze des Ministeriums zur Stärkung des Referendariats, aber auch zur Nachwuchsgewinnung in anderen Berufsgruppen. Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen, um qualifizierte Fachkräfte für die Justiz und die Rechtspflege zu gewinnen. Der Landtag selbst wird sich unter anderem im Rahmen eines Fachgespräches im März mit der Situation der Gerichtsvollzieher befassen.

Aber auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizvollzug muss mehr getan werden. Die Personalsituation verschärft sich auch noch aufgrund des nun absehbaren verspäteten Beginns des notwendigen Erweiterungsbaues der Justiz

vollzugsanstalt in Halle. Allein eine Werbekampagne, die wir befürworten, reicht da nicht.

Wir müssen für die Zukunft auch finanzielle Anreize schaffen, um den wichtigen Job im Justizvollzug attraktiv zu machen. Wir unterstützen daher die Forderung des Landesverbandes des Bundes der Strafvollzugsbediensteten nach einer Vollzugszulage, wie sie in der letzten Woche der Ministerin auch vorgetragen worden ist. Ein sicherer und guter Justizvollzug bedeutet Sicherheit und Vertrauen in den Rechtsstaat.

Sehr geehrte Damen und Herren! Eine weitere große Herausforderung liegt in der Digitalisierung. Es liegen in den neuen technischen Möglichkeiten große Chancen, um Verfahrensabläufe besser und - das ist mir besonders wichtig - auch bürgerfreundlicher zu gestalten. Der Rechtsausschuss hat im Frühjahr 2017 im Rahmen seiner Ausschussreise Estland besucht und konnte sich selbst davon überzeugen, wie innovativ, rechtssicher und bürgerfreundlich die Digitalisierung in der Justiz umgesetzt werden kann.

Auch wenn Estland sicherlich ein besonders positives Beispiel ist, muss man doch feststellen, dass die dritte Gewalt in Deutschland noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen ist. Das gilt leider auch für Sachsen-Anhalt, so wie wir es auch der Rede der Ministerin eben entnehmen konnten. Deshalb werden wir in dem Bereich unsere Anstrengungen deutlich verstärken müssen. Zeitgemäß ist zumindest im europäischen Vergleich der aktuelle Stand der Digitalisierung in der Justiz jedenfalls noch nicht.

Die Existenz des Rechtsstaates ist kein Selbstzweck. Er hat für die Bürgerinnen und Bürger da zu sein, und zwar für alle gleichermaßen. Es ist deshalb gut, dass der wichtige Auftrag des Koalitionsvertrages bereits umgesetzt ist und die Individualverfassungsbeschwerde beim Landesverfassungsgericht eingeführt wurde. Wer Zweifel daran hat, dass seine Grundrechte nach der Landesverfassung gewahrt sind, kann nun den Gang nach Dessau-Roßlau zum Landesverfassungsgericht antreten.

Aber trotz Prävention und Kriminalitätsbekämpfung werden Straftaten nie ganz verhindert werden können. So gilt unsere Aufmerksamkeit auch den Opfern. Opfer leiden zum Teil noch sehr lange an den Folgen. Nicht zuletzt die Ereignisse am Breitscheidplatz in Berlin vor zwei Jahren haben bundesweit zur Einrichtung von Opferbeauftragten geführt. Opfer, Verletzte und Angehörige von Opfern von Terror- oder Großschadensereignissen dürfen wir nicht allein lassen. Sie benötigen eine zentrale Anlauf- und Koordinierungsstelle. Diese muss Lotse und Stimme der Opfer sein. Daher sind wir gespannt auf die Vorschläge der

interministeriellen Arbeitsgruppe und begrüßen ausdrücklich die Einführung einer oder eines Landesopferbeauftragten.

Ein Schadensausgleich ist für die Opfer ebenso wichtig wie die Bestrafung der Täter. Wie es im Koalitionsvertrag vereinbart ist, soll ein Opferhilfefonds gegründet werden. Ich gehe davon aus, dass wir bald, wie geschildert, einen Vorschlag zur Ausgestaltung dieses Fonds vorlegen können. Eine Variante hat die Ministerin genannt.

Die Herausforderungen, vor denen die Justiz in Sachsen-Anhalt steht, sind heute deutlich geworden. Sicherlich werden im Laufe der Debatte auch noch weitere vorgetragen werden. Ich bin mir aber sicher, dass wir diese Herausforderungen meistern werden und auch meistern müssen; denn der Rechtsstaat, die Durchsetzung von Rechten und Pflichten, die Gleichheit vor dem Gesetz und eine unabhängige und moderne Justiz sind von unersetzbarer Bedeutung für unsere Gesellschaft. Oder, wie Helmut Schmidt es in einer schwierigen Zeit in Deutschland ausdrücklich gesagt hat - ich zitiere -:

„Der Rechtsstaat bleibt unverwundbar, solange er in uns lebt.“

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Fragen sehe ich nicht. Dann danke ich Frau Schindler für den Redebeitrag. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abg. Frau von Angern.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! „Herausforderungen für die Justiz in Sachsen-Anhalt: Zuverlässig, Zeitgemäß, Zugewandt“. Ich mag ja Alliterationen, in der Dichtung und in der Literatur, in der Alltagsrhetorik oder in der Sprache der Werbung sowie der Medien. Man nimmt an, dass der Ursprung dieser Stilfigur im Bereich magischer und beschwörender Formeln liegt. Die heutige Zielrichtung liegt oft in großer Einprägsamkeit und im Erreichen besonderer Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Thema. Und die Justiz in Sachsen-Anhalt verdient meines Erachtens große Aufmerksamkeit.

Doch auch schöne und vielversprechende Worte können eben nicht über die aktuelle Situation und über problematische Tatsachen, denen wir uns stellen sollten, hinwegtäuschen. Ich erinnere deshalb gern an den Beitrag in der „Mitteldeutschen Zeitung“ vom 8. Januar dieses Jahres unter dem Titel: „Personalmangel: Sachsen-Anhalts Justiz ächzt unter Arbeitsbelastung“.

Der frisch gewählte Vorsitzende des Richterbundes von Sachsen-Anhalt Herr Dr. Hoppe stellte darin unter anderem sehr bildhaft fest, wir haben in Sachsen-Anhalt weniger eine Alterspyramide, sondern vielmehr eine Palme. Die Staatsanwaltschaften seien wie ein Nadelöhr und ein Flaschenhals. Es nütze nichts, so Hoppe, wenn die Polizei ordentlich und zügig ermittle, am Ende aber das Verfahren vor Gericht nicht zeitnah abgeschlossen werden kann. Das wirft insgesamt ein schlechtes Licht auf die Justiz, sagte Hoppe. Daher wirbt er auch bei Neueinstellungen stets für eine Betrachtung des gesamten Justizbereiches.

Schon jetzt ist festzustellen, dass in bestimmten Phänomenreichen - namentlich seien da rechtsextreme Straftaten und häusliche Gewalt zu nennen - die Zahl der Einstellungen in Sachsen-Anhalt durch die Staatsanwaltschaft steigt. Bundesweit schaut man deshalb auf Sachsen-Anhalt. Ich finde, an dem Punkt ist es nicht gut, dass man auf Sachsen-Anhalt schaut. Wir werden dem auf den Grund gehen und haben daher einen entsprechenden Selbstbefassungsantrag für ein Fachgespräch im Rechtsausschuss gestellt.

Und, meine Damen und Herren, ich empfehle sehr eindringlich aus der MDR-Reihe „Exakt - Die Story“ den Beitrag unter dem Titel „Die Justiz in Not - Deutschlands Richter am Limit“, in dem es auch um Sachsen-Anhalt geht. Hier sieht man, welch menschliche Tragödien hinterlassen werden können und wie Vertrauen in den Rechtsstaat verloren geht. Ich hätte mir gewünscht, dass die Justizministerin heute aus ihrer Sicht diesen Punkt ehrlich benannt und hierzu auch etwas gesagt hätte.

Ehrlicherweise müssen wir konstatieren, dass es in den letzten Jahren in Sachsen-Anhalt vor allem um den Personalmangel in Schulen, Kitas und bei der Polizei ging. Unsere Landesverwaltung und auch der Bereich der Justiz spielten selten eine übergeordnete Rolle. Das fällt uns nun auf die Füße.

In diesem Hohen Haus und in der Landesregierung wird leider selten ganzheitlich gedacht. Mosaiksteine werden oft nur einzeln und Stück für Stück betrachtet und nicht zu einem Ganzen, zu einem Bild zusammengefügt, vom Rahmen, der das Gefüge zusammenhalten soll, ganz zu schweigen.

Sie erinnern sich, meine Damen und Herren, meine Fraktion brachte zu Beginn dieser Wahlperiode einen Antrag unter dem Titel „Personalstrategie in der Justiz - die dritte Gewalt auf tragfähige Füße stellen“ ein. In der Folge fand hier im Plenarsaal eine Anhörung statt, die in dieser Form für die Justiz in diesem Land durchaus als einmalig zu bezeichnen ist.

Ich wage die These, dass es ohne unseren Antrag und ohne die deutlichen, sehr kritischen Worte der verschiedenen Interessenvertreter und Interessenvertreterinnen bei der Anhörung keinen so entscheidenden Schritt für den aktuellen Haushalt für die Neueinstellungen gegeben hätte, die die Ministerin vornehmen kann. Und sie hätte heute diese Erfolge auch nicht verzeichnen können.

(Zustimmung bei der LINKEN - Minister Marco Tullner: Der Erfolg hat immer viele Väter!)

Der Justizministerin sei dabei ausdrücklich zugebilligt, dass sie im Jahr 2016 neu im Amt war und sich auch nicht als beratungsresistent erwiesen hat. Daher gehe ich davon aus, dass es auch nicht bei diesem ersten Schritt bleiben wird, sondern dass im Interesse des Rechtsfriedens der Bürgerinnen, aber auch im Interesse der Richterschaft, der Staatsanwaltschaft sowie der Beschäftigten im Bereich der Justiz weitere Schritte gegangen werden.

Und, meine Damen und Herren, es muss auch weitergegangen werden; denn wenn wir den Slogan dieser Regierungserklärung „Zuverlässig, Zeitgemäß, Zugewandt“ wirklich ernst nehmen, dann bedarf es noch vieler Anstrengungen und Schritte in Richtung einer modernen Justiz.

Als LINKE teilen wir die Zielbeschreibung der Überschrift der Regierungserklärung ausdrücklich. Ja, auch wir wollen einen modernen und selbstverständlich gewaltengeteilten Rechtsstaat, einen Rechtsstaat, dem die Menschen vertrauen; denn ohne Vertrauen in den Rechtsstaat sinkt auch das Vertrauen in die Demokratie, und die Folgen kennen wir aus der Geschichte.

Sachsen-Anhalt und vor allem die hier lebenden Menschen brauchen eine unabhängige Justiz, die so ausgestattet ist, dass sie arbeitsfähig ist. Arbeitsfähig ist dabei ein sehr großes Wort, dessen Definition wir heute hier, aber auch in den Beratungen über den nächsten Doppelhaushalt zu klären und entsprechend weiter zu untersetzen haben. Die für das Jahr 2019 und die Folgejahre geplanten Neueinstellungen sind ein erster sehr motivierter Schritt,

(Zustimmung von Angela Gorr, CDU)

aber bei Weitem nicht die Rettung. Das Problem, denke ich, wird darin bestehen - das zeichnet sich schon jetzt ab -, die Stellen mit den erforderlichen Fachkräften auch tatsächlich zu besetzen.

Wir tun gut daran, uns auch die Fachgerichtsbarkeiten im Einzelnen anzuschauen und beispielsweise die besonderen Anforderungen an die Sozialgerichte auch im Umgang mit den sogenannten Altfällen bei der Personalplanung entsprechend zu berücksichtigen.

(Zustimmung von Dagmar Zoschke, DIE LINKE)

Wir wollen keinen Rechtsstaat nach Haushaltslage. Wir brauchen eine bürgernahe Struktur der Gerichtsstandorte. Wir brauchen weiterhin einen Zugang für jeden Mann und jede Frau, auch wenn persönlich die erforderlichen finanziellen Mittel unzureichend sind. Und wir brauchen eine barrierefreie Justiz.

Und ja, wir brauchen auch angemessene Verfahrensdauern. Das ist ein schwieriges Thema und ich habe bewusst das Wort „angemessen“ und nicht die Worte „kurze Verfahrensdauer“ verwendet; den eine einfache Schwarz-Weiß-Malerei ist hier nicht angebracht und hilft uns auch nicht weiter.