(Angela Gorr, CDU, wechselt zum Saal- mikrofon der SPD - Zurufe von der CDU und von der SPD: Jetzt geht es! - Das Saal- mikrofon schaltet sich ab)
(Angela Gorr, CDU, schaltet das Saalmikro- fon wieder ein - Dr. Falko Grube, SPD: Wir mögen Sie, ja!)
Danke schön. - Herr Kollege Lippmann, ist es nicht eher so, dass Sie mit Ihrem Antrag etwas Unruhe verbreiten?
Ich habe in den Äußerungen der Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen von einem Schnellschuss überhaupt nichts gehört, sondern nur von Besonnenheit, Bedachtsamkeit und von der Einbeziehung aller Dinge, die auch Sie an
Das ist jetzt ein Missverständnis zwischen uns. Ich habe nur auf die Aussage von Frau KolbJanssen reagiert, die mit Blick in meine Richtung von einem Schnellschuss gesprochen hat. Ich habe nur gesagt, das ist natürlich überhaupt nicht das, was wir meinen. Wir haben gesagt: Wir wollen das so machen, damit es kein Schnellschuss wird.
Ein Schnellschuss wird es dann, wenn jetzt ganz lange nichts passiert und dann kurz vor Toresschluss auf einmal etwas auf den Tisch gelegt wird. Das ist genau die Erfahrung, die wir im Jahr 2001 oder etwas vor dem Jahr 2001 hatten, als alles Knall auf Fall, also ohne ganz viele Sachen zu bedenken, in die Kommunen gegeben wurde.
Ich wollte nur klarstellen, mit Gründlichkeit, mit den Themen, die wir benannt haben, haben wir sozusagen nur unseren Beitrag dazu geleistet. Und wir haben natürlich die Erwartung, dass wir bis zum Sommer - ich muss hier nicht erklären, wie lange solche Umsetzungsprozesse sind, wenn man es ernst meint - etwas vorliegen haben. Wenn man es ernst meint, muss man bis zum Sommer etwas auf den Tisch legen, oder man muss die Finger davon lassen. Nur das ist die Ansage.
Wir kommen nunmehr zum Abstimmungsverfahren zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE. Ich konnte den Vorschlag wahrnehmen, den Antrag zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Bildung und Kultur und zur Mitberatung in den Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration zu überweisen.
Wer für die Überweisung in die genannten Ausschüsse ist, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Fraktion DIE LINKE, die Koalition und der fraktionslose Abgeordnete. Wer stimmt dagegen? - Das ist die AfD-Fraktion. Wer enthält
sich der Stimme? - Ich sehe keine Stimmenenthaltungen. Damit ist der Antrag überwiesen worden und der Tagesordnungspunkt 21 erledigt.
Kinder, Jugendliche und junge Volljährige von der Kostenheranziehung im Rahmen des SGB VIII befreien
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Versetzen Sie sich bitte in diesem Moment einmal zurück in Ihre Jugendzeit.
Ein neuer Lebensabschnitt beginnt für Sie. Sie freuen sich auf Ihre Ausbildung und natürlich auf Ihr erstes eigenes verdientes Geld. Sie können jetzt selbst entscheiden, wofür Sie es ausgeben oder aber auch sparen möchten. Sie treffen eigenständig Ihre Entscheidung und fühlen sich gut dabei. Sie haben damit gelernt, ihr späteres Leben eigenverantwortlich zu führen. Sie sehen einen Sinn in einer guten Ausbildung und schätzen damit den Wert selbst verdienten Geldes.
Leider werden Jugendliche, die fremd untergebracht sind, diese positiven Erfahrungen oft nicht machen können. Ihre Startmöglichkeiten ins Leben sind bedeutend schwieriger als bei Kindern, die bei ihren Eltern aufwachsen.
Warum ist das so? - Sobald fremd untergebrachte Kinder und Jugendliche ein eigenes Einkommen erzielen - dazu zählen auch Lehrlingsgeld oder Bafög - werden ihnen 75 % dieser Einnahmen gekürzt. In einem Artikel auf „Spiegel Online“ vom 1. November 2018 wird von einer 17-jährigen jungen Frau, die als Pflegekind in einer Pflegefamilie aufwächst, berichtet. Sie hat eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau begonnen und verdient dadurch monatlich 855 € brutto. Davon bleiben ihr aber nur 241 € übrig. Den Rest zieht das Jugendamt ein.
Auch Jugendliche, die sich einen Job zur Aufbesserung des Taschengeldes suchen, zum Beispiel Zeitungen austragen, im Supermarkt auspacken oder sich ähnlich engagieren, erfahren, dass 75 % des Lohnes an das Jugendamt abgegeben wer
den müssen. Es ist für sie daher nur sehr schwer nachvollziehbar, wenn ihnen erklärt wird, dass das Amt für sie Unterkunft und Verpflegung zahlt und deshalb die zusätzlichen Einkünfte einbehält.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die gesetzliche Grundlage dafür bildet § 94 Abs. 6 SGB VIII. Dort ist geregelt, dass junge Menschen, sofern sie ein Einkommen erzielen, nach Abzug von Steuern und Versicherungen 75 % ihres Einkommens als Kostenbeitrag einzusetzen haben. Doch nicht nur bei vollstationären Leistungen wie Vollzeitpflege, Heimen und betreuten Wohnformen, sondern auch bei teilstationären Leistungen, etwa bei Versorgung in Notsituationen, in Tagesgruppen, bei Eingliederungshilfen und sogar bei vorläufigen Maßnahmen wie zum Beispiel bei einer Inobhutnahme durch das Jugendamt, sind Kostenbeiträge zu erheben.
Dabei sind die betroffenen jungen Menschen vorrangig an den Kosten zu beteiligen. § 94 Abs. 1 SGB VIII regelt, dass Eltern und Lebenspartner der jungen Menschen nachrangig zu den Kosten herangezogen werden sollen.
Im Zuge der SGB-VIII-Reform durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz ist erkannt worden, dass die derzeitige Regelung nicht dem Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe entspricht, junge Menschen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu entwickeln und sie zu einem eigenständigen, selbstverantwortlichen Leben zu erziehen und zu motivieren.
Im Kinder- und Jugendstärkungsgesetz war deshalb vorgesehen, die Heranziehungsquote von 75 % auf 50 % abzusenken. Es sollte einen Freibetrag in Höhe von 150 € auf Ausbildungsvergütungen geben; Praktika, Ferienjobs und Schülerjobs sollten von der Heranziehung ausgenommen werden.
Dies sind schon einmal richtige und grundsätzlich positiv zu bewertende Schritte. Aber von vielen Fachverbänden wurde kritisiert, dass die derzeitige Ausnahmeregelung, nach der die Jugendämter ganz oder teilweise von einer Kostenheranziehung absehen können, gestrichen werden soll.
Die SGB-VIII-Reform liegt jedoch, wie wir alle wissen, im Bundesrat auf Eis. Der Zeitpunkt einer Verabschiedung des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes ist völlig unklar. Damit ändert sich wohl für die betroffenen jungen Menschen hier und heute erst einmal gar nichts. Das ist ein Zustand, der zumindest für meine Fraktion nicht hinnehmbar ist.
einer Amtsvormundin gestoßen. Glauben Sie mir, aus meiner Sicht trifft sie wirklich den Nagel auf den Kopf. Sie sagte nämlich - ich zitiere -:
„Die Jugendlichen haben in der Regel die Fremdunterbringung in Einrichtungen oder Pflegefamilien nicht verschuldet, sondern ihre Eltern. Diese Kinder müssen nicht nur mit einem viel schwierigeren Start ins Leben klarkommen, nein, sie werden immer wieder weiter ‚bestraft‘. Wie sollen diese Jugendlichen motiviert werden, sich Geld zu verdienen, um etwas Startkapital zu haben? So ist zum Beispiel ein Laptop für die weiterführende Schule manchmal zwingend notwendig. Welches Zeichen wird diesen Jugendlichen vermittelt? Es lohnt sich nicht zu arbeiten! Das Geld wird uns vom ‚Staat‘ sowieso wieder weggenommen. Also ist es doch besser, sich gleich an diesen zu wenden und nichts zu tun. Sind wir, die Gesellschaft, wirklich auf das Geld der Jugendlichen angewiesen, oder wäre es nicht sinnvoll, einmal über diese Regelung nachzudenken?“