Protocol of the Session on October 24, 2018

Auch hierzu gibt es wieder eine Wortmeldung von Herrn Poggenburg.

Verehrte Frau Dr. Pähle, habe ich richtig verstanden, dass Sie versucht haben, Kritik an illegaler Masseneinwanderung,

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Oh!)

die ja nun gerade wieder verstärkt Antisemitismus in unserem Land hervorgebracht hat, mit Antisemitismus gleichzusetzen? Habe ich das richtig verstanden oder habe ich mich da getäuscht?

Da haben Sie sich getäuscht, Herr Poggenburg. Ich habe aufgezeigt, dass auch das Narrativ der AfD, von Umvolkung zu sprechen, also dem Ersatz der deutschen Bevölkerung durch Flüchtlinge, einem Narrativ ähnelt, das in anderen Ländern in Verbindung mit Juden verwendet wird. Das habe ich versucht aufzuzeigen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Wenn Sie noch eine Nachfrage haben, Herr Poggenburg, dann bitte schnell.

Dann haben Sie das vielleicht verklausuliert, aber trotzdem genau so gesagt. Denn illegale Masseneinwanderung in der Größenordnung, wie wir sie kennen - nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa -, beinhaltet automatisch eine Veränderung der Bevölkerung. Wenn Sie der Meinung sind, das sei Antisemitismus, dann haben Sie das also mit Antisemitismus gleichgesetzt.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Zuhören!)

- Richtig, zuhören. Ganz genau so ist es. - Sie missachten dabei, dass genau dieses Vorgehen Antisemitismus hervorbringt. Da Sie das unterstützen - das muss ich ganz ehrlich sagen -, unterstützen Sie indirekt das erneute Aufkommen von Antisemitismus in Deutschland. - Danke.

(Zustimmung bei der AfD - Ronald Mor- mann, SPD: Dummes Geschwätz!)

Wir fahren in der Debatte fort. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abg. Herr Striegel das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Der 9. November 1938 war nicht der Anfang. Der 9. November 1938 war nicht das Ende. Der 9. November 1938 liegt inmitten jener Tage, an denen Menschen - Deutsche, Magdeburger und Hallenser, Naumburger und Wolmirstedter - im Namen eines völkischen Rassismus Jüdinnen und Juden Unfassbares angetan haben.

Der 9. November mahnt uns seitdem, nie wieder zu vergessen. Denn wir wissen, um mit Primo Levi, einem Überlebenden der Schoah, zu sprechen: „Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen. Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“

Um die Reichspogromnacht zu verstehen, müssen wir uns klar machen: Es fing nicht damit an, Rabbiner zu verprügeln. Es fing nicht damit an, Geschäfte zu zerstören und zu plündern. Es fing nicht damit an, Synagogen zu brandschatzen. Es fing nicht damit an, Menschen aus Fenstern zu werfen oder auf der Straße totzuschlagen. Es fing damit an, ein „Wir“ gegen „Die“ zu definieren.

(André Poggenburg, AfD: Dass Schaufens- ter eingeschlagen werden wie heute!)

Es fing damit an, Worte in Arsendosen zu verwandeln. Es fing damit an, ein gesundes Rechtsempfinden dem rechtsstaatlichen Urteil vorzuziehen. Es fing damit an, entartete Kunst zu verfemen, Musikern vorzuschreiben, was sie zu spielen hätten, und Bücher zu verbrennen.

(André Poggenburg, AfD: Er meint jetzt den Rechtsruck!)

Der Hass und die Gewaltbereitschaft einer aufgehetzten Minderheit brachen sich in der Nacht des 9. November 1938 breite Bahn. Die Mehrheit der Deutschen schaute weg und nahm das Treiben dieser Minderheit hin. Schuld luden so nicht nur die Brandstifter und Mörder auf sich, sondern auch diejenigen, die weggeschaut oder sich vor ihrer Verantwortung weggeduckt haben.

Es ist die menschenverachtende Gleichgültigkeit der vielen, die mich nach wie vor schockiert. Wir dürfen einer solchen Gleichgültigkeit nie wieder Raum geben, wenn Menschen in ihren unveräußerlichen Rechten angegriffen, wenn Kunst verboten, wenn Synagogen oder Moscheen geschändet, wenn unsere Gesellschaft in ein „Die“ und ein „Wir“ gespalten wird

(Zustimmung von Cornelia Lüddemann, GRÜNE, von Olaf Meister, GRÜNE, und von Andreas Höppner, DIE LINKE - Zuruf von André Poggenburg, AfD)

oder wenn die einen sich zum Volk erklären und andere Bevölkerungsteile ausschließen wollen. Es reicht deshalb nicht, Gedenkstunden abzuhalten, Blumen niederzulegen und Stolpersteine zu putzen. All das ist richtig. Es ist anständig. Es ist notwendig. Aber es ist nicht hinreichend.

Aus dem Erinnern muss ein Handeln werden. Erinnern heißt, die Gegenwart so zu gestalten, dass ein „Nie wieder“ nicht Wunsch bleibt, sondern Wirklichkeit wird.

Es ist dieses „Nie wieder“, das am 13. Oktober dieses Jahres eine Viertelmillion Menschen zur größten antifaschistischen Demonstration der vergangenen drei Jahrzehnte unter dem Motto „#Unteilbar. Für eine offene und freie Gesellschaft - Solidarität statt Ausgrenzung“ auf die Straße gebracht hat.

Die Demonstrierenden, die auch aus SachsenAnhalt nach Berlin zogen, traten und treten ein für eine offene und solidarische Gesellschaft, in der Menschenrechte unteilbar und in der vielfältige und selbstbestimmte Lebensentwürfe selbstverständlich sind. Sie stellten und stellen sich gegen jegliche Form von Diskriminierung und Hetze. Gemeinsam widersprachen und widersprechen sie antimuslimischem Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Antifeminismus, Homo- und Transphobie entschieden.

In diesen Zeiten, in denen einige die Spaltung unserer Gesellschaft betreiben, in denen Menschen, seien es Geflüchtete, Juden oder Muslime, zu Gegnern erklärt und herabgewürdigt werden, reicht es nicht, zu erinnern. Es gilt, die demokratische Gesellschaft gegen ihre Gegner zu verteidigen. Das tun wir am 9. November, aber auch an allen anderen Tagen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei der SPD)

Danke. Ich sehe dazu keine Wortmeldungen. - Deswegen können wir in der Debatte fortfahren. Für die Fraktion der CDU spricht der Abg. Herr Schumann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Staatlich gesteuerter und gelenkter Antisemitismus gipfelte am 9. November 1938 in die sogenannte Reichspogromnacht. Die Arisierung, die Zwangsenteignung jüdischen Besitzes und jüdischer Unternehmen, sollte regelrecht planmäßig beschleunigt werden, auch um die deutsche Aufrüstung zu finanzieren. Der Antisemitismus, latent seit dem frühen Mittelalter mal mehr und mal weniger in deutschen Landen vorhanden, wurde nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 staatlich zunächst geduldet und später gefördert und unterstützt.

Mit dem Berufsbeamtengesetz und dem Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7. April 1933 verloren in dieser Zeit ca. 37 000 Juden ihre berufliche Existenz in Deutschland. Ein Attentat eines 17-jährigen Juden in Paris auf den Legationssekretär der Botschaft, welcher am 9. November 1938 seinen Verletzungen erlag, gab dann den willkommenen Anlass für die stabsmäßig organisierten Übergriffe auf die Juden.

Deutsche Zeitungen fuhren eine nie dagewesene antisemitische Hetzkampagne. Infolge allein dieser schrecklichen Ereignisse - Herr Lippmann hat das vorhin schon gesagt - wurden etwa 400 Menschen ermordet oder in den Suizid getrieben. Mehr als 1 400 Synagogen und Betstuben, Tausende Geschäfte, Hunderte jüdische Friedhöfe wurden infolge dieser Ereignisse zerstört.

Ab dem 10. November 1938 wurden 30 000 Juden in Konzentrationslagern inhaftiert, von denen sehr viele starben. Die Pogrome am 9. November 1938 markieren den Übergang von der Diskriminierung der deutschen Juden seit 1933 zur systematischen Verfolgung, die knapp drei Jahre später in den Holocaust mündete, dem ca. sechs Millionen Juden im Zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Bundespräsident Roman Herzog hat vor genau 20 Jahren aus diesem Anlass eine denkwürdige Rede bei der Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag der Reichspogromnacht in Berlin gehalten. Ich möchte, auch vor dem Hintergrund und unter den Eindrücken der Debatte am Vormittag, daraus zitieren:

„Erinnerung und Gedächtnis - das heißt im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus zuerst: Gedenken an die Opfer. Es bedeutet, die Entwürdigten wieder ins Recht zu setzen. Es bedeutet aber auch Erinnerung an die Taten und die Täter. Dazu gehört gewiss die möglichst genaue historische Erforschung der Ursachen und

Zusammenhänge. Aber diese Erinnerung dient der moralischen […] Selbstprüfung - nicht der moralischen Instrumentalisierung in gegenwärtigen Konflikten. Es ist deshalb eine nochmalige Entwürdigung der Opfer, wenn Worte wie ‚Auschwitz‘, ‚Holocaust‘ oder ‚Faschismus‘ leichtfertig benutzte Vokabeln in sehr vordergründigen politischen Debatten werden.“

(Zustimmung von André Poggenburg, AfD)

- Da gibt es keinen Grund zum Klatschen. Das muss ich Ihnen genauso hinter die Ohren schreiben.

Weiter sagte Roman Herzog:

„Hüten wir uns davor, das Entsetzen in billige Münze umzuwechseln!

Auf der anderen Seite gilt aber auch: Ohne Erinnerung an Auschwitz - und an all das, wofür es steht und was dazu führte - kann heute keine politische, ja überhaupt keine Ethik mehr geschrieben werden.“

Sehr geehrte Damen und Herren! Auch heute ist Antisemitismus immer noch weit verbreitet. Von Rechten auf Demonstrationen wird er unverhohlen gezeigt. Man muss nur einmal die Fangesänge in den Fußballstadien oder auch die von palästinensischen Demonstranten in Berlin genau verfolgen, wie sie erst letztens auf der Demo skandiert wurden.

Dies darf der Rechtsstaat in Deutschland nicht dulden. Wir erteilen jeglicher Form von Judenhass, Rassenwahn oder Israelfeindlichkeit eine klare Absage und verurteilen solche Bestrebungen auf das Schärfste.

Ich möchte zum Ende meiner kurzen Rede mit Roman Herzog schließen:

„Die Geschichte der Zivilisation lehrt uns, wie lange es gedauert hat, bis die Menschen lernten, sich zu disziplinieren, ihre Konflikte in geregelten Bahnen auszutragen, ihre latente Gewaltbereitschaft zu überwinden. Die deutsche Geschichte dieses Jahrhunderts - aber beileibe nicht nur sie - lehrt auch, in welch erschreckend kurzer Zeit alles an Zivilisation, Humanität und Selbstdisziplin wieder verspielt werden kann.“

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD - Zu- stimmung bei den GRÜNEN)

Herr Schumann, Herr Krull hat eine Frage oder eine Intervention. Das geht sogar, weil Sie Ihre

Redezeit nicht ausgelastet haben. - Herr Krull, Sie haben das Wort. Mit einer Frage wird es offensichtlich schwierig, weil sich Herr Schumann nach oben auf seinen Platz begeben hat. Aber, Herr Krull, Sie haben das Wort.

Vielen Dank für die Ausführungen, Kollege Schumann. Wir haben noch einmal die Geschichte beleuchtet. Die Frage wäre jetzt gewesen, wenn Sie sie beantwortet hätten, ob Sie auch der Auffassung sind, dass es wichtig ist, auch aktive Zeichen zu setzen, zum Beispiel das Tragen einer Kippa als Zeichen der Solidarität und der Besuch von Veranstaltungen wie die aktuell in Magdeburg stattfindenden Wochen der jüdischen Kultur und Geschichte.

(Andreas Schumann, CDU: Natürlich!)

Aber dann machen wir das hier vorn vom Mikro aus. Wir nehmen zur Kenntnis, dass Herr Schumann jetzt doch aufsteht und noch einmal nach vorn kommt und die Frage beantworten kann.