Protocol of the Session on April 20, 2018

Das wiederum steht in einem gewissen Widerspruch zu der in diesem Programm ansonsten erhobenen Forderung nach Professionalisierung. Die Autoren hantieren mit einem völlig entgrenzten, nichtssagenden, beliebigen Bildungsbegriff, wahrscheinlich um dann nur umso leichter alles, was in der Kita getrieben wird, zu „Bildung“ erklären zu können. Gleichzeitig aber tun sie so, als sei frühkindliche Bildung etwas, das hochprofessionelle Vorbereitung erfordert, etwas, das überhaupt nur gelingt, wenn multiprofessionelle Teams um das Kind herumtanzen und alle Erzieherinnen ständig irgendwelche Fortbildungen besuchen.

Dagegen spricht nun aber, dass etwa die Hälfte der unter Dreijährigen in Sachsen-Anhalt auch heute noch zu Hause betreut und erzogen wird. Ich bin überzeugt davon, dass diese Kinder im Schnitt genauso gut aufwachsen wie die Kinder in der Kita. Deshalb möchte ich bei dieser Gelegenheit im Namen der AfD-Fraktion einmal allen Eltern, die ihre Kinder verantwortungsvoll zu Hause erziehen, für ihre Arbeit danken.

(Beifall bei der AfD - Zustimmung von Frank Scheurell, CDU)

Sie tun das ohne Anleitung durch ein Programm „Bildung: elementar“, ohne Kinderbetreuung gelernt zu haben, und leisten trotzdem einen wertvollen Dienst an unserer Gesellschaft. Sie haben dafür Dank und Anerkennung verdient und nicht dieses latente Misstrauen, mit dem ihnen die Politik mehr und mehr begegnet.

Eine Kindergärtnerin macht im Idealfall auch nichts anderes als das, was jede Mutter zu Hause tut. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Wir sollten aber nie vergessen, dass es sich bei der Erziehung eines Kleinkindes um einen Lebensvorgang handelt, für den Erfahrung, Instinkt und Gefühl wichtiger sind als theoretisches Wissen.

Während etwa die Hälfte der unter Dreijährigen in Sachsen-Anhalt zu Hause betreut wird, besuchen mehr als 90 % der über Dreijährigen eine staatliche Einrichtung. Diese Statistik zeigt: Drei Jahre sind eine Schwelle, ab der die systematische Vorbereitung auf die Schule beginnen kann und ab der deshalb von fast allen Eltern die Hilfe staatlicher Institutionen in Anspruch genommen wird.

An diesem Punkt, würde ich sagen, beginnt frühkindliche Bildung in einem spezifischen, institutionellen Sinn. Bildung ist nämlich nicht jede Entwicklung des Kindes, sondern die bewusste Vermittlung von Kultur auf der Grundlage von Autorität und Tradition.

Bildung hat drei Komponenten, nämlich die objektive Komponente - der Bildungsgegenstand -, die subjektive Komponente - die Entfaltung dessen, der sich bildet - und die transitive Komponente - die Personen und Institutionen, die Bildung ver

mitteln. Damit Bildung gelingt, müssen diese Komponenten im Einklang miteinander stehen. Ein Mensch bildet, verwirklicht und entfaltet sich erst dann, wenn er sich Bildungsgegenstände aneignet, als da sind: Sprache und Literatur, Wissen und Wissenschaft, Handwerk und Technik, Sittlichkeit und Gesetz.

Dieser Vorgang bedarf immer der Führung durch Vorbilder und Autoritäten. Der Bildungsgegenstand steht den zu Bildenden anfänglich fremd und unverständlich gegenüber. Sie erkennen nicht, weshalb und wozu sie zu bilden wären, und brauchen eben deshalb jemanden, der ihnen den Weg weist.

Der in dem Programm „Bildung: elementar“ niedergeschriebene Grundsatz: „Kinder werden nicht gebildet, sie bilden sich selbst“, ist so grundverkehrt, dass er verkehrter nicht sein könnte. Er ist Ausdruck eines kruden Missverständnisses von Bildung, aus dem zwei der notwendigen Komponenten, nämlich der Bildungsgegenstand und die bildende Autoritätsperson, herausreflektiert wurden. Was übrig bleibt, ist reine Selbstverwirklichung. Das ist aber keine Bildung mehr, sondern der sprichwörtliche Versuch, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.

Die Kinder sich selbst zu überlassen und möglichst wenig in ihre Entwicklung einzugreifen ist der größte Fehler, den wir machen können.

(Dr. Verena Späthe, SPD: Machen wir ja nicht!)

Das reformpädagogische Dogma, das den Erzieher zum bloßen Begleiter reduziert und auch später in der Schule den Lehrer zum bloßen Lernbegleiter, sorgt dafür, dass Bildungschancen ungenutzt bleiben und schließlich verloren gehen. Das Programm „Bildung: elementar“ rechtfertigt seinen Ansatz, indem es sich auf die sogenannten Kinderrechte beruft.

(Zuruf von der LINKEN: Sogenannte!)

Sogar die CDU sieht das Thema Kinderrechte kritisch und hat sich gegen deren Festschreibung im Grundgesetz gewehrt, weil sie sehr zu Recht befürchtet, dass so der Einfluss der Familien zurückgedrängt werden könnte. Das ist sicherlich ein Aspekt. Was nun aber die Bildung und Erziehung der Kinder angeht, so wäre es ihr vornehmstes Recht, in diesem Bereich von Erziehern und Lehrern mit Autorität nach bewährten Methoden erzogen und gebildet zu werden. Eben dieses Recht wird ihnen aber unter Berufung auf sogenannte Kinderrechte vorenthalten.

Durch das Gerede von Kinderrechten drängt sich zum einen Teil der Staat als Vormund auf, zum anderen Teil werden die Kinder wie kleine Erwachsene behandelt. Da sie aber keine Erwachsenen sind, werden sie dadurch über- und zu

gleich unterfordert. Sie werden überfordert, weil sie von ihren Rechten noch gar keinen Gebrauch zu machen wissen, und unterfordert, weil diese Rechte als Abwehrrechte gegen Forderungen an das Kind und gegen die Autorität der Lehrer und Erzieher verstanden werden. Bildung aber lebt davon, dass Forderungen an die Kinder gestellt werden dürfen und sie unter Führung durch die Autorität der Lehrer und Erzieher stehen.

„Bildung: elementar“ begreift unter Bildung entsprechend dem Kinderrechtsgedanken die Befriedigung von Ansprüchen. Hierbei spielt eine konsumorientierte Denkweise mit hinein. Pädagogische Fachkräfte, so heißt es in dem Programm, verstehen ihr Handeln als ein Anbieten von Anlässen, Situationen und Möglichkeiten. Sie lassen zu, dass Kinder pädagogische Angebote ablehnen und ignorieren.

Wer Kinder wie Kunden wählen lässt, statt ihnen das zu vermitteln, wovon sie noch gar nicht wissen können, dass sie es brauchen, wer ihnen ihre Rechte erklärt, statt ihnen zu erklären, was Recht ist, der bildet die Kinder nicht, sondern der fördert Ichsucht und Bequemlichkeit, Selbstüberschätzung und eine Mentalität des Sich-gehen-Lassens und des Nachgebens gegenüber jeder flüchtigen Neigung. Das ist das genaue Gegenteil wahrer Bildung.

(Beifall bei der AfD)

Verglichen damit hatte man in der DDR, die sozialistische Phraseologie abgerechnet, doch einen erfreulich klaren Begriff davon, was Bildung generell bedeutet und was im Speziellen vorschulische Bildung leisten kann und leisten soll. Ich beziehe mich im Folgenden auf den Bildungs- und Erziehungsplan für den Kindergarten des Ministeriums für Volksbildung der Deutschen Demokratischen Republik, erschienen im Verlag Volk und Wissen, Berlin 1969.

(Unruhe)

Wenn man sich durch die nebligen Phrasen und das blasierte Geschwätz des Programms „Bildung: elementar“ gequält hat und sich dann diesem Bildungsplan zuwendet, dann hat man den Eindruck, wieder in die Welt der klaren Begriffe und des gesunden Menschenverstandes zurückzukehren. Das hat mich selbst erstaunt. Aber angesichts der Texte, die der bildungspolitische Diskurs unserer Tage hervorbringt, war es ein regelrechtes Labsal, in diesem DDR-Bildungsplan zu lesen.

In der Einleitung werden die großen Bildungsziele definiert. Es heißt dort - ich zitiere jetzt einige Kernaussagen -:

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Das ist ein bisschen aus der Zeit gefallen!)

Erstens. Auf die Entwicklung solcher Eigenschaften wie Ausdauer, Zielstrebigkeit und die Bereitschaft, Schwierigkeiten zu überwinden, muss ständig Einfluss genommen werden.

Zweitens. Die Kinder sind zu geistiger Tätigkeit zu befähigen und lernen, sich zu konzentrieren und aufmerksam zu sein.

Drittens. Die Kinder sollen erste Einsichten in die gesellschaftliche Notwendigkeit der Arbeit gewinnen.

Viertens. Die Kinder werden mit Märchen, Geschichten und Erzählungen bekannt gemacht und dazu geführt, in ihren Inhalt einzudringen.

Fünftens. Es ist zielstrebig an der Entwicklung der Sprache und des Denkens der Kinder zu arbeiten.

Ganz anders als „Bildung: elementar“ definiert dieses Programm also genau das, was Vorschulkinder brauchen, um reibungslos, ohne Schwierigkeiten und mit gutem Erfolg in die Schule starten zu können.

Nach Art eines Lehrplans werden für alle Themenfelder klare Vorgaben gemacht. Unter der Rubrik „Garten“ beispielsweise werden für die Gruppe der Älteren unter anderen folgende Lernziele formuliert: Die Kinder ernten die eigenen Beete ab, sammeln Samen und bewahren diesen auf, helfen beim Säubern der Beete, bereiten ihre Beete vor, lesen Steine ab, rechen die Beete glatt, ziehen Rillen usw., lernen mit dem Pflanzholz umzugehen, drücken die Pflanzen sorgfältig fest, hacken und gießen regelmäßig die Beete.

(Zustimmung bei der AfD)

Als Kontrast dazu zitiere ich jetzt eine Passage aus dem Programm „Bildung: elementar“. Darin heißt es:

„Kinder klettern auf Bäume und schaukeln an Weidenzweigen, baumeln mit den Beinen und wippen auf starken Ästen. Sie verstecken sich in Büschen und Sträuchern. Sie recken sich nach Früchten an Bäumen, ziehen Äste zu sich herunter und lassen sie wieder nach oben schnellen.“

(Heiterkeit bei der AfD)

„Bildung: elementar“ beschreibt, was jedes Kind von sich aus tut und auch tun soll. Der Bildungsplan der DDR aber formuliert ganz klar, was Kindern beigebracht werden soll und was ihnen noch beigebracht werden kann.

(Zuruf von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

„Bildung: elementar“ beschreibt eine Reihe von Tätigkeiten, zu denen Kinder neigen, wenn sie sich selbst überlassen werden. Der Bildungsplan der DDR beschreibt sinnvolle, nützliche, verantwortungsvolle, die Persönlichkeitsentwicklung för

dernde, also im vollen Sinn des Begriffs bildende Tätigkeiten.

(Beifall bei der AfD)

Noch deutlicher wird der Unterschied zwischen „Bildung: elementar“ und dem DDR-Bildungsplan bei der Spracherziehung. „Bildung: elementar“ ergeht sich auch hier in entsetzlich redundanten Beschreibungen dessen, was Kinder ohnehin tun. Es heißt dort beispielsweise:

„Kinder versuchen […] Töne zu erzeugen. Sie spitzen den Mund, pusten, schmatzen und freuen sich, wenn ihnen Geräusche glücken. Manchmal sind sie überrascht und erschreckt von ihrem eigenen Jauchzen und Glucksen.

Kinder sprechen miteinander, um zu streiten und zu diskutieren, zu planen und sich auszutauschen, um zu spielen […]“

Nebenbei bemerkt: Man muss wahrlich nicht Pädagogik studiert haben, um solche Dinge festzustellen.

(Heiterkeit bei der AfD)

Der DDR-Bildungsplan sagt zum Thema Kindersprache: Die Kinder werden angehalten, untereinander auf deutliches und in der Lautstärke der Situation angemessenes Sprechen zu achten. Sie bemühen sich, lautrein und gepflegt zu sprechen. Sprachnachlässigkeiten sind von der Erzieherin als unschön zurückzuweisen. - Kurz, präzise und vernünftig, klare Normen und eine deutliche Beschreibung, auf welches Ideal hin die Kinder zu bilden sind. So muss ein Bildungsplan sein.

„Bildung: elementar“ zeigt dagegen nicht den geringsten Ehrgeiz, den Kindern etwas beizubringen, etwas aus ihnen zu machen. „Bildung: elementar“ definiert ihr freies Spiel als Bildungsziel.

Kinder sollen auch frei spielen dürfen, keine Frage. Aber daneben sollten wir ihnen im Alter ab drei Jahren auch schon sinnvolle Dinge beibringen. Und das sollte in einem Bildungsprogramm für den Kindergarten festgelegt werden.

„Bildung: elementar“ verharrt im rein Deskriptiven, erklärt das Sein zum Soll und lässt so jeden Bildungsanspruch fahren. Wenn unsere Kinder in diesem Ungeist erzogen werden, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn am Ende immer mehr Auszubildende ihre Lehre abbrechen, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn die Schulabbrecherquote hoch ist und die Schulabschlüsse immer weniger wert sind.