Die Busse waren rammelvoll, Schüler sind bei schlechtem Wetter einfach den ganzen Tag im Bus herumgefahren und gar nicht mehr ausgestiegen. Es kostet ja nichts!
Inzwischen ist das wieder anders: Die Jahreskarte kostet 44 €. Die Fahrgastzahlen sind konstant hoch. Im Ergebnis: ein preisgünstiger, aber kein kostenloser ÖPNV, weil das zu unwirtschaftlich wäre.
Ein weiteres Beispiel ist Wien. Die Jahreskarte in der österreichischen Hauptstadt kostet 365 €. Für einen Euro am Tag ist man im gesamten Stadtgebiet unterwegs. Die Jahreskarte lohnt sich jedoch nur für Vielfahrer, die täglich mit dem ÖPNV zur Arbeit pendeln müssen. Aber auch das ist eben nicht kostenfrei. Der ländliche Raum im Wiener Umland profitiert davon nicht.
Natürlich gibt es auch schon einige schlaue Experten, die Vorstellungen dazu haben, wie man solche Projekte wie einen kostenfreien ÖPNV finanzieren kann. So schlägt der Berliner Verkehrsexperte Heinrich Strößenreuther vor, die Bundesregierung sollte das Wiener Ein-Euro-Modell für ganz Deutschland übernehmen. Um das zu finanzieren, würde Strößenreuther die Steuervergünstigungen für Dieselautos streichen. Dadurch würden jährlich Mittel in Höhe von 7 Milliarden € bis 8 Milliarden € frei.
Für die AfD-Fraktion ist klar, dass die Streichung der Steuervergünstigungen für Dieselautos keine Alternative sein kann.
Menschen, die Dieselautos fahren, sind Vielfahrer. Sie benötigen ein Dieselfahrzeug, weil sie zur Arbeit pendeln müssen, ob aus den ländlichen Gebieten in die Ballungsräume oder von Ost nach West.
Die Zahl der Pendler steigt ständig. Im Jahr 1999 pendelten 308 000 Arbeitnehmer von Ost nach West, im Jahr 2016 pendelten schon 408 000 Arbeitnehmer von Ost nach West. Ausgerechnet diese Menschen würde man mit der Streichung des Steuervorteils belasten; sie hätten am Monatsende weniger Geld in der Tasche. Darum ist es schon fast eine Frechheit, eine solche Forderung zu stellen, eine solche Maßnahme in Erwägung zu ziehen, meine Damen und Herren.
Schlussendlich ist zu sagen: Solange es keinen Finanzierungsansatz gibt, der niemanden benachteiligen würde, ist die Forderung nach einem kostenfreien öffentlichen Personennahverkehr reine Utopie, nichts weiter. - Ich danke Ihnen.
Danke, Herr Präsident. - Herr Büttner, Sie sprachen gerade davon, dass wir hierzu keinen Vorschlag in Bezug auf irgendeine Gegenfinanzierung oder Ähnliches gemacht haben. Ich habe in diesem Kontext einmal eine Frage an Sie, die Sie ja die Straßenausbaubeiträge abschaffen wollen: Warum haben Sie denn keinen Vorschlag dazu gemacht, wie das refinanziert werden soll?
Ich kann Ihnen darauf eine Antwort geben. Ich werde in der Rede, die ich dazu halten werde, natürlich darauf eingehen, wie man die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge umsetzen könnte. Und erinnern Sie sich daran, dass wir in der Vergangenheit auch einen alternativen Haushaltsplan in dieses Parlament eingebracht haben, in dem wir klar und deutlich Verschiebungen von Finanzen vorgestellt haben, die auch Sinn machen.
Wenn Sie in Ihrem Antrag einen Vorschlag gemacht hätten, der etwa darauf hinauslaufen würde, die Asylkosten in Höhe von 600 Millionen €, die wir in Sachsen-Anhalt im Haushaltplan für die Jahre 2017 und 2018 vorgesehen haben, zu reduzieren, dann könnte ich mir sogar vorstellen, dass Ihr Antrag in unserer Fraktion etwas besser aufgenommen worden wäre. Aber das ist leider nicht passiert.
Ich sehe keine weiteren Nachfragen, deswegen können wir nunmehr in der Debatte der Fraktionen fortfahren. Für die SPD-Fraktion hat der Abg. Herr Dr. Grube das Wort.
Herr Präsident! Hohes Haus! Es gibt verschiedene Blickwinkel, unter denen man das Thema ticketfreier Nahverkehr betrachten kann. Heute reden wir über die ökologischen Aspekte dieses Konzepts. Auslöser der Aktuellen Debatte war die Ankündigung der Bundesregierung, dem drohenden Fahrverbot bei Dieselfahrzeugen mit Modellprojekten entgegenzutreten. Das war ein Schnellschuss, wie wir zugeben müssen, weil bis heute kein Mensch weiß, wie Berlin sich das vorstellt.
Das hört sich zwar gut an: Wir machen den ÖPNV kostenfrei, dann fahren alle mit Bus und Bahn, dann gibt es weniger Abgase, dann werden die Grenzwerte eingehalten und alles ist wieder im
grünen Bereich. - Das ist ja so das Geschäftsmodell, der Grundgedanke dahinter. Aber stimmt das auch? Und wenn das stimmt - ist das überhaupt bezahlbar? Und wenn das stimmt und wenn das bezahlbar ist - passt das überhaupt in alle Lebenslagen? Ist das überhaupt für jede und jeden im Arbeits- und Lebensalltag praktikabel?
Ich habe, wie alle anderen Rednerinnen und Redner sicherlich auch, in den letzten Tagen viel dazu gelesen, und ich habe dazu ein sehr gutes Papier gefunden, nämlich beim VCD. Das Papier heißt: „ÖPNV zum Nulltarif - Möglichkeiten und Grenzen“. Das Papier selbst stammt aus dem Jahr 2012; die Zahlen sind also überholt, die Grundüberlegungen allerdings nicht.
Für diejenigen Kolleginnen und Kollegen des Hohen Hauses, die nicht so oft in der Verkehrspolitik unterwegs sind: Der VCD, der Verkehrsclub Deutschland - es gibt ihn seit 1986 -, versteht sich als gemeinnütziger Umweltverband für eine umwelt- und sozialverträgliche, sichere und gesunde Mobilität. Er strebt ein sinnvolles Miteinander aller Verkehrsmittel an und versteht sich als die Interessenvertretung für alle umweltbewussten mobilen Menschen sowie als ökologisches Korrektiv der aktuellen Verkehrspolitik.
Warum sage ich das so ausführlich? - Als ich das Papierchen gefunden habe, habe ich vor Beginn der Lektüre ein Hohelied auf den kostenlosen, also steuerfinanzierten ÖPNV erwartet. Zu meiner Überraschung ist es das aber nicht; denn der VCD bewertet das eher kritisch. Ich werde Sie jetzt mit einigen Zitaten und Überlegungen aus dem Papier unterhalten. Erstes Zitat:
„Motorisierter Verkehr erzeugt Kosten für Betrieb und Bau sowie Unterhalt von Infrastruktur und für externe Effekte. Auch der öffentliche Verkehr ist motorisierter Verkehr mit negativen gesellschaftlichen Auswirkungen wie mehr Umweltbelastung und weniger Lebensqualität für die Menschen.
Steuerfinanzierter, nicht nutzerfinanzierter kostenloser ÖPNV ist gegenüber dem umweltfreundlichen Alternativverkehr mit Fuß und Fahrrad relativ zu billig, diese Verkehrsarten werden im Verhältnis unattraktiver. […] [Das] führt zu einer überproportionalen Verlagerung von Aktivverkehr“
„in Richtung ÖPNV. Steuerfinanzierter Nulltarif kann letztlich zu mehr motorisiertem Verkehr und mehr Emissionen führen, was aus gesellschafts- und umweltpolitischen Gründen nicht vertretbar ist.“
„Die in allen Städten mit kostenloser Nutzung des ÖPNV beobachtete Ausweitung der Verkehrsleistung des ÖPNV“
- die Zahlen wurden schon genannt; es gibt dazu unterschiedliche Erwartungshaltungen, zwischen 20 und 30 % -
„ […] [Es] lässt sich vermuten, dass es unter Umständen zu größeren Verlagerungseffekten vom Aktivverkehr als vom MIV auf den ÖPNV kommt, was zu einer umweltpolitisch nicht vertretbaren Fehlsteuerung hin zu mehr Verkehrsemissionen führt und damit die mit dem Instrument in der Regel verfolgten Klima- oder Umweltforschungsziele verfehlt. Beim steuerfinanzierten Nulltarif ist es […] wahrscheinlich, dass der häufig besonders belastende Einpendlerverkehr nicht oder nur zum Teil auf den ÖPNV verlagert werden kann.“
Ich nenne als Beispiel - das wurde vorhin schon bei einem anderen Thema der Aktuellen Debatte angeführt - die Paracelsusstraße. Führt ein kostenloser ÖPNV in Halle dazu, dass die Paracelsusstraße weniger belastet wird? - Wahrscheinlich nicht.
„Dies kann dadurch verhindert werden, dass der Gültigkeitsbereich des Nulltarifs auf die Umlandgemeinden ausgedehnt wird oder am Stadtrand attraktive Umsteigeangebote für MIV-Nutzer, zum Beispiel durch […] P+R-Anlagen, geschaffen werden.“
Der Verkehrsausschuss fährt Ende Mai 2018 nach Tallinn, das immer als Modellstadt für den kostenlosen ÖPNV angeführt wird. Wir werden uns das ansehen. Ich möchte aber schon jetzt sagen, dass das Modell in Tallinn den einen oder anderen Haken hat.
Der erste Haken ist: Man muss sich anschauen, wie sie das finanzieren. Der kostenlose ÖPNV in Tallinn wird dadurch finanziert, dass die Leute aus den Umlandgemeinden sich in der Stadt angemeldet haben und dass die Einkommensteueranteile, die sonst in die umliegenden Gemeinden geflossen wären, in die Stadt Tallinn geflossen sind. Das führt auf der einen Seite dazu, dass die Stadt sogar ein Plus von 12 Millionen € zu verzeichnen hat, trotz des kostenlosen ÖPNV. Das führt auf
Meine Damen und Herren! Das ist natürlich kein Geschäftsmodell und das ist - by the way - auch mit dem deutschen Melderecht nicht kompatibel.
Als Zweites sollte man, wenn man denn eine Steuerungswirkung hin zum ÖPNV und weg von den Autos haben will, wissen: In Tallinn kostet das Parken in der Stunde 6 €. Das müsste man dann hier auch machen. Ich weiß nicht, wer von Ihnen so etwas in einer Bürgerversammlung einmal als Beiwerk zum steuerfinanzierten ÖPNV erwähnt hat. Ich fürchte, der Beifall wäre weniger enthusiastisch, als wenn man nur den ersten Teil erzählte.
Jetzt zur Frage der Finanzen. Wir haben es mit größeren Dimensionen im Hinblick auf die Kosten zu tun. Für Hamburg werden 800 Millionen € genannt. Ich möchte einmal sagen, was wir für den Landeshaushalt bereitstellen müssten, wenn wir nur das substituieren müssten, was wir heute an Einnahmen in Sachsen-Anhalt haben. In Magdeburg sind das Kosten in Höhe von ungefähr 29 Millionen € - runden wir auf 30 Millionen € auf, damit es glatt ist -, in Halle von 40 Millionen €. Für die anderen, für die Landkreise und für DessauRoßlau, habe ich die Zahlen nicht gefunden; dafür würde ich jetzt einmal ganz konservativ 5 Millionen € ansetzen - das ist mit Sicherheit zu wenig. Insgesamt sind wir damit bei 130 Millionen € für den Landeshaushalt.
Oder blicken wir auf den Bund: 12,8 Milliarden €. Das klingt erst einmal nach relativ wenig, aber wenn man weiß, dass im Koalitionsvertrag der Großen Koalition 40 Milliarden € umverteilt werden - 30 Milliarden € werden ausgegeben, 10 Milliarden € kosten die Entlastungen vom Solidaritätszuschlag -, dann weiß man, dass das in vier Jahren dieser Summe entspricht. Wenn man 12,8 Milliarden € mit vier multipliziert, dann ist man bei 50 Milliarden €. Das wären also 10 Milliarden € mehr als das, was jetzt quasi verteilt wird.
Aus unserer Sicht ist das nicht finanzierbar, zumal das nur die Kosten für den Betrieb umfasst. Dabei sind keine Rücklagen für Investitionen berücksichtigt; die kämen alle noch on top. Etwas, das auch noch on top käme, wären die ganzen Kosten für die Angebotserweiterung, die natürlich zwingend notwendig wäre. Denn wenn man das steuerfinanziert macht, dann muss jeder die Möglichkeit haben, am ÖPNV teilzuhaben. Ob sich die Summe dann verdoppelt, das kann ich nicht sagen, aber vervielfachen würde sie sich. Am Ende gilt dann das Prinzip: Es ist nicht kostenfrei. Denn das Geld muss eben woanders herkommen.
Kommen wir zu einer Finanzierungsart, die heute noch nicht so richtig, sondern nur ein bisschen angesprochen worden ist; denn in Wien macht man das im Prinzip so. Kommen wir zum Thema Nahverkehrsabgabe. Nahverkehrsabgabe bedeutet, es gibt eine Pflichtabgabe für jede Bürgerin und jeden Bürger, und daraus wird dann der ÖPNV finanziert.
Ich habe einmal die Zahlen für Magdeburg mitgebracht. Wir haben Aufwendungen in Höhe von 64 Millionen € im Jahr, Ticketverkauf 29 Millionen €, die Fahrgeldsurrogate, also das, was an Zuschüssen, für Schülerbeförderung usw.,
kommt, machen 4,3 Millionen € aus. Das würde bedeuten, wir reden, wenn wir den Stand von 2016 pro Einwohner heranziehen, von knapp 12 € ohne Surrogate und von 13,50 € mit Surrogaten. Das müsste also jeder zahlen, wenn man nur die Einwohner über 18 Jahren berücksichtigt. Dabei geht es um einen Pro-Kopf-Betrag. Das heißt, je mehr Leute über 18 Jahren in einem Haushalt leben, desto teuer würde das.