Insofern empfand ich es als sehr spannend, von einer Studie aus Kassel zu erfahren, die die kommunalen Ausgaben für Autoverkehr als dreimal höher als diejenigen für den ÖPNV beziffert. Diese kann ich allen Kolleginnen und Kollegen, die nicht so engagiert nicken wie der Kollege dort hinten, sehr empfehlen. Selbst die Autorinnen und Autoren dieser Studie waren von den doch sehr klaren Mehrausgaben sehr überrascht.
Natürlich kann man keine umfängliche Debatte für mehr ÖPNV und saubere Luft führen, ohne das Fahrradfahren und die Radinfrastruktur wenigstens zu erwähnen. Es ist kein Allheilmittel, aber ein weiterer Baustein der Lösung. Wenn mehr Menschen vom Auto auf das Rad umsattelten, brauchten wir über Fahrverbote nicht zu diskutieren.
Wenn der Bund scheinbar händeringend nach Ideen sucht, kann er gerne eine Neukaufprämie für Fahrräder ausloben oder die Förderung von Radschnellwegen forcieren oder die Förderung für emissionsfreie Busse und Straßenbahnen erhöhen.
Abschließend sei zusammengefasst: Ticketfreier Nahverkehr mit für alle erschwinglichen Preisen als Teil der Daseinsvorsorge ist eine anzustrebende Vision. Vorher müssen wir allerdings die Qualität des ÖPNV noch deutlich erhöhen. An engerer und verlässlicher Taktung Tag und Nacht, flexiblen Haltestellen unter Nutzung modernster IT-Systeme und komfortablen Zubringern müssen wir alle als Verantwortungsträger arbeiten. - Vielen Dank.
Ich sehe keine Fragen zur Einbringung. Deswegen hat jetzt als Nächster für die Landesregierung Minister Herr Webel das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich freue mich, dass der Landtag heute über ein wichtiges Zukunftsthema im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs debattiert. Ob und wie ein fahrscheinloser ÖPNV gestaltet werden kann, ist mitentscheidend dafür, wie gut der ÖPNV in unserem Lande auch in Zukunft angenommen wird.
Gerade deshalb, weil dieses Thema so wichtig ist, sollten wir in der heutigen Debatte darauf achten, dass nicht verschiedene Themenkomplexe ver
mischt werden. Das würde uns nämlich gerade nicht dem Ziel näherbringen, einen attraktiven Nahverkehr nachhaltig zu sichern, in den Städten, aber auch im ländlichen Raum.
Bevor wir ernsthaft über eine Umstellung auf einen kostenlosen Nahverkehr nachdenken können, müssen jedoch die Bedingungen klar sein: Der Bund müsste die Länder und Kommunen entsprechend ausstatten. Dabei geht es um mindestens 13 Milliarden € pro Jahr. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie die Verteilungsfrage in Berlin am Ende entschieden werden wird. Es wäre aus meiner Sicht sehr fatal, wenn das ohnehin sehr gute ÖPNV-Angebot in den Ballungsräumen auf Kosten des Nahverkehrsangebots in der Fläche gestärkt werden würde.
Ich denke in diesem Zusammenhang an die Diskussionen um die Verteilung der Regionalisierungsmittel. Hier wurden insbesondere die ostdeutschen strukturschwachen Länder massiv benachteiligt, indem uns zugedachte Mittel in Höhe von 4 Milliarden € bis zum Jahr 2030 von den neuen Ländern in die alten Länder umverteilt worden sind.
Aber ein komplett kostenloser Nahverkehr wäre auch ein Systemwechsel, bei dem ich einige Risiken sehe. Ich habe mit den Verbänden und den Verkehrsunternehmen in Sachsen-Anhalt gesprochen und von denen keine Forderungen gehört, dass wir in absehbarer Zeit über einen solchen Systemwechsel ernsthaft diskutieren sollten. Im Gegenteil, die Verkehrsverbände haben signalisiert, dass sie einen attraktiven ÖPNV wollen, aber eben keinen kostenlosen.
Der Bund hat angekündigt, den ÖPNV zu stärken und dafür zusätzliches Geld bereitzustellen. Dies begrüße ich ausdrücklich. Das gilt auch für die Ankündigung des Bundes, die Möglichkeit von unentgeltlichem ÖPNV im Rahmen von Modellprojekten in ausgewählten Modellstädten zu testen. Wir werden die Bundesregierung beim Wort nehmen und natürlich die Städte dabei unterstützen, sich an solchen Modellprojekten zu beteiligen.
Nun sind da die fünf Modellstädte genannt worden; keine einzige davon liegt in Ostdeutschland. Frau Lüddemann hat zu Recht darauf hingewiesen, dass man auch Halle hätte benennen können. Aber der Bund hat die Städte dafür ausgewählt, vielleicht ohne im Vorfeld mit ihnen selbst zu reden; denn die Begeisterung der Städte - so konnte ich aus den Medien vernehmen -, sich an diesem Modellprojekt zu beteiligen, hielt sich in Grenzen.
Am Ende braucht jedes attraktive ÖPNV-System permanente Investitionen. Wenn diese Investitionen bei einem Nulltarif ausbleiben sollten, drohte
den Nutzerinnen und Nutzern langfristig eine Ausdünnung des Angebots oder ein Investitionsstau. Weil wir eine solche Entwicklung verhindern wollen, werden wir beim Bund ausloten, wie wir gezielt zusätzliches Geld für die Beschaffung von Fahrzeugen, die Ertüchtigung der Eisenbahn- und Straßenbahninfrastruktur sowie für ein bedarfsgerechtes Verkehrsangebot bereitstellen können.
Bei der Straßenbahninfrastruktur ist der Bund ja bereit, im Rahmen des GVFG-Programms zusätzliches Geld auch über das Jahr 2025 hinaus bereitzustellen. Es sind 60 % der Mittel, die dafür vom Bund bereitgestellt werden und die von den Ländern mit 30 % kofinanziert werden müssen; 10 % verbleiben dann beim Träger. Wir durften ja schon die Diskussion über die zukünftige 30-prozentige Bereitstellung dieser Mittel erleben.
Es ist auch ganz wichtig, dass wir uns dabei im Klaren darüber sind, dass der Bund seine Förderbedingungen nicht ändern wird, sodass wir uns als Land, sollten wir Straßenbahninfrastruktur weiter fördern wollen, an der Finanzierung dessen beteiligen müssen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Viele Untersuchungen belegen, dass der Aspekt der Preishöhe für die Intensität der Nutzung des ÖPNV eine eher untergeordnete Bedeutung hat. Am stärksten bestimmt die Attraktivität des Angebots über die zu erwartende Nutzung. Das heißt, entscheidend ist nicht der Preis eines Tickets, sondern der Fahrplan. Vor allem die Reisezeit und die Angebotsdichte sind ausschlaggebend, aber auch das Angebot von günstigen FlatTarifen für regelmäßige Nutzer des ÖPNV, also einer Monats- und Jahreskarte. Frau Lüddemann hat bereits die Kosten für Sachsen-Anhalt genannt.
Zweifellos führt die Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln für ein größeres und besseres ÖPNV-Angebot zu einem deutlich höheren Anteil des ÖPNV im Modal Split. Die Aufgabenträger brauchen dafür mehr und leistungsfähigere Fahrzeuge und natürlich auch eine gute Infrastruktur. Genau daran arbeiten wir als Landesregierung.
Zudem kann auch eine unübersichtliche Tarifgestaltung hemmend auf die Nutzung des ÖPNV wirken. Wir und die Nasa arbeiten an einer Tarifvereinfachung mit besonderem Engagement; denn dies sehen auch wir als Hemmnis für eine Nutzung des ÖPNV.
Mit Investitionen in den ÖPNV einerseits und mit dem Hinwirken auf eine attraktive Tarifgestaltung und einen vereinfachten Zugang zum System ÖPNV andererseits verbessert die Landesregierung die Attraktivität des ÖPNV insgesamt. Wir wollen zufriedene Nutzerinnen und Nutzer. In welcher Form diese dann ihr Ticket lösen, ist weniger wichtig als ein breites Fahrplanangebot und
Ich sehe auch hierzu keine Fragen. Deswegen können wir nunmehr in die Debatte der Fraktionen einsteigen.
Bevor allerdings für die Fraktion DIE LINKE Herr Henke das Wort erhält, der gleichzeitig den Antrag, der vorhin genannt wurde, einbringen wird, begrüßen wir ganz herzlich auf unserer Zuschauertribüne sitzende Schülerinnen und Schüler des Dr.-Frank-Gymnasiums aus Staßfurt. Herzlich willkommen!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst eine Vorbemerkung. Frau Lüddemann, bei Ihren Ausführungen habe ich wieder einmal gemerkt, dass wir ganz dicht beieinander sind. Das hat mich nicht überrascht; aber ich danke Ihnen ausdrücklich dafür.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war ein zeitliches Zusammentreffen: Am 13. Februar dieses Jahres berieten Abgeordnete unserer Fraktion mit Vertretern der Nasa und des MDV die Fragen der künftigen Finanzierung des ÖPNV. In dieses Gespräch platzte dann die Meldung, dass drei Bundesminister den besagten Brief an die EU-Kommission geschrieben und die Erprobung eines sogenannten kostenfreien ÖPNV vorgeschlagen hätten.
Wir wissen, die vorgesehenen Modellstädte waren davon überrascht; sie waren nicht einbezogen worden. Dennoch schien sich in diesem Moment ein Fenster zum fahrscheinlosen ÖPNV zu öffnen, ein von uns LINKEN seit Jahren diskutierter Vorschlag, der ein sehr komplexes und - ja, Herr Minister - ein sehr langfristiges Herangehen erfordert.
Nun schien sich dieses Fenster schon am 26. Februar wieder zu schließen; denn der Bonner Oberbürgermeister hatte nach einem Gespräch mit dem Bundesumweltministerium feststellen müssen, dass das so nicht funktioniert, es sei unrealistisch und zu teuer. Zudem warf er die Frage auf, wer für die Kosten aufkommen solle. Diese Frage blieb offen, und das erklärt auch, weshalb Kommunen und auch Sozialverbände sich hierzu sehr kritisch äußerten.
Nur einen Tag später erfolgte dann die berühmte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, und spätestens hieran sollte jedem von uns etwas
ganz Grundsätzliche klar geworden sein: Wir benötigen deutlich mehr als eine blaue Plakette oder einen Oldtimer-Status für alte Dieselfahrzeuge. Wir benötigen eine Verkehrswende.
An dieser Stelle wollen wir mit unserem Antrag ansetzen. Wer heute noch die unvermeidbare Verkehrswende ablehnt, hat nichts so richtig verstanden.
Schauen Sie sich unseren Antrag genau an. Uns fehlt saubere Luft. Wir haben nicht genügend Platz in den Städten. Da helfen auch kein E-Auto und kein Aufstocken bei den Ladesäulen. Uns fehlt eine garantierte Mobilität für alle Menschen in Stadt und Land, und das rund um die Uhr.
Aber was erleben wir stattdessen? - Die designierte GroKo möchte das Problem auf die Kommunen und auf die Verkehrsteilnehmer abwälzen; sie will die heilige Automobilindustrie aus der Pflicht entlassen, auf eigene Kosten nachzubessern. Noch schlimmer: Der zynische Hinweis der Autolobby, die Kunden mögen sich doch bitte neue Autos kaufen und der Staat solle dies bitte, wie gehabt, subventionieren, erfährt keine regierungsoffizielle Abfuhr.
Und noch schlimmer: Laut Umweltbundesamt verursachen moderne Dieselfahrzeuge zwar weniger CO2, aber einen höheren Stickoxidausstoß. Das hat übrigens das gleiche Umweltbundesamt festgestellt, das nun hell- und dunkelblaue Plaketten ausgeben will. Der designierte Bundesverkehrsminister Scheuer lehnt die blaue Plakette ab - also freie Fahrt ins Blaue oder doch gleich in die HerzLungen-Klinik.
Für uns LINKE gilt: Die Verursacher der Gesundheitsgefährdung und nicht die Opfer müssen die Kosten tragen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist eine über Jahrzehnte erfolge Stadtplanung aus der Autofahrerwindschutzscheibenperspektive. Heute sind wir in der Landes- und Stadtentwicklung klüger, nur gibt es hier auch noch viele Baustellen: im Bauen, aber auch im Denken und Planen. Das beginnt bei der Vermeidung von Verkehr. Wir meinen hierbei das Gegenteil von Verboten. Wie kann es gelingen, die Notwendigkeit, ja die Unvermeidbarkeit von Fahrten mit dem privaten Pkw zu ändern?
Das wird nur flächendeckend möglich sein; im wörtlichen Sinne für Stadt und Land, und zwar bundesweit und anstelle eines kommunalen Flickenteppichs mit verwirrenden Fahrpreissystemen und ausgedünnten Streckennetzen oder längeren Taktzeiten. Es muss ein Gesamtkonzept geschaffen werden, in dem sich alle Träger des ÖPNV wie auch die Verkehrsunternehmen wiederfinden. Das ist deutlich mehr, liebe Koalition, als Ihre Bittgesuche im Alternativantrag. Ja, Sie schreiben nichts Falsches, nur, es genügt nicht.
Vor diesem Hintergrund sind die Aufforderungen in unserem Antrag zu sehen. Nach einer Umfrage von Infratest dimap befürwortet ein Anteil von mehr als 70 % der Bevölkerung einen kostenfreien Nahverkehr.