Protocol of the Session on March 8, 2018

Frauenquote: Nein, danke! Das war meine Reaktion, als ich mit 18 Jahren begann, politisch aktiv zu werden. Mein unumstößlicher Grundsatz als 18-Jährige: Ich werde mit dem überzeugen, was ich kann, und ich muss besonders gut sein, um etwas zu erreichen. Heute, mehr als 20 Jahre später, sage ich: Ohne Frauenquote geht es nicht. Kein Mann - kluge Ausnahmen mag es auch hier geben - teilt seine Macht mit einer Frau oder gibt sie gar an eine Frau ab.

Dieser Satz mag für einige überspitzt klingen, ist in seiner Grundintention allerdings traurige Wahr

heit. Zahllose Studien und nackte Zahlen beweisen das. Und, Frau Landtagspräsidentin, ich war ehrlich begeistert, als Sie anlässlich der Veranstaltung zum Frauentag des Gleichstellungsministeriums letzte Woche mit fast den gleichen Worten das Erfordernis der Frauenquote ansprachen. Es ist gut, Sie bei diesem Thema an unserer Seite zu wissen.

Schauen wir noch einmal hier in unser Parlament. Frau Lüddemann tat es auch schon. 87 Mitglieder finden hier Platz. Von diesen 87 sind gerade mal 19 weiblich, das entspricht einem Anteil von knapp 22 % - ein gleichstellungspolitischer Tiefpunkt in der Geschichte unseres Parlaments seit einem Vierteljahrhundert.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Prof. Dr. Angela Kolb-Janssen, SPD, und von Dr. Katja Pähle, SPD)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, nun stelle ich mir einmal vor, eine Gruppe weiblicher Abgeordneter, überfraktionell, würde einen Gesetzentwurf zum Parité-Gesetz für Sachsen-Anhalt einbringen. Wie würden die 78 % männlicher Kollegen abstimmen, von denen einige wüssten - um die 20, etwas mehr -, dass für sie im nächsten Parlament kein Stuhl mehr frei wäre?

Nun ja, soweit wird es in dieser Wahlperiode nicht kommen, meine Herren. Es gibt im Koalitionsvertrag lediglich einen Prüfauftrag, und ich sehe in dieser Wahlperiode hier noch keinen Gesetzentwurf, zumindest seitens der Koalition, eingebracht.

Ich begrüße es natürlich sehr, dass die sozialdemokratischen Frauen in Sachsen-Anhalt sich erneut dafür eingesetzt haben, ein Parité-Gesetz für Bund und Land zu fordern. Gleiches ist schon lange Beschlusslage bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und auch in unserer Partei.

Nun gibt es immer wieder die Erzählung: Frauen müssten nur wollen, dann kämen sie schon in die gewünschten Positionen. Nun ja, das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn viele von uns haben sicherlich schon von der gläsernen Decke gehört bzw. sie selbst berührt.

Meine Fraktion hat daher auch, um diese These genauer zu beleuchten, eine Große Anfrage zum Thema Lebenssituation von Mädchen und Frauen in Sachsen-Anhalt eingereicht.

(Siegfried Borgwardt, CDU: 177 Fragen!)

Der Fristverlängerung zur Abgabe der Antwort stimmen wir übrigens zu.

(Siegfried Borgwardt, CDU: 177 Fragen! Können Sie sich das vorstellen?)

- 177 kluge Fragen, und wir sind gespannt auf die Antworten

(Zustimmung von Monika Hohmann, DIE LINKE)

der Landesregierung und wollen uns sodann gemeinsam mit Ihnen der Diskussion stellen, was in unserem Land zu tun ist, um dem Anspruch von Artikel 3 des Grundgesetzes tatsächlich gerecht zu werden. Dies gilt im Übrigen selbstverständlich für beide Geschlechter.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich halte diesen Anspruch für umso wichtiger, weil wir uns in einer Zeit befinden, in der Populisten und völkisch Denkende nicht überraschend die Geschlechterpolitik für sich entdeckt haben und die Deutungshoheit über deren Wertigkeit und vor allem über deren Sinnhaftigkeit beanspruchen.

Lassen Sie uns gemeinsam, demokratische Männer und demokratische Frauen, das Grundrecht aus Artikel 3 solidarisch verteidigen, gerade und erst recht zum 100. Geburtstag des Frauenwahlrechts und kurz vor dem 70. Geburtstag unseres Grundgesetzes und natürlich damit auch von Artikel 3 des Grundgesetzes in der heutigen Form und dem darin enthaltenen Gleichstellungsauftrag an den Staat.

Helene Weber, heute auch schon zitiert, eine der Mütter des Grundgesetzes und Mitglied der CDU, sagte einst:

„Die Frau muss in der Politik stehen und muss eine politische Verantwortung haben.“

Deshalb sagt DIE LINKE ganz klar und selbstverständlich: Gleichstellung von Mann und Frau bedeutet eine paritätische Besetzung aller Gremien.

Ich sah kürzlich den Film „Die Verlegerin“, einen Film über die 60er-Jahre mit vielen, vielen wichtigen Botschaften. Die Protagonistin sagte darin den denkwürdigen Satz: Wenn eine Frau versucht zu predigen, ist es, als wenn ein Hund versucht, auf den Hinterbeinen zu laufen. Alle wundern sich, dass es überhaupt geht.

Nun könnte man meinen, dass diese Zeiten doch längst Geschichte sind. Doch wenn mir ein männlicher Kollege sagt, Bilanzen seien doch nichts für Frauen, weil darin keine Bilder seien, oder wenn mich ein männlicher Kollege anlässlich einer Debatte zum Thema sexuelle Belästigung fragt, ob ich zum Lachen in den Keller gehe, dann wird mir bewusst: Es ist gut, dass Frauen vor 100 Jahren das Recht auf Teilnahme an Wahlen erstritten haben. Und es ist an uns, dieses Erbe zu verteidigen; denn alte Denkmuster überleben Generationen

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

und alte Denkmuster werden vor allem gern gepflegt, wenn sie einer Gruppe von Menschen - hier namentlich Männern - hilft. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN - Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Abg. von Angern. Es gibt keine Anfragen. - Somit kommen wir zur letzten Debattenrednerin. Für die CDU-Fraktion spricht die Abg. Frau Gorr. Sie haben das Wort. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich bin sehr froh über das Thema der Aktuellen Debatte „100 Jahre Frauenwahlrecht - Auftrag für die Gegenwart“ am heutigen internationalen Frauentag.

Das ist ein Tag, den ich normalerweise nicht hier im Parlament in Magdeburg verbringe, sondern zu Hause in meinem Wahlkreis - mit aktiven Frauen, denen es zuallererst einmal Danke zu sagen gilt für ihr vielfältiges Engagement,

(Zustimmung bei der CDU)

sei es in der Familie zwischen Kinderbetreuung und Altenpflege, sei es als Unternehmerin, als Pflegekraft, Erzieherin oder Krankenschwester, sei es als Politikerin oder im Ehrenamt.

Ebenso bin ich froh, dass ich als frauenpolitische Sprecherin für die CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt zu diesem Thema sprechen darf, bin ich doch - neben unserer ersten weiblichen Landtagspräsidentin Frau Brakebusch - die letzte verbliebene weibliche Abgeordnete in der mit 31 Mitgliedern stärksten Fraktion in diesem Hohen Hause.

(Zustimmung bei der CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren! Seit 100 Jahren genießen Frauen in Deutschland das aktive und das passive Wahlrecht. Wir dürfen wählen und gewählt werden. Aber müssten wir nicht gleich über die Wortwahl „genießen“ und „dürfen“ stolpern? Aus heutiger Perspektive scheint das selbstverständlich zu sein. Wir machen rechtlich keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern.

Lange Zeit war das jedoch nicht selbstverständlich. Das Wahlrecht musste hart erkämpft und gegen eine Reihe von Vorurteilen durchgesetzt werden. So wurde Frauen damals verminderte Intelligenz zugesprochen - eine Äußerung, die ich mir in lockerer Runde von einem Parlamentarier dieses Parlaments immerhin noch im Jahr 2008 - also 90 Jahre nach der Erkämpfung des Wahlrechts - anhören musste.

(Andreas Steppuhn, SPD: Von Ihrer eige- nen Partei!)

Sehr geehrte Damen und Herren! Mit Inkrafttreten des Reichswahlgesetzes im November 1918

konnten Frauen am 19. Januar 1919 zum ersten Mal reichsweit die verfassungsgebende Nationalversammlung wählen und selbst gewählt werden - und das taten sie. Die Wahlbeteiligung der Frauen lag damals bei 82 %. Von den über 400 gewählten Abgeordneten waren 37 Frauen. Dies entspricht einem Frauenanteil von knapp 9 %; wir hörten es schon. Das mag wenig klingen. Diesen Anteil erreichte man jedoch erst - man Schrägstrich frau müsste ich eigentlich sagen - 1983, also 64 Jahre später, im 10. Bundestag, erneut. Wir liegen mittlerweile mit einem Frauenanteil von fast 31 % im Deutschen Bundestag und inzwischen knapp 22 % hier im Landtag darüber. Aber, meine Damen, spiegelt das unsere Gesellschaft wider?

Schaut man sich beispielsweise den Human Development Report der Vereinten Nationen von 2016 an, der ein Wohlstandsindikator für Staaten weltweit ist, muss man bei dem Index, der sich mit der Geschlechterungerechtigkeit zwischen Frauen und Männern beschäftigt, feststellen, dass

Deutschland zwar grundsätzlich, was die Entwicklung betrifft, weit oben mitspielt; wir werden aber von Ländern wie Ruanda und Bolivien deutlich überholt, was die Sitzverteilung von Frauen in den Parlamenten betrifft.

Wie schaffen es diese Länder, die Frauen in die Politik zu holen? Sind wir in Deutschland möglicherweise zu bequem, weil hier alles selbstverständlich ist? Oder kann man sagen, dass die aktive Wahlbeteiligung und die aktive politische Betätigung der Frauen abnehmen, je selbstverständlicher das Recht mitzubestimmen heute ist?

Ich sehe gerade, dass meine Zeit etwas schnell vergeht, deshalb lasse ich eine Passage weg.

Glücklicherweise müssen wir in Deutschland zwar keine Debatten mehr darüber führen - -

Frau Kollegin Gorr, das ist jetzt etwas irritierend. Die Zeit läuft ganz normal weiter.

Ja, aber ich habe noch viel zu sagen, was ich jetzt leider weglassen muss.

Das ist dann Ihr Problem.

Das muss ich dann an anderer Stelle sagen. So war das gemeint, Frau Präsidentin.

Glücklicherweise müssen wir in Deutschland zwar keine Debatten mehr darüber führen, ob Frauen wählen dürfen oder nicht. Gleichwohl gilt es, weiterhin für die Gleichstellung von Frauen und Män

nern einzutreten und noch bestehende Ungerechtigkeiten auszugleichen; denn auch heute noch sind Frauen in gesellschaftlichen Führungspositionen in Wirtschaft, Wissenschaft und insbesondere auch Politik, wie die eingangs genannten Zahlen belegen, deutlich unterrepräsentiert.

Wir müssen uns fragen: Wie kommen Frauen eigentlich in die Politik? Wie können wir junge Frauen dazu bewegen, selbst etwas in der Politik bewegen zu wollen? Welche Anreize können wir schaffen? Was hindert junge Menschen, aber vor allem junge Frauen daran, sich politisch zu engagieren und vielleicht sogar Mandate anzustreben?

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! In einer lebendigen Demokratie bedarf es einer möglichst umfassenden Beteiligung von Frauen und Männern gleichermaßen sowohl in politischen als auch in wirtschaftlichen und sozialen Belangen. Wo also liegt das Problem?