Auch auf diesem Feld ist es wieder versäumt worden, junge und gut ausgebildete Menschen über die Ansiedlung von Institutionen nach Ostdeutschland zu holen und so die demografische Entwicklung und den Braindrain zu beeinflussen.
Sachsen-Anhalt hat sich als Land der erneuerbaren Energien einen Namen gemacht. Das geplante Fraunhofer-Institut für Speichertechnologien könnte bei uns einen würdigen Platz finden. Weißenfels mit der Nähe zur Versuchsanlage Bad Lauchstädt bietet sich förmlich an.
Noch ein sozialpolitisches Beispiel: die DDR-Rentenungerechtigkeit. Es ist schön, wenn die ostdeutschen Länder bei den Erstattungen von Ansprüchen aus den Sonder- und Zusatzversorgungssystemen entlastet werden. Zudem soll für Härtefälle in der Grundsicherung Ausgleich durch eine Fondslösung geschaffen werden.
Im DDR-Versorgungssystem gab es etliche Regelungen, die sich nicht ohne Weiteres in bundesdeutsches Recht übertragen ließen: Sonder- und Zusatzversorgungsleistungen. Das sorgt in einigen Fällen bis heute für soziale Härten, zum Beispiel bei DDR-Altübersiedlern, Bergleuten in der Braunkohleveredelung oder Ballettmitgliedern.
Die Einrichtung eines Härtefallfonds für bestimmte Rentengruppen, deren Sonder- und Zusatzrenten im westdeutschen Rentenrecht ersatzlos gestrichen wurden, ist daher sinnvoll.
Eine wesentliche Gruppe, die auch hier im Hohen Hause schon häufig Thema war, ist damit aber nicht abgedeckt: Weiterhin ist der Versorgungsausgleich für DDR-Geschiedene, die im Gegensatz zu im Westen Geschiedenen keinen Rentenversorgungsausgleich erhalten, erforderlich. Das führt für die Betroffenen häufig zu einer schwierigen finanziellen Situation. Dieses Problem hat Schwarz-Rot ausgeklammert.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vermutlich würden auch Repräsentantinnen und Repräsentanten aus Ostdeutschland nicht viel an diesen Fakten ändern - für den Moment. Sie könnten sich aber in Umsetzung und Interpretation von Zielstellungen einbringen und dafür sorgen, dass sich darin ostdeutsche Lebensrealitäten abbilden, und
Abschließend stelle ich mir und Ihnen die Frage: Wie geht Schwarz-Rot mit der Kritik, die einen deutlichen Befund der Unwuchten zulasten der ostdeutschen Länder darstellt, eigentlich um - inhaltlich und personell? Denn Politik wird von Menschen gemacht und man muss eine Region kennen und auch lieben, um wirkungsvoll für sie streiten zu können.
Dabei geht es dezidiert nicht um den Ort, in dem ein Mensch geboren ist. Es geht mehr um das Anerkenntnis der Werte und der Schönheit von Wahlheimat und das Vermögen, ostdeutsche Lebensleistungen anzuerkennen, den Willen, Netzwerke zugunsten ostdeutscher Regionen zu nutzen, stolz das Erbe der friedlichen Revolution nachzuempfinden und Optimismus über das seitdem Geschaffene verbreiten zu können. Ich bin sehr gespannt, wie Schwarz-Rot mit der Analyse umgehen und was praktisch daraus folgen wird. - Vielen Dank.
Danke, Frau Lüddemann. Ich sehe keine Nachfragen. - Deshalb können wir die Debatte mit dem Redebeitrag der CDU-Fraktion durch Herrn Borgwardt jetzt abschließen. Herr Borgwardt, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den zurückliegenden 28 Jahren nach dem Fall der Mauer haben wir hier im Osten Deutschlands alle persönliche und gesellschaftliche Umbrüche und einen umfassenden Systemwechsel erlebt, der nicht zuletzt dazu führte, dass unser Bundesland neu strukturiert wurde. Die Ergebnisse können sich durchaus sehen lassen. Nicht alle Blütenträume sind gereift, meine Damen und Herren, aber wir haben große und wichtige Entscheidungen getroffen. Wir alle gemeinsam haben es gemeistert und uns den alten Bundesländern weiter angenähert. Pauschal betrachtet, sollten die Kategorien Ost und West um Nord und Süd erweitert werden und nach langer Zeit eigentlich nicht mehr existieren. Aber ganz so einfach ist es nicht.
Gerade hier in Sachsen-Anhalt sind nach der Wende Millionen Arbeitsplätze durch das Zusammenbrechen der Wirtschaft unwiderruflich verlorengegangen. Existenzen wurden zerstört oder konnten nur mit viel Geld und Geduld neu aufgebaut werden. Dass wir trotz allem diesen Systemwechsel und den damit einhergehenden Transformationsprozess gemeistert haben, sollte uns alle stolz machen.
Wir müssen mit dem Erreichten viel mehr wuchern, meine Damen und Herren, und so ein deutlicheres Signal in die alten Bundesländer senden. Selbstverständlich heißt das nicht, dass wir alle mit den alten Bundesländern gleichauf sind. Alle, die wir hier sitzen, wissen, es gibt noch eine Unmenge zu tun, um unser Land fit für die Zukunft zu machen.
Dennoch fühlt sich ein Teil der Bevölkerung nicht mitgenommen, ja, vergessen. An dieser Stelle setzt Politik an. Bei Missbrauchsfällen - oft im sozialen Bereich - reagiert der Staat zu spät oder zu langsam. Es darf auch kein Vakuum, eine Art Ohnmachtsverhältnis entstehen. Wir als Politiker müssen darstellen, dass wir die Menschen mitnehmen, und das scheint nach meiner Ansicht und der meiner Fraktion mit dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD möglich zu sein.
- Wissen Sie, Herr Roi, Sie haben bisher noch keine Gelegenheit gehabt, einmal einen Koalitionsvertrag zu verhandeln. Ich vermute einmal, das wird auch in nächster Zeit nicht der Fall sein.
Die LINKE hat das auch noch nicht, sonst würden sie nicht ständig Konjunktive und unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden. Sie müssen einfach einmal einen Koalitionsvertrag verhandeln.
Das ist leider bei jedem Koalitionsvertrag so. Da können Sie auch in den von Thüringen schauen, Herr Höppner. Warten wir einmal.
Bevor ich eine kurze Bestandsaufnahme des Koalitionsvertrages der großen Koalition mache, möchte ich an dieser Stelle unserem Ministerpräsidenten Dr. Haseloff ausdrücklich für das enorme Engagement danken, das er während der Koalitionsverhandlungen als Chefunterhändler der Ostministerpräsidentenkonferenz gerade auch für den Osten unserer Republik an den Tag gelegt hat.
Die Angleichung der Lebensverhältnisse sowie die Entlastung finanzschwacher Kommunen bilden einen Schwerpunkt dieses Vertrages. Das stärkt auch den Osten Deutschlands, insbesondere den ländlichen Raum und die strukturschwachen Regionen. Auch die Einrichtung einer Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ - meine Vorredner gingen darauf ein - und die wiederum zahlreichen Förderprogramme - ich kann hier nicht alle nennen - kommen auch den neuen Bundesländern zugute.
33 Milliarden €, um einmal eine Zahl zu nennen, also fast ein Dreiviertel des zusätzlichen finanziel
len Spielraums der neuen Regierung, sind direkt oder indirekt für die Kommunen angedacht. Der Breitbandausbau - das wurde auch schon erwähnt - war dringend nötig und wurde vorangetrieben. 3 Milliarden € sieht der Vertrag bundesweit für strukturschwache Gebiete vor. Ein nicht unwesentlicher Teil davon soll in die Braunkohleregionen fließen. Frau Lüddemann, Frau Dr. Pähle und einige andere gingen darauf ein. Ich hoffe, dass das nicht nur Ankündigungspolitik ist, sondern dem Süden unseres Landes wirklich hilft.
Dort wird es in den nächsten Jahrzehnten noch einmal zu einem großen Umbruch kommen. Die Gestaltung dessen liegt aber heute in unseren Händen. Neben dem Geld brauchen wir auch Ideen und Menschen, die diese Veränderungen gestalten. Wir Sachsen-Anhalter sind diejenigen, die etwas verändern wollen. Also müssen wir es selbst anpacken und nicht auf Anweisungen warten.
Ich komme zum immer wieder diskutierten Thema Rente. Der Koalitionsvertrag sieht einen Härtefallfonds von Bund und ostdeutschen Ländern vor, mit dem Ungleichbehandlungen von Rentnern endlich beseitigt werden sollen, die nach der Wiedervereinigung bei den sogenannten Rentenüberleitungen entstanden sind. Auch hierauf gingen meine Vorgänger ein. Sonderversorgungssysteme wurden ebenfalls erwähnt. Das will ich nicht weiter ausführen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über das Personaltableau der zukünftigen Bundesregierung wurde viel geschrieben, geredet, spekuliert und einiges andere mehr. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Kanzlerin für eine Verjüngung und eine ausgeglichene Geschlechterverteilung innerhalb der CDU-Ressorts am Kabinettstisch gesorgt hat. Ich nehme aber auch zur Kenntnis, dass es sich dabei bisher nur um Männer und Frauen aus den alten Bundesländern handelt. Dieses bedauere ich ausdrücklich.
Wir sind im Osten in einer besonderen Kultur des Miteinanders aufgewachsen, leben sie teilweise bis heute und haben sie vielleicht sogar an unsere Kinder weitergegeben, die die DDR zum großen Teil nur aus Erzählungen kennen. Das Unrecht, das der Einigungsvertrag teilweise beinhaltet, ist bisher nicht geheilt. Nur jemand, der das alles kennt, kann auch im Kabinett vortragen. Der Osten braucht nicht mehr Geld, um ruhiggestellt zu werden, wir brauchen eines: mehr Gleichberechtigung.
Ich widerspreche dem Ministerpräsidenten Volker Bouffier aus Hessen ungern, aber ich muss es trotzdem tun. Wir brauchen niemanden, der sich um uns kümmert. Wir brauchen jemanden, der
Die Menschen im Land haben Angst, ein zweites Mal als Verlierer herauszugehen, und wer versucht, sie abzuholen, ist klar.
- Ist doch gut! - Diese Geschichte muss im Bund einmal erzählt werden. - Schauen wir einmal, wer noch alles zu Euch kommt oder woanders hingeht.
Ich will gespannt sein, ob der nächsten Regierung auch ein Ostbeauftragter angehört. Michael Stüttgen - ein CDU-Urgestein, wie viele wissen, und aus Brandenburg - ist für diesen Posten angekündigt. Er ist der Mann, der aus der Kohleregion kommt und die DDR gut kennt. Er kennt die Geschichte des wirtschaftlichen Niedergangs ebenso und ist vor allen Dingen im Bundestag bestens vernetzt. Daher kann es nicht unwichtig sein, dass er im Wirtschaftsministerium unter Peter Altmaier sein Refugium aufbauen wird. Ob sich Peter Altmaier am Ende als guter Mittelstandsminister profiliert, bleibt abzuwarten. Ich kenne ihn persönlich gut. Ein Macher ist er allemal.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Medaille hat bekanntlich zwei Seiten. Wir müssen uns zunehmend selbst an die Nase fassen. Viele Ostdeutsche fremdeln mit Parteimitgliedschaften. In einer Parteiendemokratie jedoch geht der Weg zur politischen Verantwortung nicht ohne Engagement in einer Partei. Die harte Ochsentour, die auch viele von uns hinter sich haben, vom Ortsverband zum Landes-, respektive Bundesverband gehört nun einmal dazu. Es genügt eben nicht, nur zu sagen, man sollte, man müsste es besser machen als andere. Jeder muss bereit sein, selbst das Engagement einzugehen.
Die Bundeszentrale für politische Bildung liefert harte Zahlen. Ende 2016 waren im Westen der Republik 1 105 572 Bürger - das sind 1,67 % - Mitglied von Parteien. Im Osten waren es 101 004, also 0,63 %. Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal ist oft nicht der richtige Weg.
Am Ende wird Macht auch in freien Gesellschaften nicht verschenkt, meine Damen und Herren. Man muss sie sich erkämpfen.