Protocol of the Session on June 1, 2016

Man muss denen, die verhandeln, zumindest zutrauen, dass sie nicht alle Verbrecher sind, komplett verblödet und bösartig.

(Birke Bull, DIE LINKE: Darum geht es nicht. Es geht um die Transparenz!)

- Ich traue denen, die verhandeln, schlichtweg zu, dass sie kompetent sind und ihrem Eid gerecht werden, nämlich den Völkern Europas zu dienen. Das sind europäische Beamte.

(Birke Bull, DIE LINKE: Das ist eine Frage der Perspektive!)

- Ich teile Ihre Skepsis gegenüber Bundeswirtschaftsminister Gabriel und den anderen Partnern in der Europäischen Union nicht.

(Zuruf von Wulf Gallert, DIE LINKE)

Ich traue ihm grundsätzlich zu, dass er versucht, das Beste für die Interessen der Deutschen und für die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union herauszuholen. Dann werden wir sehen, wie weit ihm das gelungen ist.

Wenn die Fakten auf dem Tisch liegen, dann ist es wirklich interessant, auf der Basis von Fakten eine sachliche Debatte zu führen. Darauf freue ich mich. Aber jetzt ist die eine Seite da, die postuliert Befürchtungen, die stellt Behauptungen in den Raum, es sei irgendwas Schlimmes schon an der Wand zu sehen, was gar nicht stimmt. Es wird einfach behauptet, aber es stimmt nicht.

Auf der Grundlage dieser Stimmungsmache einer Empörungsindustrie, die davon auch lebt, weil sie damit Sponsoring und Werbung einfährt, wird Verängstigung geschürt.

Wenn wir aber eine Gesellschaft schaffen wollen, die auf der Basis von Verängstigung sich nichts mehr traut zu vereinbaren, zu regeln

(Birke Bull, DIE LINKE: Da hilft Transpa- renz!)

und neu anzugehen, dann stehen wir wirklich vor einer schlechten Zukunft. Davor will ich nur noch einmal warnen.

Herr Gürth, es gibt noch eine Nachfrage. - Herr Poggenburg, bitte.

Sehr geehrter Herr Abgeordneter Gürth, Sie sagen ganz richtig und sachlich, wir sollten aus diesen Verhandlungen das Beste herausholen und das nicht verteufeln. Das klingt erst einmal sachlich und gut. Aber stimmen Sie nicht mit mir überein, dass es, wenn eine Verhandlung unter diesen Umständen stattfindet - man möchte sagen im Hinterzimmer, konspirativ -, völlig egal ist, über

was inhaltlich überhaupt verhandelt wird, und dass schon aus dieser Sache heraus so etwas abzulehnen ist? Das ist meine Frage an Sie. - Danke.

Kollege Poggenburg, da stimme ich Ihnen überhaupt nicht zu, weil das ein grundlegendes Verhandlungsverständnis für alle großen Verträge ist. Ich habe eingangs in meiner Rede zitiert, auf welcher Basis wir zu diesem Wohlstandsniveau gekommen sind.

Wir haben 1 400 Investitionsschutzabkommen der EU-Mitgliedstaaten mit Dritten und wir haben rund 350 in Kraft getretene ratifizierte Handelsabkommen auf der Welt zum Großteil mit EU-Mitgliedstaaten oder teilweise auch mit der EU. Die haben es unseren Unternehmen vom Mittelständler bis zum größeren Konzern erst einmal ermöglicht, in Märkte vorzudringen und sich da zu behaupten.

Ich kann Ihnen Beispiele nennen, wo ein Großteil mittelständischer Industrie nie eine Chance bekommen hätte, wenn die Handelshemmnisse nicht durch gemeinschaftliche Abkommen abgebaut worden wären.

Die Verhandlungsmechanismen sind immer

gleich. Es werden Interessen postuliert. Die Interessen kommen an die Politik. Dann werden Regierungen und Parlamente dafür interessiert, und dann muss man sich dazu durchringen, ein solches Abkommen anzustreben. Dann werden Verhandlungspartner benannt und dann wird verhandelt.

Ich habe aus einem ganz einfachen Grund noch einmal die Empörungsindustrie kritisiert, weil das auch nachvollziehbar ist: Was ist denn jetzt nach diesen Greenpeace-Leaks konkret passiert? Dann überlegen Sie einmal, ob das unsere Verhandlungsposition gestärkt oder eher geschwächt hat.

Es wurden Teile aus den Unterlagen - das sind nur Teile der Unterlagen, nicht ganz 250 Seiten, Herr Gallert; die sind nicht lesenswert, aber das kann man einmal machen - veröffentlicht mit der Behauptung, ein gewisser Verhandlungsstand sei erreicht, was unwahr ist. Es ist lediglich die Position einer Verhandlungsseite aus einer Datei veröffentlicht worden.

Wer das wirklich liest - ich empfehle es Ihnen; auf dieser Basis kann man gut diskutieren -, der wird feststellen: Nichts von dem ist wirklich neu. Wer sich mit der Thematik befasst, konnte das in der „Wirtschaftswoche“, im „Handelsblatt“ und in anderen Magazinen schon seit Jahren lesen, weil das schon lange die Position der Vereinigten Staaten bei anderen Handelsabkommen war. Wir sollten nur nicht allem zustimmen. Aber es wird erst einmal behauptet.

Was ist aufgrund dieser Tatsache denn erfolgt? Es entsteht ein öffentlicher Druck. Was macht die EU-Kommission? Ich kann das nachvollziehen, die EU-Kommission postet mittlerweile ihre Verhandlungspositionen, die sie einbringen will bei den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten.

Jetzt sagen Sie mir einmal, ob das besser oder schlechter ist, um ohne Gesichtsverlust und taktisch zu einem Verhandlungsergebnis zu kommen, wobei man ein Maximalziel hat, dem man sich nähern will. Ist man dann taktisch besser aufgestellt in den Verhandlungen, um die Ergebnisse, die man wünscht, zu erreichen? Ich sage einmal, das Verfahren torpediert eher die Chancen, als sie zu befördern. Deswegen ist das zu kritisieren.

Herr Farle, Sie haben noch eine Frage.

Ich habe nur eine kurze Frage. Stimmen Sie mit mir darin überein, dass es eine Entmachtung der nationalen Parlamente bedeutet, wenn die EU, die gar nicht dafür legitimiert ist, anstelle der einzelnen Länder solche Geheimverhandlungen mit den USA durchführt, die schwerwiegende Konsequenzen für alle beteiligten Staaten in der EU haben, und die Länder, die in der EU sind, eigentlich ihren Senf erst dazugeben können, wenn alles vorbei ist?

Zweite Frage dazu. Wieso setzt sich Frau Merkel - ich finde das sehr verdächtig - so massiv für dieses TTIP-Abkommen ein, während mittlerweile sogar Herr Gabriel so langsam aber sicher von der Geschichte Abstand nimmt?

Vielen Dank für Ihre Fragen. Die erste Frage ist ganz einfach zu beantworten. Ich stimme Ihnen nicht zu, weil das überhaupt keine Entmachtung der Parlamente ist. Da müssen Sie sich einmal die Genese solcher Abkommen anschauen, dann wird das ganz klar.

An erster Stelle stand der Wunsch, zu einem solchen Abkommen zu kommen. Es gibt eine Reihe von Handelsabkommen, die die USA mit Dritten geschlossen haben, und es gibt eine Reihe von Handelsabkommen, die Mitgliedstaaten der EU für sich wiederum mit anderen Staaten geschlossen haben.

Jetzt wissen wir aber, dass alleine der Anteil der Europäischen Union- unseres Wirtschaftsrau

mes - am Welthandel in den letzten Jahren dramatisch zurückging. Um mithalten zu können, muss die EU geschlossen auftreten und nicht einzelne Staaten.

Deswegen haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union schon vor langer Zeit gemeinsam beschlossen, in einem Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika und mit Kanada - weil sie es nicht zusammen wollten, getrennt - die Interessen unserer Arbeitsplätze, unserer Industrien, unserer Unternehmen, unseres Arbeitsmarkts und unserer Bürger so zu schmieden, dass beide Vorteile haben. Das kann nicht ein einzelner Mitgliedstaat alleine schaffen.

Um das auf den Punkt zu bringen: Wir haben ungefähr 50 % der Weltproduktion. Wenn man Kaufkraftparitäten nimmt - das ist die Größenordnung, mit der Wirtschaftswissenschaftler arbeiten -, bedeutet das ungefähr 40 % vom Welt-BIP. Das geht unter, das können Sie nicht als Deutschland, das kann Polen nicht alleine, das kann Österreich nicht alleine verhandeln. Deswegen haben sie gesagt, wir machen das zusammen.

Dann sind die Verfahren wie immer bei allen zwischenstaatlichen Abkommen: Es gibt Verhandlungskommissionen, die verhandeln, die berichten auch Zwischenstände der Exekutive, und dann wird weiterverhandelt.

Parallel dazu äußern sich auch die Parlamente. Das Europaparlament hat es gemacht, wir machen es heute zum dritten Mal, obwohl wir gar nicht zuständig sind, und die anderen nationalen Parlamente machen das auch.

Die, die verhandeln, müssen im Hinterkopf haben, wenn das nicht alles für die Katz gewesen sein soll - ein paar Flüge nach New York oder so -, wenn etwas herauskommen soll, muss ich so verhandeln, dass auch mein nationales Parlament zustimmt. Das sind die Verfahren. Das ist ganz logisch.

Zu Herrn Gabriel muss ich mich nicht groß äußern. Herr Gabriel hat vieles zu dem Thema gesagt. Wenn man das zusammenlegt, würde ich sagen: In übergroßer Mehrheit - ich habe es einmal nachgelesen - ist der für dieses Handelsabkommen, aber er sagt: Nicht unter allen Bedingungen, nicht unter jeder Bedingung. Das teile ich vollkommen.

Auch wir haben hinsichtlich Umweltstandards, Arbeitsschutzstandards, unserer Wohlfahrtsstan

dards und anderer Dinge Voraussetzungen, die wir erfüllt wissen wollen. Das trennt uns nicht von Herrn Gabriel und wahrscheinlich auch nicht von Ihnen.

Herr Gürth, ich danke Ihnen. - Ich sehe keine weiteren Fragen.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir fahren fort mit dem Abgeordneten der AfD Tobias Rausch.

Vielen Dank, Herr Präsident! - Sehr geehrte Abgeordnete! Wir Abgeordnete sind dankbar dafür, dass es in dem Fall der TTIP- und CETA-Leaks möglich war, die geheimen Unterlagen zu TTIP zu veröffentlichen. Aber das Ganze hat auch einen bitteren Beigeschmack, nämlich dass wir als Abgeordnete, aber auch die Abgeordneten des Bundestages darauf angewiesen sind, dass es Gruppierungen gibt, die diese Unterlagen offenlegen.

Als Abgeordnete haben wir nicht die Möglichkeit, diese Unterlagen auf demokratischem Wege einzusehen. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist schon etwas, was eines Parlaments und einer Demokratie unwürdig ist. Das zum Verständnis.

Das TTIP schwimmt in einer Sauce aus Intransparenz, höchsten Erwartungen und Anpreisungen seitens globalisierter Großunternehmen einerseits und Befürchtungen andererseits. Nicht ohne Grund betrachten viele Bürger bei TTIP mit großer Sorge, dass dem Freihandelsabkommen regionale Besonderheiten und nationale Standards zum Opfer fallen. Die Bundeskanzlerin bekräftigt in diesem Zusammenhang seit Monaten, dass kein Standard, den es heute in der EU gibt, abgesenkt wird. Nur, so wie das mit Bekräftigungen der Bundeskanzlerin ist, man glaubt ihnen kaum noch.

(Beifall bei der AfD)

Jeder Realist weiß natürlich, dass zwei Handelspartner, die unterschiedlicher kaum sein könnten, sich in den seltensten Fällen in einer Art und Weise - - Eigentlich ist es unmöglich, dass beide ihre vorhandenen Standards wahren können. Es fällt schwer zu glauben, dass gerade die amerikanischen Verhandlungspartner, die im Gegensatz zur Bundeskanzlerin ganz genau darauf achten, was im nationalen Interesse ist und was nicht, hierbei entsprechende Zugeständnisse machen.

Ein gutes Beispiel dafür, wie unterschiedlich die europäischen und amerikanischen Positionen sind, ist der Verbraucherschutz. Bei uns in der EU gilt das sogenannte Vorsorgeprinzip. Das besagt im Groben, dass potenzielle Belastungen und Schäden für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit im Voraus vermieden, weitestgehend verringert und ausgeschlossen werden müssen.

Es ist deswegen, vereinfacht gesagt, für Unternehmen erforderlich, dass sie nachweisen können, dass ihre Produkte unbedenklich sind, bevor sie vermarktet werden dürfen. In den USA ist das im Grunde, ganz grob gesprochen, umgekehrt. Dort muss dem Produkt eine schädliche Wirkung nachgewiesen werden, bevor der Verkauf verboten werden kann.

Das sind zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen, wie man Verbraucherschutz organi