Protocol of the Session on November 24, 2017

Wir haben in den letzten Jahren auch immer wieder erfahren, dass es neue Arten von Diskriminierung und Verfolgung gab. Ich verweise auf die Frauen in Halle, die in der Venerologischen Station wirklich unmöglichen, unmenschlichen Behandlungsmethoden unterzogen worden sind, oder die Opfer von Arzneimittelversuchen, wo wir heute mit der Aufarbeitung noch ganz am Anfang stehen.

Wenn wir selbst noch nicht in der Lage sind aufzuklären, was tatsächlich passiert ist, können wir es den Opfern auch nicht zumuten, innerhalb

einer bestimmten Frist einen Antrag stellen zu müssen.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb sind wir der Meinung, dass die Aufarbeitung von Unrecht eben kein Verfallsdatum haben darf. Einen Schlussstrich darf es aus unserer Sicht nicht geben.

(Zustimmung von Silke Schindler, SPD)

Wir bitten deshalb die Landesregierung darum, gemeinsam mit anderen ostdeutschen Ländern auf der Bundesebene für die Entfristung der SEDUnrechtsbereinigungsgesetze aktiv zu werden. Die Signale aus anderen Ländern in dieser Hinsicht sind positiv. Thüringen hat bereits öffentlich angekündigt, dass es einen Vorstoß starten will, damit Opfer von DDR-Unrecht auch nach dem Jahr 2019 Anträge auf Rehabilitierung stellen können.

Der Landtag von Brandenburg hat in der vergangenen Woche einen Antrag mit einer ähnlichen Zielrichtung einstimmig beschlossen. Auch die erfolgreiche Initiative zur Verbesserung der Lage von DDR-Heimkindern und die Verlängerung der Antragsfrist über den 31. Dezember 2019 hinaus sprechen dafür, dass wir jetzt auch in Sachen SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen aktiv werden sollen und aus meiner Sicht aktiv werden müssen. Lassen Sie uns dieses Zeitfenster nutzen. Dies wäre auch ein kraftvolles, ein wichtiges Signal gegenüber Opfern und Betroffenen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kolb-Janssen. - Wir kommen nunmehr zu den letzten Debattenrednern. Hierbei wird es eine Teilung geben. Ich habe die Information erhalten, dass für die AfD-Fraktion anfangs Herr Poggenburg und dann Herr Kirchner sprechen wird. Das ist so korrekt, ja? - Herr Poggenburg, Sie haben das Wort. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Zuerst einmal teilen wir in vollem Umfang das Anliegen, dass wir das heute aufgrund des 25-jährigen Jubiläums des SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes aufgreifen, dass wir Resümee ziehen, dass wir daran erinnern. Da sind wir voll dabei und da sind wir voll bei der Aktuellen Debatte auf Antrag der Kenia-Koalition.

Wir sollten aber in dem Moment auch etwas anderes bedenken und an etwas anderes erinnern und denken: Wir haben auch ein anderes Jubiläum gehabt, nämlich 28 Jahre Mauerfall. Ich möchte sagen, das war der nicht nur symbolische, sondern ganz Akt des Endes des SED-Regimes.

Das war der Akt, mit dem auch die Wiedervereinigung begann. Ich sage extra „begann“; denn sie ist bis heute nicht in aller Konsequenz durchgeführt worden. Wir haben die Mauer, die viel zu lange stand und Gott sei Dank abgerissen wurde, immer noch in Teilen in den Köpfen unserer Bürger. Wir haben sie in unserer Gesellschaft und wir haben sie ganz stark auch im sozialen Bereich.

Da muss man ganz deutlich sagen: Wenn wir es bis heute nicht geschafft haben, eine gleiche Rente für Ost und West zu bewerkstelligen, dann ist die Wiedervereinigung nicht konsequent beendet worden. Das, muss ich sagen, ist, zumindest gesellschaftlich gesehen, heutzutage ebenfalls ein Unrecht, liebe Abgeordnete.

(Beifall bei der AfD)

Deswegen fordert die AfD auch ganz klar, dass diese Wiedervereinigung als gesellschaftliche Aufgabe fortgesetzt und nun, nach fast 30 Jahren, zu einem glücklichen Ende und einer echten deutschen Einheit gebracht wird.

Wir sind da an einem Punkt, wo ich sagen muss - darin sind wir uns, glaube ich, alle hier im Hohen Hause einig; vielleicht abgesehen von der Nachfolgepartei der Mauerschützenpartei; das möchte ich gar nicht im Detail einschätzen -, dass das SED-Regime ein Unrechtsregime war; darin sind wir uns einig.

Denn es gibt heute, davon abgesehen, immer mal wieder die Diskussion dahin gehend, ob und inwieweit die gesellschaftliche Anklage der Täter erfolgen soll oder ob man es als Geschichte betrachten soll. Es ist mehr oder weniger berechtigt.

Eines ist aber klar: Die Opfer - darauf kommt es an - müssen immer auch in Zukunft die Möglichkeit der Genugtuung, der Rehabilitation haben. Deswegen schließen wir uns Ihrem Antrag vollumfänglich an, ohne Wenn und Aber: Eine Entfristung der Möglichkeit der Rehabilitation von Opfern politischer Verfolgung. Weitere Ausführungen dazu erfolgen von meinem Kollegen Herrn Olli Kirchner. - Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Poggenburg. - Die Zeit läuft aber weiter. Sie müssen sich beide zeitlich miteinander arrangieren.

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Hohes Haus! „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“, das ist ein Spruch aus längst vergangener Zeit und einem längst verschwundenen Staat. Ich schaue dabei auch nach links, weil ich dort in die Augen der Erben dieser Zeit sehe. Ich sehe die Erben Mielkes, Stophs, Sindermanns und Honeckers und ich

sehe die Erben von Unterdrückung, von Mauerschützen. Ich sehe aber auch die Erben der Täter von Unterdrückten und Mauertoten. Ich sehe die Erben der Partei und eines Regimes, welches die politische Verfolgung beherrschte wie nur sehr wenige auf dieser Welt.

(Zustimmung bei der AfD)

Damit zu leben, werte LINKE, stelle ich mir wahrlich nicht einfach vor. Einige Beispiele für politische Verfolgung: Der Bruder meines Vaters war am 17. Juni 1953 Hundeführer bei der Polizei. Er schloss im Gefängnis in Sudenburg die Türen für politisch Inhaftierte auf und stand damit auf der Schwarzen Liste der Polizei. Sein Freund, ebenfalls Polizist, warnte ihn, dass er am nächsten Morgen um 5 Uhr abgeholt werden solle. Er floh am 18. Juni 1953 um 3 Uhr mit zwei Kindern und mit seiner Frau über Berlin nach Bremen zu seinem Onkel, um später im Ruhrgebiet zu leben, obwohl er vermutlich lieber hier gelebt hätte.

Meinen Schwiegervater ereilte dasselbe Schicksal. Er war auch beteiligt an der Befreiung der Gefangenen. Er erhielt vier Jahre Zuchthaus in Volkstedt und war unter Tage im Knien und im Kriechen mit Zwangsarbeit versehen, Haftbedingungen, die man nicht als „Haftbedingungen“ bezeichnen kann. Sein ganzes Leben trug er die Folgen daraus in sich; er hat sie nie verwunden.

Gerade aus solchen Gründen bin ich der CDUFraktion für die Aktuelle Debatte sehr dankbar, bin aber auch der Koalition für den eingebrachten Antrag sehr dankbar. Ich habe gehört, dass unsere Forderung wahrscheinlich auch dort mit übernommen wird. Deswegen werden wir unseren Antrag einfach abstimmen lassen und werden hier Ihrem Antrag natürlich zustimmen.

Ich könnte noch 20 Minuten über die 10. Weltfestspiele der DDR referieren, aber auch über den § 249, der vorhin auch schon angesprochen wurde. Der § 249 setzt sich auseinander mit der Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten. Wer asozial war, entschied die SED. An den Weltfestspielen - die größte Propagandaveranstaltung der DDR - nahmen acht Millionen Menschen teil, darunter 25 000 ausländische Schüler und Studenten aus 140 Ländern.

90 Bühnen standen zur Verfügung. Die Stasi schickte 4 000 Spitzel und die Volkspolizei 24 000 Polizisten. Unter dem Decknamen „Aktion Banner“ sind die Sicherheitsorgane schon in den Monaten vor den Weltfestspielen aktiv geworden. Im Vorfeld verhafteten die Volkspolizei und das MfS vorsorglich Tausende Jugendliche, von denen sie glaubten, dass sie die heile Welt des Festivals stören könnten.

Bis zur Eröffnung der Feierlichkeiten wurden 553 Personen in die Psychiatrie eingewiesen, 925 verschwanden in Jugendwerkhöfen und 1 453 in

Spezialkinderheimen. Etwa 800 mögliche Störenfriede mussten ihren Wohnort Berlin vor den Festspielen für die Dauer der Festspiele verlassen. - Das geschah alles unter dem § 249.

Lassen Sie mich ganz kurz den Bogen zur heutigen Zeit spannen. Ein Thüringer Abgeordneter wurde von sogenannten LINKEN-Aktivisten zehn Monate lang in seinem Privathaus ausspioniert und bespitzelt.

(Hannes Loth, AfD: Pfui!)

Damit nicht genug. Auch seine Familie wird durch diese Linksextremen zehn Monate lang beobachtet. Es werden von ihm, seinen Kindern und seiner Frau Bewegungsprofile erstellt, Fotos geschossen und auf Internetseiten verteilt.

(Hannes Loth, AfD: Wie früher!)

Christian Carius, Landtagspräsident aus Thüringen, von der CDU findet dafür klare Worte. Ich zitiere ihn:

„Das Abhören und Ausspionieren von Abgeordneten und ihren Familien gleicht den Zersetzungsmethoden der Staatssicherheit.

(Beifall bei der AfD)

„Es ist durch nichts zu rechtfertigen. Die Aktion ist ein Angriff auf die Freiheit des Mandats, die Unversehrtheit von Familie und ein ungeheuerlicher Eingriff in das Leben eines Menschen.“

So Christian Carius.

Wir sollten im Umgang mit der Demokratie sehr sensibel sein, damit Geschehnisse wie damals, aber auch Zustände wie die soeben beschriebenen niemals zur Normalität werden. Wir als AfDFraktion werden uns immer dafür einsetzen, dass die Rehabilitierung politischer Verfolgung niemals - weder damals noch heute - ein Verfallsdatum erhält.

Ich danke speziell auch in diesem Zuge Frau Neumann-Becker und all denen, die sich bis heute für die Opfer politischer Verfolgung einsetzen. Damit schließe ich. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich bedanke mich.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Kirchner. Es gibt keine Anfragen. - Somit steigen wir - -

(Zuruf)

- Eigentlich hatte ich das Signal bekommen, dass Herr Philipp noch mal Redezeit haben wollte.

(Zuruf)

- Nein, das ist nicht so. Okay.

Dann können wir in die Abstimmung eintreten, und zwar zum Antrag in der Drs. 7/2101 und über den Änderungsantrag, die Drs. 7/2128, über den wir als Erstes abstimmen. Das ist der Antrag der AfD-Fraktion, ein Änderungsantrag. Ich würde jetzt als Erstes über den Änderungsantrag abstimmen lassen. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt - -

(Zurufe von der AfD)

- Ich habe vernommen, dass dieser Punkt zu dem Originalantrag hinzugefügt werden sollte.