Gleichzeitig bin ich froh und sogar hoffnungsvoll durch diese Debatte. Endlich werden diese einzelnen, individuellen Erfahrungen massiv in die Öffentlichkeit getragen. Endlich kommt es zur Sprache, was Tausenden von Frauen und auch einigen wenigen Männern - man denke etwa an den Fall von Kevin Spacey - widerfährt.
Diese situativen Geschehnisse, die oft nur als Einzelfall erscheinen, verdichten sich zu einem allgemeinen Bild unserer Gesellschaft, einer Gesellschaft, die es nicht schafft, die sexuelle Selbstbestimmung und die körperliche Integrität aller ihrer Mitglieder ausreichend zu schützen.
Die Vereinzelung der Opfer wird damit überführt in ein kollektives Wissen. Das hilft dem Einzelnen, zu verstehen: Ja, mir ist Unrecht passiert, und nein, es liegt nicht an mir. Es liegt nicht an meiner besonderen Rolle, auch wenn es Parteien gibt, die dies offensichtlich so vorsehen. Nein, es passiert auch anderen. Das Dunkelfeld der sexuellen Übergriffe und Grenzüberschreitungen wird so endlich etwas ausgeleuchtet.
Grundsätzlich ist in diesem Bereich schon viel Gutes passiert. Die Istanbul-Konvention wurde verabschiedet, und im deutschen Strafrecht gilt endlich: Nein heißt nein. Ja, wir denken, wir sind endlich auf dem Weg, sexuelle Übergriffigkeit nicht mehr als Kavaliersdelikt zu bewerten.
Nun kann man in einer Dreiminutendebatte nicht eine jahrhundertelange Debatte nachvollziehen, aber ich will zentral sagen: Wir müssen auch in diesem Bereich die Prävention stärken, natürlich auch auf Opferprävention, etwa durch Angebote wie Wendo und Angebote wie das Bundesprogramm „Trau dich“, an dem nun auch unser Land teilnehmen soll. Aber bei einem einseitigen Fokus auf die Opferprävention lauert immer die Gefahr des sogenannten victim planning, wenn also die
Es steht außer Frage: Die Schuld trägt immer der Täter. Kleider, Aufenthaltsort oder die Promille des Opfers spielen keine Rolle. Daher müssen wir endlich offen darüber sprechen, dass alle übergriffigen Männer immer auch Kinder und Söhne waren. Warum bekommen unsere Töchter immer zu hören: Ihr müsst euch so oder so verhalten? Passt euch dem Kontext an. Warum reden wir viel zu selten darüber, wie sich Männer verhalten sollen?
Da habe ich mich ein wenig vergaloppiert. Ich würde noch einen Satz zum Abschluss sagen, wenn Sie gestatten.
Wir haben festgestellt, dass es neben der Beratungsstelle „Pro Mann“ und der Beratungsstelle „Ampel“ im Land keine Träger gibt, die sich diesem Feld widmen, die explizit Täterberatung machen, die explizit mit den Tätern arbeiten. Das ist ein Punkt, den wir in unserem Antrag in den Blick nehmen, weil wir meinen, wir müssen präventiv ansetzen. Wir dürfen nicht nur mit den Opfern arbeiten. Deshalb greifen wir diesen Punkt aus dem Antrag auf.
Ich darf noch ankündigen, den Bereich Schule - Sie merken, die Zeit ist begrenzt, Frau von Angern - haben wir an der Stelle explizit ausgeklammert. Dem werden wir uns in einem eigenen ausführlichen Antrag widmen. - Vielen Dank.
Ich sehe keine Fragen. Dann danke ich Frau Lüddemann für die Ausführungen. - Für die CDU spricht der Abg. Herr Kolze. Herr Kolze, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Zeit online“ titelte im vergangenen Monat: „Sexuelle Belästigung - fast jede zweite Frau betroffen“. Laut einer Umfrage geben 43 % der befragten Frauen an, bereits sexuell belästigt oder bedrängt worden zu sein. Bei den befragten Männern waren es 12 %.
Nach den Missbrauchsvorwürfen gegen den USFilmmanager Harvey Weinstein hat die Diskussion zu diesem Thema weltweit Fahrt aufgenommen. Das zeigt, wie wenig Respekt einerseits Frauen, aber auch Minderheiten entgegengebracht wird. Andererseits macht es deutlich, dass die Gesellschaft hier einen unbedingten Gesprächsbedarf sieht. Das Thema wurde und wird häufig tabuisiert. Betroffene fühlen sich mitschuldig oder schämen sich, das Erlebte offen auszusprechen. Die ausbleibende Verarbeitung der erlebten Gewalt erhöht die Wahrscheinlichkeit, psychische Folgeschäden davonzutragen.
Obwohl auch hiervon in erster Linie Frauen betroffen sind, zeigt sich, dass es für Männer mindestens ebenso schwierig ist, das Erleben von sexueller Belästigung zu kommunizieren, da dies noch weniger in das Rollenverständnis von Männern passt. Dies zeigt, wie wichtig es ist, das Thema auf der Tagesordnung zu behalten, die Ursachen zu bekämpfen, der Tabuisierung entgegenzuwirken und ein breites sowie anonymisiertes Beratungsangebot zur Verfügung zu stellen.
Diskriminierungen aufgrund von Geschlechterzugehörigkeit sind wie andere Formen von Belästigung und Machtausnutzung sehr häufig im Zusammenhang mit hierarchischen Strukturen zu beobachten, etwa im Verhältnis von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu Vorgesetzten. Solche Abhängigkeitsverhältnisse sind nicht nur häufig Nährboden von Ungleichbehandlungen, Diskriminierungen usw., sondern erschweren oder verhindern für betroffene Menschen die Kommunikation über die erlebte Ungerechtigkeit. Notgedrungen werden sexuelle Diskriminierungen in Kauf genommen, damit der Erfolg im Beruf nicht gefährdet wird.
Mit unserem Antrag möchten wir Betroffenen zeigen, dass die Politik jegliche Art von sexueller Diskriminierung gegen wen auch immer ernst nimmt und sich gegen eine Verharmlosung einsetzt. Wir möchten den Betroffenen Lösungen und Möglichkeiten anbieten, das Erlebte zu verarbeiten und sich das Rüstzeug zu holen, um im Wiederholungsfalle dem Täter gegenübertreten zu können.
Für uns ist der Antrag der LINKEN jedoch nicht weitreichend genug. Daher heben wir im Alternativantrag der Koalition nicht nur auf die sexuelle
Belästigung von Frauen ab, sondern möchten auf jegliche sexualisierte Gewalt aufmerksam machen und uns gegen diese aussprechen. Wir lehnen daher den Ursprungsantrag der LINKEN ab und bitten um Zustimmung zum Alternativantrag der Koalitionsfraktionen. - Vielen Dank.
Ich sehe keine Fragen und danke Herrn Kolze für die Ausführungen. Für die Fraktion DIE LINKE - - Frau von Angern verzichtet auf ihr Rederecht.
Dann kommen wir jetzt zum Abstimmungsverfahren. Einen Wunsch auf Überweisung in den Ausschuss konnte ich nicht wahrnehmen. Somit stimmen wir direkt über den Antrag Drs. 7/2089 - das ist der Antrag der Fraktion DIE LINKE - ab. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Fraktion DIE LINKE. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalition und die Fraktion der AfD. Wer enthält sich der Stimme? - Das sehe ich nicht. Somit ist dieser Antrag abgelehnt worden.
Dann stimmen wir über den Alternativantrag von CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drs. 7/2129, ab. Wer für diesen Alternativantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Koalition, die Fraktion DIE LINKE und eine fraktionslose Abgeordnete. Wer stimmt dagegen? - Das ist die Fraktion der AfD. Wer enthält sich der Stimme? - Das sehe ich nicht. Dementsprechend ist der Alternativantrag angenommen worden und der Tagesordnungspunkt 13 erledigt.
Stellungnahme zu den Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht - Bundesverfassungsgerichtsverfahren 1 BvR 1675/16; 1 BvR 745/17; 1 BvR 981/17; 1 BvR 836/17 (ADrs. 7/REV/24)
Die Behandlung erfolgt im vereinfachten Verfahren gemäß § 38 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Landtages. Daher treten wir unmittelbar in das Abstimmungsverfahren ein. Wer für die Beschlussempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Koalition, die Fraktion DIE LINKE und Teile der AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? - Das sehe ich nicht. Gibt es Enthaltungen? - Das sehe ich auch nicht. Wir
können davon ausgehen, dass das gesamte Haus zugestimmt hat. Damit ist der Tagesordnungspunkt 21 erledigt.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr verehrte Damen und Herren! Ich muss Ihnen ganz ehrlich gestehen: Mit jedem Tag, an dem ich mich mehr und mehr mit den politischen Entscheidungen der letzten Jahrzehnte in Deutschland beschäftige, komme ich mir vor wie in einem Irrenhaus. Ein wunderbares Beispiel dafür ist das deutsch-türkische Sozialversicherungsabkommen, ein Abkommen, das in unserem Land kaum jemand kennt. Aber das möchte ich in wenigen Sekunden ändern.
Liebe Krankenversicherte, bitte hören Sie jetzt genau zu, welche gängige Praxis in Deutschland seit Jahrzehnten üblich ist. Ein türkischer Staatsbürger wird in unser Krankenkassensystem integriert, beispielsweise aufgrund einer geringfügigen Beschäftigung. Er ist nun gesetzlich krankenversichert. Im selben Atemzug wird seine gesamte in der Türkei lebende Familie, die noch nie zuvor deutschen Boden betreten hat, auf Kosten der deutschen Beitragszahler mitversichert. Die Familie geht nun in der Türkei zum Arzt, abgerechnet wird per Pauschale mit der deutschen Krankenversicherung.
Natürlich darf in diesem Zusammenhang auch noch die Türkei definieren, wer und was alles zum Begriff der Familie gehört. Wir Deutschen haben uns dieser Definition natürlich zu fügen, und das machen wir brav schon seit Jahrzehnten. Somit bezahlen wir nicht nur für die Kinder, wir bezahlen nicht nur für die Ehefrau oder wie es im Islam üblich ist, für mehrere Ehefrauen, wir bezahlen sogar noch für die Eltern.
Hier sehen wir de facto das größte Problem. Es handelt sich praktisch um eine Schlechterstellung der deutschen Versicherten; denn nach deutscher Definition werden unsere Eltern in unserem Krankenkassensystem nicht bei der Familienbetrach
tung mitversichert. In der Türkei hingegen schon. Bezahlen dürfen wir das. Bezahlen darf das die Solidargemeinschaft.
Diese bereits seit 1964 gängige Praxis gehört unserer Meinung nach sofort auf den Prüfstand gestellt.
Zum letzten Mal wurde dieses Thema valide 2003 angefasst. Eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung ergab damals, dass es 33 630 Familien betrifft. Das heißt, 33 630 Töchter, Söhne, Ehefrauen, Mütter, Väter, die über unser Kassensystem in der Türkei mitversichert sind. Eine Summe der genauen Kosten konnte die Bundesregierung damals übrigens nicht definieren. Die Schätzungen liegen irgendwo bei 10 bis 12 Millionen €, mal bei mehreren 100 Millionen € Kosten für unser Solidarsystem. Wer zahlt das? Natürlich der deutsche Beitragszahler.
Übrigens sei kurz noch erwähnt, dass es solche Abkommen auch mit Bosnien-Herzegowina gibt, mit dem Kosovo, mit Marokko, mit Mazedonien, mit Montenegro, mit Serbien, mit Slowenien und mit Tunesien. Hochrechnen kann sich das jeder selbst.