Sehr geehrte Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 39. Sitzung des Landtages von SachsenAnhalt der siebenten Wahlperiode. Ich begrüße Sie auf das Herzlichste.
Sehr geehrte Damen und Herren! Wir setzen nunmehr die 18. Sitzungsperiode fort. Wir beginnen die heutige Beratung mit der Aktuellen Debatte. Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen ein Thema und ein Antrag vor, die in verbundener Debatte behandelt werden. Eine gesonderte Einbringung des Antrags ist nicht vorgesehen. Die Redezeit beträgt je Fraktion zehn Minuten. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten.
Die folgende Reihenfolge wurde vereinbart: CDU, LINKE, GRÜNE, SPD, AfD. Zunächst hat als Antragstellerin die Fraktion der CDU das Wort. Der Abg. Herr Philipp wird beginnen. Sie haben das Wort. Bitte.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Die Opfer dürfen nicht vergessen werden.“ Unter diesen Gedanken stellte die Vereinigung der Opfer des Stalinismus in Sachsen-Anhalt ihre diesjährige Gedenkveranstaltung anlässlich des Volkstrauertages am vergangenen Wochenende. Diesen Gedanken möchte ich mir auch anlässlich unserer heutigen Aktuellen Debatte zunutze machen, weil ich glaube, dass es bei Aktuellen Debatten auch darum geht, der Opfer zu gedenken.
Dabei ist die zeitliche Nähe zum Volkstrauertag am letzten Wochenende im Zusammenhang mit dieser Debatte sehr glücklich. Der Volkstrauertag gedenkt, wie Sie alle wissen, der Toten und Verletzten der vergangenen Kriege und Diktaturen und somit auch der vergangenen SED-Diktatur.
Das Unrecht, welches der Bevölkerung auf dem Boden der ehemaligen DDR vom damaligen SEDRegime angetan wurde, steht dabei in einer zeitlichen Abfolge mit dem Unrecht, das von Deutschen und auf deutschem Boden anderen Menschen während der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft angetan wurde. Auch daran sollte uns die heutige Debatte erinnern.
Ich sage dies deswegen, weil es nicht abstrakte Regime, Systeme und Unrechtssysteme sind, die Menschen Unrecht antun. Nein, es sind Menschen, es sind Personen, die individuell eigenverantwortlich handeln, die anderen Menschen Unrecht antun. Auch im Falle des SED-Regimes, das die DDR während seiner Diktatur zu einem Unrechtsstaat machte, war das so.
Minutiös wurden die Bevölkerung überwacht und die Justiz - politisch motiviert - missbraucht. Um eine Ideologie durchzusetzen und die Machtbasis auszubauen und zu erhalten, wurde fast ein perfider Werkzeugkasten an Maßnahmen entwickelt, um die Bevölkerung zu unterdrücken.
Wir reden hierbei nicht nur von ungerechtfertigten politisch motivierten Inhaftierungen oder Verhören und Einschüchterungen im alltäglichen Leben. Nein, es kam auch zu existenzentziehenden Maßnahmen durch Berufsverbote oder Kündigungen. Auch Enteignungen waren an der Tagesordnung. Zwangsaussiedlungen, ja sogar Zwangsadoptionen wurden durchgeführt.
Man muss sogar von Ächtungen ganzer Familien sprechen; denn es kam durchaus vor, dass Kinder von politisch Verfolgten daran gehindert wurden, eine weiterführende öffentliche Schule zu besuchen oder eine Berufsausbildung oder ein Studium zu ergreifen.
Meine Damen und Herren! Sie alle kennen die zeitliche Abfolge der DDR. Sie endete in einer friedlichen Revolution. Schon aus dieser Revolution heraus entstand der Gedanke nach Rehabilitierung. Das nunmehr vor 25 Jahren in Kraft getretene Erste SED-Unrechtsbereinigungsgesetz des gesamtdeutschen Gesetzgebers hatte somit einen Rechtsvorfolger. Das muss man bei der Geschichte der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze mit erwähnen.
Bereits die erste und einzige frei gewählte Volkskammer der DDR verabschiedete am 6. September 1990 das Rehabilitationsgesetz. Dieses Gesetz verfolgte das rechtsstaatliche und humanisti
sche Anliegen, Personen vom Makel ungerechtfertigter politischer strafrechtlicher Verurteilung oder anderer Diskriminierung zu befreien und Wiedergutmachungszahlungen zu leisten.
Die Abg. Frau Dr. Ackermann von der Fraktion CDU/DA in der damaligen Volkskammer der DDR wies in ihrer Rede am 6. September 1990 zu diesem Gesetz darauf hin - mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, möchte ich Frau Dr. Ackermann zitieren -, dass dieses Gesetz auch dem Gedenken dienen soll. Es soll an diejenigen erinnern, die nur von Deutschland nach Deutschland wollten und dabei gefasst und bestraft wurden. Es soll an diejenigen erinnern, die einfach die Lüge nicht mehr ertrugen, die Wahrheit sagten und vor Gericht gestellt wurden. Und es soll an diejenigen erinnern, die im Stacheldraht der Grenzanliegen hängen blieben, auf abenteuerlichen Fluchtrouten ihr Leben ließen oder aus Verzweiflung und Resignation über die Verhältnisse ihr Leben beendeten.
Das vom gesamtdeutschen Gesetzgeber verabschiedete und am 4. November 1992 in Kraft getretene SED-Unrechtsbereinigungsgesetz umfasste eine strafrechtliche Rehabilitierung und folgte damit dem Rechtsvorgänger der Rehabilitierungsgesetze, obwohl das Rehabilitierungsgesetz darüber hinaus verwaltungsrechtliche und berufliche Rehabilitierung regelte.
Durch das Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, verabschiedet im März 1994, wurde der Bereich der verwaltungsrechtlichen und beruflichen Rehabilitierung auch in der Bundesrepublik geregelt. Dabei unterschied sich das SED-Unrechtsbereinigungsgesetz des gesamtdeutschen Gesetzgebers erheblich von dem Rehabilitierungsgesetz, das von der Volkskammer der ehemaligen DDR verabschiedet wurde.
Es unterschied sich in dem Maße, dass der Rechtsstandard ein schärferer war. Grundlage war demnach nicht mehr der Verstoß gegen die in der DDR-Verfassung garantierten Grund- und Menschenrechte, sondern Verstöße, die mit einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar waren. Der unterschiedliche Rechtsmaßstab ist auch der Grund, warum die damalige Fraktion der PDS/DIE LINKE im Bundestag diesem Gesetz seinerzeit ihre Zustimmung verweigerte.
Im Zeitablauf folgten weitere Unrechtsbereinigungsgesetze, nämlich in den Jahren 2007, 2010 und 2014, die alle auf die Verbesserung der rehabilitierungsrechtlichen Vorschriften gerichtet
Nun stellt sich die Frage: Brauchen wir eine weitere Anpassung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze? - Ich möchte diese Frage mit einem klaren Ja beantworten. Es besteht nämlich eine jahrelange Forderung nach der Entfristung dieser Gesetze. Die derzeitige Antragsfrist läuft im Dezem
ber 2019 aus. Die Forderung nach einer Entfristung wollen wir mit unserem heutigen Antrag unterstützen.
Zunächst möchte ich die Regierung darauf hinweisen und alle anwesenden Fraktionen auffordern - das ist nicht Bestandteil unseres Antrags -, bitte unverzüglich Kontakt zu ihren Bundestagsfraktionen aufzunehmen, auch wenn das in der derzeitigen Situation vielleicht schwierig ist. Es geht um die Antragsfristen für die Anerkennungsleistung der ehemaligen deutschen Zwangsarbeiter nach der ADZ-Anerkennungsrichtlinie, die Ende des Jahres ausläuft. Hier besteht unverzüglich Handlungsbedarf. Auch diese Fristen gehören entfristet.
Meine Damen und Herren! Die Rehabilitierung war nie nur als monetäre Wiedergutmachungsleistung gedacht; sie hatte auch immer eine moralische, anerkennende Komponente.
Wir müssen uns fragen: Wie gehen wir in der Gesellschaft mit den Opfern des SED-Regimes um? - Dazu gehört auch immer die Frage nach der Anerkennung des Unrechts seitens der Täter, zumindest aber vonseiten des Rechtsnachfolgers der damaligen SED, und zwar von der Partei DIE LINKE.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Landtagsfraktion DIE LINKE, ich hoffe, Sie nutzen die heutige Gelegenheit, um sich klar von dem SEDUnrechtsregime zu distanzieren
(Beifall bei der CDU und bei der AfD - Thomas Lippmann, DIE LINKE: Wer einmal zuhören würde, wüsste das! - Stefan Geb- hardt, DIE LINKE: Er ist noch nicht lange dabei!)
Wenn man als Beauftragter der Verbände für die Aufarbeitung der SED-Diktatur unterwegs ist, trifft man viele Personenkreise. Ja, natürlich konnten Menschen in der DDR auch unbehelligt ein glückliches Leben führen. Natürlich gab es lebenswertes Leben in der DDR. Aber ein Rechtsstaat darf sich nicht daran messen lassen, wie viel Prozent der Menschen in einem Staat unbehelligt leben können; es kommt vielmehr darauf an, wie viele es nicht konnten. Auch dieser Wahrheit muss man sich stellen.
Zum Schluss meiner Rede möchte ich der Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der SEDDiktatur, Frau Neumann-Becker, stellvertretend für alle Mitglieder und Verantwortlichen, die in den Verbänden, in den Vereinen und in den Stiftungen arbeiten, um die SED-Diktatur aufzuarbeiten, danken. Ihre Arbeit hilft uns, unsere Vergangenheit zu bewältigen. Somit hilft uns ihre Arbeit auch, unsere Zukunft zu gestalten.
Vielen Dank, Herr Philipp. Ich sehe keine Anfragen. - Somit kommen wir zum nächsten Redner. Für die Landesregierung wird Herr Minister Stahlknecht sprechen. Sie haben das Wort, Herr Minister.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit der deutschen Wiedervereinigung sind mittlerweile 27 Jahre vergangen. Dennoch ist es nach wie vor wichtig, von Zeit zu Zeit innezuhalten und den Blick zurück auf die Opfer des SED-Regimes zu richten. Diese Opfer - wir reden hier von mindestens 200 000 politisch Inhaftierten und von einer noch viel größeren Zahl von Menschen, die in der DDR auf andere Weise aus politischen Gründen verfolgt wurden - dürfen nicht vergessen werden.
Ich bin mir dessen bewusst, dass man durch Zahlen allein schwerlich das dahinter stehende Unrecht angemessen erfassen kann. Unrecht ist immer individuell. Unrecht ist immer eine Einzelfallbetrachtung. Insofern ist auch eine Einzelfallbetrachtung bei Unrecht immer geboten.
Gestatten Sie mir daher bitte, Sie bezüglich des mit diesen Zahlen verbundenen Arbeitsaufwandes zu sensibilisieren. Wichtigste Voraussetzung ist nämlich, diejenigen zu rehabilitieren, die wirklich Opfer politischer Verfolgung geworden sind. Mein hoher Respekt gilt daher den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der im Landesverwaltungsamt ansässigen Rehabilitierungsbehörde.
Ich habe mir Fälle schildern lassen, in denen nur saubere und eben auch zeitintensive Recherchen ein neues Unrecht verhindern konnten. Ich möchte Ihnen zwei Fälle nennen.
Im ersten Fall glaubte sich eine in der DDR als Friedhofsachbearbeiterin tätige Verwaltungskraft verfolgt, weil eine Kontrollmitteilung über eine von der Staatssicherheit veranlasste Postöffnung als einziger Ansatz einer möglichen Verfolgung in ihrer Stasi-Akte war. Da die Verwaltungskraft im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit zwangsläufig berufsbedingte Kontakte zu Westdeutschen hatte, die sich um die Gräber ihrer in der DDR verstorbenen Angehörigen sorgten, war eine Routinepostöffnung durch die Staatssicherheit veranlasst
worden. Die Verfolgung der Friedhofssachbearbeiterin war folglich nur eine vermeintliche Verfolgung, weil eben nur die Post geöffnet worden war.