Nun haben wir zumindest hinsichtlich unserer Begriffsdefinition, des Begriffsverständnisses, erst einmal Klarheit geschaffen und Sie wissen, wovon die AfD spricht, wenn sie über Europa und die EU diskutiert.
Ganz spannend und erhellend, heute viel zu oft außer Acht gelassen ist aber ein noch völlig anderer Aspekt. Schauen wir uns einmal den Ursprungsgedanken zur EU und dem gegenüber wiederum das Gebilde, das aufgeblähte Monstrum an, das wir heute vor uns haben. Der ursprüngliche Gedanke, die Staaten Europas nicht nur zu einer Wirtschaftsgemeinschaft, sondern weit darüber hinaus zu einen und eine Union zu bilden, war ja erst einmal ein hehres Ziel. Allerdings war dabei das Endziel der europäischen Einigung ein völlig anderes als das, was wir heute vorfinden.
„Der Nationalstaat geht nicht unter. Der Begriff Vereinigte Staaten von Europa ist falsch. Die EU wird nie von den Vereinigten Staaten von Europa abgelöst.“
Werte Abgeordnete, merken Sie da etwas? - Aber es geht noch deutlicher. Ich zitiere Helmut Kohl weiter:
„Die EU wird immer eine Summe von vielen sehr unterschiedlichen Kulturen, Traditionen und Sprachen bleiben.“
Werte Abgeordnete, vor allem der CDU, es geht sogar noch deutlicher. Hören Sie, was Ihr ehemaliger Vorsitzender und ein Urgestein Ihrer Partei noch sagte:
„Eine Entwicklung der Römischen Verträge war, dass die Länder des Vertrages von den Vereinigten Staaten von Europa zu sprechen begannen. Doch das war eine völlige Fehlentwicklung. Wir werden nie wie die USA sein, wir, die EU, werden ein Staatenbund sein, aber wir werden bleiben Deutsche und Franzosen.“
Er hat ganz klar herausgestellt, dass die Gleichmacherei, die hier betrieben wird, nicht der Ursprungsgedanke der EU ist und war.
Wir können also feststellen, hier wird von einem Staatenbund von unterschiedlichen Kulturen, Traditionen und Identitäten, ja vom klaren Bestand der Nationalstaatlichkeit gesprochen. Mit diesen Aussagen würde ein Altkanzler Helmut Kohl heute leider - muss man beschämenderweise feststellen - wahrscheinlich als rechtsradikal deklariert werden.
Selbiges würde einem Charles de Gaulle mit seiner damaligen Ablehnung von Integration und auch einer Margaret Thatcher mit der gemeinsamen Forderung nach einem Europa der Vaterländer widerfahren. Diese Persönlichkeiten wären nach heutiger Lesart wohl Nazis oder zumindest - in den Augen vieler - Rechtspopulisten. Oder ist der autonome, Entschuldigung, der LINKE-Block hier anderer Meinung?
Dem gegenüber stehen beispielsweise im völligen Kontrast jüngere Äußerungen von einer Bundesministerin von der Leyen. Die wiederum sagt: Mein Ziel sind die Vereinigten Staaten von Europa. Nachzulesen bei „Spiegel-online“.
Wer nun also nicht bemerkt oder nicht bemerken will - da richte ich meine Worte wieder besonders an die Abgeordneten der CDU-Fraktion -, dass der Entwicklungsprozess der EU längst von links und links außen übernommen und dominiert wurde und nichts mehr mit den ehemaligen durchaus vertretbaren Ansprüchen und Gedanken zu tun hat, der muss sich leider berechtigt vorwerfen
lassen, bis heute politisch blind oder zumindest mächtig einfältig der großen linken CDU-Vorsitzenden mit wenig Rückgrat hinterher oder wohin auch immer gekrochen zu sein. - Vielen Dank.
Es gibt keine Fragen. Dann danke ich dem Abg. Poggenburg für die Ausführungen. - Für die GRÜNEN spricht die Abg. Frau Frederking. Frau Frederking, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Zahl innereuropäischer Arbeitspendlerinnen und auch Europäerinnen, die in einem anderen EU-Staat leben, nimmt immer weiter zu, und die Anzahl der Unternehmen, die sich für die Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft entschieden haben, nimmt auch immer weiter zu. Das sind jetzt zwei Beispiele, um zu zeigen, dass die Realität einer immer engeren europäischen Gesellschaft zunimmt. Insofern haben die Menschen Europas die von Jean Monnet zur europäischen Einigung formulierte Vision, „Wir vereinen keine Staaten, wir verbinden Menschen“, längst selbst in die Hand genommen.
Für die Menschen ist das Projekt Europa in ihrem Lebensalltag längst angekommen. Und die Zustimmung zur Europäischen Union nimmt wieder zu. 57 % der Europäerinnen und Europäer sagen, dass die Mitgliedschaft in der EU eine gute Sache ist. In Deutschland finden das sogar 79 %.
Diese hohe Zustimmung ist Auftrag, um die erforderlichen Reformen der EU anzugehen. Die Debatte um die Zukunft der Europäischen Union ist längst eröffnet. Die Sorgen um den Zusammenhalt und die Solidarität innerhalb Europas werden ja nicht kleiner. Die Notwendigkeit der immer engeren Partnerschaft der Staaten Europas wird immer größer und die systemischen Fragen der Europäischen Union werden immer drängender.
Bei allen Unterschieden brauchen wir einen gemeinsamen Aufbruch. Gestern haben wir zum Beispiel - Herr Borgwardt - über die unterschiedlichen Strompreise in der EU gesprochen. Erlauben Sie mir an dieser Stelle zu erwähnen, dass im Nachgang des hitzigen Durcheinanders über Fakten geklärt werden konnte, dass GRÜNE und CDU die gleichen Zahlen zu den Strompreisen in Deutschland für die letzten fünf Jahre haben.
Auch die Zahlen der CDU stützen meine Aussage, dass die Strompreise im Zeitraum 2013/ 2017 stabil geblieben sind. Für das Protokoll möchte ich deshalb erwähnen, dass die CDU die Zahlen von der „MZ“ vom 25. Oktober mit der
Quelle „Preisvergleichsportal Verivox“ entnommen hat. Das war für 2013: 28,07 Cent und für 2017: 28,16 Cent. Das entspricht einer Steigerung von 0,4 %. Ich bin froh, dass wir das klären konnten. Hier sind wir uns einig.
Die Frage ist nun: Wie bekommen wir mehr Einigkeit zwischen den EU-Staaten? - Wir wollen, dass das Europäische Parlament gestärkt und der zentrale Ort aller europäischen Entscheidungen wird und das Recht erhält, eigene Gesetzesvorschläge einzubringen. Für eine starke europäische Demokratie wäre es unserer Meinung nach auch gut, wenn es transnationale Wahllisten geben würde, die von den europäischen Parteien staatsübergreifend aufgestellt werden würden. Damit würde deutlicher werden, dass das EU-Parlament auch wirklich die europäischen Bürgerinnen und Bürger vertritt.
Die meisten Entscheidungen auf EU-Ebene sind Mehrheitsentscheidungen. Dennoch gibt es einige Themen, die mit höheren Hürden, etwa dem Einstimmigkeitsprinzip, entschieden werden, so bei der Steuerpolitik, die nur von allen EU-Finanzministerinnen gemeinsam beschlossen werden kann.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schlägt hier eine Änderung vor. Wir GRÜNEN unterstützen die Aufhebung des gleichen Stimmverhaltens im Steuervergleich, damit gerechtere Steuerregelungen auch tatsächlich auf den Weg gebracht werden können und nicht an der Ablehnung einzelner Mitgliedstaaten scheitern.
Gerade Steuerdumping und Steuervermeidung von Unternehmen und Konzernen müssen beendet werden. Prominente Beispiele sind die Konzerne Apple und Amazon. Apple Europa mit Firmensitz in Irland wurde im letzten Jahr von der EU zur Steuernachzahlung von 13 Milliarden € verpflichtet und Amazon Europa soll 250 Millionen € in Luxemburg nachzahlen, doch Irland und Luxemburg stellen sich bisher quer und weigern sich, mehr Steuern zu erheben. Wir GRÜNEN finden es nicht fair, dass Bücher von Amazon letztlich mit weniger Steuern belegt werden als Bücher in den Buchhandlungen.
Als Konsequenz der zu niedrigen Unternehmenssteuern klagt die EU beim Europäischen Gerichtshof. Ich denke, es sollte nicht nur um die Höhe von Steuern gehen, sondern auch um die Frage, wo sie gezahlt werden. Es gab von einigen Finanzministern im vergangenen Monat die Überlegung, dass es eine sogenannte Ausgleichssteuer gibt, dass dort Steuern erhoben werden, wo die Waren verkauft werden. Aber das stieß gleich auf Proteste und wurde von anderen EUStaaten abgelehnt. Deshalb meinen wir, dass wir eine größere Offenheit brauchen. Deshalb sollte
Bezüglich der EU-Sozialpolitik halten wir GRÜNEN die EU nicht für unsozial, denn Prinzipien wie zum Beispiel Gleichheit von Frauen und Männern oder die Nichtdiskriminierung sind fest verankert. Sie können sogar europaweit eingeklagt werden, was ein riesiger Fortschritt ist.
Wir GRÜNEN wollen aber auch auf europäischer Ebene mehr einklagbare soziale Grundstandards, zum Beispiel für Grundrechte wie Gesundheit, Rente und Pflege. Wir wollen allerdings keinen gemeinsamen europäischen Sozialstaat. Bei einer solchen Zentralisierung befürchten wir, dass wir uns bei den Sozialleistungen nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen würden. Aber wir wollen Mindeststandards, deren Gewährleistung jede EU-Bürgerin, jeder EU-Bürger dann auch vor dem Europäischen Gerichtshof einklagen könnte. Beispielsweise gibt es Gruppen, denen der Zugang zum Gesundheitssystem immer wieder erschwert wird, wie den Roma.
Für uns GRÜNE ist klar, dass die Nationalstaaten weiterhin ihre Sozialgesetze festlegen sollen, aber sie dürfen nicht unter einen gewissen Mindeststandard gehen.
Ein weiteres wichtiges soziales Thema ist der Stopp des Lohndumpings. Herr Gallert hat das Thema angerissen, dass wir gute Arbeitnehmerinnenrechte brauchen. Hier möchte ich noch einmal ein Beispiel aus der Landwirtschaft, aus dem Lebensmittelbereich, bemühen. Bei uns in Deutschland heißt es oft: Deutschland muss zur Welternährung beitragen und auch Hungernde satt machen. Aber wenn man sich die Realitäten ansieht, ist das weit entfernt von diesem Ziel, denn beispielsweise macht Deutschland mit seinem billigen Schweinefleisch selbst andere europäische Märkte kaputt.
Frankreich kann zum Beispiel auch nicht mehr mithalten, obwohl die Produktion im Stall genauso abläuft. Und zwar liegt das daran, dass in Frankreich die Preise in den Schlachthöfen dreimal höher sind als in Deutschland.
Denn in Deutschland haben die Schlachthöfe bisher Verträge mit osteuropäischen Subunternehmen gemacht, die den Mindestlohn umgehen können. Daher begrüßen wir es ausdrücklich, dass am Montag dieser Woche die Entsenderichtlinie novelliert wurde und Unternehmen, die Mitarbeiter
ins Ausland entsenden, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dann eben auch den gleichen Lohn zahlen müssen, wie er am Arbeitsort bei den einheimischen Mitarbeitern üblich ist. Das halten wir für einen ganz wichtigen Schritt.
Bei der EU geht es um europäische Solidarität, doch leider ist diese von einigen bereits aufgekündigt worden. Die EU-Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen, Ungarn und Tschechien eingeleitet, weil diese Staaten sich weigern, die im Jahr 2015 vereinbarte Quote zur Aufnahme von 160 000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien zu erfüllen. Deshalb drohen jetzt auch Strafzahlungen.
Der EuGH hat bereits entschieden, dass diese Länder die Flüchtlinge aufnehmen müssen; doch Ungarn weigert sich, das zu akzeptieren. Ungarn weigert sich, die Absprachen, die wir getroffen haben, zu respektieren. Das heißt für uns, dass damit auch ein Stück weit die Rechtsstaatlichkeit an dieser Stelle - allein an dieser Stelle schon - verletzt wird.
Wir meinen, wir brauchen ein gerechtes Verteilungssystem. Dazu gehört auch, europaweit einheitliche Asylverfahren mit hohen Schutzstandards zu implementieren.
Das mache ich gerne. - Bei aller Kritik ist die EU ist das beste Beispiel dafür, wie Partnerschaft, zum Beispiel bei der wertvollen Kohäsionspolitik, und Zusammenarbeit zum Nutzen aller funktionieren können. Das macht auch Hoffnung, dass wir eine starke demokratische EU reformieren können. Dafür müssen wir gemeinsam kämpfen, auch wenn es in der EU zum Teil erodierende Werte gibt. Diesbezüglich müssen wir wieder stärker werden. - Vielen Dank.
Frau Frederking, Herr Dr. Tillschneider hat eine Frage oder eine Intervention. Möchten Sie antworten?