Durch den Personalmangel ist die Bildung unserer Kinder und Jugendlichen und damit ihrer und unser aller Zukunft in einer Wissens- und Leistungsgesellschaft grundlegend bedroht. Statt endlich mehr Lehrerinnen und Lehrer einzustellen, will und muss das Bildungsministerium das Unterrichtsangebot immer weiter einschränken, nicht nur im kommenden Schuljahr, sondern auch darüber hinaus.
In der Folge muss an den Grundschulen in immer größeren Klassen unterrichtet werden. Es drohen weitere Kürzungen bei der Förderung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und beim Sprachunterricht für Migranten. So soll der neigungsorientierte Unterricht an den Gemeinschafts- und Sekundarschulen gänzlich gestrichen werden.
Meine Damen und Herren! Das Thema „Mangelnde Unterrichtsversorgung“ ist bei Weitem nicht neu in Sachsen-Anhalt. Wir standen im Jahr 2015 schon mal auf dem Domplatz und haben uns damals Lehrkräfte gebastelt. Sie können sich sicherlich daran erinnern, als uns Minister Dorgerloh sagte, dass wir keine Lehrer brauchten. Das heißt, dass diese nicht aus Papier ausgeschnitten waren. Leider haben wir sie nicht zum Leben erwecken können. Sie fehlen seitdem immer noch.
Gleichzeitig wurde damals der Grundstein für die Zusammenarbeit in einer Interessenvertretung gelegt. Diese Zusammenarbeit hat sich in der Volksinitiative „Den Mangel beenden - Unseren Kindern Zukunft geben!“ einen Höhepunkt gefunden. Zehn Organisatoren sind Gründungsmitglieder, weitere kamen hinzu. Unter ihnen sind auch Arbeitgeber- und Lehrerverbände.
Die ausgefüllten Unterschriftenlisten kamen aus Arztpraxen, Schulen, Backshops, Sportvereinen, kleinen und großen Firmen, Kirchengemeinden, Ämtern und wurden unterschrieben von Eltern, Großeltern und engagierten Mitbürgern. Fast 100 000 Menschen unseres Landes, Wahlberechtigte, bekundeten mit ihrer Unterschrift ihren Willen, dass 1 000 Lehrerinnen und Lehrer und 400 pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusätzlich zu den aktuellen Planungen eingestellt werden, um das in den letzten vier Schuljahren entstandene Personaldefizit zu beseitigen, dass der fachspezifische Personalbedarf an För
derschulen und im gemeinsamen Unterricht an den Regelschulen durch unabhängige Experten ermittelt und vom Land abgesichert wird, dass die Einstellungspraxis so geändert wird, dass alle jungen Lehrkräfte im Land gehalten werden, und dass die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern und von weiteren pädagogischen Fachkräften ausgeweitet wird.
Viele Fakten zur mangelnden Unterrichtsversorgung in den verschiedenen Schulen des Landes haben wir auf der Webseite der Volksinitiative „www.volksinitiative-denmangelbeenden.de“ zusammengetragen. Wen es interessiert: In den letzten 30 Tagen gab es 50 Meldungen aus Schulen. Ich möchte Sie damit nicht unbedingt Ihrer Zeit berauben.
Die Informationen auf der Webseite haben uns direkt erreicht nach Hinweisen von Eltern und Lehrkräften oder sie sind aus Presseveröffentlichungen seit dem Sommer zusammengetragen worden. Leider ist es eine erschreckende Auflistung. Trotzdem ist sie aus unserer Sicht nur die Spitze des Eisberges.
Ein Beispiel aus einer Grundschule in Halle: Der neue Berechnungsfaktor für den Grundbedarf bedeutet, dass dort 43,5 Stunden weniger zugewiesen wurden, deshalb zwei Lehrerstellen weniger zur Verfügung stehen, Stunden des Sach-, Deutsch- und Sportunterrichts sowie andere Angebote gestrichen wurden, kein Spielraum bei Krankheit besteht, eine Massenbetreuung stattfindet. Auch wenn es viele von Ihnen nicht von der Basis kennen, aber es gibt genügend Schulen, an denen in Turnhallen bis zu 30 bis 40 Kinder, manchmal bis zu 50 Kinder unterrichtet werden. Solche Einzelfälle können passieren. Aber wer das Gesamtausmaß so wie wir mitbekommt und jeden Tag erlebt, der muss so reden. Deswegen auch die Emotionen.
Es kommt zu größeren Klassenstärken. Sie haben gehört, dass die Klassenstärken erhöht wurden. Dadurch sind keine Zusammenlegungen mehr möglich, weil auch die Klassenräume zu klein sind. Ein gemeinsamer Unterricht ist qualifiziert nicht mehr möglich, da Förderlehrer regulären Unterricht vertreten müssen. Auch Inklusion ist schlecht möglich; Lehrer hierfür fehlen oder müssen vertreten.
Veränderung des Einsatzes der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst und ihrer Anrechnung. An der besagten Schule befinden sich derzeit fünf Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst; eine Lehrkraft hat gekündigt, sie hat den Stress nicht bewältigt.
Die hohe Belastung der Lehrer zeigt Auswirkungen auf die Gesundheit. Burn-out ist in den Kollegien leider keine Seltenheit mehr.
Ein weiteres Beispiel: Am Burger Roland-Gymnasium wurde das Fach Lernmethoden gestrichen, weil nicht genügend Lehrer zur Verfügung standen. Am Siemens-Gymnasium in Magdeburg wurde in der 5. und 6. Klasse der Stundenplan gekürzt. In der Berufsschule Magdeburg Am Krökentor wurden die Fächer Ethik, Sport und Englisch schon seit Längerem drastisch gekürzt und werden in einzelnen Klassen teilweise nicht mehr unterrichtet.
In meiner Funktion als Landeselternratsvorsitzender erfahre ich allein durch Anrufe wöchentlich durchschnittlich von 15 neuen Fällen. Dabei reden wir noch nicht von den Briefen, Mails und den Posts in den sozialen Netzwerken, die an unser Gremium und an die Volksinitiative geschickt und überhaupt nicht berücksichtigt werden.
In diesem Schuljahr wurde der Korrespondenzzirkel zur Begabtenförderung, der gute Chancen hatte, in der Fläche zu wirken, schlichtweg gestrichen. Wer auch immer diese Idee hatte, vertrat sicherlich nicht die volkswirtschaftlichen oder wissenschaftlichen Interessen unseres Landes. An dieser Stelle sollten schlichtweg Lehrerwochenstunden gespart werden.
Die schlechte Unterrichtsversorgung schlägt aber auch bei den Förderschulen durch. Mancherorts kann die Stundentafel nicht mehr komplett erteilt werden, ganz zu schweigen von zusätzlichen Angeboten und dort notwendigen Dingen, wie beispielsweise eine Doppelbesetzung.
Die an den Regelschulen rechnerisch erreichten Stundenzuweisungen aus dem Inklusionspool sind sehr oft gekürzt. Von den tatsächlich zugewiesenen Stunden wird oft nur ein Teil durch ausgebildetes Förderschulpersonal abgedeckt.
Pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden sowohl in den Förder- als auch in den Regelschulen für den individualisierten offenen Unterricht und für sonstige Betreuungszeiten benötigt.
Besonders schmerzhaft wird es, wenn PMs für die Betreuung schwer mehrfach behinderter Kinder fehlen. Dies kommt leider immer häufiger vor.
Dieser Entwicklung können wir nicht länger tatenlos gegenüberstehen. Wir wollen Sie als Abgeordnete unüberhörbar auffordern, unverzüglich eine radikale Umkehr in der bisherigen Personalpolitik für das Bildungswesen einzuleiten.
Fakt ist: Das Schulwesen brennt. Das altersbedingte Ausscheiden vieler Lehrer in den nächsten Jahren wird dieses Feuer noch weiter entfachen. Bildungsaffine Menschen werden durch ein solches Schulsystem geradezu abgestoßen und dazu verleitet, ihre Familien durch Wegzug einem anderen Schulsystem zuzuführen.
Haben wir uns an den Tropf von ESF-Mitteln dermaßen gewöhnt, dass wir durch eine völlig irrationale Weichenstellung auch künftig zu den ärmsten Regionen in der EU zählen wollen? - An den Schulen muss ausreichend Zeit für gut ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen zur Verfügung stehen.
Außerdem müssen die Stabilität und die Größe von Klassen bzw. Lerngruppen einen angemessenen Rahmen für Lernprozesse bieten. Dies alles ist durch die aktuelle Bildungs- und Personalpolitik in Sachsen-Anhalt nicht mehr gewährleistet.
In den kommenden Jahren ist mit einer deutlichen Zuspitzung des Lehrkräftemangels und daraus folgend mit einem Qualitätsverlust schulischer Bildung zu rechnen. Damit werden wesentliche Grundlagen für eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft und letztlich für deren Stabilität aufs Spiel gesetzt.
Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich das alles in klaren Worten zusammenfassen: Unsere Volksinitiative hat es trotz der Sommerferien innerhalb von 16 Wochen geschafft, knapp 100 000 Unterschriften zu sammeln, also die Stimmen von ca. 5 % der Wahlberechtigten. Sie scheint durchaus in der Lage zu sein, ihr Ziel auch erfolgreich mit einem Volksbegehren zu verfolgen.
Doch ich wünsche uns eine schnelle und konstruktive Lösung, die unseren Kindern, Eltern, Lehrern und der gesamten Gesellschaft eine in der breiten Wählerschaft vermisste Bildungsqualität zurückbringt. Entweder dieser Landtag schafft es, diese Probleme der Personalausstattung in unseren Schulen, die seit langer Zeit gewachsen sind, zu lösen, oder er wird in dieser sensiblen Problematik das Vertrauen in die Demokratie verspielen - mit aller Konsequenz. - Danke schön.
Ich danke Herrn Jaeger für seine Ausführungen. - Bevor wir in die Aussprache eintreten, habe ich das Vergnügen, Schülerinnen und Schüler des Kurfürst-Friedrich-Gymnasiums aus Wolmirstedt
Weiterhin haben wir Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Höhnstedt bei uns im Hohen Hause zu Gast. Seien Sie herzlich willkommen!
Wir treten nunmehr in die Aussprache ein. Es ist eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion und für die Landesregierung vereinbart worden. Für die Landesregierung spricht der Minister für Bildung Herr Tullner. Im Anschluss sprechen die Fraktionen in folgender Reihenfolge: AfD, SPD, DIE LINKE, GRÜNE und CDU. Wir beginnen mit der Landesregierung. Herr Minister Tullner, Sie haben das Wort. Bitte.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Vertreter der Volksinitiative! Ich möchte zu Beginn allen danken, die sich um die Fortentwicklung und Verbesserung der Bildungslandschaft in diesem Land kümmern.
Damit meine ich in erster Linie die vielen Tausend Lehrkräfte, pädagogischen Mitarbeiter und Sozialarbeiter an den Schulen, die täglich ihr Bestes geben, um unseren Kindern trotz widriger Bedingungen gute Zukunftschancen und beste Bildung zu ermöglichen.
Ich danke aber auch allen engagierten Eltern und Großeltern, die sich als Bildungspartner um ein lebendiges Schulleben kümmern und täglich mit ihren Kindern und Enkelkindern mitfiebern.
Nicht vergessen möchte ich die Kolleginnen und Kollegen der Schulaufsicht, des Landesschulamtes und des Ministeriums, die um gute Lösungen für unsere Schulen ringen, auch wenn nicht immer jeder Beteiligte mit diesen Lösungen zufrieden ist. Ich bin es im Übrigen auch nicht. Herr Jaeger hat auf die Probleme hingewiesen, die wir tagtäglich in den Schulen haben.
Warum stelle ich diesen Dank an den Beginn meiner Rede? - Es gibt in der Schul- und Bildungspolitik viele Akteure, die mit den gleichen Zielen unterwegs sind, nämlich beste Bildung für unsere Kinder, manche sprechen sogar von weltbester Bildung für unsere Kinder. Das gilt selbstverständlich auch für die Initiatoren der Volksinitiative und für die vielen Tausend Bürgerinnen und Bürger, die sich mit ihrer Unterschrift geäußert und ihren Beitrag zu diesem Punkt geleistet haben.
Zwänge und Wahrnehmungen. Für die Kollegen der Fraktion DIE LINKE ist quasi immer alles falsch, zu unambitioniert oder zu billig. Die Eltern nehmen naturgemäß die Situation der konkreten Schule wahr, in der ihre Kinder beschult werden. Die Gewerkschaften ziehen die Belastung der Lehrkräfte immer besonders stark in ihre Argumentation ein.
Das Bildungsministerium, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist allerdings für das gesamte System verantwortlich. Wir agieren natürlich nicht im luftleeren Raum, sondern sind an den vom Landtag beschlossenen Haushalt und an die Koalitionsvereinbarung gebunden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Kern geht es bei vielen Diskussionen immer um die Unterrichtsversorgung. Die Unterrichtsversorgung beschäftigt das Bildungsministerium, das Landesschulamt und alle weiteren beteiligten Stellen seit Beginn der Legislaturperiode sehr intensiv.
Die vom Doppelhaushalt 2017/2018 gesetzten Rahmenbedingungen werden durch uns konsequent ausgeschöpft. In Abstimmung mit dem Parlament geht es dabei vor allem um die zügige Ausschreibung freier Stellen und die flexiblere Ausschreibungspraxis, die Öffnung der Ausschreibungen für einen breiteren Bewerberkreis und um regionale und schulkonkrete Ausschreibungen.
Im vergangenen Jahr haben wir bis auf eine Einstellungsoption alle Möglichkeiten ausgenutzt. Auch in diesem Jahr werden wir die Einstellungsoptionen ausschöpfen und dafür sorgen, dass mehr neue Kolleginnen und Kollegen an den Schulen ankommen.
Neben der quantitativen Dimension haben wir natürlich auch die Qualität im Blick. Deswegen bleibe ich dabei, dass die Einstellung von grundständig ausgebildeten Lehrkräften weiterhin oberste Priorität hat.