Protocol of the Session on September 28, 2017

Mit einem landeseigenen Jugendarrestvollzugsgesetz wird auch in Sachsen-Anhalt der Vollzug des Jugendarrestes auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Sachsen-Anhalt war Mitglied einer Neun-Länder-Arbeitsgruppe, die den bereits erwähnten Musterentwurf für ein Jugendarrestvollzugsgesetz erarbeitet hat. Das Jugendarrestvollzugsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt soll sich auf diesen Musterentwurf stützen.

Dabei sind folgende Rahmenbedingungen zu berücksichtigen:

Erstens eine besondere Fürsorgepflicht für den Jugendlichen, da hier eine freiheitsentziehende Sanktion häufig erstmalig und gravierend in das Leben der Arrestanten eingreift.

Zweitens. Alle inhaltlichen Maßnahmen während des Jugendarrestvollzuges müssen sich an der kurzen Dauer von zwei Tagen bis maximal vier Wochen orientieren.

Drittens. Das Behandlungsangebot muss auf die individuellen Erfordernisse abgestimmt sein. Es handelt sich um einen vergleichsweise kleinen Adressatenkreis mit durchschnittlich zwölf jungen Arrestanten.

Viertens. Wegen der verschiedenen Formen des Jugendarrests handelt es sich um eine heterogene Gruppe von jungen Menschen, von denen einige zum ersten Mal eine freiheitsentziehende Sanktion erleben. Andere aber haben schon zuvor eine Jugend- oder gar Freiheitsstrafe verbüßt.

Sehr geehrte Damen und Herren! Im Zusammenhang mit der Gesetzesinitiative zur Modernisierung des Jugendarrests in Sachsen-Anhalt war in der vergangenen Legislaturperiode auch immer wieder die Ahndung der Schulpflichtverletzung als Ordnungswidrigkeit in der Diskussion. Von einer Schulgesetzänderung wurde abgesehen.

Stattdessen wurde der Runderlass „Umgang mit Schulverweigerung“ überarbeitet und Anfang des Jahres 2015 in Kraft gesetzt. Mit dem geänderten Runderlass wurde der bisherige Verfahrensablauf umgestellt und ein präventiver Ansatz verfolgt.

Die Schulen werden damit in die Lage versetzt, der Schulverweigerung von Schülerinnen und Schülern vorbeugend und vermittelnd zu begegnen und unmittelbar auf Schulabsentismus zu reagieren. Der Kooperation von Schule und Jugendhilfe ist der Vorrang vor der Anzeige als Ordnungswidrigkeit einzuräumen.

Im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ist abzuwägen, ob tatsächlich alle Möglichkeiten der Jugendhilfe ausgeschöpft worden sind. Die Sank

tionierung einer Schulpflichtverletzung durch Feststellung einer Ordnungswidrigkeit bleibt damit auf die Fälle beschränkt, bei denen alle pädagogischen Mittel und damit die Möglichkeiten der Schule ausgeschöpft sind.

Insoweit sind die Meldungen an den Landkreis oder die kreisfreie Stadt konsequent, aber gleichzeitig auch der wichtigste Indikator für die Wirksamkeit der schulischen Maßnahmen. Das Ordnungswidrigkeitsverfahren ist und bleibt die Ultima Ratio bei der Durchsetzung der Schulpflicht.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten! Die Zukunft des Jugendarrestvollzugs in SachsenAnhalt ist untrennbar mit der Justizvollzugsreform und der damit einhergehenden Konzentration der Justizvollzugsstandorte verbunden. Aus vollzugspraktischer Sicht und unter behandlungs- und sicherheitsorientierten, aber auch unter personellen und haushalterischen Gesichtspunkten wird ein Standort für die Jugendarrestanstalt in unmittelbarer Nähe, jedoch nicht auf dem Gelände einer bestehenden Vollzugseinrichtung favorisiert.

(Swen Knöchel, DIE LINKE: Das finde ich gut!)

Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns die Diskussion fortführen, wenn ich den Gesetzentwurf in den Landtag einbringe. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Es gibt keine Nachfragen. Dann danke ich der Ministerin für die Ausführungen. - Für die SPD spricht jetzt die Abg. Frau Schindler. Frau Schindler Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Kollegin Frau von Angern, ja, der vorliegende Antrag ruft erneut ein Thema auf, mit dem wir uns im Landtag auch in der letzten Wahlperiode mehrfach intensiv befasst haben. Schon damals stieß die Initiative, die von der Fraktion DIE LINKE ausgegangen ist - mein Kollege hat es so formuliert -, auf offene Ohren. Dies kann ich heute auch wieder bestätigen.

Es wurde nicht nur, wie Sie es geschildert haben, eine umfangreiche Anhörung mit zahlreichen Experten und Fachleuten durchgeführt, sondern es gab auch intensive Debatten in verschiedenen Ausschüssen, im Rechtsaus

schuss und auch damals schon im Bildungsausschuss, zur Frage des Umgangs mit Schulverweigerern.

Zur Vorlage eines Gesetzentwurfs über den Vollzug des Jugendarrests ist es leider nicht gekommen. So wie die Ministerin gerade ausgeführt hat, haben wir uns im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, dieses jetzt vorzunehmen, ein Gesetz dazu zu erlassen.

Wir haben uns im Übrigen dazu verpflichtet, dass es, wie bereits angemerkt, Ziel dieses Gesetzes sein soll, Jugendliche von erneutem Fehlverhalten abzuhalten. Über die Frage, wie dies am besten gelingen kann, wird mit Sicherheit viel diskutiert werden.

Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass dies am besten durch zielgenaue sozialpädagogische, therapeutische und erzieherische Maßnahmen erreicht wird. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die Eckpunkte für den angekündigten Gesetzentwurf, die die Ministerin schon genannt hat.

Zu dem Thema Schulgesetz und Schulverweigerung. Wir haben uns, wie gerade ausgeführt, in der letzten Legislaturperiode intensiv mit diesem Thema befasst. Ordnungswidrigkeitsverfahren dürfen nur die Ultima Ratio sein. Trotzdem steht der § 84 Abs. 1 weiterhin im Schulgesetz. Ich bin gespannt auf die Novelle zum Schulgesetz und darauf, inwieweit wir im Zusammenhang mit der Diskussion zum Schulgesetz diese Diskussion wieder aufmachen können.

An dieser Stelle verweise ich auch auf das vorgesehene Moratorium zu dem Ordnungswidrigkeitenerlass. Meine Kollegin Prof. Dr. Angela KolbJanssen hat im Bildungsausschuss einen Selbstbefassungsantrag gestellt, um dieses Thema dort zu diskutieren. Es ist auch angekündigt worden, dass der Ausschuss für Recht und Verfassung dazu mit eingeladen wird. Ich bin gespannt auf die Diskussion im Bildungsausschuss.

Sicherlich ist es unter den Bildungspolitikern weiterhin umstritten, ob der Ordnungswidrigkeitsparagraf aufgehoben werden kann. Im Koalitionsvertrag haben wir zumindest dazu auch eine schöne Formulierung gefunden, die da lautet: Schulschwänzer gehören in die Schule, nicht in den Jugendarrest.

Ich freue mich also auf die weitere Beratung zum einen im Bildungsausschuss zu der Frage der Schulverweigerung und zu den Folgen von Schulverweigerung und zum anderen auf die Beratung zu dem von der Ministerin angekündigten Gesetzentwurf zum Jugendarrest. Deshalb bitte ich um Überweisung des vorliegenden Antrags in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung, um diesen Antrag dann gemeinsam mit dem demnächst einzubringenden Gesetzentwurf zu beraten. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Es gibt keine Nachfragen. Dann danke ich Frau Schindler für die Ausführungen. - Für die AfD spricht jetzt der Abg. Herr Höse. Herr Höse, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Liebe Genossen! Sie wollen unter anderem die Betreuungs- und Begleitangebote vehement ausbauen. Sie wollen den Schulgesetzparagrafen 84 Abs. 1 Nr. 1 ändern. Und Sie wollen den Jugendarrest abschaffen.

Dieser Jugendarrest ist laut § 13 Abs. 2 Nr. 3 des Jugendgerichtsgesetzes das letzte Zuchtmittel - die Betonung liegt auf dem Wort „Zucht“ - vor der Verhängung einer Jugendstrafe, wenn es darum geht, einem Jugendlichen eindringlich bewusst zu machen, dass er für begangenes Unrecht einzustehen hat.

Vorher kommen aber noch die Verwarnung oder die Erteilung von Auflagen zur Anwendung. Zur Ausgestaltung dieses Jugendarrestes führt § 90 Abs. 1 unter anderem weiter aus: „Der Vollzug des Jugendarrestes soll das Ehrgefühl des Jugendlichen wecken und ihm eindringlich zum Bewusstsein bringen, dass er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat.“ Die Ministerin sagte es schon.

Für die Arrestierung sieht § 16 Abs. 4 in seiner längsten Ausgestaltung als maximale Arrestdauer eine Zeit von vier Wochen vor. Damit wäre eigentlich im Wesentlichen alles zur Notwendigkeit Ihres Antrages gesagt.

Begeben wir uns jetzt aber auf einen kleinen Exkurs in die Praxis. Die Hauptanwendungsfälle für den Jugendarrest sind Schulpflichtverstöße. Das wissen Sie natürlich selbst, sonst hätten Sie ja in Ihrem Punkt 3 des Antrages nicht die Streichung von § 84 Abs. 1 Nr. 1 des Schulgesetzes gefordert, der das Schwänzen als Ordnungswidrigkeit deklariert.

Im Jahr 2016 gab es 196 Fälle von Schulpflichtverstößen, in denen es final zur Anwendung von Jugendarrest gekommen ist. Das mag nach einer hohen Zahl klingen. Aber die Frage ist, was im Vorfeld alles passieren muss, bevor es überhaupt zu einer richterlichen Anordnung des sogenannten Dauerarrests kommt.

Es ist ja nicht so, dass jeder Schulschwänzer sofort einfährt. Wie so oft in unserer Zeit kommt es nämlich erst ein paar Mal zum erhobenen Zeigefinger, dann kommt der Hol- und und Bringedienst des Jugendamts oder der Polizei und erst danach kommt es bei weiterem Fernbleiben vom Unterricht zur Festsetzung von Bußgeldern.

Werden diese dann wiederum nicht gezahlt, erfolgt in der Regel eine Umwandlung des Bußgeldes in Sozialstunden. Und erst bei deren Nichtableistung kann der Jugendrichter tätig werden und Arreststrafen von maximal einer Woche verhängen.

Schon der Weg dorthin ist aber gepflastert mit sozialpädagogischen Maßnahmen und Interventionen des Jugendamtes bei den Familien der betroffenen Schüler. So dürfen Schwänzer ihre Schulpflicht beispielsweise beim Sägen und Gärtnern in der Jugendwerkstatt unter der Aufsicht von Schulsozialarbeitern ableisten. Ich sage mal, mehr Sympathie und Entgegenkommen sind ja wohl kaum möglich. Wenn das alles nichts fruchtet, dann muss man sich wirklich fragen, was sonst noch helfen soll.

Nachdenklich sollte uns die Entwicklung der Fallzahlen stimmen. Im Jahr 2015 kam es insgesamt 166 Mal zur Anwendung von Arreststrafen für Schulschwänzer. Dem gegenüber stehen 196 Fälle im Jahr 2016, von denen sich allein 114 im ersten Halbjahr ereigneten. Die Frage nach der Entwicklung im Jahr 2017 würde sich ganz nebenbei auch einmal lohnen.

Insofern kann jedenfalls von einer grundsätzlichen Kritik an der Sanktionsform des Jugendarrestes keine Rede sein. Sie bleibt, wie heute schon so oft erwähnt, eine Ultima Ratio, der immer therapeutische, sozialpädagogische und erzieherische Maßnahmen vorausgehen, die auf die Erziehung zur Eigenverantwortlichkeit und Gemeinschaftsfähigkeit hinwirken und persönliche Umstände und Belange der Betroffenen in höchstem Maße berücksichtigen.

Was jedoch bereits in der Vergangenheit zu Recht kritisiert worden ist, ist die lange Dauer zwischen der Tathandlung und dem Antritt des Arrests. Hierbei müssen wir eine Zeitspanne erreichen, bei der die Betroffenen den Zusammenhang zwischen ihrer Tat und der entsprechenden Strafe auch wirklich herstellen und begreifen können.

(Zustimmung bei der AfD)

Denn gerade dies macht einen großen Anteil der erzieherischen Wirkung aus, die § 90 Abs. 1 JGG dem Jugendarrest zuschreibt. Die vermeintliche Härte einer Woche Jugendarrest hat mit Sicherheit noch niemandem geschadet und den einen oder anderen vielleicht sogar auf den Weg der Tugend zurückgeführt.

(Thomas Lippmann, DIE LINKE: Dann müs- sen Sie es einmal ausprobieren!)

- Das könnten wir mal tun. Mal sehen, wer dort besteht. Es ist besser als der ständig erhobene Zeigefinger.

Dass in der Jugendarrestanstalt in Halle Personalmangel herrscht, ist wahrscheinlich spätestens seit 2015 bekannt. Hier wäre es vielleicht wert, über die Verlegung der JAA in die Jugendanstalt Raßnitz nachzudenken. Dort ist alles auf dem neuesten Stand. Das sozialpädagogische Rundum-sorglos-Paket für die Zöglinge ist geschnürt und für die Freizeitgestaltung ausreichend gesorgt. Wenn wir neben dem dortigen Kirchengebäude noch eine Moschee bauen, sind wir sogar und auf jeden Fall für die Zukunft gerüstet.

Die linken Betreuungs- und Begleitangebote sind nicht auszubauen. Der Schulgesetzparagraf 84 ist nicht zu ändern. Und der Jugendarrest gehört nicht abgeschafft. Er gehört gestrafft und gehärtet. Die AfD-Fraktion lehnt den Antrag der LINKEN ab. - Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Es gibt keine Fragen. Deswegen fahren wir in der Debatte fort. - Ich bitte aber darum, auf der Regierungsbank etwas Ruhe zu halten. - Danke.

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abg. Herr Striegel. Herr Striegel, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist ausreichend deutlich geworden, warum wir uns zum Thema Jugendarrest verständigen müssen. Die Ministerin und die Vorrednerinnen und Vorredner haben das Notwendige gesagt. Die spannende Frage ist, was wir tun können, damit zukünftig weniger Jugendliche im Jugendarrest landen.