Protocol of the Session on August 24, 2017

In den klugen Wahlanalysen ist jedoch der Zusammenhang des AfD-Wahlerfolges mit der skandalösen massenhaften Bescheidepraxis - ich sage ganz klar: zum Abzocken der Bürgerinnen und Bürger - nicht hergestellt worden, obwohl auf jeden betroffenen Haushalt mindestens drei Wahlberechtigte kommen. Für mich liegt der Zusammenhang zu unserem guten Wahlergebnis auf der Hand. Aber das scheint ein mediales Wahrnehmungsproblem zu sein.

Zurück zum Sachverhalt. Das Bundesverfassungsgericht geht in seinem Rückverweisungsbeschluss von einer unzulässigen Rückwirkung bei einer neuen Satzung aus, wenn nach einer

älteren, aber rechtswidrigen Satzung Verjährung eingetreten wäre.

Eingedenk dieser Rechtsprechung sowie der Zahlungsausfälle und Rückzahlungen in Brandenburg ist man in Sachsen-Anhalt im Jahr 2016 im negativen Sinne kreativ geworden und hat über die §§ 13c und 18 Abs. 2 KAG per Gesetz die Verjährung gehemmt, was dann die Gemeinden und Abwasserzweckverbände - die Gemeinden manchmal auch bei Straßenausbaubeiträgen - weidlich ausgenutzt haben, um horrende Abgabenbescheide mit uralten Forderungen zu versenden.

Es gab dann Beschwichtigungen des Innenministers Stahlknecht. Das Innenministerium empfahl den Gemeinden per Erlass, auf das Eintreiben der Gebühren bis zum Vorliegen einer höchstrichterlichen Entscheidung zu verzichten. Gleichzeitig sorgte er hinter den Kulissen - ein sehr kluger Schachzug aus der Sicht des reinen Fiskalinteresses - mit der Bildung einer Taskforce für die Forcierung der Eintreibung.

In der Sitzung im Mai 2016 empfahl der Landtag in einer Entschließung ein Moratorium. - Das ist der Zeitpunkt, an dem die AfD ins Spiel kam; denn wir haben gefordert, kein Moratorium zu machen, welches unverbindlich bleibt.

Was aber hier beschlossen wurde, war ein Moratorium in dem Belieben einzelner Kommunen und es war auch nicht rechtsverbindlich. Es sollte auch nur bis zur Rechtswirksamkeit eines Urteils des Landesverfassungsgerichts gelten und nicht bis zu der eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts, so wie es die AfD gefordert hat.

Aber unverbindliche Empfehlungen beeindrucken die Gemeinden nicht, wenn, wie so oft, die Zahlungsfähigkeit der Gemeinde bei einem Moratorium auf dem Spiel steht. Bevor die Zwangsverwaltung einer Kommune geplant wird, geht man lieber gegen die eigenen Bürger vor. Es kam zu Zwangseintreibungen, teilweise unter Einschaltung von Inkassobüros.

Halten wir fest: Das empfohlene Moratorium verpuffte, und es kam außerdem zu spät, weil häufig bereits Widerspruchsbescheide ergangen waren, gegen die dann nur noch im Wege der Anfechtungsklage nach § 74 Abs. 1 VwGO in einer Frist von einem Monat geklagt werden konnte.

Viele, die nicht zahlen konnten, mussten sich eine Grundschuld ins Grundbuch eintragen lassen, um Haus und Hof nicht zu verlieren. Das geht zulasten der Erbengeneration, die nicht nur in ihrer Rente beeinträchtigt ist, sondern auch solche Hypotheken übernehmen muss.

Die ins KAG aufgenommenen Vergleichs- und Stundungsregelungen sind ebenfalls Kannbestimmungen, an die sich kein Verband halten muss,

dem das Wasser oder - verzeihen Sie mir das Wortspiel - das Abwasser bis zum Halse steht.

Leider hat dann das Landesverfassungsgericht die Eintreibung für rechtens erklärt. Die Klage der LINKEN vor dem Landesverfassungsgericht wurde mit denkbar knappster Mehrheit von 4 : 3 Stimmen abgeschmettert, was insofern bemerkenswert ist, als ein nicht unerheblicher Teil der Richterschaft die Bedenken gegen die Übergangsfrist und die damit verbundene Aushebelung der Verjährungsfrist im KAG teilt.

Tatsächlich sind die materiell-rechtlichen Argumente der LINKEN in der Klage stichhaltig gewesen. Natürlich verstößt es gegen das Rechtsstaatsprinzip nach Artikel 2 der Landesverfassung, wenn für Schuldner von Anschlussbeiträgen keine Belastungsklarheit und Belastungsvorsehbarkeit besteht.

Hier ging es nicht nur um Fälle von bis zu 25 Jahren seit Eintritt der sogenannten Vorteilslage. Hier konnten die vermeintlichen Gläubiger noch nicht einmal sicher sagen, wann denn für die Schuldner die „Vorteilslage“, sprich die Erschließung ihres Grundstücks genau eingetreten ist.

Aus unserer Sicht sind hier ein klarer Fall von Verwirkung und ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip von Treu und Glauben gegeben, das so wichtig ist, weil es Maßstäbe setzt für die Glaubwürdigkeit des Staates und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger.

Entgegen den Ausführungen des Landesverfassungsgerichts glauben und wissen wir, dass ein, wenn auch laienhaftes oder naives, Vertrauen in eine unzureichende Gesetzeslage gerade nach Verfestigung über Jahrzehnte den Schutz der Verfassung verdient.

Das Vertrauen in den Rechtsstaat wurde mit diesem Urteil des Landesverfassungsgerichts ein weiteres Mal beschädigt. Der Schaden des Vertrauensverlustes wiegt für einen Staat wesentlich schwerer als 77 Millionen € oder 130 Millionen €.

Die Kläger vor den Vorinstanzen konnten häufig sogar nachweisen, dass ihre sogenannte Vorteilslage zu DDR-Zeiten durch Eigenleistungen in der Freizeit hergestellt worden ist. Aber das wurde vom Landesverfassungsgericht vom Tisch gewischt.

Selbstverständlich kann man davon ausgehen, dass Konstrukte wie die Aussetzung der Verjährung in den §§ 13b und 18 Abs. 2 KAG in Wahrheit eine verfassungswidrige echte Rückwirkung darstellen; denn es erschüttert das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat und seine Repräsentanten, meine Damen und Herren, wenn die Nachforderungen der Abwasserzweckverbände dann noch nebulös verharmlosend als Er

schließungsbeitrag II zur Erneuerung von Anlagen und Netzen definiert werden, die Zahlungen der Bürger aber zur Tilgung von Altschulden der Verbände genutzt werden.

Dann können sich die Bürger wohl demnächst auf die Erschließungsbeiträge III bis VI einstellen. Angesichts der Welle der Empörung, die dann durch das Land rollt, möchte ich nicht in Ihrer Haut stecken. Ich kündige schon jetzt an, dass die Abwasserzweckverbände und die mangelnde Kontrolle bei den Eigenbetrieben und sonstigen Beteiligungen von der AfD im Kommunalwahlkampf im Jahr 2019 thematisiert werden.

Wie sehr das Thema den Leuten auf den Nägeln brennt, merke ich, wenn mir aus dem Petitionsausschuss berichtet wird. Kaum eine Sitzung, ohne dass Eingaben und Petitionen von verzweifelten Bürgern zum Themenkomplex AZV behandelt werden, die, nachdem der Rechtsweg ausgeschöpft ist, auf Abhilfe hoffen, meist, ohne wirklich zu wissen, was für ein zahnloser Tiger dieser Petitionsausschuss des Landtages wirklich ist.

Wir haben den Eindruck, dass allein schon das Wort Erschließungsbeitrag II mit Blick auf unregelmäßige Folgebeiträge vernebeln soll, dass es sich nicht um Erneuerungsbeiträge zur Sanierung angeblich maroder Netze handelt, sondern um Sanierung der nach der Wende falsch geplanten und unwirtschaftlichen Abwasserzweckverbände.

Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag will die AfD den gestörten Rechtsfrieden im Land mit einem Schlussstrich unter das Kapitel Verjährungsfristen herstellen. Wir wollen im KAG die Frist des § 13b durch eine Regelung ersetzen, die sich an den §§ 195 und 199 BGB orientiert. Danach sollen auch öffentlich-rechtliche Gebühren und Beitragsforderungen drei Jahre nach dem Ende des Jahres ihrer Entstehung verjähren. Das sind einfach überschaubare Fristen, die die Abwasserzweckverbände und die Kommunen nicht überfordern, wenn sie auch nur halbwegs ordentlich arbeiten und einen Fristenkalender führen.

Mit dieser Neuregelung gehen wir weiter als die LINKEN mit ihrer Verfassungsklage im Jahr 2016. Es genügt eben nicht, sich über die Spielregeln zu beschweren und damit Scheinopposition zu betreiben; es ist vielmehr erforderlich, die Spielregeln zu ändern. Deswegen sollten die Kollegen der LINKEN erwägen, unserem Antrag, der auch soziale Härte vermeiden will, zuzustimmen.

(Zuruf von der LINKEN: Ja, ja!)

Jedenfalls ist unser vorliegender Antrag auf drastische Verkürzung der Verjährungsfrist im KAG die logische Fortsetzung Ihres Antrags vom 31. Mai 2016 im Landtag auf ein verbindliches Moratorium bei der Vollziehung von Verwaltungs

akten. Aber das wird schon deshalb nicht geschehen, weil Sie und Ihresgleichen in den Kommunen oft genug selbst Verantwortung tragen und dort etablierte Politik mit den anderen Altparteien auf dem Rücken Sozialschwacher betreiben.

(Oh! bei der LINKEN)

Für die Medienwirksamkeit ziehen Sie dann gern vor Gericht. Aber wenn es darum geht, in kommunalen Satzungen eine kürzere Verjährung oder mehr Transparenz bei der kommunalen Betriebskontrolle durchzusetzen, gehen Sie auf Tauchstation.

(Doreen Hildebrandt, DIE LINKE: Ja, ja!)

Meine Damen und Herren! Eine bürgernahe, glasklare, dem Zivilrecht nachgebildete Verjährungsregelung im KAG wäre die eleganteste Lösung zur Vermeidung einer Blamage vor dem Bundesverfassungsgericht. Eine entsprechende Klage hat der Verband Haus und Grund schon im vergangenen Jahr angekündigt.

Wir beraten offenbar jedes Jahr neu über das KAG. Es wird jetzt aber Zeit, endlich den Rechtsfrieden in unserem Land herzustellen und einen Schlussstrich zu ziehen. Das können wir alles zusammen tun, wenn wir dem Antrag der AfD zustimmen, die Verjährungsregelung mit den Fristen des BGB einzuführen. - Vielen Dank für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der AfD)

Ich sehe keine Fragen. Für die Landesregierung spricht Herr Minister Stahlknecht. Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vorweg, Herr Farle, lassen sie mich nicht den Tatsachen entsprechende Behauptungen Ihres Antrages richtigstellen.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der LINKEN)

Vorteilslagen aus DDR-Zeiten konnten nach dem KAG zu keinem Zeitpunkt Gegenstand von Beitragsbescheiden sein. Dies ließ das zum 15. Juni des Jahres 1991 in Kraft getretene Kommunalabgabengesetz unseres Bundeslandes nicht zu. Für Beitrags- und Gebührenbescheide gibt es ab Bestandskraft keine gesetzliche Verjährungsfrist von 30 Jahren. Die in dem Antrag unterstellte ungeregelte rechtliche Situation zur Verjährungsthematik entspricht nicht mehr der derzeitigen Rechtslage.

Im aktuell geltenden Kommunalabgabengesetz gibt es bereits eine kurze Verjährungsfrist. Diese Verjährungsfrist beträgt vier Jahre und beginnt mit dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht,

(Zustimmung von Silke Schindler, SPD)

also mit dem Eintritt der Vorteilslage und dem Inkrafttreten einer wirksamen Satzung. Wenn diese beiden Voraussetzungen vorliegen, beträgt die Verjährungsfrist vier Jahre.

Damit sich der Beginn dieser Verjährungsfrist in Abhängigkeit vom Inkrafttreten einer rechtswirksamen Satzung nicht über Jahrzehnte in die Zukunft verschieben kann, hat der Gesetzgeber, also wir, eine zeitliche Obergrenze von zehn Jahren nach Eintritt der Vorteilslage eingeführt, nach deren Ablauf Beiträge nicht mehr festgesetzt werden können. Sie müssen also zehn Jahre nach Eintritt der Vorteilslage die Rechtsgrundlage dafür schaffen, das abrechnen zu können. Dann läuft die Verjährungsfrist von vier Jahren. Diese zehnjährige Frist hat es bislang nicht gegeben. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht im Fall von Bayern auch von einer sogenannten Rechtsverwirkung gesprochen, weil nach den Gesichtspunkten von Treu und Glauben ein gewisser Verlass der Bevölkerung darauf bestehen muss, ab wann eine Verjährungsfrist eintritt.

Das haben wir getan. Verglichen mit anderen Bundesländern liegen wir mit diesen zehn Jahren, die wir hier beschlossen haben, sehr gut. Wir haben nämlich die kürzeste Frist gewählt. Alle anderen liegen bei 15 und 20 Jahren.

Insofern läuft Ihre Argumentation hinsichtlich einer Verjährungsfrist nach dem BGB - Sie haben drei Jahre angesprochen - ins Leere, weil wir am Ende nur in einem marginalen Bereich zu Ihrem Antrag auseinanderliegen - zwischen vier und drei Jahren. Entscheidend ist die Übergangsfrist zwischen Eintritt der Vorteilslage und Eintritt der Satzung. Man muss nicht etwas beschließen, was sowieso schon so ist.

(Zustimmung bei der SPD)

Normalerweise würde man bei Gericht einen solchen Antrag, den Sie gestellt haben, zurücknehmen. Das ist aber eine andere Geschichte. Im Übrigen kann es mit Ablauf des 31. Dezember 2015 überhaupt keine Sachverhalte mehr geben, die es Aufgabenträgern gestatten würden, Beiträge für Vorteilslagen zu erheben, die länger als zehn Jahre zurückliegen, weil mit der Beitragserhebung, über die wir hinlänglich auch kontrovers diskutiert haben, das Landesverfassungsgericht zumindest dem Gesetzgeber recht gegeben hat, eigentlich alles auf null gestellt ist.

Diejenigen Maßnahmen, die jetzt neu gemacht werden, bei denen eine Vorteilslage entsteht,

müssen innerhalb von zehn Jahren in die Lage versetzt werden, dass eine rechtsgültige Satzung vorliegt, aufgrund derer dann Beiträge erhoben werden. Dann gilt die Verjährungsfrist von vier Jahren.

Aber es ist nett, dass Sie das noch einmal thematisiert haben. An sich ist das ein sehr intensiver juristischer Diskurs, den Sie uns heute Nachmittag noch einmal aufgegeben haben, Herr Farle. Aber Ihr Antrag ist insofern obsolet. Deshalb würde ich anregen, dass wir Ihren Antrag ablehnen, weil er an der Rechtswirklichkeit mittlerweile vorbeigeht.