Protocol of the Session on December 15, 2016

Diese Prognoseentscheidung fällt in die Zuständigkeit des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge - kurz BAMF -, das hierfür die Schutzquoten für das jeweilige Land auswertet. Schließlich kann und darf im Zulassungsverfahren für den Integrationskurs nicht die individuelle Prüfung des Asylantrags, die der Entscheidung im Asylverfahren vorbehalten ist, antizipiert werden.

Lassen Sie mich nun zu der Kernforderung Ihres Antrages, einem Abschiebestopp nach Afghanistan, kommen. § 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes scheidet als Rechtsgrundlage für einen Abschiebestopp aus, da hiernach die Länder unter bestimmten Voraussetzungen lediglich die Möglichkeit haben im Einvernehmen mit dem Bund Ausländer, die sich noch im Ausland aufhalten, aufzunehmen.

Eine Aussetzung der Abschiebung von bereits in Deutschland aufhältigen ausreisepflichtigen Personen kann daher auf diese Vorschrift, anders als in Ihrem Antrag gefordert, von vornherein nicht gestützt werden. Sie legen also eine Rechtsgrundlage völlig falsch aus.

Die Stabilisierung Afghanistans ist ein entscheidender Eckpfeiler der deutschen und europäischen Außenpolitik. Deutschland hat sich seit dem Jahr 2002 sowohl militärisch wie auch finanziell sehr stark in Afghanistan engagiert. Auch wenn die Sicherheitslage in Teilen Afghanistans nach wie vor unsicher ist, so ist nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes die Lage in vielen Provinzen trotz einzelner Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil.

Ziel der internationalen Bemühungen ist es, dass Afghanistan sich zu einem funktionsfähigen und fiskalisch lebensfähigen Staat im Dienst seiner Bürgerinnen und Bürger entwickeln soll. Hierbei sind im vergangenen Jahrzehnt durchaus Fortschritte zu verzeichnen. Beispielsweise hat sich die medizinische Versorgung, auch wenn sie aus unserer deutschen Sicht unzulänglich sein mag, durchaus erheblich verbessert. So ist seit dem Ende der Taliban-Herrschaft die Lebenserwartung um 22 Jahre gestiegen. Das können Sie dem Länderbericht des Auswärtigen Amtes vom 19. Oktober 2016 entnehmen.

Für die nächsten vier Jahre hat die Europäische Kommission 5 Milliarden € an Hilfsgeldern zugesagt. Hiervon trägt Deutschland allein 1,7 Milliarden €.

In diesem Gesamtkontext einer grundsätzlich positiven Entwicklung Afghanistans sind die mit Afghanistan geschlossenen Vereinbarungen zu Migrationsthemen zu sehen. Afghanistan erfüllt damit seine völkerrechtliche Verpflichtung zur Rücknahme eigener Staatsangehöriger. Es handelt sich um zwei Vereinbarungen.

Zum einen hat die Bundesregierung mit der afghanischen Regierung am 2. Oktober 2016 eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Bereich der Migration geschlossen. Am gleichen Tag ist zwischen der Europäischen Union und Afghanistan ebenfalls ein Abkommen mit dem Titel „Gemeinsamer Weg vorwärts in Migrationsangelegenheiten“ geschlossen worden.

Beide Vereinbarungen sehen vor, Möglichkeiten für eine geordnete Rückkehr von Afghanen zu schaffen, die weder die Voraussetzung für die Einreise noch für den Aufenthalt in der EU bzw. in Deutschland erfüllen. Ich denke nicht, dass der Landtag von Sachsen-Anhalt solche geschlossenen Regelungen - das liegt im Übrigen auch nicht in seiner Zuständigkeit - infragestellen oder unterlaufen sollte.

Rückführungen nach Afghanistan vorzunehmen ist daher kein deutscher Alleingang, sondern Teil eines gesamteuropäischen Politikansatzes. So planen derzeit Großbritannien, Frankreich, Italien, Dänemark, Norwegen und Schweden die Rückführung abgelehnter Asylbewerber.

(Beifall bei der AfD)

Die möglichen Rückführungen nach Afghanistan erfolgen auch nicht undifferenziert. Zunächst möchte ich betonen, dass Deutschland nach wie vor viele afghanische Flüchtlinge aufnimmt und als Schutzsuchende auch anerkennt.

Seit Januar 2015 sind etwa 200 000 afghanische Staatsangehörige nach Deutschland eingereist, und Deutschland wird weiterhin denjenigen unter ihnen Schutz gewähren, die nach deutschem Recht, allerdings im vollen Einklang mit den Regeln des Völkerrechts, einen Anspruch darauf genießen.

Dies wird auch aus den Anerkennungszahlen des BAMF deutlich. Danach wurde im Jahr 2016 bei etwa 55 % der entschiedenen Anträge afghanischer Asylbewerber ein Schutzstatus festgestellt. Dies zeigt, dass das BAMF eine genaue Prüfung eines jeden Einzelfalls vornimmt, sodass im Umkehrschluss bei den Entscheidungen ohne Anerkennung eines Schutzstatus eine inländische Fluchtalternative vorliegt und eine Rückkehr nach Afghanistan grundsätzlich möglich ist. Sie sehen das an der genauen Abwägung der Einzelfälle.

Auch bei dieser Personengruppe findet im Rahmen der deutsch-afghanischen Vereinbarung eine genaue Prüfung statt, ob eine Rückführung tatsächlich durchgeführt werden kann. Denn die deutsch-afghanische Vereinbarung bekennt sich zum Schutz der verankerten Rechte von Asylbewerbern und Flüchtlingen.

Daher wird Deutschland bei Rückführungsverfahren afghanischer Staatsangehöriger bestehendes internationales, europäisches und nationales

Recht anwenden und sicherstellen, dass unter anderem folgende Faktoren gebührend berücksichtigt werden: der besondere Schutzbedarf Minderjähriger, die besondere Lage alleinstehender Frauen, schwere Erkrankungen, für die es in Afghanistan keine ausreichende medizinische Versorgung gibt oder die eine sichere Rückkehr unmöglich machen. Selbst in der Gruppe, für die kein Schutzbedürfnis vorliegt, gibt es wiederum Differenzierungen unter humanitären Gesichtspunkten.

Auch wenn die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor mit großen Unsicherheiten behaftet ist, natürlich, so ist aber doch festzuhalten, dass in vielen Teilen Afghanistans ein weitgehend normales Alltagsleben möglich ist. Dies zeigen auch die Zahlen der freiwilligen Ausreisen nach Afghanistan. So sind in diesem Jahr bis Ende Oktober bereits über 3 100 freiwillige Ausreisen nach Afghanistan im Rahmen der REAG- und GARPProgramme gefördert worden.

Afghanistan steht damit an sechster Stelle bei den Zielländern der freiwilligen Ausreisen. Dies zeigt zum einen, dass eine Rückkehr nach Afghanistan nicht unzumutbar ist, zum anderen aber auch, dass offenbar doch viele Flüchtlinge mit falschen Vorstellungen nach Deutschland gekommen sind und für sich zu der Entscheidung gelangt sind, einen Neustart ihres Lebens in ihrer alten Heimat zu versuchen.

Auch plant die Bundesregierung die Rückkehr nach Afghanistan durch ein Reintegrationsprojekt zu flankieren. Das Bundesministerium des Innern und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit planen in den nächsten drei Jahren für Reintegrationsmaßnahmen 150 Millionen € zur Verfügung zu stellen. Afghanistan soll ein Zielland dieser Projekte werden. Ich denke nicht, dass wir das hier infrage stellen wollen.

Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Verzicht auf Anstrengungen im Hinblick auf eine Rückkehrpolitik nach Afghanistan kurzsichtig. Denn nach wie vor gibt es eine erhebliche Migrationsbewegung von Afghanistan nach Europa. Diese stellt nicht nur eine Belastung für die europäischen Gesellschaften dar, sondern schwächt auch den Aufbau in Afghanistan.

Erfahrungen zeigen, dass eine fehlende Rückkehrpolitik einen nicht zu unterschätzender Pullfaktor der irregulären Migration darstellt. Flüchtlinge zahlen für eine Schleusung nach Europa oft erhebliche Summen. Dieses in kriminellen Kanälen versickernde Geld benötigt die afghanische Volkswirtschaft dringend.

(Beifall bei der AfD)

Die Einleitung einer umsichtigen und konsequenten Rückkehrpolitik ist ein wesentlicher Faktor zur

Begrenzung dieser Fluchtbewegung und kann daher auch einen Beitrag zur Stabilisierung Afghanistans leisten.

All dies zeigt, sehr geehrte Frau Quade, dass die Migrationspolitik gegenüber Afghanistan mit großer Umsicht verfolgt wird und Rückführungen entgegen Ihren Ausführungen nicht leichtfertig, sondern nur nach eingehender Prüfung erfolgen. Insofern kann ich Ihrem Antrag nicht folgen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der AfD)

Herr Minister Stahlknecht, Frau Abg. Quade hat eine Frage.

Herr Minister, ich habe zwei Fragen. Ich kann es als Frage aufbauen: Woraus schließen Sie, dass wir mit unserem Antrag ein Aufnahmeprogramm für Menschen aus Afghanistan wollen? - Das steht da nirgendwo drin. Insofern war Ihre Argumentation da ein Stück weit falsch. Wir wollen ein Aufnahmeprogramm für Geflüchtete, die im Moment auf den griechischen Inseln und in Italien festsitzen.

Die zweite Frage ist: In der „Volksstimme“ ist seit einigen Stunden ein Artikel zu lesen, in dem die Ankündigung steht: Sachsen-Anhalt will in Zukunft auch nach Afghanistan abschieben.

(Beifall bei der AfD)

Dort ist von 150 Menschen die Rede, die davon betroffen sind. Ist diese Zahl richtig? Können Sie das bestätigen?

Herr Minister, Sie haben das Wort.

Ich kann Ihnen bestätigen, dass wir im Rahmen der rechtlich zulässigen Möglichkeiten, die ich Ihnen geschildert habe, selbstverständlich auch nach Afghanistan abschieben werden. Die genaue Zahl kann ich Ihnen jetzt nicht sagen, ob das 100 oder 150 sind. Es mögen 150 Fälle sein, die im Einzelnen zu prüfen sind. Diese Zahl liefere ich Ihnen ausgesprochen gerne nach.

Das Erste war, glaube ich, nur eine Feststellung von Ihnen, mit der Sie versucht haben, die Plausibilität Ihrer Argumentation zu erklären, wenn ich das richtig verstanden habe. Das müssen wir jetzt nicht vertiefen.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich sehe keine weiteren Fragen. Ich danke Ihnen, Herr Minister Stahlknecht, für die Ausführungen. - Wir steigen jetzt in die Debatte ein. Fünf Minuten Redezeit für jede Fraktion ist vorgesehen. Als erster Redner spricht von der SPD der Abg. Herr Erben. Herr Erben, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Ich will, ähnlich wie Herr Minister, auf dem rechtlichen Boden der Tatsachen bleiben, wenn wir über die Frage diskutieren, ob es Abschiebungen nach Afghanistan geben soll.

Wir reden jetzt über einen Personenkreis, der vollziehbar ausreisepflichtig ist. Das heißt, wir reden über einen Personenkreis, der ein komplettes Asylverfahren durchlaufen hat, unter Umständen gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch genommen hat, bei dem eine Entscheidung erfolgt ist und das Ergebnis war, dass es keinen Schutzstatus gibt.

Und wir reden über eine Form von Abschiebung, die aufgrund eines internationalen Abkommens und aufgrund der jeweiligen Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes erfolgt, die nämlich sehr präzise über die Sicherheitslage auch in den einzelnen Regionen Afghanistans berichten.

Das ist natürlich etwas anderes als eine Reisewarnung. Frau Quade, mir war sofort klar, was Sie hier vorlesen, als Sie Ihre Einbringung vorgenommen haben. Sie werden mir aber Recht geben, dass eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes natürlich eine andere Funktion hat als die Beurteilung der Sicherheitslage in Bezug auf ausländerrechtliche Fragen.

Wenn wir über die Sicherheitslage in Afghanistan reden, dann können wir nicht über d a s Afghanistan reden. D a s Afghanistan gibt es nicht. In Afghanistan gibt es Regionen, teilweise auch Gebiete innerhalb der Regionen, in denen die Sicherheitslage völlig unterschiedlich ist.

Ich glaube, ich habe den meisten, möglicherweise allen Mitgliedern dieses Hauses etwas voraus: Ich kenne Afghanistan aus eigener Anschauung. Sie können die Sicherheitslage in Kabul nicht mit der in Kunduz vergleichen. Sie können die Sicherheitslage in Kunduz nicht mit der in Faizabad vergleichen. Sie können die Sicherheitslage in Faizabad nicht mit der in Mazar-i-Scharif vergleichen, und Sie können die Sicherheitslage schon gar nicht mit der in Kandahar vergleichen. Das ist sicherlich eine der gefährlicheren Regionen in Afghanistan.

Insofern ist es auch richtig, dass es eine differenzierte Herangehensweise gibt, dass es eben nicht heißt, es gibt keine Abschiebung nach Afghanis

tan, sondern dass es aufgrund der Beurteilung der Sicherheitslage erfolgt. Das ist nach meiner Kenntnis auch bei den 34 gestern Abgeschobenen im Einzelnen erfolgt.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Natürlich!)

Dass der Rechtsschutz funktioniert, zeigt ja, dass das Bundesverfassungsgericht in einem Fall die Abschiebung verhindert hat, dass es in einem anderen Fall den Rechtsschutz jedoch nicht gewährt hat. Das ist also gegeben. Insofern ist das, glaube ich, um mich an die Adresse der Antragsteller zu richten, eine sehr undifferenzierte Darstellung, die hier zum Handeln der Behörden in Deutschland kundgetan wurde.

(Zustimmung von Daniel Roi, AfD)

Ich glaube, an dieser Stelle darf auch nicht vergessen werden, dass wir nicht nur über die Regionen reden, sondern auch über den Einzelfall. Wenn Sie sich die Zahl der eigentlich vollziehbar ausreisepflichtigen afghanischen Staatsangehörigen in Deutschland anschauen im Verhältnis zu der verschwindend kleinen Zahl derjenigen, die in nächster Zeit überhaupt abgeschoben werden könnten, dann können Sie daran sehen, wie differenziert wir in Deutschland damit umgehen.

Der Herr Minister hat die einzelnen Punkte genannt. - Jetzt gucke ich einmal, wo er ist.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Neben Herrn Robra! - Minister Holger Stahlknecht: Hier!)