Protocol of the Session on November 25, 2016

Die AfD geht davon aus, dass Schulverweigerung eine Form der Verwahrlosung ist; so haben wir es eben gehört. Schulverweigerung kann, wie wir wissen, ganz unterschiedliche Ursachen haben. Sie entsteht durch ein Zusammenspiel unterschiedlicher Einflüsse, oft am Ende einer längeren Entwicklung. Oftmals ist es auch die Steigerung einer Mitarbeitsverweigerung, das Fernbleiben vom Unterricht und dann Schulschwänzen bezogen auf einzelne Stunden oder auch ganze Tage.

Sowohl Vernachlässigung, aber auch Überbehütung können zu schulverweigerndem Verhalten führen. Nicht selten zeigen Eltern aufgrund einer eigenen Negativerfahrung in ihrer Kindheit Ablehnung gegenüber der Schule, die dann auf die Kinder übertragen wird. Schlechte Wohnverhältnisse, finanzielle Schwierigkeiten, Arbeitslosigkeit, Probleme in der Beziehung mit den Eltern, aber auch Krankheit oder Tod in der Familie oder eben auch sexueller Missbrauch können so einschneidende Erlebnisse für Kinder sein, dass daraus Störungen und schulverweigerndes Verhalten entstehen können. Angesichts dieser vielfältigen Ursachen ist eine Internatslösung die am wenigsten geeignete.

Wenn die Probleme der Schulverweigerung offensichtlich werden, bedarf es einer Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfeeinrichtung. Hierbei ist unerlässlich, dass Lehrer und Schulsozialarbeiter externe Unterstützung bekommen. Oft steckt viel mehr dahinter, als dass Jugendliche keine Lust auf Schule haben. Es sind tatsächlich gravierende Probleme, die an ihrer Wurzel gepackt werden müssen, wo festgestellt werden muss, ob es vielleicht eine Lese-RechtschreibSchwäche, ob es schwierige Familienverhältnisse oder ob es Mobbing ist, die zu Schulverweigerung führen.

Der Schlüssel für den erfolgreichen Umgang mit schulabstinenten Kindern und Jugendlichen liegt in einem funktionierenden Netzwerk von verschiedenen Partnern unterschiedlicher Professionen, wie wir sie in Sachsen-Anhalt im Netzwerk „Schulerfolg sichern“ in den letzten Jahren zusammengeführt und ein solches Netzwerk errichtet haben, was eine zielgerichtete Zusammenarbeit ermöglicht. Wir setzen auf verschiedene Instrumente pädagogischer, sozialpädagogischer und psychologischer Maßnahmen.

Herr Minister hat auf den veränderten Runderlass vom Januar 2015 verwiesen. Hierin ist ganz klar beschrieben, dass Eltern nicht erst aus dem Zeugnis erfahren, dass ihre Kinder nicht zur Schule gegangen sind. Bereits beim ersten Fehlen erfolgt eine Kontaktaufnahme. Wir setzen also hier auf präventive, früh einsetzende Maßnahmen, konsequentes Hinsehen bei ersten Anzeichen, um tatsächlich den zugrunde liegenden Ursachen entgegenzuwirken.

Die vorliegenden Zahlen zeigen, dass der Erfolg dieses geänderten Erlasses noch nicht in der Form eingetreten ist, wie wir uns das erhofft haben. Das ist auf der anderen Seite aber nicht verwunderlich, weil pädagogische und sozialpädagogische Maßnahmen Zeit brauchen, um Wirkung zu entfalten. Insoweit haben wir den Alternativantrag der LINKEN noch einmal etwas verändert, haben darauf verwiesen, dass wir diese pädagogischen und sozialpädagogischen Maßnahmen in den Mittelpunkt stellen, aber auch die Frage der Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit juristischer Maßnahmen weiterhin im Blick halten.

Insoweit werden wir weiter verfolgen, wie sich die Zahlen entwickeln. Ich glaube, durch die Schulsozialarbeiter und das Netzwerk gibt es gute Möglichkeiten, dass die Maßnahmen, wie sie dort festgeschrieben sind, anfangen zu greifen. Verhaltensänderungen setzen Zeit voraus, und die Zeit sollten wir uns

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

im Hinblick auf die angestrebten Maßnahmen nehmen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. Ich war schon etwas großzügig, weil ich gemerkt habe, dass Sie einige Schwierigkeiten mit Ihrer Stimme hatten. Wir haben noch eine Nachfrage, Frau Prof. Kolb-Janssen. Es gibt eine Nachfrage von Frau Bull-Bischoff. Bitte, Sie dürfen.

Frau Kollegin, ich habe zu Ihren letzten Ausführungen eine Frage. Ich habe eine Weile gesucht, wo der zentrale Unterschied zu unserem Antrag ist. „Die Entwicklung zeigt, dass allein juristische Maßnahmen nicht den gewünschten Erfolg bringen“, so heißt es in Ihrem Antrag. Darauf haben Sie Bezug genommen. Deshalb meine Frage: Was verbirgt sich genau dahinter? Ist es das Bekenntnis der SPD zu § 84, also zur Ordnungswidrigkeit, die letztlich Schulverweigerer in den Jugendarrest schickt?

Die SPD hat immer ganz deutlich gesagt, dass Schularrest für uns nicht die geeignete Maßnahme für Schulschwänzer ist. Schulschwänzer gehören in die Schule und nicht in den Arrest.

Im Hinblick auf die konkreten juristischen Ausformulierungen werden wir uns im Zusammenhang

mit der gestern angekündigten Novelle zum Schulgesetz sicherlich auch mit der Frage der juristischen Konsequenzen intensiver beschäftigen.

(Birke Bull-Bischoff, DIE LINKE: Können Sie meine Frage bitte einmal genau beant- worten? Also!)

Wir kommen somit zur nächsten Debattenrednerin. Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abg. Frau Hohmann. Sie haben das Wort. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der AfD-Fraktion beschäftigt sich mit einem Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Ich musste ihn daher zweimal lesen. Es ist für mich unfassbar, was darin gefordert wird: ein Internat für Schulschwänzer unter dem Motto: Wer nicht ins System passt, gehört weggeschlossen.

(Oliver Kirchner, AfD, lacht)

Sie sortieren mit Ihrem Antrag wieder einmal aus. Mich persönlich erinnert das an Zeiten von Jugendwerkhöfen in der DDR. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!

(Beifall bei der LINKEN - Matthias Büttner, AfD: Kennen Sie doch! - André Poggen- burg, AfD: Kennen Sie doch am besten!)

Jedes Jahr zahlen Bund und Länder in den Heimkinderfonds, um für das Unrecht, welches Kindern und Jugendlichen angetan wurde, zu entschädigen. Dieses in Heimen erlittene Unrecht nach der Einweisung durch die Jugendhilfe hat zu massiven Beeinträchtigungen der Lebenschancen und Entwicklungspotenziale für Betroffene geführt, die bis heute nachwirken. Und das will die AfD wieder aufleben lassen - unglaublich!

Sehr geehrte Damen und Herren! Schulabsentismus - das unrechtmäßige Versäumen von Unterricht - tritt oft sehr komplex in Erscheinung. Das haben wir eben schon gehört. Vielfältige Einflussfaktoren auf sozialer, familiärer, schulischer und individueller Ebene spielen dabei eine Rolle. All das ist nichts Neues.

Wie kommt man auf die Idee, diese Jugendlichen in ein Internat zu stecken, bei all den Problemen, die sie haben? Das ist unverantwortlich und pädagogisch überhaupt nicht vertretbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Schulabsente Kinder und Jugendliche sind in der Regel eine Hochrisikogruppe. Damit sie nicht dauerhaft ausgegrenzt werden, müssen frühzeitig und wirkungsvoll Handlungsstrategien zur Ver

meidung von Schulmüdigkeit und Schulverweigerung entwickelt werden, die diesem Prozess entgegenwirken.

Sehr geehrte Damen und Herren! Was ist zu tun? Wir haben einen Alternativantrag eingebracht, der einige Möglichkeiten aufzeigt. Auf keinen Fall können durch repressive und disziplinarische Maßnahmen, wie es die AfD fordert, die Ursachen nachhaltig bekämpft werden.

Wir halten es vielmehr für erforderlich, auf die sehr differenzierten Formen des Schulabsentismus mit pädagogischen, sozialpädagogischen und psychologischen Mitteln zu reagieren.

Auch wenn es einige von Ihnen nicht mehr hören können, werden wir nicht müde, auf die derzeitige Situation an unseren Schulen aufmerksam zu machen.

Damit wir den Problemen des Schulabsentismus an Schulen begegnen können, fordern wir erstens, die Personalausstattung an den Schulen zu verbessern, zweitens den Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern die Arbeitsbedingungen zu erleichtern und ihnen den Zugang zu den erforderlichen Fortbildungen und Qualifizierungen zu gewährleisten, und drittens multiprofessionelle Teams an den Schulen zu entwickeln.

Damit stehen wir bei Weitem nicht allein. Insoweit weise ich auf die Stellungnahme des Landesschülerrates bei der Anhörung zu dem Thema in der letzten Legislaturperiode hin. Er forderte ebenfalls eine höhere pädagogische Fachkompetenz, besser ausgebildete Lehrerinnen, mehr Schulsozialarbeiterinnen an den Schulen und eine verbesserte Kommunikation zwischen Schule, Eltern und Behörden.

Wir als Gesetzgeber haben dafür Sorge zu tragen, dass wir für die Schulen einen Rahmen schaffen, der sie in die Lage versetzt, präventiv zu arbeiten.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte zum Abschluss noch einige Worte zum Jugendarrest sagen. Meine Fraktion war diesbezüglich in der letzten Wahlperiode parlamentarisch aktiv. Für meine Fraktion gehört der Jugendarrest abgeschafft.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Wolfgang Aldag, GRÜNE)

Schulverweigerer gehören grundsätzlich nicht in den Jugendarrest und deshalb bedarf es einer Änderung des Schulgesetzes. § 84 Abs. 1 Nr. 1 des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt muss endlich aufgehoben werden.

(Zustimmung von Birke Bull-Bischoff, DIE LINKE)

Unsere Aufgabe und Verantwortung liegt darin, jungen Menschen rechtzeitig vielfältige Unterstüt

zung zukommen zu lassen, anstatt sie wegzusperren.

Zu dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen. Das meiste folgt unseren Intentionen, allerdings habe ich ein kleines Problem damit. Da Sie sich in Ihrem ersten Punkt nicht von dem Jugendarrest distanzieren - es heißt in dem Antrag, dass allein juristische Maßnahmen nicht den gewünschten Erfolg bringen; das heißt für mich übersetzt: Sie bleiben bei ihren juristischen Maßnahmen -,

(Siegfried Borgwardt, CDU: Als Ultima Ra- tio! Es gibt ein Bundesgesetz! Das können Sie doch gar nicht ändern!)

können wir nicht ohne Weiteres dafür stimmen. Deshalb bitte ich darum, dass wir über die einzelnen Punkte des Änderungsantrags separat abstimmen, damit wir ganz klar auseinanderhalten können, was wir wollen und was Sie möchten. - Danke schön.

(Minister Marco Tullner: Haben wir verstan- den!)

Vielen Dank, Frau Hohmann. Ich habe das schon notiert. Es gibt eine Nachfrage, Frau Hohmann. Herr Loth von der AfD-Fraktion hat eine Nachfrage.

(Zurufe von der LINKEN)

Ich kann ja entscheiden, ob ich sie beantworte, ja?

Das können Sie entscheiden. - Herr Loth, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, ich möchte Sie fragen, ob ich Sie richtig verstanden habe und wir einer Meinung darin sind, dass die Kriminalisierung von Schulschwänzern, wie es Herr Tullner vorhin anmerkte, nicht mehr zeitgemäß ist und abgeschafft gehört.

(Marco Tullner, CDU: Unverschämtheit! Das habe ich gar nicht gesagt!)

- Das haben Sie so angedeutet. - Oh, Sie sitzen hier. Schön.

Sind Sie mit mir darin einer Meinung, Frau Hohmann?