Zweitens stellen wir sicher, dass sich eine breit gefächerte Expertenkommission einbringen kann. Dazu zählen Fachleute, Abgeordnete, aber auch kommunale Praktiker. Denn der Prüfauftrag der Enquete-Kommission umfasst unter anderem die Fortschreibung des Kommunalverfassungsgesetzes unter breiter Einbeziehung des Meinungsbildes der Bürger sowie der kommunalen Spitzenverbände.
Es sollen dabei insbesondere Empfehlungen erarbeitet werden, um Partizipationsmöglichkeiten der Bürger auf Landes- und auf kommunaler Ebene zu verbessern. Dabei sollen neue Formen der direkten Demokratie etabliert werden, um mehr Akzeptanz für politische Entscheidungen zu erreichen.
Auch ich als Kommunalpolitikerin weiß: Wir als Abgeordnete müssen der sinkenden Wahlbeteiligung starke Argumente entgegenbringen. Blicken wir nur auf die letzten Bürgermeisterwahlen und betrachten die Wahlbeteiligung. In meinem Landkreis gab es vier Bürgermeisterwahlen und bei jeder dieser Wahlen betrug die Wahlbeteiligung
Eine sinkende Wahlbeteiligung schadet der Demokratie. Doch woher kommt diese Politikverdrossenheit? Auch darüber müssen wir ehrlich nachdenken. Ein Grund dafür ist, dass sich die Bürger bei entscheidenden Prozessen nicht mehr beteiligt und nicht mehr mitgenommen fühlen.
An unseren Info-Stammtischen, aber auch bei Bürgerrunden hören wir immer Sätze wie: Man hat uns ja nicht gefragt. Oder: Egal wen ich wähle; es ändert sich doch nichts. - Dass sich doch etwas ändern kann, haben wir gezeigt. Denn wir sind der Beweis für eine pluralistische und gelebte Demokratie.
Dass sich Bürger nicht vertreten fühlen, zeigt das Vakuum, welches wir im März begannen zu füllen. Rufen Sie sich die erheblich gestiegene Wahlbeteiligung in Erinnerung; die größte Beteiligung seit 1998. Aber auch bei dieser Wahl gingen statistisch gesehen nur ca. sechs von zehn Leuten wählen. An dieser Baustelle müssen wir gemeinsam arbeiten mit ehrlicher Politik, die wieder auf die Menschen im Land zugeht, und mit ehrlichen Politikern, die sich nicht nur mit sich selbst befassen.
Aufgrund der jahrelangen Stagnation haben uns die Bürger zur zweitstärksten Fraktion gewählt, damit wir frische Impulse in den Landtag einbringen können.
Eines unserer wichtigsten Ziele ist es, die Bürger stärker in die politischen Entscheidungsprozesse einzubeziehen, damit die jahrelange Stagnation im Mittelfeld und teils im hinteren Feld eben nicht mehr die traurige Realität in Sachsen-Anhalt ist.
Ich habe das Gefühl, dass einige von Ihnen, liebe Kollegen von Kenia und der LINKEN, vor den Konsequenzen der direkten Demokratie Angst haben. Sie sollten versuchen, sich diesen Ängsten zu stellen, und sich wieder mehr mit den Menschen im Land, denen Sie verpflichtet sind, beschäftigen. Dann würden Sie auch feststellen, dass die Mehrheit der Bürger über einen guten moralischen Kompass verfügt und dass Ihre apokalyptischen Weltuntergangsfantasien nichts weiter als diffuse Befürchtungen sind.
Es geht eben nicht um eine Diktatur der Mehrheit über die Minderheit, vor der beispielsweise Herr Striegel warnte,
sondern um eine Politik, die von der Mehrheit der Bevölkerung verstanden und getragen wird sowie ganz konkrete Verbesserungen für das Alltagsleben bewirkt. Es geht um die Sinnhaftigkeit, sich einzubringen und mitgestalten zu können. Als Kommunalpolitikerin weiß ich ebenfalls: Zu vieles wird über die Köpfe unserer Bürger hinweg entschieden. Als Beispiel führe ich auch die Gebietsreform an.
Ja, das alles hat unsere Bürger im Land wahlmüde gemacht; denn diese Formen der politischen Entscheidungen übergehen den Willen der Bürger und er fühlt sich entmündigt.
Lassen Sie uns dafür sorgen, dass die Bürger in ihren Städten und Gemeinden in Fragen, die sie direkt betreffen, wieder stärker eingebunden werden. Unsere Zielstellung sollte es sein, SachsenAnhalt zum Musterland der direkten Demokratie zu machen.
Nur durch Teilhabe bauen wir das verlorengegangene Interesse wieder auf. Wir in Sachsen-Anhalt könnten gerade hierbei mit einer Enquete-Kommission Vorreiter in ganz Deutschland sein.
Wir alle kennen die Stichwörter des demografischen Wandels und der Abwanderung. Mit beiden Phänomenen hat unser schönes Bundesland zu kämpfen. Was sich hier wieder entwickeln muss, ist eine Verbundenheit zur Heimat, zur Region, zur eigenen Stadt und zum eigenen Ort. Das erreicht man nur, indem man die Menschen vor Ort wieder mitnimmt und indem man die Menschen vor Ort endlich wieder mit entscheiden lässt.
Wenn man diese Verbundenheit hat, dann bleibt man auch gerne hier. Denn prinzipiell wertschätzt man umso mehr genau das, woran man selbst mitgewirkt hat.
Dann bleibt auch unsere Jugend und dann bleiben auch die hochqualifizierte Frau und der hochqualifizierte Mann. Das ist die Basis für Familien mit Kindern, die wir brauchen, wenn wir eine Zukunft haben wollen. Erst dann durchbrechen wir den Weg zur identitätslosen Gesellschaft, in der die Menschen heimatlos und entortet werden.
Zur Stärkung der Demokratie auf Landes- und auf kommunaler Ebene in Sachsen-Anhalt beantragen wir deshalb eine Enquete-Kommission und bitten um rege Zustimmung. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Da es keine Fragen gibt, fahren wir fort. Die Landesregierung verzichtet auf einen Redebeitrag, sodass wir in die Debatte einsteigen können. Für jede Fraktion ist eine Redezeit von fünf Minuten vorgesehen. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abg. Herr Striegel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Demokratie heißt, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen. So hat es der Schriftsteller Max Frisch zutreffend formuliert. Einmischung ist richtig, sie ist notwendig und sie kennt die unterschiedlichsten Formen: das Engagement für die eigene, noch besser für die allgemeine und uns alle angehende Sache in Vereinen, Verbänden und Initiativen, das Auf-dieStraße-Gehen, um sich hörbar zu machen, die Beteiligung an Wahlen, Volksbegehren und Volksentscheiden, aber auch das Aufsuchen von Abgeordneten, Schreiben von Leserbriefen und vieles mehr.
Das Grundgesetz und unsere Landesverfassung garantieren alle diese Freiheiten. Jedoch ist von ihnen auch Gebrauch zu machen. Das wünsche ich mir an viel mehr Stellen, als es bislang passiert. Ich wünsche mir, dass weniger private Angelegenheiten, Sorgen und Besorgnisse als vielmehr das Gemeinwohl im Mittelpunkt solcher Aktivitäten stehen.
Demokratie ist, anders als von vielen vermutet, nichts Statisches. Sie ist nie fertig, um ihre Ausgestaltung muss permanent gerungen und gekämpft werden. Dem Ansinnen der AfD nach mehr Demokratie ist deshalb auch nicht per se zu widersprechen. Ihr Antrag ist dennoch unzureichend, ja, unwahrhaftig. Ich will erklären, warum.
Es geht Ihnen nicht um die Sache. Ihre politischen Inhalte, Ihre öffentliche Praxis, Ihr Agieren im Parlament - all dies weist Sie als ungeeignet aus, anderen Lehrstunden in Demokratie zu erteilen. Sie wollen in der Sache gar nicht vorankommen, sonst hätten Sie uns Ihren Mehrheitsantrag auf die Einsetzung einer Enquete-Kommission nicht kurz vor knapp und ohne den Versuch einer konsensualen Befassung mit den anderen Fraktionen vor die Füße geworfen.
Sie schreiben in weiten Teilen unseren Koalitionsvertrag ab und hoffen, dass allein dies ausreichend ist, damit wir gemeinsam mit Ihnen eine solche Kommission einsetzen.
lernen können. Damals haben Ihnen alle Rednerinnen und Redner Nachhilfe erteilen müssen, warum eine von Ihnen gewünschte Regierungskommission kaum ein geeignetes Mittel sein kann, den Gesetzgeber zu beraten.
Ihr neuer Anlauf springt nun erneut zu kurz. Wir werden ihn deshalb zur Beratung in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung überweisen, um ihn so zu qualifizieren, dass er tatsächlich die formalen und materiellen Kriterien für die Einsetzung einer Enquete-Kommission erfüllt.
Die im Landtag vertretenen Fraktionen - mit Ausnahme der AfD - haben bereits in der sechsten Wahlperiode Änderungen herbeigeführt und die direkte Demokratie gestärkt, um Politikverdrossenheit entgegenzuwirken. Wir haben auch im Alternativantrag - das ist von Ihnen zumindest hier erwähnt worden - zu Ihrem letzten Antrag „Mehr Demokratie wagen“ unsere Position deutlich gemacht.
Eine Enquete-Kommission, ein Instrument der parlamentarischen Politikberatung, ist eine der wichtigsten Schnittstellen zwischen Politik und Wissenschaft. Sie zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass in ihr Sachverständige gemeinsam und gleichberechtigt mit Abgeordneten des Landtages ein vom Landtag übertragenes Thema bearbeiten.
Probleme und Themen von Gewicht, die jenseits des parlamentarischen Alltags tiefer gehen und ohne Zeitdruck behandelt und gelöst werden sollten, können einer Enquete-Kommission zur Beratung übergeben werden. Gut vorbereitete Enquete-Kommissionen - das Stichwort ist dabei: gut vorbereitete - können wichtige Impulsgeber für politische Entscheidungen sein. Aber sie brauchen Planungszeit.
Wir sorgen als Koalitionsfraktionen dafür, dass das Parlament diese Zeit bekommt. Wir werden nicht in Hektik verfallen, wir werden Ihren Antrag im Ausschuss beraten. Wer Demokratie weiterentwickeln will, der sollte sich nicht unter Druck setzen, sondern gemeinsam über die bestmöglichen Instrumente streiten, diese prüfen und sie dann umsetzen. - Herzlichen Dank.
Wenn es keine Fragen gibt, dann danke ich Herrn Abg. Striegel für die Ausführungen. - Für DIE LINKE spricht jetzt die Abg. Frau von Angern. Frau von Angern, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Heute nun der zweite Versuch - dieselbe Zielrichtung, anderes Mittel. Die Fraktion der AfD beantragt heute die Einsetzung einer Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie, nachdem sie in der letzten Sitzungsperiode gescheitert war, mittels einer Kommission die im Antrag formulierten Aufgaben bei der Landesregierung abzuladen.
Enquete-Kommissionen können vom Landtag zur Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche oder bedeutsame Sachkomplexe eingesetzt werden. Ich habe Ihre Einlassung zu dem Thema immer so verstanden, dass Sie keine Erkenntnisprobleme mehr haben und die Lösungen bereits kennen. Sie wollen Sachsen-Anhalt zur Schweiz der Bundesrepublik Deutschland machen, Sie wollen eine direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild.
Wenn Sie in dieser Analyse bereits an diesem Punkt angelangt sind und wenn Sie auch die alleinige Lösung parat haben, nämlich Sachsen-Anhalt zur Schweiz der Bundesrepublik machen zu wollen, frage ich mich, warum es überhaupt einer Enquete-Kommission bedarf.